Hallo Xanadu
Meine Frage ist, ob man das in der offiziellen Theologie auch
so sieht.
Es kommt auf die Geschichte an, einige Geschichten sieht man so.
Das Lehramt verkündet eine Theologie, die man in der Tat als „offizielle Theologie“ bezeichnen kann, indem es erklärt, was die Kirche glaube. Wir Katholiken erachten einiges von dem, was wir glauben, für unbegreiflich, auch wenn wir Theologen sind. Dennoch ist es häufig das, was uns am plausibelsten und schönsten erscheint. Es ist ein Entschluss, zu glauben, und dieser Entschluss kommt nicht nur, aber auch, von dem, was wir wissen.
Zunächst ist die Entscheidung da, Christus zu vertrauen, dann erst, unter dieser Voraussetzung, stellen wir unsere Fragen an die Kirche.
In der Theologie setzen wir uns über die jeweiligen Fragen auseinander, d. h. wir wägen das Für und Wider ab, kommen dann zu Ergebnissen und vergleichen auch die Sicht der Gesamtkirche bzw. der offiziellen Theologie damit. Wenn Fragen übrigbleiben, nun so tragen wir sie eben mit uns herum, wie wohl jeder aufrechte Christ noch Fragen an die Kirche hat und herumträgt. Aber wir steigen nicht beim ersten Windhauch eines Widerspruches schon aus oder verkünden das Gegenteil, weil wir wissen, dass wir im Grunde genommen äusserst wenig wissen.
Oder werden dort diese Geschichten nicht als wortwörtliche
historische, sondern als sinnvermittelnde Wahrheiten, also
eher als Gleichnisse angesehen?
Sinnvermittelnd und auch wörtlich, soweit es wirklich vom Lehramt verkündete Glaubenswahrheiten sind. Glaubenswahrheiten sind sinnvermittelnd, aber es spricht auch nichts gegen die wortwörtliche Annahme. Unter der Voraussetzung, dass ich an Christus glaube (=dass Gott in der Geschichte Mensch geworden ist), kann ich auch an weitere damit verbundene Wunder glauben, etwa an das Leben eines Menschen Maria, das von seiner Empfängnis bis zu seinem Tod von Sünde frei war. Wenn ich erfahre, wie gross das Wunder der Menschwerdung Gottes ist, sind alle weiteren Wunder ein Kleines, auch die Art der Menschwerdung, sei es durch eine Jungfrau, durch Geist oder durch das blosse Wort.
Die Unbefleckte Empfängnis des Mädchens Maria wird als Teil der Sonderrolle Mariens gesehen, genau wie die Empfängnis des Herrn Jesus Christus vom Heiligen Geist auch Teil dieser Sonderrolle ist. Somit bedarf es hier der Denkfigur des Gleichnisses nicht, denn es gibt von Vorneherein, aus dem Begriff heraus, nichts Gleiches. Es handelt sich um einen Einzelfall der Geschichte, dessen „Vergleich“ wir alle als Nachahmende sind, ohne ihn je ganz zu erreichen. Daher sprechen wir eher von Ideal, Vorbild oder Idealbild als von Gleichnis. Wir glauben als Kirche auch, dass diese Dinge historisch geschehen sind. Viele von uns begreifen dabei nicht alles, aber es ist alles nicht widerlegbar.
Demgegenüber ist die Geschichte mit dem Ohr in der Tat ein Gleichnis. Es handelt sich bei dieser Geschichte nicht um offiziellen Glauben der Katholiken (oder Theologie des Lehramtes), sondern zunächst um eine - allerdings von kirchlicher Prominenz gesetzte - Deutung philosophischer Art, die von einigen Klerikern der Scholastik aufgestellt wurde; man sagte: 1. Der Engel des Herrn brachte Maria die Botschaft, und sie empfing vom Heiligen Geist. 2. Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. 3. Maria ist die Mutter Gottes. Also die Mutter des Wortes. Also hat sie das Wort empfangen. Wie empfängt man Worte? Indem man hört. Womit hört man? Mit den Ohren. Fehlschluss: Also empfing Maria durch das Ohr. - Richtig ist: Das Wort wurde Mensch und nicht nur Wort. Diese Empfängnis mit dem Ohr war nie Lehre der offiziellen Kirche, wenngleich sie von hochgestellten Klerikern behauptet worden war. Die Geschichte führt also den Menschen zwar vor Augen, dass sie hören lernen sollen, aufnahmefähig werden und die äusseren und (noch mehr)inneren Ohren für wichtig achten, weil Gottes Wort Sich uns mitteilt, aber sie ist wissenschaftlich betrachtet Unsinn und sagt also für die Wissenschaft lediglich aus, dass wir sie nicht begreifen können. Wir glauben an sie, weil wir auch Dinge glauben können, die wir nicht nur mit unserer wissenschaftlichen Forschung erforscht haben.
Die Geschichte kann aber ex negativo auch deswegen als Gleichnis gelten, weil sie uns vor Augen führt, wie wir denken: Da ist ein Zimmer, da ist ein Mädchen in diesem Zimmer, da tritt der Engel ein, da sagt er ihr etwas in die Ohrmuschel - so können wir nicht rechnen. Daran erkennen wir, was geschieht, wenn wir Bilder verehren statt Gott, Den man nicht abbilden kann. Das ist gerade für viele Katholiken sehr heilsam, weil sie oft zur Kirche gehen, die Darstellung des Gekreuzigten anschauen und versucht sind, sie anzubeten statt Ihn, Den man nicht darstellen kann. So wenig kann man Ihn darstellen wie Seine Empfängnis.
Als Ausschmückung zu bezeichnen ist die Geschichte der Heiligen Drei Könige. Die Heiligen Drei Könige sind in der Bibel „Weise aus dem Morgenland“ genannt worden; oft wird argumentiert, dass weder von „drei“, noch von „Königen“ die Rede sei; kannst Du mir beweisen, dass es nicht drei und nicht Könige waren? Wenn nein, so darf ich das doch glauben? Man kann nicht darüber streiten, ob es historisch drei Könige waren, wenn man es schlicht nicht weiss. Man kann den Begriff „König“ übrigens etwas weit verstehen, und schon ist für die Augen eines einfachen Hirten, der die Geschichte erzählt, jeder freie Mensch, der es sich damals leisten konnte, etwas zu wissen und zu reisen, und der den Leuten Israels als vornehmer Herr erschien, als König zu bezeichnen, namentlich wenn er noch irgendwo ein Ländchen sein Eigen nennen oder dort in Politik gemacht haben könnte. Und wenn ausgerechnet drei Geschenke - Gold, Weihrauch und Myrrhe - in der Schrift erwähnt sind, nun so konnten es ganz gut drei sein.
Allerdings machen wir einander in der Theologie durchaus darauf aufmerksam, dass einiges „glaubwürdiger“ und anderes „weniger glaubwürdig“ ist, beispielsweise weil etwas nicht in der Bibel steht.
Der Glaube der Kirche und somit die „offizielle Theologie“ des Lehramtes lauten denn auch so, dass wir daran glauben, Weise aus dem Morgenland seien gekommen, um anzubeten; dass es drei Könige waren, sagt lediglich der Volksmund, aber es wird niemand deswegen als falschgläubig angeschaut, nur weil er glaubt, es seien drei Könige gewesen.
(war Jesus ein Mensch, war er Gott oder
beides?)
Beides. Das Problem war, dass viele derjenigen, die glaubten, Er sei nur Gott, Seine Menschheit als Illusion zu betrachten begannen - und wie soll Er uns demütig geliebt haben, wenn Seine Knechtsgestalt nur Illusion war? -, dass aber viele derjenigen, die glaubten, Jesus-Mensch und Christus-Gott seien zwei, letztlich an zwei Willen glaubten, einen menschlichen und einen göttlichen. Daher kamen diese Streitereien und kam am Ende die verbindliche Erklärung der Zwei-Naturen-Lehre, wonach Jesus Christus, der Eine, beides ist, nämlich Gott und Mensch, verstehbar als Gott allein und auch als Mensch allein. Diese Erklärung mit Worten war schwer zu finden, aber ihr Sinn war den ernsthaften Hörern des Evangeliums von Anfang an klar, nämlich dass der Wille Jesu und der Wille Christi nicht zwei sind, sondern eins, dass Gott wirklich und wahrhaftig Mensch geworden ist und dass Gott und Mensch dabei begrifflich unterscheidbar blieb. Man scheint mit den Nestorianern, die zwei Willen zu unterstellen schienen, leider hart ins Gericht gegangen zu sein, aber wir wissen geschichtlich nur noch wenig über sie. Was wir historisch wissen, ist, dass wir in der Tat auf einer Gratwanderung sind zwischen Judentum („Jesus ist bloss Mensch“) und Gnostik („Christus ist bloss Gott“), und dass die Nestorianer gefährlich nahe auf die erstere Seite neigten („Jesus hat den Willen eines Menschen, Christus den Willen Gottes“) bzw. die Monophysiten auf die andere („Gott hat zwar eingegriffen, aber ist mit dem Menschen vermischt bzw. der Mensch mit dem Gott vermischt, sodass man die beiden Begriffe im Falle Jesu Christi nicht unterscheiden kann“). Dass das veränderte Verständnis des Begriffes „Natur“ die den Monophysiten nahestehenden Miaphysiten heute wieder nahe an die kirchliche Lehre zurückgeführt hat, ist erfreulich. Gerade daran aber sieht man, dass voreilig handelt, wer gegen die Lehre wettert, wenn sie mit so schwammigen Begriffen wie „Natur“ daherkommt. Aber so ist der Mensch: Wir hören das Wort „Natur“ ein paarmal und tun dann so, als wüssten wir, was das ist.
Ich finde, dass wir nun häufig das glauben müssen,
was die Gruppe, die sich durchsetzen konnte, als Wahrheit hat
festschreiben lassen.
Die Kirche vertraut darauf, dass ihr der Heilige Geist bei der Durchsetzung des richtigen Inhaltes hilft. An der offiziellen Lehre der Kirche ist denn seit je auch bisher nichts geändert, sondern lediglich präzisiert, verfeinert oder erklärt worden. Wann es wieder einmal Zeit ist, etwas zu erklären, wird nicht von der Botschaft selber bestimmt, denn diese bleibt gleich, sondern von ihrer Inkulturation, denn diese ändert sich.
Man sollte sich in der Auseinandersetzung mit der Kirche darauf besinnen können, wie wenig die „offizielle Kirche“ eigentlich sagt.
Gruss
Mike