Kant und Marx
Hallo Uwe,
Dein Fazit meiner Äusserungen wäre mir im Grunde eine kleine Diskussion wert.
gerne.
Das sehe ich auch so,mit der Anmerkung,das zumindest ich
persönlich mir die Kategorien zum Umgang mit den sinnlichen
Erfahrungen aus ebendiesen bilde.Zumindest im Anfang.
Das ist bei Kant aber anders gemeint. Raum und Zeit sind bei ihm „Formen der Anschauung“ (die Kategorien sind dann die Formen des Denkens ), die eben gerade nicht (auch nicht am Anfang) aus der Erfahrung stammen, sondern jeder Erfahrung schon immer vorausgehen (auch der ersten). Bildlich kann man das vielleicht verdeutlichen, indem man das Auge als Beispiel für die „Bedingung der Möglichkeit“ des Sehens und das Ohr als „Bedingung der Möglichkeit“ des Hörens nimmt. Das Beispiel hinkt zwar ein bisschen, aber gesagt werden soll damit folgendes: Das Auge ist nicht nur die Voraussetzung des Sehens (denn dann wäre es eben Zufall, ob man ein Auge hätte oder nicht und also sehen könnte oder nicht (das wäre ein Auge als „Bedingung der Wirklichkeit“ des Sehens); sondern das Auge ist in dem Sinne "Bedingung der Möglichkeit des Sehens, dass die ich überhaupt erst dadurch, dass ich ein Auge haben kann, vor die Wahl gestellt werde, zu sehen oder nicht zu sehen. Wenn ich also von „Sehen“ spreche, dann ist das nur möglich unter der Veraussetzung, dass ich weiß, was ein Auge ist (bzw. seine Verwendung kenne).
Für Raum und Zeit heißt das, dass ich gar nicht anders kann, als in Raum und Zeit zu „denken“ (eigentlich muss es heißen: „anzuschauen“, also einen Gegenstand zu bilden). Das wiederum heißt aber, dass Raum und Zeit sozusagen die Vorurteile sind, die ich schon immer an das Erleben herantrage, auch, wenn ich sie als Begriffe noch gar nicht kenne, also quasi „instinktiv“ (wie du es nennst).
Soll heissen,bevor meine Sinneseindrücke ,die ich
‚erfahren‘ habe,durch Kombination mit instinktiven Reaktionen
meines Verstandes (die wie dargestellt für mich
ebenfalls Produkt einer sinnlichen,inneren Selbstwahrnehmung
sind),sowie gegebenenfalls mit den aus der durch Innen- wie
Aussenwahrnehmung gewonnenen Erkenntnis resultierenden
Handlungen, und den daraus wiederum resultierenden
Sinneseindrücken,mir die Abstraktion zu Begriffen meiner
Erfahrung,bzw. zu der Hebung dieser Kombination aus
Sinneseindrücken und Reflektion zu einer Erfahrung im
abstrakten Sinne erlauben.
Kant unterscheidet auch noch zwischen Empfindung (Anschauung/Wahrnehmung) und Erfahrung (regelmäßige Anschauung, die erst durch die Begriffe gebildet werden kann). Nur die Erfahrung ist eine „Erkenntnis“ (weil sie dauerhaft ist), die anderen Begriffe bezeichnen eher „Erlebnisse“. Das was du „Innenwahrnehmung“ nennst, entspricht bei Kant zeitlichem Erleben, was du „Außenwahrnehmung“ nennst, dem räumlichen Erleben.
Ich für meinen Teil betrachte mich als berechtigt,die Begriffe
Gott und Unsterblichkeit (letzteren zumindest bezogen auf die
Existenz als menschliches,denkendes,handelndes Wesen),als den
religiösen Setzungen bzw. Zwängen der damaligen Zeit entstammend,
aus meiner Betrachtung des Sachverhaltes zu entfernen.
Das ist aber keine Entdeckung von Marx, sondern stammt von Feuerbach.
Was die Freiheit betrifft,d´accord.
Es ist fraglich, ob man die Freiheit hier so aus dem ganzen Konzept Kants herauslösen kann. Zumindest müsste man genauer begründen, warum gerade der Freiheit ein anderer Status zukommt als Gott oder der Unsterblichkeit. Wahrscheinlich würde es zu weit führen, das jetzt hier zu diskutieren, aber ich erlaube mir, die Frage zu stellen, ob du dir schon einmal Gedanken darüber gemacht hast, warum der Freiheit ein Sonderstatus zugebilligt wird (im Folgenden übergehe ich mal die d’accord-Stellen, wenn du erlaubst).
Hat er die Metaphysik in diesem Zusammenhang ersetzt,zumindest
Teile davon,hat er sie widerlegt,oder hat er ihre Anwendung
anders fokussiert,bzw. ihr überhaupt erst ein Ziel gegeben,
namentlich,wo sie nur setzt,ihr eine Funktion für eine Extrapolation
von möglichen Ergebnissen verliehen,die aus noch zu machenden
Erfahrungen zu gewinnen seien,bzw. eher eine Funktion für die
Formulierung von Hypothesen im Vorgriff auf aus zukünftigen
Erfahrungen noch zu gewinnende Erkenntnisse?
Sozusagen sittliche Maximen auf Vorrat,wo ihre adäquate Definition
aufgrund noch unzureichender Erkenntnis beim Voranschreiten der
Erfahrung im Handeln noch nicht erfolgen kann? Oder hat er ihr
eventuell nur einen anderen Anstrich gegeben?
Darüber ist lange gestritten worden. Kants Ziel war es, die Frage zu beantworten, wie Erfahrung überhaupt möglich ist. Denn zeitlich geht nach ihm Erfahrung der Erkenntnis voraus, gleichzeitig aber gibt es logische Voraussetzungen von Erfahrung, die nicht „erfahren“ werden (dies sind Raum und Zeit). Wirkliche Erkenntnis stellt sich nur dann ein, wenn ich die Erfahrung mit dem Denken mische. Das ist der „Todesstoß“ für die Metaphysik im Sinne des traditionellen Begriffs gewesen, denn dieser beruhte auf rein spekulativer Notwendigkeitserkenntnis von Dingen, die über den Verstand hinausgingen (Kant nennt das „transzendent“, also „den Verstand überschreitend“). „Metaphysik“ ist für Kant im nur als Theorie der Erkenntnis möglich, das heißt als Beschreibung der Grenzen der Erfahrung, die er in den drei Begriffen „Gott, Freiheit und Unsterblichkeit“ erblickt.
Diese Begriffe sind also zwar „transzendent“, indem sie die Erfahrung überschreiten, gleichwohl sieht sich Kant genötigt, sie zu „postulieren“. Weil man diese Begriffe also nicht erkennen kann, auf der anderen Seite sie aber als Voraussetzungen gewisser Erkenntnisse annehmen muss (für die Freiheit hattest du das zugegeben), bleibt mir nach Kant nur die Einsicht, deren Wirklichkeit „annehmen zu müssen“. Gleiches gilt etwa für den Begriff „ich denke“, den Kant auch voraussetzt, weil er jedes Denken „begleiten können muss“. Der von dir sogenannte „andere Anstrich“ ist also keineswegs bloß eine Ausrede, sondern schon prinzipiell.
Mein Standpunkt ist Dir zuwider,weil er,wie Du sagst,der
Standpunkt des Marxismus sei,der dir zuwider ist.
Marx hat aber keinen Marxismus postuliert,dazu war ihm
Ideologie zu sehr zuwider.
Das stimmt. Von Marx selbst stammt der Ausspruch, dass er kein „Marxist“ sei (woran sich Engels und die Nachfolger leider nicht gehalten haben *g*). Ich würde auch nicht sagen, dass der marxistische Standpunkt mir „zuwider“ ist, ich habe nur Einwände, wenn die Vertreter darauf insistieren, ihr Positivismus sei metaphysikfrei. Denn das ist er keineswes. Außerdem ist es unredlich von vielen Marxisten, ihre Annahmen immer gleich als Tatsachen hinzustellen. Lenin ist so ein Fall, indem er mit abwertenden Begriffen jongliert, ohne deren Berechtigung zur Disposition zu stellen. Es ist schlicht unberechtig, das dann noch „Philosophie“ zu nennen, denn hier wird nicht mehr diskutiert (was die Grundbedingung von Philosophie ist), sondern polemisiert. Ich sehe mich dann manchmal sogar genötigt, Marx vor seinen eigenen Anhängern in Schutz zu nehmen.
Ich denke,das Marx den Kant auch nicht in Gänze
verwirft,sondern an ihm Befangenheit in theologischen Zwängen
seiner Zeit,Zurückfallen hinter bereits Erbrachtes,sowie in
manchen seiner Entwicklungen falsche Voraussetzungen
konstatiert.Wobei,wie richtig erkannt,ich ihm zustimme.
Das ist Feuerbach, nicht Marx. Die Marxsche „Idee“ besteht darin, diese Feuerbachsche These auf die Politik und die Ökonomie zu übertragen.
Im übrigen,das weite Zurückfallen,liesse sich auch umgekehrt
deuten,Marx kann genauso behaupten,Kant falle hinter einen
bereits von anderen Denkschulen/-richtungen erreichten Stand
zurück,er könnte diesen Zeitpunkt durchaus in eine Phase der
griechischen Klassiker setzen,wie Du so gut wie ich weisst.
Du willst auch den Marx mit dem Kant erschlagen,sogar
grausameren Schlages,da er sogar WEIT hinter Kant landen
soll:smile:
Ich nehme wieder Marx etwas in Schutz. Man könnte sogar die Marx’sche Hegelkritik (und auch die Feuerbachkritik) aus Kantischer Perspektive deuten, in dem Sinne nämlich dass die Ökonomie die „Bedingung der Möglichkeit“ dafür sei, dass die Gesellschaft (annehmbar) funktioniert.
Jedenfalls, so wie von Dir oben gebracht, ist es nur
Behauptung, genau wie das „naiv metaphysisch“, und wäre näher
auszuführen.
Einverstanden. Mit „naiv metaphysisch“ meine ich vor allem die Behauptung, dass etwas „eben so sei“ (und nicht anders), ohne dass gefragt würde, ob es tatsächlich unfraglich ist oder gar „warum“ das so sein soll, wie es ist. Die Frage nach dem „warum“ ist die zweite notwendige Bedingung der Philosophie; und wenn man wirklich Philosophie treiben will, dann muss man auch die auf das erste „warum“ gegebene Antwort wieder mit einem erneuten „warum“ befragen (im Sinne von: „warum und inwiefern war die Antwort auf das erste warum eine zureichende bzw. warum nicht“).
Diejenigen, denen ich „metaphysische Naivität“ vorwerfe, wenden ein, dass man dann ja nie zu einem Ergebnis komme, und also an irgendeiner Stelle abbrechen müsse. Und an diesem Punkt scheiden sich dann die Geister: Die einen (die Philosophen) fragen, ob und warum es gerade diese Stelle sein müsse, an der abgebrochen wird, und die anderen fragen sich das nicht, sondern operieren auf diesem (möglicherweise ziemlich wackeligen) Fundament und bilden darauf ein System.
ich behaupte nicht die Unwirklichkeit von Verstand oder
Vernunft, …
nur zweifle ich an, das es richtig
ist, ihnen einen Weltcharakter zu verleihen,
Der Begriff „Welt“, den du mokierst, ist nur eine Metapher für das Wort „Bereich“. Könntest du mit diesem Begriff besser leben?
denn meiner Ansicht nach befinden sie sich innerhalb der
materiellen, sinnlich erfahrbaren Welt, sind Ergebnisse der
Wechselwirkungen der bewegten Materie untereinander …
den Nachweis von Elementarteilchen …
Du benutzt den Begriff „Materie“, als sei er völlig klar. Das Gegenteil ist der Fall. Dasselbe würde ich für die Begriffe „Abbild“ und „Handlung“ behaupten. Außerdem weiß ich nicht genau, was du damit sagen möchtest, dass wir gewisse (astronomische) Dinge abstrahieren oder erschließen. Das „Elementarteilchen“ alles andere als „elementar“ sind, wissen wir spätesten seit der Atomspaltung. Jetzt bleibt nur noch die Frage, ob der Begriff „Teilchen“ angemessen ist oder nicht. Aber auch das ist ja schon ausführlich (und ohne wirkliches Ergebnis) diskutiert worden (Schrödinger).
Herzliche Grüße (und einen ebensoschönen Morgen)
Thomas Miller