Katharsis: Aristotels, Lessing? Brecht?

Informationen zum klassischen Drama nach Aristoteles

Einheit

  • des Ortes -> keine Zeitsprünge
  • der Zeit
  • der geschlossenen Handlung -> 1 Handlung.

Aufbau in 5 Akten.

  1. Akt. Exposition
  2. Akt. Aufbau
  3. Akt. Höhe- und Wendepunkt
  4. Akt. Abbau
  5. Akt. Katastrophe

Die Akte können in Szenen aufgeteilt sein.

Im Zentrum stehen die Protagonisten und ihre Schicksal. (Im klassischen Drama sind das üblicherweise die Wiedergabe von Mythen.) Sie stehen im Gespräch: Monolog, Dialog. Sie handeln, agieren und reagieren und treiben so die Handlung voran.

Auf der Bühne wird die Handlung durch Darstellung unmittelbar zur Anschauung gebracht. Dabei wird mit Mimik und Gestik vorgetragenes unterstrichen.

-> Der Zuschauer soll durch das Betrachten lernen, sein eigenes Verhalten zu überdenken und eventuell ändern = Katharsiseffekt.

Die These von Aristotels ist demanch: Erregung, Entspannung, Handlungsbedarf.

Lessing’s These zum Drama ist: Furcht, Mitleid, Einfühlungsvermögen.

Brecht bricht mit dem klassischen Ablauf des Dramas. Für ihn steht im Zentrum der mitdenkende Zuschauer.

Verstehe ich das? Es ist mir nicht ganz klar, ob die drei Auffassungen die Katharsis verbindet?

Vielleicht hat jemand von euch einen Tipp? Gruss, srgsrg.

Ist die Frage echt zu schwierig?

Hallo SrgSrg,

-> Der Zuschauer soll durch das Betrachten lernen, sein
eigenes Verhalten zu überdenken und eventuell ändern =
Katharsiseffekt.

Der Bedeutung der aristotelischen Katharsis ist durchaus umstritten. Im Prinzip kann man von zwei Komponenten sprechen, die diese Katharsis (=Reinigung) bewirken, dem Mitleiden mit dem Geschick der handelnden Personen, die oft unverdient, z.B. durch Beschluß der Götter, ins Unglück geraten und dann die Furcht, daß es einem ebenso ergehen könne. Da hier etwas ins Spiel gerät, auf das der Mensch keinen Einfluß nehmen kann (das Schicksal, die Götter), besteht die Katharsis mehr darin, wie man sich seinem Schicksal gegenüber verhält, wie man das Unvermeidliche hinnimmt, erträgt; weniger oder gar nicht darin, wie man dieses Los, Schicksal, Rat der Götter usw. durch Handlungsänderung vermeiden kann, denn wer will/kann schon erfolgreich gegen den Ratschluß der Götter ankämpfen?

Die These von Aristotels ist demanch: Erregung, Entspannung,
Handlungsbedarf.

Handlungsbedarf also eher in der Art des „Ertragens“ dieses Schicksals. Soweit die Interpretation vor Lessing.

Lessing’s These zum Drama ist: Furcht, Mitleid,
Einfühlungsvermögen.

Ja, dieses Einfühlungsvermögen trägt dann zur moralischen Besserung des Zuschauers bei. Er reinigt sich sozusagen von schädlichen Leidenschaften, um so geläutert als „besserer Mensch“ handeln zu können. Diese Auffassung findet wohl ihren Höhepunkt im jungen Schiller, der dies in seiner Rede „Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet“ auf den Punkt bringt.
http://de.wikipedia.org/wiki/Die_Schaubühne_als_eine…

Brecht bricht mit dem klassischen Ablauf des Dramas. Für ihn
steht im Zentrum der mitdenkende Zuschauer.

Brecht bricht überhaupt mit dem aristotelischen Katharsisbegriff. Ihm geht es nicht um die „Besserung des einzelnen Menschen“, sondern, ganz marxistisch, um die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, der Welt. Er wendet sozusagen die 11. Feuerbachthese von Karl Marx „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kömmt darauf an, sie zu verändern“
http://de.wikipedia.org/wiki/Thesen_über_Feuerbach
auf das Theater an. Ein wichtiges Mittel dabei ist der von Brecht bevorzugte Verfremdungseffekt, der dafür sorgt, daß der Zuschauer sich nicht zu sehr mit den handelnden Personen identifiziert. Außerdem erscheinen vertraute Dinge in einem neuen Licht, so daß der Zuschauer erkennt, daß die Verhältnisse nicht so bleiben müssen, wie sie sind, sondern durchaus verändert werden können.
http://de.wikipedia.org/wiki/Verfremdungseffekt

Es ist mir nicht ganz klar, ob die drei
Auffassungen die Katharsis verbindet?

Kann man schon so sagen. Bei Aristoteles innere Katharsis, Reinigung des Zuschauers (in seiner Haltung zum Schicksal), bei Lessing wirkt diese Reinigung dann auch nach außen (moralisches Tun), um dann bei Brecht vom Einzelnen auf die Gesellschaft „überzuspringen“, im Sinne einer revolutionären Umgestaltung dieser Gesellschaft, bzw. der gesellschaftlichen Verhältnisse.

Viele Grüße
Marvin

Definition der Tragödie gemäss Poetik des Aristoteles.

Die Tragödie ist Nachahmung einer ernsthaften und in sich geschlossenen Handlung (= Anfang und Ende?), in anziehend geformter Sprache (Metrum etc.)… die Jammer und Schauder hervorruft und hierdurch eine Reinigung von derartigen Erregungszuständen bewirkt. (=durch Betrachten und Mitfühlen, sollen potenzielle Möglichkeiten, die in jedem vorhanden sein können, gereinigt werden?)

Hallo Marvin

Danke für die Antwort.

Aus meinen Notizen verstehe ich die Katharsis so:

Sie entsteht aus der Spannung zwischen der Göttermacht (Schicksal) und dem Willen des Menschen (Freiheit).

Der Protagonist steht im Spannungsfeld zwischen Schicksal und Freiheit, was die Weichen für den klassischen tragischen Helden stellt.

Folgt er seiner Freiheit, lehnt er sich gegen den Entscheid der Götter auf. „Unschuldig“, wird er schuldig.

Aus der Sicht des Zuschauers, ist er Opfer der Götter. Es ist nun möglich, als Zuschauer, sich mit dem Protagonisten vor der zu erwartenden Rache der Götter zu fürchten. Da der Held unfreiwillig in diese Situation geraten ist, empfindet man gleichzeitig Mitleid.

Das Betrachten soll einem „reinigen“, allerdings vor was? Vielleicht mag sich ja jemand an der Gesprächsrunde beteiligen? Gruss + guten Wochenstart. SRGsrg

Hallo SrgSrg,

Das Betrachten soll einem „reinigen“, allerdings vor was?

Die Frage ist berechtigt, aber es wird eben nicht 100%ig bei Aristoteles klar. Daraus resultiert auch die Wandlung in der Interpretation des Begriffes Katharsis, die ich versucht habe, kurz und - zugegebenermaßen lückenhaft - darzustellen. Aber mehr kann ich da auch nicht beitragen. Allerdings weiß ich im Moment auch nicht so recht, was dir noch fehlt. Deine Auffassung ist doch, soweit ich das beurteilen kann, in Ordnung.

Viele Grüße und ebenfalls alles Gute für die neue Woche
Marvin

Hallo!

Der Protagonist steht im Spannungsfeld zwischen Schicksal und
Freiheit, was die Weichen für den klassischen tragischen
Helden stellt.

Ich würde so formulieren:
Er sieht sich von Schicksal/Göttern vor die Notwendigkeit gestellt, eine Entscheidung zum Handeln treffen zu müssen. Die kürzeste und prägnanteste Formulierung der tragischen Situation findet man im „Agamemnon“ des Aischylos: Zwei Möglichkeiten für eine Entscheidung, keine ist wünschenswert, „tí áneu kakón“ (was ist ohne Übel?)
Es geht, so banal das zunächst klingt, um die Wahl des kleineren Übels. Letzten Endes um die Entscheidung für die eigene Größe. Was wäre das für eine Antigone, die den Bruder unbestattet lässt, weil der Herrscher das so will!

Folgt er seiner Freiheit, lehnt er sich gegen den Entscheid
der Götter auf.

Nein, das kann man so generell nicht sagen. Inwiefern soll es denn gelten z. B. für Antigone? für Orestes? für Agamamnon? für Ödipus?

Aus der Sicht des Zuschauers, ist er Opfer der Götter.

Auch dem stimme ich so generell nicht zu. Das mag für manche der Tragödien des Euripides gelten, von denen Aristoteles seine Tragödientheorie in erster Linie abgeleitet hat, und auf andere aus dieser Zeit, die wir nicht kennen. Für Sophokles stimmt sie m. E. am wenigsten. Dort geht es um die Bewährung des Menschen in einer schicksalhaften Situation: WILL Antigone lieber gegen Kreons Gebot verstoßen oder gegen das Gebot der Menschlichkeit? Die Götter fordern hier überhaupt nichts von ihr, sie fordert etwas von sich: ein Handeln, das sie vor sich selbst vertreten kann. Genauso Ödipus.

Es ist
nun möglich, als Zuschauer, sich mit dem Protagonisten vor der
zu erwartenden Rache der Götter zu fürchten.

Erklärst du das bitte mal an ein paar Tragödien als Beispielen.

Da der Held
unfreiwillig in diese Situation geraten ist, empfindet man
gleichzeitig Mitleid.

Ja, wegen der Unausweichlichkeit des Schicksals, und Furcht davor, weil dies zur allgemeinen condition humaine gehört und jeden treffen kann.

Schönen Gruß!
H.