Kindererziehung heute oder: sehe ich es zu

…einseitig?

Hallo liebe Eltern, hallo liebe Kollegen,

eine Krankheitsvertretung in einem Kindergarten und einige Postings hier veranlassen mich zu folgender Überlegung:

Ich beobachtete im Kindergarten:
Die Kinder werden stigmatisiert. Sie erhalten keinen Freiraum für neue Handlungsoptionen. Es wird mit Strenge, Härte und Strafen bzw. Strafandrohungen auf ihr sogenanntes Fehlverhalten reagiert. Was sie m.E. jedoch brauchen, ist Aufmerksamkeit, positive Rückmeldung, das Gefühl, ernst in ihren Gefühlen genommen zu werden und vor allem die Möglichkeit, neue Verhaltensstrategien ausprobieren zu können.

Ich lese in den postings:
Kinder verhalten sich z.B. in der Schule nicht entsprechend der Vorstellungen. Seitens der Eltern finde ich wieder die Stigmatisierung, dass der Fehler bei den Kindern liegt. Die Option, dass das Kind möglicherweise auf Störungen in seinem Umfeld reagiert, scheint es nicht zu geben. Es scheint kein Interesse vorzuliegen, dass man sich mit pädagogischen Inhalten befasst (Beispiel Schule z.B.: extrinsische und intrinsische Motivation). Es scheint nicht die Idee aufzukommen, dass das Kind sich in der Schule nicht wohl fühlt, aus welchen Gründen auch immer, und dass z.B. ein Schulwechsel, auch z.B. mit einer anderen Schulform (z.B. freie Schule) in Frage käme.

Das ist jetzt sehr knapp zusammen gefasst.
Kurzum, ich vermisse:

  • ein über-den-Tellerrand-schauen (=Umstände mit einzubeziehen)
  • ein Etwas-im-Zusammenhang-betrachten (=die Weitsicht, das eigene Verhalten in Zusammenhang mit dem Verhalten des Kindes zu stellen)
  • dass Kinder in ihren Bedürfnissen wahr und ernst genommen werden
  • dass pädagogisches Wissen angeeignet bzw. angewandt wird
  • von den Pädagogen, den Kindern die Möglichkeit zu bieten, ihre gewohnten Verhaltensmuster zu unterbrechen sowie das Vertrauen in die Kinder, dass sie dazu fähig sind
  • von den Eltern dei Fähigkeit, dass sie das Verhalten ihres Kindes, das in erster Linie möglicherweise „falsch“ scheint, auch positiv werten können (zum Beispiel die zerschmetterte Uhr)

Ist mein Denken zu einseitig?
Bin ich als Nicht-Mutter, als Erzieherin mit viel Hintergrundwissen v.a. aus systemischer Sicht, zu einseitig in meinem Urteil?
Wie erlebt ihr die Erzieher im Kindergarten eurer Kinder? Seid ihr zufrieden?
Wie erlebt ihr euch als Eltern?
Ist es zu schwierig, sich im ausfüllenden Alltag auch noch mit Pädagogik zu beschäftigen?
Ist es schwierig, wenn man eigene Kinder hat, „über den Tellerrand zu schauen“?
Stimmt ihr mit meinem pädagogischen Ansatz überein oder seid ihr, wie das Kindergartenpersonal und so mancher Elternteil hier, der Meinung, dass sich Kinder fügen müssen, weil die Welt nun einmal kein Erbarmen kennt, auch wenn es Alternativen gäbe, die dem Kind womöglich besser täten?

Dies ist ein kleiner Ausschnitt meiner Fragen…

Viele Grüße,
jeanne

Hi Jeanne!

…einseitig?

Ja. Ich denke, das tust du. Zumindest was die Postings hier angeht. Mit Kindergärten und der dortigen Erziehung habe ich keine Erfahrung. Und auch wenn hier immer wieder mal das Fehlverhalten von vor allem älteren Jugendlichen gern verurteilt wird, sehe ich doch sehr sehr viele Beiträge, die sich positiv in deinem Sinne mit den unterschiedlichen Problemstellungen beschäftigen.

Stigmatisierung, dass der Fehler bei den Kindern liegt. Die
Option, dass das Kind möglicherweise auf Störungen in seinem
Umfeld reagiert, scheint es nicht zu geben. Es scheint kein
Interesse vorzuliegen, dass man sich mit pädagogischen
Inhalten befasst [etc.]

Dazu möchte ich dir vor allem (aber natürlich nicht nur) die Beiträge von Jule959 ans Herz legen, die meiner Meinung nach so gut wie immer sehr überlegt und differenziert im Sinne des Kindes antwortet.

Viele User hier sehen nicht nur die Elternseite. Ich verweise nur beispielshaft auf diesen Strang: http://www.wer-weiss-was.de/article/6319031, wo GANZ EINDEUTIG für das Kind argumentiert wird, auch als die Elternseite ihre recht dramatische Situation dargestellt hat.

Das was du den Postern hier vorwirfst ist einfach nicht wahr. Klar gibt es immer die eine und die andere Position. Aber das ist ja auch der Sinn eines Diskussionsforums.

LiGrü
igel

Hallo Jeanne,

Ich lese in den postings:

nach meinem Geschmack schmeißt Du hier unberechtigerweise die Fragestellungen der um Hilfe suchenden Eltern in einen Topf mit den Antworten, die nun wirklich zumeist nicht so abweichend von Deinen Vorstellungen (die ich jetzt nicht so spektakulär finde) sind. Dem Verweis von igel auf Jule, die sehr viel Zustimmung erhält, solltest Du mal nachkommen. Damit sollte sich Dein Bild von den postings eigentlich revidieren lassen.

Stimmt ihr mit meinem pädagogischen Ansatz überein oder seid
ihr, wie das Kindergartenpersonal und so mancher Elternteil
hier, der Meinung, dass sich Kinder fügen müssen, weil die
Welt nun einmal kein Erbarmen kennt, auch wenn es Alternativen
gäbe, die dem Kind womöglich besser täten?

Es gibt bei w-w-w auch eine Rubrik, die sich Erziehungswissenschaften
nennt.

Wenn Du auf dieser Ebene diskutieren möchtest und Kollegen suchst, wende Dich besser dorthin.

Viele Grüße

Kathleen

Hallo Jeanne,

ich möchte mich gerne mal dieser Aussage zuwenden:

Ich beobachtete im Kindergarten: Die Kinder werden stigmatisiert. Sie erhalten keinen Freiraum für neue Handlungsoptionen. Es wird mit Strenge, Härte und Strafen bzw. Strafandrohungen auf ihr sogenanntes Fehlverhalten reagiert. Was sie m.E. jedoch brauchen, ist Aufmerksamkeit, positive Rückmeldung, das Gefühl, ernst in ihren Gefühlen genommen zu werden und vor allem die Möglichkeit, neue Verhaltensstrategien ausprobieren zu können.

Wie du vielleicht mitbekommen hast, arbeite ich an einer Schule, die Erzieherinnen ausbildet. Ich bin in vielen Einrichtungen unterwegs und ich teile deine Beobachtungen. So weiß ich in vielen KiTas nach wenigen Minuten im Gruppenraum, welches der Kinder das schwarze Schaf in der Gruppe ist.

Der Ablauf ist stark reglementiert, und nicht wenige Erzieherinnen verwechseln das Vorhandensein einer Sicherheit gebenden Struktur mit Gängelei. Das überaus wichtige Freispiel befindet sich nicht nur in einer deutlichen Randposition zwischen einem Übermaß an geplanten Aktivitäten, von denen nicht wenige regelrechte Programme sind, es wird auch in seiner Ausführung ad absurdum gefühlt. Erforschen, Entdecken, Ausprobieren Fehlanzeige.

Gibt es Streit, wird sofort eingegriffen, und das Ganze endet damit, dass ein Kind sich beim anderen entschuldigen muss - Einsicht ins Verhalten unerheblich.

Und steht ein Kind mal länger als zwei Minuten im Raum, ohne etwas Erkennbares zu tun, erfolgt sofort pädagogische Belästigung, indem es zu einem Spiel aufgefordert wird. Die Möglichkeit, sich selbst zu spüren, Langeweile wahrzunehmen und selbstständig aufzulösen oder einfach nur ab und zu innezuhalten gibt es nicht.

Stellt sich die Frage, wie es zu alldem kommt. In der Ausbildung lernen unsere Studierenden ganz andere Dinge. Dennoch erlebe ich es immer wieder, dass sie zwei Jahre nach dem Abschluss im selben fragwürdigen Fahrwasser schwimmen.

Ein Grund sind sicherlich die Strukturen: 2 pädagogische Kräfte in einem Raum mit 30 Kindern zwischen 2,5 und 6 Jahren entwickeln natürlich im Laufe der Zeit gewisse Löwenbändigerstrategien, um eine gewisse Ordnung in die Gruppe zu bringen. Das hat schlicht und ergreifend mit Selbstschutz zu tun. Hier könnte nur eine strukturelle Veränderung auch Aussicht auf positive Veränderung bringen.

Eine weitere treibende Kraft sind hierbei aber auch die Eltern, die Einfluss auf die pädagogische Arbeit nehmen möchten. Und hier sehe ich eine Menge Handlungsbedarf, aber auch Handlungsmöglichkeit von Seiten der Einrichtungen.

Der Umstand, dass viele Forderungen und Erwartungen der Eltern deutlich überzogen sind und an den Bedürfnissen der Kinder vorbei gehen, hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass die Kommunikation zwischen Erzieherinnen und Eltern schlecht ist. Elterliche Einmischung gilt nicht selten als lästig und unerwünscht, und so mancher Kindergarten sähe die Eltern am Liebsten nur beim jährlichen Kuchenbacken fürs Sommerfest oder beim Renovieren des Spielplatzes.

Hier würde ich mir eine deutlich Öffnung der Einrichtungen wünschen, die mit einer gut durchdachten Informationspolitik die Eltern auch an dem teilhaben lässt, was mit ihren Kindern passiert. Glücklicherweise entdecke ich immer wieder auch KiTas, in denen das gelingt. Wenn Eltern verstehen, warum ein täglicher Aufenthalt im Freien bei Wind und Wetter inklusive dreckiger Klamotten und gelegentlichen Blessuren gut für ihr Kind ist, werden sie das eher unterstützen, als wenn sie denn Sinn dessen nicht begreifen und das Wohl ihres Kindes in Gefahr sehen.

Wenn Eltern die Chance haben, zu sehen, was ihr Kind lernt, wenn es „nur“ spielt, während das künstlich aufgepropfte "Bildungs"wissen der meisten Programme nach wenigen Wochen verpufft ist, werden sie ganz selbstverständlich ein anderes Verständnis für den Anblick von spielenden Kindern OHNE Erzieherinnenbeteiligung entwickeln.

Ich denke, hier sind tatsächlich die Einrichtungen in der Pflicht, ihr Verständnis als familien ergänzende Institution zu hinterfragen und zu verändern. Wenn Eltern nicht zu Elternabenden kommen und/oder nach immer neuen Förderprogrammen rufen, liegt das Problem nicht immer nur auf Seiten der Eltern.

Schöne Grüße,
Jule

Hallo,

…einseitig?

Nein, deine Wahrnehmung ist nicht einseitig, mir geht es oft genauso, wenn ich hier mitlese. Ich versteh auch nicht warum man sich sofort angegriffen fühlt, denn du hast ja weder auf bestimmte Postings hingewiesen noch geschrieben, daß alle oder 80% der Postings so sind.

Ich möchte deiner Aufzählung noch das heutzutage mangelnde Bauchgefühl der Eltern hinzufügen. Das scheint irgendwie abhanden gekommen zu sein. Ich lese ja viel und gerne, nur es befremdet mich schon etwas, daß heutzutage eine „Kindanschaffung“ so ähnlich abläuft wie eine Waschmaschinenanschaffung oder wie die Auseinandersetzung mit einem neuen Hobby. Man geht erstmal in die Buchhandlung und besorgt sich ein paar „Gebrauchsanweisungen“…

Wobei ich die Lektüre, die es auf dem Markt gibt gar nicht insgesamt kritisieren möchte. Es ist ja schön wenn sich jemand den Juul kauft oder den Gonzalez und dann geht es ihm und seinen Kindern besser. Nur, es bleibt die Frage ob vielen mittlerweile das vorherrschende Bauchgefühl abhanden gekommen ist?!

Wie erlebt ihr die Erzieher im Kindergarten eurer Kinder?
Seid ihr zufrieden?

Ja, relativ. Es ist ein Kindergarten mit sehr vielen Ansätzen aus der Montessoripädagogik. Von daher haben wir einfach mal „Glück gehabt“ :smile:

Wie erlebt ihr euch als Eltern?

Mir ist zum Glück das oben angesprochene Bauchgefühl nicht abhanden gekommen, was aber nicht mein Verdienst ist, sondern m. E. ganz klar meinen Eltern zu verdanken ist bzw. meiner Erziehung, auch wenn da nicht alles richtig gelaufen ist. Nur ich habe wohl eine ganz gute Basis mitbekommen, von der ich nun heute als Mutter immer noch zehre.

Meine größte Bewunderung hab ich allerdings für diejenigen, die eine richtig besch… Kindheit hatten und die sich heute als ganz, ganz tolle Eltern entpuppen… So etwas imponiert mir unheimlich.

Ist es zu schwierig, sich im ausfüllenden Alltag auch noch
mit Pädagogik zu beschäftigen?

Nein, überhaupt nicht, aber ich habe mich schon immer für vieles interessiert. Allerdings bin ich nicht der Typ, der sich aus allem ein Ding heraussucht und dann 100% dieser Sache nachgeht und voll darin aufgeht. Aber das war ich noch nie.

Ist es schwierig, wenn man eigene Kinder hat, „über den
Tellerrand zu schauen“?

Ich glaub, das hängt davon ab, ob man früher, ohne Kinder, schon „über den Tellerrand“ geschaut hat. Wenn nicht, dann wird man es MIT Kindern vermutlich auch nicht machen.

ihr, wie das Kindergartenpersonal und so mancher Elternteil
hier, der Meinung, dass sich Kinder fügen müssen, weil die
Welt nun einmal kein Erbarmen kennt, auch wenn es Alternativen
gäbe, die dem Kind womöglich besser täten?

Nein.

Viele Grüße,
Christiane

???

dass ich natürlich nicht die postings meine,

die sich positiv mit den unterschiedlichen Problemstellungen beschäftigen

geht doch eindeutig aus meinem Text hervor.

Irritiert,
jeanne

die in diesem Fall auf das posting von Christiane hinweist

Liebe Jule,

traurig, traurig, dass du mein Vorurteil über Kindergärten bestätigen musst. Habe beim Lesen Gänsehaut bekommen :frowning:

Vielen Dank für den differenzierten Bericht. Danke auch für die Mühen, die Hintergründe für das (un)pädagogische Verhalten der Erzieherinnen zu beleuchten.

Eine zusätzliche Analyse meinerseits ist noch, dass das Verhalten vieler Erzieherinnnen in ihrer Persönlichkeit begründet ist.

„Wer nichts wird wird Wirt Erzieherin“
Eine Erfahrung aus meiner Erzieherschule: So manche ergreift den Beruf aufgrund Druckes seitens der Eltern. Mangels Ideen und dem Gedanken „habe ja schon babygesittet, das macht mir Spaß“ werden sie dann Erzieherinnnen. So finden sich in dem Berufszweig etliche, die ohne Motivation und Interesse den Weg des geringsten Widerstandes gehen.
Dann passiert es, dass mangelnde persönliche Authorität mit aufgesetztem authoritärem Verhalten wett gemacht wird.
Und dass trotz pädagogischem Hintergrundwissen das eigene Verhalten nicht einen Millimeter hinterfragt wird.
u.v.m.

Sicherlich gibt es noch mehr Analysen, warum viele Erzieherinnen so sind, wie sie sind.
Was denkst du darüber?

Viele Grüße,
jeanne

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Hi!

Dann hab ich dich falsch verstanden.
Sorry dafür.
igel

Hallo Jule,

Gibt es Streit, wird sofort eingegriffen, und das Ganze endet
damit, dass ein Kind sich beim anderen entschuldigen muss -
Einsicht ins Verhalten unerheblich.

In der KiTa-Gruppe meines Sohnes ist es auch so, dass die Kinder sich entschuldigen sollen wenn sie jemanden an den Haaren ziehen, schubsen oder sonst was anstellen.
Sie machen es auch, wenig später stoßen sie aber das nächste Kind.

Ist dein Ansatz, die Kinder das unter sich selbst ausmachen zu lassen und nur einzugreifen wenn es in irgendeiner Form ausartet?

Gruß
Miriam

Hallo

Ist dein Ansatz, die Kinder das unter sich selbst ausmachen zu lassen und nur einzugreifen wenn es in irgendeiner Form ausartet?

Ich finde, man kann als Erwachsener bei solchen Streitereien auch sehr einfach positiv einwirken, ohne regelrecht ‚einzugreifen‘ und den Streit abzubrechen. Man kann sich z. B. einfach erzählen lassen, was der andere denn Schlimmes angestellt hat, und dann den anderen, und irgendwelche Ideen einbringen, wie man das Problem lösen könnte.

Das ist natürlich extrem schwierig, wenn man zu viele Kinder auf einmal zu beaufsichtigen hat.

Ansonsten ist mir aufgefallen, dass sich Kinder sowieso viel weniger streiten, wenn sie das Gefühl haben, dass sie genug Aufmerksamkeit von Erwachsenen kriegen.

Viele Grüße

Hallo Miriam,

Ist dein Ansatz, die Kinder das unter sich selbst ausmachen zu lassen und nur einzugreifen wenn es in irgendeiner Form ausartet?

Unter Umständen würde ich es sogar „ausarten“ lassen :smile:. Wie ich konkret reagieren würde, hängt zum einen vom Alter der Kinder ab.

Von unter-2-Jährigen zu erwarten, dass sie Konflikte verbal lösen, ist z.B.eine ziemlich überzogene Forderung. In diesem Alter ist es völlig normal, dass Kinder ihren Körper einsetzen und/oder zu schreien beginnen, wenn sie ihren Standpunkt vertreten wollen. Aber auch ältere Kinder agieren spontan über den Körper und erst in zweiter Linie über den Kopf. Kinder werden nicht zu asozialen Schlägern, nur weil man zulässt, dass sie sich auch mal schubsen oder knuffen.

Ich würde die Situation beobachten und abwarten, ob die beiden zu einer Einigung kommen. Diese muss nicht zwingend darin bestehen, dass beide zufrieden sind, sondern sie kann auch so aussehen, dass einer die Oberhand behält und der andere nachgibt. Wie sollen Kinder verlieren lernen, wenn man sie nicht üben lässt?

Ich würde aber im Blick behalten, ob immer das selbe Kind gewinnt oder verliert. Gleichzeitig wäre ich selbst Modell, indem ich in Streitsituationen, in die ich involviert bin - z.B. wenn ich etwas von einem Kind möchte, was es nicht tun will - vorlebe, wie man verhandeln und Kompromisse eingehen kann. Und mir wäre auch bewusst, dass ich in manchen Situationen ebenfalls Modell dafür wäre, etwas gegen den erklärten Willen eines Kindes durchzusetzen, weil ich die Stärkere bin. Diese Wirkung übersehen Erzieherinnen gerne mal, obwohl sie aus ihrem ganz normalen pädagogischen Handeln ensteht.

Für den Fall, dass die Kinder sich nicht einigen können, würde ich Unterstützung anbieten. Ich würde die Situation unterbrechen - tja, und dann kann es schon wieder unterschiedlich weitergehen.

Sind die Kinder einigermaßen gefasst, würde ich bei beiden nachfragen und - je nach Alter und Sprachfähigkeit - versuchen, die beiden eine Lösung finden zu lassen. Sind die Kinder (oder eines von beiden) sehr aufgebracht, würde ich nach dem Unterbrechen zunächst selbst eine Entscheidung treffen, die die Streithähne trennt und zu einem Zeitpunkt, wo beide wieder ruhig sind noch einmal mit ihnen über die Situation sprechen. Von wütenden/ frustrierten/ verletzten Kindern verlangen, dass sie in diesem Zustand Problemlösungen finden, ist schlicht eine Überforderung. Das versuche mal ein Erwachsener für sich, wenn er gerade so richtig sauer auf sein (erwachsenes) Gegenüber ist :smile:.

Ich würde den Kindern natürlich auch vermitteln, dass man sich entschuldigen kann, wenn man etwas getan hat, was einem leid tut. Gleichzeitig aber auch, dass man sich nicht entschuldigen soll, wenn man da gar keine Lust dazu hat oder noch sehr wütend auf den anderen ist. Eine Entschuldigung ist nur dann etwas ganz Tolles, wenn man auch wirklich meint, was man sagt. Zudem würde ich eine „Wiedergutmachung“ vorschlagen, bei der das Kind, das einen Fehler eingesehen hat, die Chance kriegt, etwas für das andere Kind zu tun.

Und ganz wichtig: Entschuldigungen muss man auch nicht in jedem Fall annehmen - obwohl es etwas Tolles ist, wenn man das kann.

Je jünger das Kind ist, desto kürzer werden die Abstände zwischen einer „Tat“, für die es sich (durchaus ernsthaft) entschuldigt und einem erneuten Verstoß sein. Eine dauerhafte Verhaltensänderung zu erwarten, wäre in diesem Fall zu hoch gegriffen. Es bedarf gewisser kognitiver Fähigkeiten und Reifeprozesse, damit ein Kind überhaupt die Zusammenhänge begreifen kann.

Ich würde aber dennoch daran erinnern, dass es nur Sinn macht, sich zu entschuldigen, wenn man es auch nicht wieder tun möchte. Mit zunehmendem Alter entwickeln Kinder hier nach und nach auch mehr Durchhaltevermögen.

Schöne Grüße,
Jule

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Hallo Jeanne,

Eine zusätzliche Analyse meinerseits ist noch, dass das Verhalten vieler Erzieherinnnen in ihrer Persönlichkeit begründet ist.

Diese Problematik sehe ich viel eher bei den Kinderpflegerinnen. Die unterschiedliche Wahrnehmung kann aber durchaus an den Unterschieden zwischen den Bundesländern liegen. Ich spreche von Bayern, wo die Ausbildung zur Erzieherin 5 Jahre dauert (an einer Fachakademie) und es eine 2-jährige Ausbildung zur Kinderpflegerin (an einer Berufsfachschule) gibt.

Ich habe hier die Erfahrung gemacht, dass die Ausbildung zur Kinderpflegerin, die lediglich einen Hauptschulabschluss (noch nicht einmal qualifizierend) erfordert, offenbar magisch Mädchen anzieht, die wenig motiviert sind und ihre bestehende Schulpflicht auf möglichst bequeme und elegante Weise beenden wollen. Natürlich gibt es auch die, die sich bewusst und freudig für den Beruf entschieden haben - aber sie sind deutlich in den Minderheit. Viele von diesen finden sich meist in der Weiterbildung zur Erzieherin wieder.

Ginge es nach mir, wäre diese Ausbildung längst abgeschafft, denn ich bezweifle stark, dass man der Bildungsmisere entgegenwirken kann, indem man unmotiviertes Personal beschäftigt, das häufig kaum mehr als seinen eigenen Namen fehlerfrei schreiben kann, geschweige denn in der Lage ist, pädagogische und psychologische Zusammenhänge zu erfassen und zu reflektieren.

Die Studierenden an unserer Fachakademie erlebe ich zum Großteil völlig anders, und die Qualität der Ausbildung kann sich durchaus mit einem FH-Studium messen. Zudem arbeiten wir stark persönlichkeitsbildend, wobei sich unser Fächerspiegel im Wahlpflichtfach- und Wahlfachbereich auch von vielen Fachakademien unterscheidet. Wer nicht fähig und willens ist, sich immer wieder über eigenen Grenzen zu begeben, sich zu reflektieren und reflektieren zu lassen, kommt zumindest an unserer Schule kaum zum Ziel.

Sicherlich gibt es noch mehr Analysen, warum viele Erzieherinnen so sind, wie sie sind.

Ich mache zum weitaus größten Teil die strukturellen Bedingungen dafür verantwortlich. 30 Kinder in einer Gruppe lassen sich von zwei Kräften nur innerhalb gewisser Grenzen betreuen, bilden und erziehen. Hat man - wie in skandinavischen Ländern - drei bis fünf Kräfte für 15 Kinder eröffnet sich damit eine unglaubliche Vielfalt an Möglichkeiten, die in deutschen Einrichtungen nie erreicht werden kann.

Ein weiteres Problem ist nach meiner Einschätzung der Umstand, dass vorwiegend Frauen miteinander arbeiten, die - und darin liegt das eigentliche Problem - keine ausreichend fachliche Streitkultur im Team entwickeln. Dies führt zu Intrigen, Zickenkrieg und Umgangsweisen, die einer sinnvollen (Zusammen-)Arbeit deutlich im Weg stehen.

Ich würde sehr dafür plädieren, in Leitungsfunktionen nur Erzieherinnen zuzulassen, die entsprechende Fortbildungen in Sachen Mitarbeiterführung und -motivation nachweisen können. „Management by Gruppenkuschling“ ist ein Irrweg, der enorm zu Lasten einer guten pädagogischen Arbeit geht. Zudem müssten regelmäßige Team- und Fachsupervisionen gesichert sein, um Burnouts und das Köcheln im eigenen Saft zu verhindern.

Schöne Grüße,
Jule

Hallo Jule,

dank dir für deine Ausführungen.

Wie genau bei Streitigkeiten eingegriffen wird, kann ich nicht sagen, ich sehe die Gruppe ja immer nur kurz wenn ich meinen Sohn abgebe.
Oft wird das Kind, das geschubst oder gehauen hat, aber sofort angesprochen und gebeten, sich zu entschuldigen.

Ich werde beim nächsten Gespräch mal nachfragen.

Gruß
Miriam

Hallo!

Oft wird das Kind, das geschubst oder gehauen hat, aber
sofort angesprochen und gebeten, sich zu entschuldigen.

Das habe ich befürchtet … :-/ …

Ich kann mich lebhaft an derartige Situationen aus meiner Kindheit erinnern. In der Regel hatten die Erzieherinnen überhaupt keine Ahnung, was passiert war, sondern haben sich einfach den gegriffen, der gerade am wütendsten war - das war aber ganz häufig derjenige, der angegriffen worden war.

A nimmt B permanent das Spielzeug weg, irgendwann reicht es B, er schubst A und greift sich das Spielzeug, die Erzieherin kommt, B muss sich bei A entschuldigen, A bekommt das Spielzeug, die Erzieherin geht, A feixt hinter ihrem dem Rücken B an und streckt ihm die Zunge raus. Und B denkt sich: Erwachsene sind einfach ungerecht.

Das, was Du da schreibst, hat für mich mit Pädagogik oder Erziehung gar nichts zu tun.

Lg,
Max

Hallo Max,

solche Beispiele gibt es vielleicht auch, aber die Beispiele die ich gesehen habe, waren anders geartet.

Z.B. kamen wir grade rein und eins der Mädchen kommt und schubst meinen Sohn, ohne vorherige Aktion seinerseits.
Oder ein Kind hatte ein Spielzeug in der Hand und haut es einem anderen gegen den Kopf.

Gruß
Miriam