Kirchenrecht - historisch/Gegenwart

Hallo Experten,

Ich habe einen interessanten Artikel in der Zeit (Nr.29 13 Juli 2006 "Tödliche Mutterliebe) gelesen. Hier geht es um eine Frau die an Wochenbettpsychose litt und unter diesen Umständen Ihre neugeborenen Baby durch einen Wurf auf dem Boden tödliche Verletzungen zufügte. Nach deutschen Recht wurde diese Frau wegen Unzurechungsfähigkeit frei gesprochen.

Nun meine Frage: Kennt die katholische Rechtssprechung diesen Umstand der Unzurechnungsfähigkeit mit Freispruch und wenn ja ab wann.

Danke

Gruß

Mohamed

Hallo,

Ich habe einen interessanten Artikel in der Zeit (Nr.29 13
Juli 2006 "Tödliche Mutterliebe) gelesen. Hier geht es um eine
Frau die an Wochenbettpsychose litt und unter diesen Umständen
Ihre neugeborenen Baby durch einen Wurf auf dem Boden tödliche
Verletzungen zufügte. Nach deutschen Recht wurde diese Frau
wegen Unzurechungsfähigkeit frei gesprochen.

Nun meine Frage: Kennt die katholische Rechtssprechung …

kannst Du mir den Zusammenhang zwischen der katholischen Kirche und dem Strafrecht mal erklären? IMHO gab es den noch nicht mal im Mittelalter. Die letzte Hexenverbrennung gab es wohl im 17. Jahrhundert. Etwa seit der Zeit wird es wohl keine ‚katholische Rechtssprechung‘ mehr geben. Verwechselst Du hier etwas mit dem Isalm? Die katholische Kirche hat schon seit Jahrhunderten nicht mehr die Macht, Recht zu sprechen.

Gruß, Rainer

Hallo Rainer,
Nein, keine Verwechselung.
Ich weiss schon, dass die katholische Kirche praktisch nicht mehr die Macht dazu hat. Obwohl, in den USA hat die Kirche nun schon einen enormen Einfluss auf G.W. Bush. Aber das ist ein anderes Thema (Rubrik Auslandspolitik).
Jedoch gibt es ein Kirchenrecht nachdem gehandelt wurde, bzw. eine Vorstellung wie diese Thematik zu behandeln ist. Und es geht mir nicht gleich um Hexenverbrennung.
Es geht mir nicht um einen direkten Zusammenhang, sondern um die Frage, ob es diesen Zustand im kat. Rechtsverständnis gab/gibt oder nicht?
Gruß

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MOD: überflüssiges Zitat des Ausgangsartikels entfernt

Hallo Moh,

Ich weiss schon, dass die katholische Kirche praktisch nicht
mehr die Macht dazu hat. Obwohl, in den USA hat die Kirche nun
schon einen enormen Einfluss auf G.W. Bush. Aber das ist ein
anderes Thema (Rubrik Auslandspolitik).

Nein. Die Kath. Kirche (solltest Du hiervon sprechen) hat relativ geringen Einfluß auf Bush, da Bush einer protestantischen Kirche (Methodistische Kirche) angehört. Diese Kirche jedoch hat enormen Einfluß auf den amer. Präsidenten und ein großer Teil seiner Wähler entstammt aus dem eher konservativ-protestantisch gerägten, religiösen Kontext. Der letzte Katholik auf dem Präsidentenposten war m. W. Kennedy.

Jedoch gibt es ein Kirchenrecht nachdem gehandelt wurde, bzw.
eine Vorstellung wie diese Thematik zu behandeln ist. Und es
geht mir nicht gleich um Hexenverbrennung.
Es geht mir nicht um einen direkten Zusammenhang, sondern um
die Frage, ob es diesen Zustand im kat. Rechtsverständnis
gab/gibt oder nicht?

Ich habe hierzu im Katechismus (hier: http://www.vatican.va/archive/DEU0035/_INDEX.HTM) nichts finden können. Außer natürlich, daß Mord eine Todsünde ist (aber das ist nicht unbedingt eine rein katholische Ansicht, sondern findet sich in allen christlichen Kirchen sowie im jüdischen Kontext wieder - siehe hier auch die „Zehn Gebote“).

Ich gehe davon aus, daß es in diesem Zusammenhang eine individuelle Klärung der Situation geben würde, wenn dieser Vorfall in irgendeinerweise kirchlich relevant wird, z. B. im Rahmen eines Beichtgespräches. Eine generelle Aussage zu so einem Fall lässt sich sicher nicht treffen - zumindest aus kirchlicher Sicht.

Gruß, Kris

Korrektur Hexenverbrenung
Hallo,Rainer

kannst Du mir den Zusammenhang zwischen der katholischen
Kirche und dem Strafrecht mal erklären? IMHO gab es den noch
nicht mal im Mittelalter. Die letzte Hexenverbrennung gab es
wohl im 17. Jahrhundert. Etwa seit der Zeit wird es wohl keine
‚katholische Rechtssprechung‘ mehr geben. Verwechselst Du hier
etwas mit dem Isalm? Die katholische Kirche hat schon seit
Jahrhunderten nicht mehr die Macht, Recht zu sprechen.

Die letzten Hinrichtungen von ‚Hexen‘ (meist Verbrennungen am lebendigen Leibe) fanden in Würzburg (1749), Endingen (1751), Kempten (1775), Glarus (1782) und Posen (1793) statt. (1)
(gegoogelt)

Gruß, Geris

Hallo Geris,

Die letzten Hinrichtungen von ‚Hexen‘ (meist Verbrennungen am
lebendigen Leibe) fanden in Würzburg (1749), Endingen (1751),
Kempten (1775), Glarus (1782) und Posen (1793) statt. (1)
(gegoogelt)

Ergänzend hierzu: „Als eine der letzten der Hexerei angeklagten Frauen wurde Anna Schnidenwind am 24. April 1751 in Endingen am Kaiserstuhl hingerichtet. Vermutlich fand die letzte Hexenhinrichtung auf Reichsboden 1756 in Landshut statt. In der Schweiz wurde die „letzte Hexe“, Anna Göldin, im Juni 1782 hingerichtet.“ (Entnommen hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Hexenverfolgung)

Grüsse, Kris :o)

Hallo MOH

ein paar Vorschriften aus dem Corpus iuris Canonici:

„Can. 126 — Eine Handlung, die vorgenommen wurde aus Unkenntnis oder Irrtum, der sich auf etwas bezieht, was ihr Wesen ausmacht, oder der eine für unverzichtbar erklärte Bedingung betrifft, ist rechtsunwirksam […]“

„Can. 1312 — § 1. Strafmittel in der Kirche sind:
1° Besserungs- oder Beugestrafen […Exkommunikation für Extremfälle, bspw. als Folge der Abtreibung; Interdikt, d.h. Exkommunikation nur zeitweilig]
2° Sühnestrafen […z. B. Verbot eines bestimmten Ortsaufenthalts]“

„Can. 1314 — Die Strafe ist meistens eine Spruchstrafe, so daß sie den Schuldigen erst dann trifft, wenn sie verhängt ist; sie ist jedoch, wenn das Strafgesetz oder das Strafgebot dies ausdrücklich festlegt, eine Tatstrafe, so daß sie von selbst durch Begehen der Straftat eintritt.“

„Can. 1321 — § 1. Niemand wird bestraft, es sei denn, die von ihm begangene äußere Verletzung von Gesetz oder Verwaltungsbefehl ist wegen Vorsatz oder Fahrlässigkeit schwerwiegend zurechenbar.[…]“

„Can. 1323 — Straffrei bleibt, wer […6°] des Vernunftgebrauchs entbehrte, unter Beachtung der […] 1324 […]“

„Can. 1324 —
§ 1. Der Straftäter bleibt nicht straffrei, aber die im Gesetz oder Verwaltungsbefehl festgesetzte Strafe muß gemildert werden oder an ihre Stelle muß eine Buße treten, wenn die Straftat begangen worden ist:
1° von jemandem, der einen nur geminderten Vernunftgebrauch hatte
[…]
3° aus schwerer Leidenschaft, die jedoch die Verstandesüberlegung und die willentliche Zustimmung nicht gänzlich ausschaltete […]
[…]
§ 3. Unter den in § 1 aufgeführten Umständen trifft den Täter keine Tatstrafe.“

„Can. 1399 — Außer den Fällen, die in diesem oder in anderen Gesetzen geregelt sind, kann die äußere Verletzung eines göttlichen oder eines kanonischen Gesetzes nur dann mit einer gerechten Strafe belegt werden, wenn die besondere Schwere der Rechtsverletzung eine Bestrafung fordert […]“

Soweit der Codex.

Der Rest ist Sache des Ortsbischofs, falls man es vor ihn trägt.
Vergiss im übrigen nicht, dass es der Frau möglich ist, zu beichten, und ihrem Beichtvater möglich ist, sie von ihren Sünden loszusprechen. Ferner beten wir: „…vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern…“

Nach alldem dürfte die Frau im Sinne der Strafen des corpus iuris canonici straffrei ausgehen, allerdings ist es dem Beichtvater unbenommen, falls er bei genauem Hinhören eine Schuld erkennt oder sie sich selber für schuldig hält, entsprechende Bussen bspw. in Gestalt von Gebetsverrichtungen, guten Werken usw. zu verhängen.

Gruss
Mike

Hallo Mike,

Vielen Dank erst einmal für die kompetente Antwort.

Ist eine geistige Unzurechnungsfähigkeit nach Can. 126 mit abgedeckt oder kannte/kennt man diesen Zusatnd nicht?

Gruß

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MOD: überflüssiges Zitat des beantworteten Artikels entfernt

Hallo MOH

ich verweise Dich zunächst nochmals auf can. 1323, Abschnitt 6: „Straffrei bleibt, wer […] des Vernunftgebrauchs entbehrte, unter Beachtung der Vorschrift[…]1324[u. a.].“

Die genannte Vorschrift 1324 umschreibt dann Fälle, wo der „Vernunftgebrauch“ nicht ganz weg ist, aber doch zum grössten Teil eingeschränkt. Dazu gehört eine nur teilweise vorhandene geistige Unzurechnungsfähigkeit und somit der vorliegende Fall, wenn er nicht schon unter 1323 fällt, was eher zutrifft.
Hier ist eine Ausdeutung des von Dir genannten can. 126 (betreffend Irrtum) für den vorliegenden Fall also gegeben, und geistige Unzurechnungsfähigkeit fällt im vorliegenden Fall darunter.

Mit can. 1323 und evtl. 1324 ist aber vermutlich sogar schon alles Nötige gesagt; can. 126 ist lediglich eine zweite Variante, die ich genannt habe für jemand, der sagen möchte, es handle sich bei dem seelischen Zustand der Frau nicht um etwas, das geistige Unzurechnungsfähigkeit in strengem Sinn und für lange Zeit nach sich gezogen habe; dann kann man eben immer noch sagen, der seelische Zustand habe eine nur kurzzeitige, evtl. an sich leichtgewichtige Unzurechnungsfähigkeit, aber dadurch einen Irrtum hervorgerufen, sodass sich die zeitweilige Unzurechnungsfähigkeit dann in einem bestimmten Augenblick aufgrund des seelischen Zustandes und des Irrtums in verderblicher Weise verdichtete.

Gruss
Mike

Kennt die katholische Rechtssprechung

Es gibt keine katholische Rechtssprechung mehr! Auch ist die Bibel nicht das Gesetz Deutschlands! (…)

dataf0x

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MOD: Persönliche Beleidigung gelöscht.

Hallo datafox,
MOH hat doch eigentlich schon im Titel (historisch) seine Frage präzisiert und auch weiter unten!

Es gibt keine katholische Rechtssprechung mehr!

Aber selbstverständlich gibt es eine römisch-katholische Kirchenrechtssprechung! Berühmt werden ja immer die diversen Fälle der kirchlichen SCheidung (wo ja die „Unzurechnungsfähigkeit“, mal laienhaft ausgedrückt, eine große Rolle spielt.
Auch die evangelische Kirche hat ein Kirchenrecht, allerdings wesentlich unübersichtlicher als der CIC der Katholiken.
Bedeutsam wird das Kirchenrecht vor allem in dem Bereich des Arbeitsrechts, denn auch hier sind die Kirchen (nach dem GG) weitestgehend eigenen Rechts. So muss ein der Pädophilie überführter Priester sich nicht nur einem weltlichen, sondern auch einem kirchlichen Gericht stellen (und aufgrund der Andersartigkeit der kirchlichen Gerichte, die anders als die weltlichen ja ein kasuistisches System haben, ist es schon mal vorgekommen, dass ein solcher Priester zwar kirchlich verurteilt wurde, aber - aufgrund anderer Beweisverfahren - nicht weltlich).
Auch z.B. bei kirchlichen Examensprüfungen hat ein Student nie Erfolg vor einem weltlichen Gericht (denn das lehnt wegen Nichtzuständigkeit ab), sondern muss ein kirchliches anrufen.
Bei Berufungen auf Lehrstühlen gibt es dann eine interessante Verquickung von Staatskirchen- und Kirchenrecht auf rk Seite (ein paar irre Protestanten hätten das auch gerne, aber können sich bislang nicht durchsetzen). Küng z.B. ist ja als Priester auf einen Lehrstuhl berufen worden, dieser Lehrstuhl setze zwingend voraus, dass er von einem Priester besetzt ist (also Kleriker, Nonnen gehören da übrigens nicht zu), ich weiß ehrlich nicht genau, wie er dieses Amtes verlustig ging (also des Priesteramtes). Daraufhin konnte die rk Kirche das Besetzungsrecht für diesen Lehrstuhl behalten, Küng aber davon entfernen lassen, als Beamter wurde für ihn dann ein eigener geschaffen.
Übrigens: Aufgrund der wesentlich priveligierenden Verträge zwischen rk Kirche und der Republik Österreich (Verträge zur Zeit des Ständestaates geschlossen), spielt das Kirchenrecht in Ö eine wesentlich größere Rolle, währen die ev. Kirche in Ö viel mehr dem staatlichen Recht unterworfen ist. Erkennbar an der derzeitgen Situation der UNi-Reform BA/MA: Während die rk Kirche sich einfach weigern kann, muss die ev. Fakultät als rein staatliche alles mitmachen.
In Ö muss jeder Jus-Student Kirchenrecht belegen (in D nicht)

Auch ist die
Bibel nicht das Gesetz Deutschlands!

Das ist natürlich richtig. Auch ist der CIC selbst mE eher ein Corpus der Römischen Rechts.

(…)

Diese Aussage solltest Du dann vielleicht doch noch mal überdenken?

Grüße,
taju

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MOD: Persönliche Beleidigung (die im zitierten Artikel enthalten war) gelöscht.

NB. zu Hans Küng
Hallo Taju

Dr. Hans Küng ist immer noch Priester, aber er verlor seine kirchliche Lehrerlaubnis in der Schweiz. Jetzt lehrt er eben in Tübingen, die Kirche hätte ihm das eigentlich verboten. Da er aber zum Papst in Privataudienz empfangen wird, nehme ich an, dass ihm Benedikt eher zuhört oder besser gesonnen ist als J.-P.II.

Gruss
Mike

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Hallo Mike,
eine wichtige Korrektur!
Die Sache mit dem Lehrstuhl, ich habe da alles durcheinander gebracht, ist der Fall Lüdemann, Göttingen, ev-theol. Fakultät.
Es ist zu heiß!
Kirchenrechtlich und auch eigentlich für das weltliche Recht auch interessant, allerdings erläutere ich dazu lieber gar nichts mehr, ist ja auch der Fall Berger, Heidelberg!

Grüße,
Taju

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MOD: überflüssiges Zitat des beantworteten Artikels entfernt