Liebe Fragestellerin,
ich möchte Ihnen gerne auf Ihre Anfrage antworten.
Vorweg: Es ist natürlich nicht möglich, irgendeine Form von angemessener Einschätzung der Situation oder des Verhaltens Ihrer Tochter zu machen, allein aufgrund Ihrer kurzen Schilderung. Ich kenne das Mädchen nicht und kann nicht einschätzen, wie dringlich die Problematik ist.
Hierzu gibt es aber Diagnostiken bei einem Kindertherapeuten. Sollte eine Therapie notwendig werden, müsste der Therapeut Sie zwar auf die Warteliste setzen, aber es könnte geklärt werden, ob dies überhaupt notwendig ist. Ich halte es für durchaus möglich - bei aller Vorsicht - dass in Ihrem Fall eine Therapie gar nicht angesagt ist, aber es müsste gegebenenfalls abgeklärt werden, indem ein Therapeut mit dem Mädchen selbst spricht.
Sollte die Diagnostik zu dem Ergebnis kommen, dass eine Therapie ohne Zeitverzögerung notwendig ist, und die Therapeuten haben derzeit keine freien Plätze, dann käme ein Delegationsverfahren in Betracht, das heißt, ein berufsrechtlich zugelassener Therapeut könnte die Behandlung übernehmen, auch wenn er keine Kassenzulassung hat. Damit stünden Ihnen mehr Therapeuten mit freien Plätzen zur Verfügung. Aber das ist eine abrechnungstechnische Frage, wenn es soweit ist, ich möchte Ihnen jetzt noch etwas zu der geschilderten Problematik antworten.
Sie stellen die Frage „Wie kommt sie nur auf sowas?“. Genau diese Frage müssen Sie mit Ihrer Tochter klären. Was hier genau abläuft, kann ich, wie gesagt, nur aufgrund einer Schilderung und ohne das Mädchen zu kennen, nicht erfassen. Es ist durchaus möglich, dass es Ihre (Ihre!) Trauer mitempfindet, das ist überaus möglich. Noch wahrscheinlicher aber erscheint es mir, dass das Mädchen sich klar macht, dass es so etwas wie Versterben und Tod gibt, und dass - wie Sie schreiben - das Mädchen nun Angst hat, Sie, die Eltern, könnten ebenfalls sterben.
Dies ist in der Tat beängstigend. Für jeden Menschen. Und umso mehr für ein kleines Kind. Und auch, wenn dem Kind klar wird, dass die Eltern es lieben und ganz gewiss nicht gewollt verlassen werden, so wird gleichermaßen klar, dass ein Versterben ohne den Willen eines Menschen möglich ist. Anders gesagt: Sie könnten von heute auf morgen sterben, auch, wenn Sie das gar nicht vor haben. Das klingt banal. Aber ist es nicht erschreckend?
Die meisten Menschen haben eher die (fragwürdige) Fähigkeit, dieses Thema komplett auszublenden. Sich mit dieser Möglichkeit zu versöhnen, ist Aufgabe eines jeden Menschen. Auch Ihre Tochter wird sich damit auseinandersetzen, und man kann es sich nicht aussuchen, in welchem Alter man mit diesem Thema konfrontiert ist. Eine Therapie sehe ich da nicht unbedingt indiziert, erst dann, wenn Ihrer Tochter der Umgang damit nicht gelingen will.
Der bisherige Zeitablauf ist nicht klar. Seit einem Jahr weint das Mädchen oft, aber erst seit einigen Wochen - wie Sie schreiben - träumt sie die Träume vom Versterben der Eltern? Habe ich das so richtig verstanden? Was ist denn vor wenigen Wochen vorgefallen? Was hat sich geändert? Und wie gehen Sie selbst mit dem Tod der (Großmutter?) seit einem Jahr um?
Sehen Sie, das Wichtigste sind Gespräche mit Ihrer Tochter. Fragen Sie sie selbst, was sie empfindet und was sie braucht, ich bin zuversichtlich, dass das Mädchen dies sagen kann, sie ist zwar erst 9, aber sie kann sagen, was sie fühlt und was sie braucht.
Zum Thema Tod gibt es natürlich auch endlose Bücher auch speziell für Kinder in allen Variationen. Eines zu empfehlen ist nicht möglich, gerade, weil ich die Eigenart des Kindes gar nicht kenne. Doch gehen Sie mit dem Kind in eine Buchhandlung, lassen Sie sich ein paar Sachen zeigen und das Kind selbst wählen, falls es überhaupt dazu Lust hat.
Das gilt erst recht für diese Entspannungsmusik. Eine Entspannungsmusik, bei der das Kind an Beerdigungen denken muss und zu weinen anfängt, ist einfach dann die falsche Wahl. Es gibt aber Unmengen an entspannender Musik, eine riesige Auswahl. Nicht jede Musik wirkt auf jeden Menschen gleich. Nein, was ein Mensch als entspannend oder tröstlich empfindet ist eine sehr persönliche Sache. Lassen Sie das Mädchen selbst wählen, geben Sie eine Auswahl. Vielleicht mag es das Mädchen, wenn sie eine CD bekommt, auf der eine Stimme eine Phantasiereise mit ihr macht, zum Einschlafen im Bett. Ist nur eine Idee, fragen Sie das Kind. Sie wissen sicher bereits, dass es Unmengen an solchen Phantasiereisen gibt, auch speziell für Kinder gemacht? Glaubt Ihr Mädchen an Engel? Findet Sie dabei Trost? (z.B. Engelsprechstunde: Meditationen für Kinder und Erwachsene). Ich will Ihnen da gar nichts nahelegen, schon gar keine Themen, die Ihren weltanschaulichen Hintergrund berühren. Dies sind alles Ideen, ohne Sie und das Mädchen zu kennen, also bitte verstehen Sie es auch nur als Anregung. Lassen Sie das Kind entscheiden, aber überfordern Sie es nicht mit Wahlmöglichkeiten. Treffen Sie eine Vorauswahl, nach Ihrer Einschätzung. Das kann niemand sonst machen, schon gar nicht aus der Ferne.
Grundsätzlich sind dies natürliche Themen, mal früher, mal später in unserem Leben. Nach einem Jahr sollte allerdings ein gewisser Akzeptanzschritt gemacht sein. Wenn hier sich die Ängste und Träume nach einem Jahr sogar noch intensivieren, ist das bedenklich. Woran es hier fehlt, kann ich ohne Gespräch nicht abschätzen. Vielleicht könnte nicht nur Ihre Tochter das Thema neu bewerten. Ich hoffe, diese Anregungen geben Ihnen neue Impulse und Mut, und im Gespräch mit Ihrer Tochter kommen Sie an einen Wendepunkt. Wenn nicht, mag eine therapeutische Begleitung Sie beide unterstützen.
Mit besten Wünschen für Sie und das Mädchen.
Liebe/-r Experte/-in,
wir haben ein Problem mit unserer Tochter. …