Kirche des Mittelalters? (lang)

Guten Tag.

Folgende Meldung landete auf meinem Desktop:

Bei einer erst neunjährigen Brasilianerin sind Zwillinge abgetrieben worden. Das Mädchen war von seinem Stiefvater vergewaltigt worden. Das Leben des Kindes sei in Gefahr gewesen, sagte der Direktor der Uniklinik, die den Eingriff vornahm. Die katholische Kirche war gegen den Abbruch der Schwangerschaft.

In Brasilien hat sich ein mit Zwillingen schwangeres neunjähriges Mädchen und mutmaßliches Inzest-Opfer einer Abtreibung unterzogen. Der Stiefvater des Mädchen sitzt seit vergangener Woche unter dem Verdacht der Vergewaltigung in Haft, wie die Polizei mitteilte. Die katholische Kirche hatte sich gegen den Schwangerschaftsabbruch in der 15. Woche ausgesprochen.

Die Abtreibung wurde in einer Universitätsklinik Amaury de Medeiros durchgeführt. Klinikdirektorin Fatima Maia sagte der Zeitung "Jornal do Brasil“, die Schwangerschaft habe ein ernstes Risiko für das 36 Kilogramm schwere Mädchen dargestellt. "Sie ist sehr klein. Ihre Gebärmutter kann kein Kind halten, geschweige denn zwei Kinder.“

Abtreibungen sind in Brasilien illegal. Ausnahmen sind möglich, wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist oder das Kind keine Überlebenschance hat.

Ein Anwalt der Erzdiözese Olina und Recife in Nordbrasilien, Marcio Miranda, sagte der Zeitung „O Globo“, das Mädchen hätte die Zwillinge austragen und per Kaiserschnitt zur Welt bringen sollen. „Das Gesetz Gottes lautet: Du sollst nicht töten. Wir betrachten das als Mord.“ (die Hervorhebungen stammen von mir)

Vorausgesetzt, diese Meldung stimmt in der Form: Mord ist also nach Lesart der kath.Kirche, wenn das Leben eines Kindes durch einen Eingriff gerettet wird, anstatt deren drei in Befolgung des „Gesetzes“ krepieren zu lassen? Inzestopfer, auch deutlich minderjährige, haben also gefälligst fromm abzukratzen?

Nein, ich will nicht weiter polemisieren. Mich interessiert eigentlich nur, wie eine Organisation, die selbst an Millionen von Morden mitgewirkt hat, Mord so definieren kann. Welche theologische Begründung gibt es für eine solche Argumentation, trotz der Faktenlage - man vergleiche die beiden hervorgehobenen Passagen?

(und, wann stopft denen endlich mal einer das Maul … aber ich wollte ja aufhören)

GEK

Lieber Gunter Ewald Kaiser
„Nie tut man so vollständig das Böse, als wenn man es mit gutem Gewissen tut.“
So sprach einst ein Philosoph, ich hab im Augenblick vergessen, welcher. An diesem Zitat ist mehr als nur etwas Wahres dran.
Die von dir zitierte Nachricht ist, so sie denn wahr ist, natürlich ein Skandal. Sie reiht sich ein in den Reigen der Engstirnigkeit, der allen Organisationen zu eigen ist, die sich im Besitz von Wahrheit wähnen. Die missionarische Haltung, anderen per Zugehörigkeit zu einer Organisation überlegen zu sein, ist ein Grundübel, das sich über zweitausend Jahre hinweg gehalten hat und sich, so Gott oder wer auch immer will, noch zweitausend Jahre lang hält. Dies betrifft allerdings längst nicht nur die christlichen Kirchen.
Abgesehen davon lässt sich deine Grundaussage in weiten Teilen auf andere Organisationen übertragen. Ich will nicht weiter auf Militär, kommunistische Staaten oder dergleichen eingehen. Sie alle schaffen sich Gesetze, die in ihrem realen Ergebnis der Grundabsicht widersprechen.
Ich verstehe deine Grundhaltung, kann sie aber in dieser Vehemenz nicht zu eigen machen.
Theologische Argumente in ihrem eigentlichen Wortsinne, man verzeihe mir diese Ansicht, gibt es nicht. Es gibt das Gegenüberstellen von Aussagen, die nicht beweisbar sind und es auch nicht sein dürfen. Das sich aus dem fundamentalen Gebot „Du sollst nicht töten.“ sowohl die Todesstrafe als auch deren Verbot ableiten lässt, diskreditiert die Kirche in meinen Augen bis zum jüngsten Tag.
Aber: Glaubst du denn wirklich, dass sich überzeugte Christen nicht der grausamen Schwächen der eigenen Organisation bewusst sind? Dass sie die Geschichte der Kirche, also die Geschichte der in ihr handelnden fehlbaren Menschen, verdammen, die Religion als solche aber schätzen?
Jede Auffassung stellt sich selber infrage, wenn sie in dieser keinen Widerspruch duldenden Art vorgetragen wird.
Oder?
Viele Grüße
Voltaire