Nikolausbrauch von Kelten oder Germanen?
Lieber Tonka
Puh, keine leicht zu beantwortende Frage, und das, obwohl ich dir die Frage ganz streng inhaltlich gesehen nicht einmal wirklich beantworten kann
Bist du bereit für etwas Fliesstext? Wenn nein, dann scroll einfach runter zum zweitletzten Abschnitt.
Nur mal vorab: Im Betreff hast du „Kelten“ geschrieben, in der Anfrage schreibst du von Germanen. Das waren zwei recht unterschiedliche antike Ethniengruppen, auch wenn es besonders an den Grenzgebieten (Rhein-Donaulinie, nach der Eroberung der keltischen Gebiete durch Caesar der Limes) verschiedentliche Vermischungen gab. Ohne zu weit ausholen zu wollen: Die keltischen Stämme standen vor den gallischen Kriegen (das war von 58-51/50 v.Chr.) an der Schwelle zur Hochkultur (Münzwesen vorhanden, politische Organisation, wie uns aus Schriftquellen bekannt ist und Weiteres) wovon die germanischen Stämme mehrheitlich weit entfernt waren. Das weiss man anhand archäologischer Quellen und auch aufgrund der schriftlichen Überlieferungen (die natürlich immer kritisch betrachtet werden müssen, denn meist steckt darin auch eine Portion Propaganda des Schreibers).
Zur eigentlichen Frage: Ich habe mich nie spezifisch mit dem Nikolausbrauch beschäftigt. Das grundsätzliche Problem bei der Erforschung solcher Bräuche besteht allerdings darin, dass wir über Religion und Denkweise der antiken Kelten und Germanen so gut wie überhaupt nichts wissen. Diese Stämme haben selber nicht geschrieben. Was wir wissen, stammt aus der Feder von Römern, v.a. Caesars, die das Ganze nur ungefähr und durch ihre eigene Brille beschrieben haben und, wie es scheint, daran auch nicht besonders interessiert waren. Die Aussagen beschränken sich auf „jaja, die haben halt auch mehrere Götter so wie wir. Gott Jupiter verehren sie z.B. auch.“ Aus solchen Aussagen kann man nun keine spezifischen Aussagen darüber gewinnen, was die keltische Religion ausgemacht hat, oder welche Mythen die Kelten kannten. Dazu kommen noch eher seltene Namensnennungen von keltischen Göttern bei Weiheinschriften, das hilft uns für ein Gesamtbild der keltischen Religion aber auch nicht sonderlich weiter.
Was heute als „keltisch“ verkauft wird („keltische Muster“, „keltische Mythen“), stammt so gut wie immer aus mittelalterlichen Handschriften der britischen Inseln, was als „germanisch“ („germanische Mythen“, „germanische Muster“) verkauft wird, stammt aus den mittelalterlichen skandinavischen Epen. Rückschlüsse davon auf antike Verhältnisse zu ziehen ist problematisch, weil hinter diesen Schriftquellen erstens bereits christliche Autoren stecken, die zweitens mehrere hundert Jahre später geschrieben haben und drittens aus anderen geografischen Gebieten stammten als uns eigentlich interessieren würde.
Bräuche, die heute praktiziert werden, gehen häufig maximal ein paar hundert Jahre zurück. Weil sie deshalb als „alt“ empfunden werden, wird dann öfter behauptet, ein Brauch stamme „aus dem Mittelalter“ oder sogar „von den Kelten“, also aus der Antike. Leider lassen sich so alte Verbindungen so gut wie gar nie historisch oder archäologisch nachweisen und wenn, dann zu besser „dokumentierten Kulturen“ wie zur römischen. So ist zum Beispiel einwandfrei nachvollziehbar, dass viele Elemente des römisch-katholischen Ritus auf antike römische Bräuche im weltlichen und sakralen Bereich zurückgehen - aber von den Römern haben wir ja auch viele Schriftquellen und viele archäologische Zeugnisse.
Besonders im letzten Jahrhundert und heute leider immernoch werden munter Quellen vermischt und unkritisch benutzt; dann hören wir vom „keltischen Baumkalender“, davon, dass der Nikolaus eigentlich ursprünglich Wotan gewesen sei etc. Das sind einfach nur krude „Theorien“, die meist in den letzten zweihundert Jahren aufgestellt wurden aus dem Wunsch heraus, sich auf „echt altes Brauchtum“ berufen zu können.
Das Fazit der ganzen Geschichte: Wir wissen nicht, ob der Nikolausbrauch keltische oder germanische Wurzeln hat. Vielleicht sind regional, wie bei jedem Brauch, sehr alte Elemente in einen neueren Brauch eingeflossen. Solche Dinge lassen sich aber aufgrund der Quellenlage nicht mehr nachvollziehen.
Das war jetzt eine ausführliche und „wissenschaftliche“ Antwort. Ich hoffe, du bist jetzt nicht enttäuscht. Gerade im Forschungsgebiet Kelten und Germanen gibt es sehr viele unseriöse Esoterikliteratur (vor meinem Studium bin ich leider auch v.a. auf solche gestossen), die einen zwar schöne Geschichtchen erzählen, aber mit der Realität nicht viel zu tun haben. Wenn du dich ernsthaft mit dem Thema befassen möchtest, kann ich dir gerne ein paar Bücher empfehlen.
Viele Grüsse und eine schöne Weihnachtszeit
Aesta