Kettenreaktionen in Reaktorkernschmelzen.möglich?

Kann ein geschmolzener Reaktorkern, in den vor der Schmelze alle Kontrollstäbe eingefahren wurden, dennoch kritisch werden?
Durch das vollständige Einfahren der Kontrollstäbe in den Reaktorkern wird die Kettenreaktion, bei der im wesentlichen Uran 235 und Plutonium 239 in radioaktive Spaltprodukte (Jod 131, Cäsium 137 etc.) gespalten wird, vollständig unterbrochen. Durch die Kernschmelze wird die räumliche Anordnung der spaltbaren Isotope stark geändert. Ist es möglich, dass auf diese Weise wieder eine kritische Masse, in der eine Kettenreaktion in Gange kommt, erreicht wird? Wurde das je experimentell oder theoretisch untersucht?
Falls eine solche Kritikalität ausgeschlossen werden kann, so wird das nach dem Abschalten des Reaktors vorhandene Inventar an Radioaktivität mit der Zeit erheblich verkleinert (Halbwertszeit Jod 131 10 Tage!) und nicht vergrössert. Herzlichen Dank für eine klare Antwort

Hallo,

Kann ein geschmolzener Reaktorkern, in den vor der Schmelze
alle Kontrollstäbe eingefahren wurden, dennoch kritisch
werden?

Rein theoretisch könnte das schon sein. Die Schmelze beinhaltet ja dann alle möglichen Stoffe, die mit aufgeschmolzen wurden, z.B. von Metallen, dem Beton usw. Diese könnten im schlimmsten Fall als Moderator wirken und zumindest eine Kettenreaktion auf geringem Niveau erlauben. So kann es auch sein, dass eine Kettenreaktion nur in einem kleinen Teil der Schmelze möglich ist, und im Rest nicht. Aber ob das eintreten kann, kann man kaum vorhersagen, weil man nicht weiß, wie sich die Schmelze zusammensetzt.

Falls eine solche Kritikalität ausgeschlossen werden kann, so
wird das nach dem Abschalten des Reaktors vorhandene Inventar
an Radioaktivität mit der Zeit erheblich verkleinert
(Halbwertszeit Jod 131 10 Tage!) und nicht vergrössert.

Das radioaktive Inventar wird im Prinzip auch bei einer Kettenreaktion nicht vergrößert. Durch den Zerfall wird das Inventar nur umgewandelt in andere, in der Regel kurzlebigere (und damit schneller strahlende) Isotope. Jod-131 ist dabei ja auch nur eines der Zerfallsprodukte. Andere wie Strontium-90 oder Caesium-137 haben eine Halbwertzeit von Jahrzehnten, d.h. das Zeug strahlt so oder so für Jahrzehnte. Das wichtigste ist - egal ob die Schmelze kritisch wird oder nicht - dass man das Zeug daran hindert, in die Umwelt zu gelangen, z.B. in dem man Notfalls einen Sarkophag um die Reaktoren baut.

vg,
d.

Guten Tag,
herzlichen Dank für Ihre rasche Antwort. Ich habe zu Ihren Aussagen noch folgende Fragen und Kommentare:

  1. Kommentar zu Ihrem Text

Rein theoretisch könnte das schon sein. Die Schmelze beinhaltet ja dann alle möglichen Stoffe, die mit

aufgeschmolzen wurden, z.B. von Metallen, dem Beton usw. Diese könnten im schlimmsten Fall als Moderator wirken und zumindest eine Kettenreaktion auf geringem Niveau erlauben. So kann es auch sein, dass eine Kettenreaktion nur in einem kleinen Teil der Schmelze möglich ist, und im Rest nicht. Aber ob das eintreten kann, kann man kaum vorhersagen, weil man nicht
weiß, wie sich die Schmelze zusammensetzt.
mein Kommentar: mindestens beim Störfall im TMI-2 Reaktor weiss man vermutlich, wie eine solche Schmelze bei einem Leichtwasserreaktor zusammengesetzt ist, da der zur Hälfte geschmolzene Reaktorkern aus der Anlage entfernt worden ist. Ich habe nirgends einen Hinweis gefunden, dass in der Kernschmelze eine nukleare Kettenreaktion aufgetreten ist. Das deutet darauf hin, dass Ihre Annahme, die Vermischung der geschmolzenen Brennelemente mit Metallen und Beton letztere als Moderatoren wirken können, die ausreichen, um eien Kettenreaktion in Gang zu setzen, recht unwahrscheinlich ist.
2. Frage zu Ihrem Text:

Das radioaktive Inventar wird im Prinzip auch bei einer:Kettenreaktion nicht vergrößert. Durch den Zerfall wird das Inventar nur umgewandelt in andere, in der Regel kurzlebigere (und damit schneller strahlende) Isotope. Jod-131 ist dabei ja auch nur eines der Zerfallsprodukte. Andere wie Strontium-90 oder Caesium-137 haben eine Halbwertzeit von Jahrzehnten, d.h. das Zeug strahlt so oder so für Jahrzehnte. Das wichtigste ist- egal ob die Schmelze kritisch wird oder nicht - dass man das Zeug daran hindert, in die Umwelt zu gelangen::

Meine Frage: Sie nehmen offenbar an, dass das Inventar an Radioaktivität in beiden Fällen gleich ist. Wieso ist das so? Müssen nicht die unterschiedliche Flüchtigkeit, z.B.von Jod 131, das leicht als Aerosol in die Aussenluft entweichen kann, und Strontium 90 oder Uran 235, die eher in der Schmelze verbleiben, sowie die von Ihnen auch erwähnten unterschiedlichen Zerfallszeiten, die momentan eine erheblich unterschiedliche Radioaktivität erzeugen, berücksichtigt werden? Somit wäre die Gefährdung der Umwelt durch einen nuklearen Störfall in einem abgestellten und einem laufenden Reaktor doch bedeutend verschieden.

mindestens beim Störfall im TMI-2 Reaktor
weiss man vermutlich, wie eine solche Schmelze bei einem
Leichtwasserreaktor zusammengesetzt ist

Von einem Einzelfall auf die Allgemeinheit zu schließen ist ziemlich gewagt.

Somit wäre die Gefährdung der Umwelt durch einen
nuklearen Störfall in einem abgestellten und einem laufenden
Reaktor doch bedeutend verschieden.

Ob der Reaktor während des Störfalls läuft oder nicht, hat kaum Einfluss auf die resultierenden Folgen für die Umwelt. Sowohl laufende, als auch nicht laufende Reaktoren können einen Super-GAU verursachen und wie jetzt leider deutlich wird, sind dazu sogar Abklingbecken in der Lage. Die Zusammensetzung des dabei freigesetzen Materials hängt im Wesentlichen davon ab, womit der Reaktor bestückt wurde und wie lange er vor dem Störfall gelaufen ist.

Hallo,

mein Kommentar: mindestens beim Störfall im TMI-2 Reaktor
weiss man vermutlich, wie eine solche Schmelze bei einem
Leichtwasserreaktor zusammengesetzt ist, da der zur Hälfte
geschmolzene Reaktorkern aus der Anlage entfernt worden ist.

Das kann man aber schlecht vergleichen. Es kommt ja darauf an, wie umfangreich die Kernschmelze und dadurch die Temperatur war (viele Reaktionen laufen z.B. erst bei bestimmten Temperaturen ab), wie weit sie sich wohin durchfressen konnte, ob es dabei z.B. auf Wasser oder gar Meerwasser trifft usw usf…

Ich habe nirgends einen Hinweis gefunden, dass in der
Kernschmelze eine nukleare Kettenreaktion aufgetreten ist. Das
deutet darauf hin, dass Ihre Annahme, die Vermischung der
geschmolzenen Brennelemente mit Metallen und Beton letztere
als Moderatoren wirken können, die ausreichen, um eien
Kettenreaktion in Gang zu setzen, recht unwahrscheinlich ist.

Ich habe ja auch nicht behauptet, dass es wahrscheinlich ist, sondern dass man das schlecht abschätzen kann. Selbst wenn das in Three Mile Island nicht so war, sagt dies nicht viel über die Situation in Fukushima aus.

Meine Frage: Sie nehmen offenbar an, dass das Inventar an
Radioaktivität in beiden Fällen gleich ist. Wieso ist das so?

Weil die Menge des Inventars gleich ist. In den Reaktoren ist eine bestimmtes Potential an Radioaktivität enthalten, vollkommen egal ob eine Kettenreaktion stattfindet oder nicht. Die Kettenreaktion verändert ja in erster Linie v.a. die Geschwindigkeit, in der die Prozesse stattfinden. Das Problem einer Kettenreaktion wäre daher primär, dass mehr Wärme in der gleichen Zeit entsteht, das Material also schlicht wärmer wird und dadurch die Wahrscheinlichkeit steigt, dass sich das Zeug durch den Sicherheitsbehälter frisst.

Müssen nicht die unterschiedliche Flüchtigkeit, z.B.von Jod
131, das leicht als Aerosol in die Aussenluft entweichen kann,
und Strontium 90 oder Uran 235, die eher in der Schmelze
verbleiben, sowie die von Ihnen auch erwähnten
unterschiedlichen Zerfallszeiten, die momentan eine erheblich
unterschiedliche Radioaktivität erzeugen, berücksichtigt
werden?

Das ist aber eine andere Frage, nämlich wie viel des Inventars als welche Isotope freigesetzt werden. Und das hängt in erster Linie davon ab, ob der Sicherheitsbehälter z.B. intakt bleibt. In dem Fall bleibt fast alles im Reaktor und da ist es dann egal, ob es als Uran-235 oder Iod-131 vorliegt.

Somit wäre die Gefährdung der Umwelt durch einen
nuklearen Störfall in einem abgestellten und einem laufenden
Reaktor doch bedeutend verschieden.

Mir ist nicht klar, was du meinst. Ein Reaktor wird im Störfall doch sowieso „abgeschaltet“, d.h. die Kettenreaktion wird durch Einfahren der Steuerstäbe unterbunden. Das Problem ist das Wegkühlen der Nachzerfallswärme. Wie wichtig dies ist, siehst du ja daran, dass selbst die abgebrannten Brennstäbe in den Abklingbecken fast genauso problematisch sind. In diesem Fall wohl noch problematischer, da das Abklingbecken dort nicht innerhalb des Containments ist.

vg,
d.