wie kommst Du darauf, daß der österreichische Kaiser
selbsternannt war?
Meines Wissens war der deutsche Kaiser nach 1871
selbsternannt, während der rechtmäßige Kaiser eigentlich der
von Österreich gewesen wäre.
Mag stark vereinfacht ausgedrückt sein, wer will, kann mich
auch gerne verbessern, aber hat nicht Bismarck, den Kaiser von
Österreich, der zwar nicht mehr de facto aber de jure
deutscher Kaiser war, durch die Hohenzollern mehr oder weniger
eigenmächtig ersetzt?
Hallo Winfried,
das ist - bitte verzeih den Ausdruck - ein kompletter Schmarren. Am 06.08.1806 dankte Kaiser Franz II. aus dem Hause Habsburg-Lothringen ab, legte die Kaiserkrone nieder und erklärte das Heilige Römische Reich deutscher Nation für aufgelöst. Es hatte damit aufgehört zu existieren, nachdem es spätestens seit dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 ohnehin nur noch dem Namen nach bestand. Bereits 1804 hatte Franz Joseph Karl das Erzherzogtum Österreich zum Kaiserreich und sich selbst zum Kaiser von Österreich ‚befördert‘, um die Ranggleichheit mit Napoleon zu wahren.
Obschon Wir durch göttliche Fügung und durch die Wahl der Churfürsten des Römisch-Deutschen Reiches zu einer Würde gediehen sind, welche Uns für Unsere Person keinen Zuwachs an Titel und Ansehen zu wünschen übrig lässt, so muss doch Unsere Sorgfalt als Regent des Hauses und der Monarchie von Österreich dahin gerichtet sein, dass jene vollkommene Gleichheit des Titels und der erblichen Würde mit den vorzüglichsten europäischen Regenten und Mächten aufrecht erhalten und behauptet werde, welche den Souveränen Österreichs gebühret. Wir sehen Uns demnach zur dauerhaften Befestigung dieser vollkommenen Rangs-Gleichheit veranlasst und berechtigt, nach den Beispielen, welche in dem vorigen Jahrhunderte der Russisch-Kaiserliche Hof und nunmehr auch der neue Beherrscher Frankreichs gegeben hat, dem Hause von Österreich, in Rücksicht auf dessen unabhängige Staaten, den erblichen Kaisertitel gleichfalls beizulegen.
(Proklamation vom 01.08.1804 )
Das kann man durchaus „selbsternannt“ nennen. Er hatte also von 1804 bis 1806 zwei Kaisertitel (ein geschichtliches Unikum) - den absolut bedeutungslos gewordenen des Heiligen Römischen Reiches (als Franz II.) und den von Österreich (als Franz I.). Als Franz II. war er ‚erwählter deutscher König und Kaiser‘; ein Nachfolger wurde natürlich nie gewählt. Der Kaisertitel des Heiligen Römischen Reiches war nicht (wie der des Deutschen Kaisers und des Kaisers von Österreich) erblich; er beruhte seit der Goldenen Bulle von 1356 auf der Wahl durch die Kurfürsten (und bis 1508 auch auf der Krönung durch den Papst).
Wilhelm I. von Hohenzollern war - wie Du richtig schreibst - ‚Deutscher Kaiser‘. Dieser Titel war 1871 ebenso neu wie das Staatsgebilde ‚Deutsches Reich‘ und wie 1804 der Titel ‚Kaiser von Österreich‘. Vor 1871 gab es weder de facto noch de jure einen ‚Deutschen Kaiser‘; es gab lediglich den Titel ‚Kaiser der Deutschen‘ (ebenfalls eine Novität), den die Nationalversammlung 1849 König Friedrich Wilhelm IV. von Preussen verleihen wollte, was dieser allerdings ablehnte. Zwischen dem Heiligen Römischen Reich und dem Deutschen Reich besteht keine staatsrechtliche Verbindung, auch nicht über den Deutschen Bund (1815-1848 und 1850-1866).
Freundliche Grüße,
Ralf