Hallo,
wenn jemand in einer total gestörten Familie aufgewachsen ist, d.h., mit wenig Liebe und Bestätigung; mit psychischem Missbrauch wie Erniedrigungen, Anschreien, Ungerechtigkeiten und starkem Druck; Bevorzugung der Geschwister usw., ist es dann nicht sinnvoll, den Kontakt als Erwachsener abzubrechen, wenn die Beziehung zu den Eltern immer noch belastend ist? Die alten Rollenverteilungen aus der Kindheit werden doch bei jedem Treffen wieder neu bestätigt, oder? Mit Verständnis der Eltern ist absolut nicht zu rechnen.
Kennt jemand solche Situation aus eigener Erfahrung?
Gruß
Manfred
Moin Manred
Abbrechen ist sicherlich ene Option und wird ja auch häufig von den Betroffenen so gemacht.
Aufarbeiten wäre natürlich auch eine Alternative.
Gruß,
Branden
Hallo Branden,
und beides, Aufarbeiten und Kontakt einstellen??
Gruß
Manfred
Hi
und beides, Aufarbeiten und Kontakt einstellen??
Ist wahrscheinlich schon besser als nur Kontakt einstellen.
Für mich wäre vermutlich noch besser, wenn man die Familie mit den Problemen, die man mit ihr hat, deutlich konfrontiert.
Das geht natürlich oftmals nicht, z.B. wenn die Eltern schon deutlich an Altersdemenz erkrankt sind und für Kontroverses nicht mehr aufnahmefähig.
Gruß,
Branden
Hallo Manfred,
Kennt jemand solche Situation aus eigener Erfahrung?
Ja, ich. So ziemlich alles, was du beschreibst *seufz*.
Es entwickelte sich über viele, viele Jahre ungefähr so:
- Selbstzweifel, Fragen, Vorwürfe - warum haben sich meine Eltern so verhalten ? Was mach(t)e ich falsch ?
Da es sich - in meinem Fall - definitiv um KRANKHEITEN handelt, kam ich so natürlich keinen Schritt weiter.
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Rückzug - es hat mich zu viel Kraft gekostet, immer wieder gegen irgendwelche Wände zu laufen. Jahrelang fand der Kontakt zu meiner Herkunftsfamilie nur seeeehr selten statt.
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Verzeihung und Annäherung - als ich dann erkannt habe (mit psychologischer Unterstützung), dass meine Familie nicht anders KANN, konnte ich irgendwann weitgehend verzeihen. Ich bin inzwischen meistens stark genug, um bei Zusammentreffen gelassen zu bleiben, wenn mal wieder die üblichen Attacken kommen - die meiner Familie gar nicht als solche auffallen. Es fällt ihnen nur langsam auf, dass sie so gar keine Freunde haben…
Wie gesagt, das geht über Jahre oder gar Jahrzehnte. Da es sich in meinem Fall wirklich um Krankheiten handelt, kann ich auch leichter verzeihen. Schwierig war und ist für mich, mit meinem Hintergrund meinen eigenen Kindern genug Liebe zu geben. Da ich keinen Vergleich dazu habe, wie eine „normale“ Familie miteinander umgeht, bin ich ab und zu verunsichert, ob ich zu gluckig bin oder zu fordernd. Zum Glück passen mein Mann und enge Freunde mit auf
Ich schließe für mich jahrelange Psychoanalyse aus, bevorzuge den verhaltenstherapeutischen Ansatz. Da haben mir schon einige wenige Gespräche super geholfen. Es kommt aber sicher auf den Gesamtzusammenhang an. Grundsätzlich halte ich es für sinnvoll, sich professionelle Hilfe zu holen, wenn der Schmerz zu schlimm wird. Hätte ich vorher gewußt, wie gut es tun kann, mit einem Profi zu sprechen, hätte ich meinen „Leidensweg“ sicher um ein paar Jährchen verkürzen können.
Alles Gute wünscht dir
Insel
Hallo,
Kontakt abbrechen und (trotzdem) aufarbeiten ist auch eine Möglichkeit.
Dass es nach dem Aufarbeiten wieder zu einer Begegnung kommen kann ist dann möglich.
Viele Grüße
Gedankenhilfe zur Distanz
Hallo Manfred,
vielleicht hilft Dir das hier weiter, als innerer Gedanke um eine Distanz zu bewältigen und für Dich selbst zu begründen:
Liebe® Mama/Papa,
Du bist die/der Große. Ich bin der Kleine. Ich liebe Dich, ich bin in Liebe mit Dir auf ewig verbunden. Ich bin stolz Deinen Sohn zu sein. Ich mute Dir nun Dein Schicksal zu und halte einen Sicherheitsabstand, um Dich zu ehren in dem ich gedeihe.
Viel Glück.
hi,
den kontakt abzubrechen ist eine option.
wer es langfristig schafft, kontakt zu halten, wenn auch nur sporadisch, und sich gleichzeitig erwachsen zu fühlen, nämlich NICHT MEHR ausgelifert wie damals, der hat´s endgültig geschafft.
es ist richtig: die eltern bleiben so und geben wunderbare gelenheit, sich an den mist von früher zu erinner, aber das ist doch eigentlich eine unzutreffende situation. es trifft nämlich nicht mehr zu, dass man sich dass noch reinziehen muss wie früher. trotzdem fühlt man sich so wie früher!
die lösung liegt darin, sich klarzumachen, dass man heute autark und vor allem nicht mehr abhängig und ausgeliefert ist. bis dass im gefühl ankommt, können meiner erfahrung nach auch mal 10 jahre vergehen.
manchmal klappt es aber auch nicht und es bleibt eine eher verstandesmäßige erkenntnis, was dann im kontakt mit der familie bedeuten kann, das mass an abgrenzung für sich herzustellen, dass man heute eben braucht.
das ging ja früher nicht!
Hallo,
ich war ein sogenanntes „ungewolltes“ Kind und meine Mutter und mein erster Stiefvater haben mich das spüren lassen. Ich war immer an allem Schuld, Schuld das meine Mutter meinen Stiefvater hat heiraten müssen (ja wer nimmt den eine ledige Frau mit Kind?), Schuld das sie ihr Leben nicht so leben konnte, wie sie es gerne wollte …
Ich wurde immer niedergemacht, egal was, es war nie gut genug. Ich konnte mich nicht bewegen (tanzen), war handwerklich ungeschickt usw. Sprüche, wie Du hast zwei linke Hände, laß sie Dir am besten amputieren, gehörten seit meinem 6 Lebensjahr zum Standartprogramm. Meine 8 Jahre jüngere Schwester war der Liebling, wenn sie etwas wollte bekam sie es sofort. Mußte sie um als 6jährige um 18.00 Uhr abends rein und beschwerte sich, daß ich noch draußen bleiben durfte, mußte ich eben auch rein. Seelische Demütigungen gehörten zum Alltag.
Es gibt viele Situationen, in denen ich innerlich total verkrampfe, komischerweise traten diese Phänomene erst auf, als ich schon nicht mehr zu Hause wohnte. So banale Sachen, wie ein Restaurantbesuch mit Freunden, wurden plötzlich zum Problem. Was ist wenn dir was von der Gabel rutscht, oder was umfällt. Ich habe erst nur noch Sachen gegessen, die leicht zu handhaben waren, später bin ich einfach nicht mehr mitgegangen. über Jahre hinweg habe ich nur noch sehr ausgewählte Personen an mich herangelassen.
Heute arbeite ich diese Kindheitserlebnisse mit einem Psychologen auf und begreife jetzt, warum ich in bestimmten Siutationen überreagiere.
Aber es ist ein langer Weg, eingeprägte Verhaltensmuster zu ändern.
Gruß
Tina
Nachtrag:
Ich habe eine Zeitlang den Kontakt zu meiner Mutter abgebrochen, mittlerweile bin ich soweit, daß ich sporadischen Kontakt aushalten kann, aber immer noch keine Nähe. Zu meinem Stiefvater habe ich seit 19 Jahren keinerlei Kontakt mehr und das ist gut so!
Gruß
Tina
Oft vorgenommen, nie geschafft
Hallo Manfred!
Wenn ich erkenne, dass jeder Kontakt mich runterzieht und alte Schemata bestätigt, man aber nicht in der Lage ist, diese zu durchbrechen, würde ich sagen, Kontakt abbrechen und zwar schnell und komplett.
Aber ich schrieb im Konjunktiv, irgendwie ist das verdammt schwer, das ist eben Familie, man fühlt sich auch verpflichtet. Mein Mann ist ein Familienmensch, er käme damit überhaupt nicht klar. Ein Enkel braucht irgendwie auch Oma und Opa (Hat sonst nur noch einen Opa). Eigentlich müßte ich mit nur einem Elternteil den Kontakt abbrechen, das geht ja schon gar nicht.
Ein klärendes Gespräch? Klar, würde ich auch jedem empfehlen, eins zu führen. Aber selber? Genau wegen der alten Schemata geht das leider nicht. Wenn einfach nicht angenommen wird, wenn ich sage: So wie es ist, geht es mir nicht gut (das Recht dazu wird mir immer abgesprochen, das sei doch Spinnerei etc) ist schonmal die Grundlage für ein Gespräch völlig entzogen. Schon die leiseste Kritik grenzt an Majestätsbeleidigung. So ist definitiv kein Gespräch über Vergangenes möglich, wenn eine Seite gar keine Veranlassung dazu sieht, es überhaupt zu führen. Es ist ja für meine Eltern alles in Ordnung. Wer das anders sieht, hat einen Vogel. Ich vermute ja ganz unfachmännisch, dass mein Vater ein lupenreiner Narzist ist, in seiner Vorstellung dreht sich die Welt nur um ihn und seine (Gefühls-) Welt.
Und aktuell, gleich in einer Situation sich abzugrenzen und richtig und sachlich zu kontern? Manchmal gelingt mir das ansatzweise, aber ich denke, davon kommt nichts bei der Gegenseite an. Und die Verletzung ist bei mir dann schon passiert, die „Abwehr“ oder Retourkutsche macht sie nicht mehr weg. Das sind meist Telefongespräche, nach denen ich mich frage, warum ich sie immer und immer wieder führe. Warum ich immer wieder erwarte, dass meine Eltern sich für mich interessieren könnten (Tun sie nicht, sie brauchen mich als „Bühne“, als Spiegel, als Bestätigung für Ihr Leben und Ihr Tun). Für Kleinigkeiten soll ich sie bemitleiden. Wenn, dann fragen sie nach meinem (armen, armen, fleißigen und sparsamen) Mann (er hat ja mich faulen und verschwenderischen Jammerlappen zur Frau). Versuche ich etwas zu erzählen, werde ich unterbrochen und mir wird klargemacht, ich solle mich nicht so anstellen. (Für uns wars auch nicht immer leicht). Hab ich einen neuen Job, interessiert das gar nicht weiter, höchstens noch die finanzielle Seite. Erzähle ich etwas Freudiges, wird mir die Suppe versalzen. „Wir haben endlich eine neue tolle Kamera“ „Die Bilder sind aber gar nicht gut. Und: Ihr schafft aber viel an in letzter Zeit“. Und ich Idiot hole mir solche Abfuhren regelmäßig ab, ich könnt mich ohrfeigen dafür.
Ich beneide jeden, der es geschafft hat, den Kontakt zu den Eltern abzubrechen. Ich werde es wohl nie auf die Reihe kriegen.
Grüße
kernig
Lieber Manfred,
ich kann das sehr gut nachvollziehen, was Du denkst.
Wenn Du das Gefühl hast, dass Du das, was in Deiner „total gestörten Familie“ an der Tagesordnung war, nicht vertragen kannst, dann versuchst Du Dich wohl zu schützen, indem Du Dich fernhältst.
Solange Du das Gefühl hast, dass es Dir durch Fernhalten besser geht, hältst Du Dich vielleicht besser fern - Deine Gefühle werden Dir schon sagen, wie es ist, was Dir guttut. Leider wächst nicht jeder in einer Familie auf, die ihm guttut, in der er gefördert und verstanden wird.
Ich weiß nicht, wie alt Du bist - vielleicht magst Du momentan keinen Kontakt zu Deinen Eltern haben - wie sieht es aber mit Deinen Geschwistern aus?
Eltern mögen manchmal nicht überblicken - warum auch immer - wie sie auf ihre Kinder wirken - aber vielleicht findest Du mit der Zeit mehr Nähe zu Deinen Geschwistern. Vielleicht fühlen sie sich weniger bevorzugst, als Du sie siehst, und ihr findet Gemeinsamkeiten.
Liebe Grüße, Susanne
Ich danke Euch allen für die offenen Worte. Es tut gut zu wissen, dass man nicht allein ist.
Gruß
Manfred
Hallo,
ich bin ein bißchen spät, möchte aber trotzdem etwas dazu schreiben. Ab einem gewissen Alter muß jeder Mensch für sich entscheiden.
Dazu gehört auch das Ausmisten kranker Familienstrukturen. Wenn man x Jahre verletzt worden ist, ist das Maß einfach voll und ein finaler Schnitt kann zukünftigen Schmerz ersparen und ist für das Sebstbewußtsein ein Wundermittel. Wer durch diese Hölle gegangen ist, die Familie bedeuten kann, der schafft noch ganz andere Sachen, nur weiß er es nicht, wenn er es nicht angeht. Der Schritt mit der Familie zu brechen ist sicher schwer aber wenn man es konsequent durchzieht und in dem Zusammenhang einmal sagt, was gesagt werden muß, ist er ein Teil der Heilung und kann äußerst befreiend wirken. Niemand sagt, dass es schmerzfrei ist aber ich sehe diesen Schmerz durchaus positiv.
Grüße