Kriegstrauma im Mittelalter

Hallo Experten,

im Zusammenhang mit neuzeitlichen Kriegen (Irak, Afghanistan, Vietnam, Korea, etc.) liest man immer wieder von Soldaten, die sich nach ihrer Rückkehr nur schwer wieder in die normale Gesellschaft eingliedern können und teilweise erheblich unter Kriegstraumata leiden.

Nun habe ich mich gefragt - und ich bin mir bewusst, dass die Antwort möglicherweise sehr schwierig ist - wie es sich mit Kriegstraumata wohl in der Vergangenheit, also z.B. Kriegen des Mittelalters verhalten hat.

Einerseits waren die Kriege damals ja noch „unmittelbarer“ d.h. man kämpfte mit Schwertern und anderen Nahkampfwaffen, sowie Pfeilen (und was weiß ich noch alles) was natürlich in Sachen Verwundung etc. ziemlich üble Kämpfe gewesen sein müssen und auch sonst ging man mit der Zivilbevölkerung und dem Feind nicht gerade zimperlich um.

Also alles Voraussetzung, dass sich auch damals schon ziemlich traumatisierte Soldaten entwickelt haben müssten.

Andererseits war auch das „friedliche“ Leben nicht entfernt so friedlich wie in heutigen modernen Industrienationen, soll heißen, gerade der einfache Soldat war in Friedenszeiten als Bauer, Leibeigener oder Handwerker im Mittelalter sicherlich deutlich mehr Gewalt und täglichen Begegnungen mit dem Tod ausgesetzt, als heutzutage (angefangen von Säuglingssterblichkeit, über Seuchen, bis hin zu Gesetzlosen und der Willkür durch die Feudalherren).

Möglicherweise waren also die Menschen im Mittelalter auch „abgehärteter“ was körperliches Leid etc. betrifft und daher weniger anfällig für Kriegstraumata.

Lange Vorrede, kurzer Sinn: Gibt es Überlieferungen aus früherer Zeit (muss nicht unbedingt Mittelalter sein, Antike wäre z.B. auch vorstellbar) in denen ebenfalls schon über Kriegstraumata berichtet wurde oder ist dies ein Phänomen der Neuzeit?

Gruß,
Sax

in denen ebenfalls schon über
Kriegstraumata berichtet wurde oder ist dies ein Phänomen der
Neuzeit?

Hallo,

was ich jetzt sage ist nicht wissenschaftlich fundiert - nur eine persönliche Erfahrung. Ich war in einer Klosterschule. In den Klöstern war es immer üblich, dass Landstreicher, Arme Leute, Obdachlose, Säufer … an die Tür klopfen können und etwas zu essen, vielleicht ein Bad und vielleicht eine Hose oder Hemd bekommen haben.

Der Bruder Pförtner hat auch zugehört und das eine und andere Gesräch geführt. Viele von diesen Leuten sind im Krieg aus dem Nest gefallen und konnten in die normale Welt nicht mehr zurück. Sie verbachten ihr Leben im Suff, auf der Straße und weiß ich wo. Meine Erfahrung zu diesem Thema habe ich in den Sechzigern gemacht.

Ich denke, dass so eine Krankheit (Kriegstrauma) erst einmal „erfunden“ werden muss. Und … hätten wir keine Krankenkassen, dann gäbe es so eine Krankheit bestimmt nicht.

Gruß

vV

Moin,

Lange Vorrede, kurzer Sinn: Gibt es Überlieferungen aus
früherer Zeit (muss nicht unbedingt Mittelalter sein, Antike
wäre z.B. auch vorstellbar) in denen ebenfalls schon über
Kriegstraumata berichtet wurde oder ist dies ein Phänomen der
Neuzeit?

selbst wenn es solche Traumatisierungen gegeben haben mag, sie waren sicher keinerlei Erwähnung wert.
Wurde jemand psychisch auffällig, wurde er ev. exorziert, ins Narrenhaus gesteckt oder man ließ ihn so wie er war und wenn er starb, wen kümmerts.

Gandalf

Zwar stammen diese Zeilen aus „Tränen des Vaterlandes“ von Andreas Gryphius aus der frühen Neuzeit, dennoch passen sie zu Deiner Frage:

Doch schweig ich noch von dem, was ärger als der Tod,
Was grimmer denn die Pest, und Glut und Hungersnot,
Dass auch der Seelen Schatz so vielen abgezwungen.

(vollständiger Text: http://gutenberg.spiegel.de/buch/2204/6)

Andererseits war auch das „friedliche“ Leben nicht entfernt so friedlich wie in heutigen modernen Industrienationen, soll heißen, gerade der einfache Soldat war in Friedenszeiten als Bauer, Leibeigener oder Handwerker im Mittelalter sicherlich deutlich mehr Gewalt und täglichen Begegnungen mit dem Tod ausgesetzt, als heutzutage (angefangen von Säuglingssterblichkeit, über Seuchen, bis hin zu Gesetzlosen und der Willkür durch die Feudalherren).

D’Accord. Die Heimkehr von Soldaten in eine „heile“ bzw. „zivilisierte“ Welt, in der die für den Krieg antrainierten Überlebenstechniken keine Rolle mehr spielen sollen und dürfen, könnte am persönlichen Erleben / Verarbeiten von Kriegstraumata einen nicht zu vernachlässigenden Anteil haben.

~//~

Hallo!

Ich denke, dass so eine Krankheit (Kriegstrauma) erst einmal
„erfunden“ werden muss.

Trauma bzw. die sog. „Posttraumatische Belastungsstörung“ ist, so wie sie sich dann manifestiert, sicherlich hochgradig an die jeweilige Kultur gebunden.
Auch die heutigen Kulturkreise gehen noch recht unterschiedlich mit Tod und Verlust um. Im Norden reagieren wir eher depressiv-zurückgezogen, im Süden wird mehr exaltiert gejammert und der Verlustschmerz wird eher körperlich erlebt.
Entsprechend sehe ich es zum Teil auch so, dass das Kriegstrauma eine „Erfindung“ unseres Kulturkreises bzw. unserer Zeit ist.

Andererseits findest du aber doch z.B. in der antiken Literatur genug Passagen von Soldaten, die nach dem Krieg völlig ausgebrannt (auch psychisch) und kaum lebens- und arbeitsfähig nach Hause gekommen sind oder von solchen, die noch im Krieg völlig durchgeknallt sind.

So findest du z.B. bei Homer einen Achill, der sich endlose Zeit lang in sein Zelt zurückzieht, oder einen Achill, der mehrmals quasi Amok läuft (also Tötungen ohne erkennbaren militärischen Nutzen begeht), einen Achill, der gutgemeinte Warnungen in die Luft schlägt, um seine Seele mit Racheakten zu beruhigen usw.

Gruß
Tyll

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Hallo Sax und alle anderen,

das ist eine sehr interessante Frage, mit der ich mich auch schon auseinandergesetzt habe:

Ich teile Deine Einschätzung, dass die widrigen Umstände der damaligen Zeiten sicherlich dazu beigetragen haben, dass Menschen damals Gewaltakte und Tod als etwas natürlicheres betrachtet haben als wir in unserer westlichen Welt es heute tun.

Auch hat sicherlich Gandalf damit recht, dass es Menschen mit Traumafolgestörungen bereits gegeben haben wird und mit ihnen wie beschrieben umgegangen wurde.

Ich möchte aber noch zwei Aspekte hinzufügen:

  1. Man geht davon aus, dass es bei der Entstehung eines Traumas auch von Bedeutung ist, ob das Opfer das traumatische Erlebnis einerseits als beeinflussbar und andererseits ob er oder sie dem Ereignis irgendeinen Sinn zuschreiben kann.
    Ich denke, durch die Entpersonifizierung des Krieges (Töten auf große Distanz, Trommelfeuer auf Schützengräben, Bomben- und Gaskrieg usw.) werden viele Soldaten in modernen Kriegen die Erfahrung gemacht haben, dass sie keinen Einfluss haben, auf das was mit passiert. Damals, beim Kampf Mann gegen Mann, hatte der einzelne Kämpfer immerhin die Möglichkeit seinen Gegner direkt zu besiegen bzw. wegzurenne. Was kann aber ein Frontsoldat des ersten Weltkriegs tun, wenn seine Stellung unter Dauerbeschuss liegt? Nicht viel.
    Darüber hinaus spielt, wie bereits erwähnt, die Sinnhaftigkeit eine Rolle. Ich vermute, dass für die Sinnhaftigkeit früher die Religion eine wesentlich größere Rolle gespielt hat auch oder gerade, wenn man verloren hat. Im Sinne: Die Götter waren uns nicht gnädig usw.

  2. Es gibt einige wenige historische Schilderungen von Traumasymptomen, die älter sind als das beginnende 20. Jahrhundert:
    Nach einem Großbrand in London Jahr 1666 beschreibt Samuel Pepys solche Symptome bei sich selbst. Und 1866 beschreibt der Engländer Erichsen ziemlich genau die Symptome einer PTBS die er bei Überlebenden von Eisenbahnunfällen beobachtet hat. Damals wurde das von ihm als „Railway Spine Syndrom“ beschrieben.

Ich denke also, dass man davon sicherlich davon ausgehen kann, dass Traumafolgestörungen immer ein Begleiter der Menschheit waren. Die Verbreitung mag unterschiedlich ausgeprägt gewesen und man ist sicherlich anders damit umgegangen als heute. Grundsätzlich spielt dabei natürlich auch eine Rolle, dass moderne Konzepte von Psyche und damit auch die Bescheibung psychischen Leidens eine vergleichsweise neue Entwicklung sind.

So, langer Beitrag geworden. :wink:

Grüße
TAndrija

Sorry, Quelle vergessen:

http://books.google.de/books?id=B66tlJE7I0wC&pg=PA19…

Hallo,

das, was Du als „erfinden“ nennst, kann man auch als „Aufklärung“ sehen.

Viele Grüße

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Hallo Sax,

Nun habe ich mich gefragt - und ich bin mir bewusst, dass die
Antwort möglicherweise sehr schwierig ist - wie es sich mit
Kriegstraumata wohl in der Vergangenheit, also z.B. Kriegen
des Mittelalters verhalten hat.

Es gab früher die Krankheit Nostalgie, welche besonders Söldner betraf.
http://de.wikipedia.org/wiki/Nostalgie

Zudem war früher die Weltanschauung eine ganz andere als heute.

Alles Abnormale war entweder von Gott gewollt oder der Teufel steckte dahinter!
Selbst Ärzte konnten eigentlich nur mit Gottes Hilfe ihr Werk verrichten.
Zudem waren die ersten Ärzte in unseren Gegenden allgemein die Henker. Nur ein Henker, als sowieso sozial ausgestossener, konnte sich einen Kontakt mit Kranken, also von Gott verstossenen/bestraften überhaupt erlauben, ohne gleich als Hexer entsorgt zu werden.

Und wie auch schon geschrieben wurde, war die Einstellung zum Tode auch eine andere. Man denke nur schon an öffentliche Hinrichtungen, bei welchen es fast Pflicht war, mit Kind und Kegel zu erscheinen.

MfG Peter(TOO)

Danke für die interessanten Anworten und Denkanstöße. OwT
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