Kant: 'pflichtgemäss' vs. 'pflichtwidrig'

Liebe Experten,

im Rahmen einer Seminararbeit beschäftige ich mich mit der Frage, ob der Homo oeconomicus aus dem ökonomischen Verhaltensmodell von Gebhard Kirchgässner „pflichtwidrig“, „pflichtgemäss“ oder „aus Pflicht“ (nach Kant) handle.

Zur Unterscheidung dieser drei Begriffe habe ich unter http://www.green-basketball.de/kant.htm#aus%20Pflicht einen Ausschnitt aus Kants „Grundlegung der Metaphysik der Sitten“ gefunden, der ausgezeichnet passt. Allerdings bereitet mir dort ein Beispiel etwas Mühe: jenes mit dem Kaufmann.

Daher meine Frage: Handelt ein Kaufmann, der seine Kunden fair behandelt, dies allerdings ohne direkte Neigungen gegenüber seinen Kunden hat, „pflichtwidrig“ oder „pflichtgemäss“? Meiner Meinung kommt das im Abschnitt nicht klar zum Ausdruck (zumindest für einen Laien wie mich…). Folgende Abstufung konnte ich schon herauslesen:

pflichtwidrig: Handlung, die nicht den sittlichen Normen entspricht (z.B. Mord)
pflichtgemäss: Selbsterhaltung eines gesunden Menschen
aus Pflicht: Selbsterhaltung eines todkranken Menschen

Wie gesagt ist mir die Zuordnung des Kaufmanns in eine dieser Kategorien nicht ganz klar; ich wäre froh, wenn Sie mir dies beantworten könnten!

Mit besten Grüssen

Daniel Erni

PS: Ist meine Vermutung, der Homo oeconomicus handle manchmal „pflichtwidrig“, manchmal aber auch „pflichtgemäss“ (aber sicher nie „aus Pflicht“) vertretbar?

Sorry, habe die erste selbst gelöscht, weil ein Fehler darinsteckte!
Nochmals:

Hallo Daniel!

Im Grunde hast du alles schon richtig gesagt!
Die Pflicht kann man auch als Forderung definieren, was es m.E. leichter macht. Bei Kant ist das eine sittliche Forderung. Sie gilt als sittlich, wenn sie aus reiner Pflicht zum Sittengesetz, nicht aus persönlichen Neigungen vollzogen wird. Zwischen Pflicht und Neigung besteht der Unterschied, dass sie nicht aus subjektivem Interesse vollzogen wird. Neigungen sind im Ggs. zur Pflicht auf Gefühle begründet. Die Pflicht ist allgemeingültig.
Wenn der Kaufmann also seine Kunden aus Achtung vor dem Sittengesetz
(bei Kant kategorischer Imperativ) fair behandeln würde(!), dann handelte nach der Pflicht. Seine Motivation gilt aber dem eigenen Geschäft und somit subjektivem Interesse, also eine triebgesteuerte Überlebensstrategie, was Kant pflichtgemäss nennt.

Homo oeconomicus
Kenne ich nur vom Schöpfer des Begriffs „Eduard Spranger“:

„Der ökonomische Mensch im allgemeinsten Sinne ist also derjenige, der in allen Lebensbeziehungen den Nützlichkeitswert voranstellt. Alles wird für ihn zu Mitteln der Lebenserhaltung, des naturhaften Kampfes ums Dasein und der angenehmen Lebensgestaltung. Reichtum ist Macht.“ Der ökonomische Mensch entfaltet zunächst Macht über die Natur, ihre Stoffe, Kräfte, Räume und die technischen Mittel zu ihrer Bewältigung." … "Mehr haben wollen als der andere, ist eine in der gesellschaftlichen Wirtschaft sich immer wieder von selbst bildende Willensrichtung.“

Kommt diese Definition hin?

PS: Ist meine Vermutung, der Homo oeconomicus handle manchmal
„pflichtwidrig“, manchmal aber auch „pflichtgemäss“ (aber
sicher nie „aus Pflicht“) vertretbar?

Das sehe ich auch so, mit der Einschränkung, dass er sich des pflichtgemässen Handelns nicht bewusst ist oder sein
muss. Er handelt gewissermassen pflichtgemäss, wenn sein Handeln im Einklang mit seinen Interessen steht.

Gruss

Junktor

Danke!
Hallo Junktor!

Besten Dank für deine ausführliche Antwort, die mir sehr weitergeholfen hat! Die Arbeit ist mittlerweile ausgedruckt und abgabefertig, sodass mich das Thema ab sofort nicht mehr interessiert :wink:

Gruss,
Daniel