Hallo Petra,
Was ist mit denen eigentlich nach dem Krieg passiert? Es
wurden ja alle Häftlinge von den Alliierten befreit, also auch
die Kriminellen nehme ich an.
‚Kriminelle‘ verschleiert völlig den Sachverhalt. Die Häftlinge trugen die offizielle Bezeichnung ‚B.V.‘, was von ihren Mithäftlingen idR als ’ B erufs v erbrecher’ interpretiert wurde und de facto auch häufig zutraf. Tatsächlich stand ‚B.V.‘ für " b efristete V orbeugehaft". Diese Häftlinge wurden von der Kriminalpolizei bzw. der 1936 durch Zusammenschluss von Kripo und Gestapo entstandenen Sipo (Sicherheitspolizei) und nicht von Gerichten - also ohne Urteil - eingewiesen.
‚Befristet‘ bedeutet in diesem Zusammenhang übrigens nicht, dass die KZ-Einweisung befristet war - Fristen gab es für eine Haftüberprüfung, auf die die Entlassung oder aber (bis zur nächsten Haftüberprüfung) Fortsetzung der Vorbeugehaft folgte.
Die B.V. - Häftlinge waren in der Regel (mehrfach) vorbestraft wegen Eigentumsdelikten oder Verstoß gegen Arbeitsgesetze - meistens sog. ‚Arbeitsscheue‘, wobei der Übergang zur Häftlingsgruppe der ‚Asozialen‘ fließend war. Die zweite große Gruppe waren wegen ‚Sittlichkeitsverbrechen‘ Vorbestrafte bzw. der Prostitution verdächtige Frauen. Rechtsgrundlage war der ‚Grunderlass über vorbeugende Verbrechensbekämpfung d…‘ vom 14.12.1937.
Natürlich spricht eine vorbeugende Inhaftierung - also ohne Gerichtsverhandlung und Urteil und noch dazu auf unbefristete Zeit - sämtlichen rechtsstaatlichen Prinzipien Hohn. Deswegen kam eine Inhaftierung dieser B.V. - Häftlinge nach Befreiung der KZs selbstverständlich nicht in Frage.
Hat man danach Anstrengungen unternommen, sie erneut
festzunehmen? War man damit erfolgreich?
Wenn sie Straftaten begingen - selbstverständlich ja. Vorbeugehaft jedoch gab es nicht mehr - die gibt es in keinem Rechtsstaat.
Unter den B.V. - Häftlingen gab es tatsächlich auch verurteilte Kriminelle, jedoch idR erst ab 1943, als Reichsminister Thierack und Reichsführer SS Himmler vereinbart hatten, sog. ‚asoziale Elemente‘ aus Strafvollzug, Arbeitshäusern und Psychiatrie der ‚Vernichtung durch Arbeit‘ in Kzs zuzuführen. Neben den Sicherungsverwahrten (als lediglich Vorbestraften) betraf dies nun auch straffällige Juden, Zigeuner, Russen und Ukrainer. Dazu Polen, wenn sie zu Haftstrafen über drei Jahren verurteilt waren sowie Tschechen und Deutsche, wenn sie zu Haftstrafen über acht Jahren verurteilt waren. Die Überlebensrate dieser (äußerst berüchtigten) Häftlinge war gering - es wurden nicht sehr viele befreit. In Anbetracht der völligen Unverhältnismäßigkeit ihrer Bestrafung stand eine ‚normale‘ Inhaftierung der Überlebenden außer Frage.
Quelle:
Benz, Wolfgang / Distel, Barbara (Hrsgb)
Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager
Band 1/9: Die Organisation des Terrors
C.H.BECK ISBN 978-3-406-52961-0 Buch anschauen
S. 91 ff (Kapitel 'Häftlingskategorien und Kennzeichnungen von Annette Eberle)
Freundliche Grüße,
Ralf