Konjunktiv nach 'glauben' u.a

Liebe Grammatikexperten,

ich bin über einen Satz gestolpert, von dem ich ganz unsicher bin, ob er richtig ist. Es geht um den Gebrauch des Konjunktivs nach Verben des Glaubens und Meinens. Gelten hier die Regeln für indirekte Rede? Wenn nein, was ich annehme, welche Regeln gelten dann?

Konkret: Heißt es: „Glauben Sie, Bescheidenheit sei eine Tugend?“
Der etwas umformulierte Satz „Glauben Sie, daß Bescheidenheit eine Tugend sei?“ kommt mir dagegen schon merkwürdig vor, da würde ich keinen Konjunktiv setzen. Meiner Vermutung nach hat das Ganze etwas mit dem Standpunkt des Sprechers zu tun, oder irre ich da?

Was ist mit Sätzen wie
„Er meinte, daß Bescheidenheit eine Tugend sei.“ Da fände ich „war“ nicht in Ordnung.
Dagegen aber:
„Wir sind der Meinung, daß Bescheidenheit eine Tugen ist.“ Den finde ich in Ordnung. Aber warum?

Hilfe!

Unsichere Grüße
Aia

Also eine Sache weiss ich noch von der Schule: Man nur ENTWEDER den
Konjunktiv setzen, ODER einen dass-satz (konsekutiv oder konzessiv?
Nebensatz) machen. Im dass-satz, darf niemals ein Konjunktiv stehen.

Im dass-satz, darf niemals ein Konjunktiv stehen.

Ein solche Regel gibt es nicht!

Wer sagt, dass dies so sei?

Fritz

Haia, Aia,

in der lateinischen Sprache steht in allen obliquen (abhängigen) Sätzen nach den Verba Dicendi et Sentiendi (Verben des Sagens und Meinens/Denkens/Fühlens) der Konjunktiv.

Diese Regel wurde von den Grammatikern, die seit ihrem Anfang an der deutschen Sprache bosselten, übernommen.

In gebildeten Texten galt diese Regel bis in die neuhochdeutsche Zeit und wurde von den meisten „klassisch Gebildeten“ auch befolgt.

Schon Luther aber begann „den Leuten aufs Maul zu schauen“ und je volksnäher die Sprache wurde, um so mehr wurde diese strenge Regel vernachlässigt.

Heutzutage kann man ohne Probleme einen indirekten Aussagesatz ohn Konjunktiv bilden.

In all deinen Beispielsätzen ist der Konjunktiv möglich!

„Glauben Sie, Bescheidenheit sei eine Tugend?“
„Glauben Sie, daß Bescheidenheit eine Tugend sei?“
„Er meinte, daß Bescheidenheit eine Tugend sei.“
„Wir sind der Meinung, daß Bescheidenheit eine Tugend sei.“

Wenn dir ein Satz „komisch“ erscheint, so liegt es daran, dass man den Konjunktiv eben nicht setzen MUSS, sondern KANN.

Und in den dir ungewohnten Beispielen wird er eben nicht mehr konsequent gebraucht.

Aber möglich ist eben auch:

„Glauben Sie, Bescheidenheit ist eine Tugend?“
„Glauben Sie, daß Bescheidenheit eine Tugend ist?“
„Er meinte, daß Bescheidenheit eine Tugend idt.“
„Wir sind der Meinung, daß Bescheidenheit eine Tugend ist.“

Hilfe!

Ich hoffe, dass dies eine gewesen sei/ist.

Gruß Fritz

Naja,
Fritz,

das ist mir in der Tat eine große Hilfe, vielen Dank. Vom Lateinischen her hatte ich auch schon versucht zu argumentieren. Aber steht denn dort tatsächlich nach den verba dicendi im engeren Sinne der Konjunktiv? Da steht doch der AcI!

Insofern wundert es mich, daß hier irgendetwas vom Lateinischen abgeleitet wird.

Verstehe ich Dich zweitens denn nun richtig: Die indirekte Rede verlangt im Deutschen keinen Konjunktiv mehr? Oder verstehe ich Dich da miß? Ich weiß zugegebenermaßen nicht recht, was ein indirekter Aussagesatz ist.

Immer noch hilfesuchend
Aia

Im dass-satz, darf niemals ein Konjunktiv stehen.

Ein solche Regel gibt es nicht!

Wer sagt, dass dies so sei?

Mein Deutschlehrer war das… und ich wuerde behaupten, dass man
sagen muss: „Wer sagt, dass dies so ist?“ Bist du dir wirklich
sicher, dass es so eine Regel nicht gibt? Da ich kein
Germanistikstudium absolviert habe, stelle ich keinen Anspruch es
besser zu wissen, war mir bisher aber relativ sicher, dass „dass“ mit
Konjunktiv nicht moeglich ist.
Waere das nicht so ne art „doppelt gemoppelt“?
Denn dass die Regel fuer die Indirekte Rede gilt, da bin ich mir
sicher:
Er sagt, dass es ihm nicht gut geht.
ODER
Er sagt es gehe ihm nicht gut.

Er sagt, dass es ihm nicht gut gehe. — das waere doch ein wenig
seltsam, oder?

hat
das Ganze etwas mit dem Standpunkt des Sprechers zu tun, oder
irre ich da?

du irrst nicht! grammatisch gesehen ist beides korrekt, aber es wird eine andere nuance rübergebracht, was vor allem in den medien äußerst wichtig ist. die indirekte rede ist in seriösen medien prinzipiell im konjunktiv zu lesen, da man sich damit von der aussage distanziert. wird das nicht getan, entsteht schnell der eindruck von parteilichkeit.

„Oppositionsführer Kurmanbek Bakijew sagte im staatlichen Fernsehen, Akajew habe das Land verlassen. Auch Ministerpräsident Nikolai Tanajew sei zurückgetreten. Die USA wollten dies zunächst nicht bestätigen. Verteidigungsminister Donald Rumsfeld sagte, die Geheimdienste hätten keine entprechenden Informationen.“

aus http://www.netzeitung.de/ausland/331219.html

gruß
dataf0x

Lieber Marc!

Wer sagt, dass dies so sei?

Mein Deutschlehrer war das…

Könnte es sein, dass du was falsch verstanden oder einen Einzelfall zur allgemeinen Regel gemacht hast?

sagen muss: „Wer sagt, dass dies so ist?“ Bist du dir wirklich
sicher, dass es so eine Regel nicht gibt?

Ganz sicher. Es gibt bei der indirekten Rede stets beide Möglichkeiten.

Entweder mit Hauptsatz und Konjunktiv:
„Es sagt, er glaube das nicht.“

oder mit dass-Satz und Konjunktiv:
„Er sagt, dass er das nicht glaube.“

Und beides auch mit Indikativ:

Er sagt, er glaubt das nicht.
Er sagt, dass er das nicht glaubt.

Waere das nicht so ne art „doppelt gemoppelt“?

Nicht im geringsten!

Denn dass die Regel fuer die Indirekte Rede gilt, da bin ich mir sicher:

Zu Unrecht!

Er sagt, dass es ihm nicht gut gehe. — das waere doch ein wenig seltsam, oder?

Nicht im Geringsten!

Ein Blick in eine der Übungsgrammatiken, die hier in der Bücherliste genannt sind, egal ob Helbig/Buscha oder Dreyer/Schmidt, wird dich eines Besseren belehren.

Hier ein literarisches Beispiel von prominenter Hand:

_Beispiel für die indirekte Rede in einem literarischen Text! Schwer!

aus Charles Dickens, Bleak House
übersetzt von Gustav Meyrink

… Sie übergab mir einen Brief, den sie nur für mich geschrieben hatte, und sagte mir, wenn ich ihn gelesen haben würde und vernichtet - nicht sowohl um ihretwillen, denn sie verlange nichts mehr für sich, als um ihres Gatten und meinetwillen -, müßte ich sie für immer als gestorben betrachten. Wenn ich glauben könnte, daß sie in der Seelenqual, in der ich sie sähe, mich mit der Liebe einer Mutter umfange, so bäte sie mich, dies zu tun. Denn dann würde ich bei der Erinnerung daran, was sie gelitten habe, mit größerer Barmherzigkeit an sie denken können. Sie habe sich selbst über alle Hoffnung und Hilfe hinausbegeben. Ob sie ihr Geheimnis bis zum Tode bewahren könne oder ob es entdeckt und damit Schmach und Schande auf den Namen, den sie angenommen habe, bringen werde, sei ihr beständiger Gedanke in ihrer seelischen Einsamkeit. Keine Liebe könne sich ihr nahen und kein menschliches Geschöpf ihr die mindeste Hilfe leisten. _

Gruß Fritz

Aber steht denn dort tatsächlich nach den verba
dicendi im engeren Sinne der Konjunktiv? Da steht doch der
AcI!

Das ist die häufiger gebrauchte Alternativ.

Insofern wundert es mich, daß hier irgendetwas vom
Lateinischen abgeleitet wird.

Wenn du wüsstest, wie viel Ballast die deutsche Sprache vom Lateinischen geerbt, mit sich rumschleppt.

Das ganze Futur II, die Consecution temporum …

Verstehe ich Dich zweitens denn nun richtig: Die indirekte
Rede verlangt im Deutschen keinen Konjunktiv mehr?

Richtig! Und nur noch in wirklich seriösen Zeitungen wird die streng befolgt. Da gibt es vermutlich noch Journalisten, die den Konjunktiv I beherrschen.
In den Regionalblättern nimmt man keinen Anstoß mehr an konjunktivlosen indirekten Aussagesätzen.

Ich weiß zugegebenermaßen nicht recht, was ein indirekter Aussagesatz ist.

Na, das ist doch einfach! das ist doch einfach.
Fritz erklärt, das sei doch einfach.
Fritz erklärt, dass dies doch einfach ist.
Fritz erklärt, dass dies doch einfach sei.

Das sind alles abhängige oder indirekte Aussagesätze; abhängig von dem Hauptsatz: Fritz erklärt, …"

Besser jetzt?

Gruß Fritz

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Zusatz: Anfang eines Arbeitsblattes aus …
meinem Nähkästchen:

KONJUNKTIV I

Gebrauch:

Den Konjunktiv I gebrauchen wir in der indirekten Rede, d. h. wenn wir etwas erzählen, was ein anderer gesagt hat.

Allerdings stirbt auch der Konjunktiv I mehr und mehr aus. Vor allem in der gesprochenen Sprache gebrauchen viele den Indikativ.

„Der Kanzler sagt, er wird das Problem lösen.“

Manche gebrauchen den Konjunktiv I nur, wenn sie sich von dem distanzieren möchten, was ein anderer gesagt hat.

„Der Kanzler sagt, er werde das Problem lösen.“

Wenn man einem anderen nicht glaubt, oder selbst nicht überprüft hat, was jemand gesagt hat, gebraucht man den Konjunktiv II.

"Der Kanzler sagt, er würde das Problem lösen.!

Moin, Fritz,
jetzt hab ichs kapiert. Aber mein Weltbild ist soeben zusammengebrochen. Trotzdem ein STernchen!

Bezüglich der Terminologie: Für mich hieß „indirekte Aussage“ bisher „indirekte Rede“. Es hätte ja auch was anderes sein können, deshalb habe ich lieber nochmal nachgefragt.

Danke sehr.

Karfreitäglichen Gruß, passend zum zweiten Satz oben…
Aia

Ja, danke für das Beispiel. Ich war bisher eigentlich von der Regel ausgegangen, in der indirekten Rede stehe der Konjunktiv unabhängig vom Standpunkt des Sprechers.

Muß wohl umdenken.

Gruß
Aia

Glückliche Resurrektion!
Guten Morgen, liebe Aia,

jetzt hab ichs kapiert. Aber mein Weltbild ist soeben
zusammengebrochen. Trotzdem ein STernchen!

Schön! So schlimm? Danke.

Bezüglich der Terminologie: Für mich hieß „indirekte Aussage“
bisher „indirekte Rede“.

Die indirekte Rede ist ein Sonderfall der indirekten Aussage, aber weithin identisch mit ihr. Manche Grammatikes sehen das nicht so. Ich bin bei solchen Sachen aber Pragmatiker und verschlüpfe mich nur privat in Feinunterscheidungen.

Danke sehr.

Bitter sehr!

Karfreitäglichen Gruß, passend zum zweiten Satz oben…

So musst du eben auf die resurrectio warten! :wink:

Gruß Fritz

oT: Im Italienischen …
Hallo Aia,
… ist nach glauben, meinen, zweifeln etc. der Konjunktiv in der Schriftsprache obligatorisch. In der gesprochenen Sprache sieht man das lockerer. Das entspricht in der Tendenz den deutschen Gepflogenheiten. Ich finde es aber schön wenn man beides handhaben kann und dort anwendet wo es angebracht ist.
Mit freundlichen Grüßen,
Alexander Berresheim

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Mahlzeit,

Die indirekte Rede ist ein Sonderfall der indirekten Rede,

ich dachte, ich kenne mich mit der Grammatik einigermaßen aus, aber das war mir unbekannt :stuck_out_tongue:

Rohe Ostern

Sancho

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Anke, Sancho,

wir sind doch alle bloß Menschen und fehlen allweil mannigfalt!

Fitz