Die Macht der Essensverweigerung
Hallo Sonne,
ich denke, du bist gerade auf dem besten Weg dazu, in die „Essensfalle“ zu tappen. Das Problem, das du beschreibst, kennen vermutlich alle Eltern.
Es beginnt in dem Alter, in dem Kinder ihre Macht entdecken, die sie mit der Verweigerung von Essen ausüben können. Sie erkennen, dass sie ein erstklassiges Entertainmentprogramm am Tisch bekommen können, indem sie einfach aufhören zu essen. Die Angst der Eltern, dass das Kind zu wenig essen würde, sorgt in aller Regel dafür, dass das zumindest am Anfang prima funktioniert.
An diesem Punkt bist du jetzt. Und ja: Du stellst gerade Weichen in mehrere Richtungen. Zum einen geht es - wie du selbst sagst - um Konsequenz und Nachgeben. Zum anderen geht es aber um Essverhalten - und das finde ich weit entscheidender.
Meine Mutter (eine Kinderärztin) pflegte zu sagen: „Aus Kindern, die beim Essen lesen, werden Erwachsene, die beim Lesen essen“. Und auch wenn dein Kind noch weit vom Lesen entfernt ist und die Aussage sicher nicht allgemeingültig ist: Jetzt ist der Zeitpunkt, an dem dein Kind die Bedeutung des Essens lernt.
Es liegt an dir, ob es Essen als schönen, gemeinschaftlichen Akt des Zusammenseins verstehen lernt oder ob Essen als etwas, was man nebenbei und aus rein funktionalen Aspekten tut, verstanden wird.
Deshalb: Nimm dir Zeit und Muße, gemeinsam mit deinem Kind zu essen. Lass es selbst essen, unterhalte dich mit ihm (auch wenn du jetzt noch eher Monologe führst) und wenn es andere Dinge tun möchte, erkläre ihm freundlich aber bestimmt, dass jetzt Essenszeit ist. Wichtig: Rede NICHT übers Essen, sondern erzähle vom gestrigen Tag, von gemeinsamen Erlebnissen oder von dem, was ihr heute vorhabt.
Stellt es daraufhin das Essen ein, lass es einfach dabei, OHNE es weiter zu kommentieren und iss du in Ruhe zu Ende. Dazu brauchst du am Anfang vermutlich ein paar Nerven, denn natürlich wird dein Kind seine eben erst entdeckte Macht nicht so ohne weieres wieder hergeben wollen. Aber das elterliche Vorbild wird in diesem Alter siegen.
Zwei Stunden nach dem Frühstück wieder Hunger zu haben, finde ich für ein zweijähriges Kind übrigens völlig normal. In der Krippe wäre das - je nach Ankunftszeit der Kinder - die Zeit des Frühstücks oder der Obstpause. Letztere kannst du ebenfalls einführen, und dann gibt es eben täglich eine solche in Form eines (in mundgerechte Stücke zerteilten) Apfels oder einer Banane (oder was immer du sonst an Obst anbieten willst).
Entscheidend ist: Essensverweigerung wird nicht beachtet. Du kannst EINMAL nachfragen, ob das Kind nichts mehr essen möchte und ansonsten beendest du die Essenszeit ganz undramatisch.
Erzieherinnen in Krippen und Kindergärten können von dieser Problematik übrigens ein Lied singen. Gerade im Kindergarten haben erschreckend viele Kinder Essen bereits als schwierigen Akt kennengelernt. Nicht wenige Eltern weisen die Erzieherinnen darauf hin, dass das Kind die mitgebrachte Brotzeit „unbedingt essen“ muss. Der Grund ist häufig, dass es ihnen zuhause nicht mehr gelingt, die Kinder zum Essen zu bewegen, weil diese Spirale bereits zu starke Eigendynamik entwickelt hat.
Dass sie den Druck, der für Kinder im Zusammenhang mit Essen entsteht, durch derartige Anweisungen nur weiter erhöhen, verstehen die Eltern oft nicht. Aus diesem Grund lernen die Erzieherinnen an unserer Schule, derartige Forderungen nicht zu erfüllen, sondern den Kindern die Chance zu geben, von selbst und freiwillig am gemeinsamen Essen teilzunehmen - auch wenn das bedeuten mag, dass manche Kinder über viele Stunden nichts essen. Unsere Erfahrungen zeigen, dass das ganz hervorragend funktioniert - und wenn die Eltern gleichzeitig gut informiert werden, gelingt es meist, das Verweigerungsproblem wieder aus der Welt zu schaffen. Besser - vor allem für die Kinder - ist natürlich, sie gar nicht erst entstehen zu lassen
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Schöne Grüße
Jule