Hallo Andreas,
auch wenn von uns keiner dabei war, ist für das Mittelalter so
eine Handlung auszuschließen.
tatsächlich? Wieso denn? Um zunächst einmal mit der Standardreplik zu kommen, die im Mittelalterbrett so häufig notwendig ist: das Mittelalter ist lang. Wenn etwas im 13. Jahrhundert auszuschließen ist, muss das noch lange nicht für das 8. Jahrhundert gelten.
Es ist richtig, dass die Behauptung, Karl d.Große habe geistesgegenwärtig die Krone ergriffen und sie sich selbst aufgesetzt, eine spätere Legende ist, die durch die zeitgenössischen oder zeitnahen Quellen nicht gestützt wird. Einhards Vita Caroli Magni XXVIII gibt lediglich an, Karl sei durch die Krönungszeremonie überrascht worden und hätte trotz des hohen Feiertages an diesem Tag die Kirche nicht betreten, wenn er von der Absicht des Papstes gewusst hätte.
Sonderlich wahrscheinlich ist das nicht, wohl eher (neben der in solchen Fällen üblichen demonstrativen ‚Bescheidenheit‘) eine Schutzbehauptung, weil diese Krönung wesentliche Ursache für den dann auch militärisch (um Venetien und Dalmatien) ausgetragenen Konflikt mit Byzanz wurde. Jedenfalls - wie die Zeremonie im Einzelnen ablief, ist nicht bekannt. Man kann annehmen, dass sie sich am byzantinischen Krönungszeremoniell orientierte - d.h. dass der Patriarch (nur eben der von Rom anstelle des Patriarchen von Konstantinopel) dem Prätendenten die Krone aufs Haupt setzte. Einen Vorrang des Papstes (als ‚Belehnendem‘) wollten eifrige Pfaffen erst Jahrhunderte später daraus ableiten - weder Karls Zeitgenossen und schon gar nicht die Byzantiner wären auf einen (um 800) solch albernen Einfall gekommen.
„Auszuschließen“ ist eine Selbstkrönung allerdings definitiv nicht - aus einer Krönung eine sakrale Handlung zu machen, war im 7. und 8. Jahrhundert bei den Franken ein eher ungewöhnlicher Gedanke. Karls Vater Pippin hatte sich selbst zum König der Franken gekrönt und auch Karl der Große hatte sich selbst zum König der Langobarden gekrönt, ohne dass es dazu eines Priesters bedurft hätte. Insofern stand auch der „König in Preußen“ in einer altehrwürdigen Tradition.
Bei Karls Sohn Ludwig dem Frommen differieren die Quellen (Einhard und Theganus) lediglich in der Frage, ob Ludwig durch seinen Vater (zum Mitkaiser und zum Erben des kaiserlichen Titels) gekrönt wurde (Einhard, Vita Caroli Magni XXX) oder ob er sich selbst auf Befehl seines Vaters die Krone aufsetzte (Theganus, Gesta Hludovici Imp. VI). Die Quellen sind nicht einmal zwangsläufig widersprüchlich, wenn man Einhards Darstellung als lediglich verkürzt auffasst.
Selbstverständlich sah NIEMAND irgendeine Notwendigkeit, die so vollzogene Kaiserkrönung Ludwigs durch den Papst oder einen anderen Geistlichen wiederholen oder auch nur bestätigen zu lassen. Formal erforderlich war lediglich die Akklamation der Konstituenten - also der anwesenden ‚Großen‘ des Reichs. Dazu gehörten (anders als in Byzanz, das auch für diese ‚Mitkaiser-Krönung‘ offensichtlich das Modell lieferte) auch Bischöfe (Theganus: „coram omni multitudine pontificum et optimatum“), aber eben nicht in ihrer Eigenschaft als Priester und in sakraler Funktion, sondern als Angehörige der Reichselite.
Freundliche Grüße,
Ralf