LAG Sachsen-Anhalt
-
Der Arbeitnehmer ist auch nach Ablauf der sechswöchigen Entgeltfortzahlung (§ 3I 1 EFZG) verpflichtet, dem Arbeitgeber bei Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit gem. § 5I 2-4 EFZG eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen.
-
Die Verletzung dieser Pflicht kann nur unter besonderen Umständen ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung sein.
LAG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 24.04.1996 - 3 Sa 449/95 (ArbG Halle Urteil 23.03.1995 11 Ca 4868/94)
Zum Sachverhalt:
Der Kl. wehrt sich gegen die ihm am 15. 11. zugegangene fristlose Kündigung vom 12. 11. 1994, die der Bekl. darauf stützt, daß ihm der Kl. nach Ablauf der sechswöchigen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall am 31. 10. 1994 keine weitere ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt hat.
Das ArbG hat der Klage stattgegeben. Die Berufung des Bekl. blieb erfolglos.
Aus den Gründen:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das ArbG hat den Rechtsstreit jedenfalls im Ergebnis zutreffend entschieden. Die fristlose Kündigung vom 12. 11. 1994 ist in Ermangelung eines wichtigen Grundes gem. § 626I BGB auch dann unwirksam, wenn die behauptete Abmahnung vom 5. 11. 1994 als richtig unterstellt wird.
Allerdings hat der Kl. seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt, weil er dem Bekl. nach dem 31. 10. 1994 keine neue ärztliche Bescheinigung über die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit vorgelegt hat. Der Kl. war hierzu trotz Ablaufs der sechswöchigen Entgeltfortzahlung (§ 3I 1 EFZG) verpflichtet. Denn die Pflicht zur Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung besteht gem. § 5I 2-4 EFZG unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer (noch) einen Entgeltfortzahlungsanspruch geltend machen kann (vgl. Schmitt, EFZG, 2. Aufl., § 5 Rdnr. 26; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge, EFZG, 3. Aufl., § 5 Rdnr. 23). Das ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut des § 5 EFZG, der keine Ausnahme vorsieht, als auch aus Sinn und Zweck der Regelung. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hat nicht nur den Zweck, die Tatsache der Arbeitsunfähigkeit durch ärztliches Attest nachzuweisen. Sie soll vielmehr den Arbeitgeber aufgrund der ärztlichen Angaben über die voraussichtliche (Fort-)Dauer der Arbeitsunfähigkeit auch in die Lage versetzen, möglichst frühzeitig die wegen des fortgesetzten Ausfalls des Arbeitnehmers notwendig werdenden betrieblichen Dispositionen treffen zu können. Die Verletzung dieser dem Arbeiter gem § 5 EFZG obliegenden Pflicht, seine Arbeitsunfähigkeit durch ärztliche Bescheinigung nachzuweisen, kann aber nur unter besonderen Umständen ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung sein. Denn in ihrer Bedeutung für die Wahrung berechtigter Interessen des Arbeitgebers tritt sie regelmäßig hinter die in § 5I 1 EFZG geregelte Pflicht zurück, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen. Zwar wird die persönliche Meldung des Arbeitnehmers in der Regel weniger zuverlässig sein als die ärztliche Angabe. Die Mitteilung ermöglicht dem Arbeitgeber aber doch, zunächst erst einmal zu disponieren. Angesichts des danach regelmäßig geringeren Gewichts der Nachweispflichtverletzung bedarf es deshalb der Feststellung erschwerender Umstände des Einzelfalles, die ausnahmsweise die Würdigung rechtfertigen, dem Arbeitgeber sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zuzumuten (vgl. BAG, NZA 1987, 93 = AP Nr. 93 zu § 626 BGB).
Solche besonderen Umstände liegen hier nicht vor. Der Kl. hat sich nicht überhaupt geweigert, seine Arbeitsunfähigkeit nachzuweisen. Er ist vielmehr während der ersten sechs Wochen seiner Pflicht zur Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nachgekommen. Für die Zeit danach hat er sich offensichtlich (gemeinsam mit der ihn behandelnden Ärztin) über das Bestehen einer diesbezüglichen Verpflichtung geirrt und gemeint, die Bescheinigung müsse nur noch bei der Krankenkasse eingereicht werden. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, daß der Kl. den Bekl. über sein weiteres Fehlen und dessen nicht absehbare Dauer nicht im Ungewissen gelassen hat. Er hat den Bekl. vielmehr unstr. fast täglich informiert. Dem Dispositionsinteresse des Bekl. war damit bereits weitgehend Rechnung getragen. Darauf, daß der Kl. den Bekl. nicht von sich aus angerufen hat, kommt es nicht an. Hinzu kommt, daß der Bekl. durch den Anruf bei der behandelnden Ärztin über die Ungewißheit der Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit des Kl. informiert war.
Unter diesen Umständen ist die Verletzung der Nachweispflicht des § 5I 4 EFZG durch den Kl. jedenfalls nicht so schwerwiegend, daß sie trotz der unterstellten Abmahnung die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist am 15. 12. 1994 unzumutbar macht.