Kriminelle im KZ nach dem Krieg?

Hallo Wissende,

eine der Häftlingsgruppen im KZ waren ja die Kriminellen.

Was ist mit denen eigentlich nach dem Krieg passiert? Es wurden ja alle Häftlinge von den Alliierten befreit, also auch die Kriminellen nehme ich an.

Hat man danach Anstrengungen unternommen, sie erneut festzunehmen? War man damit erfolgreich?

Schöne Grüße

Petra

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Hallo Petra,
Deine Frage bedarf eigentlich einer genaueren Erläuterung: Was genau definierst Du denn als Kriminellen im 2. WK? Diejenigen, die im KZ eingekerkert waren, können nach der Rechtsprechung der damaligen Zeit auch Leute gewesen sein, die lediglich ihren Protest gegen bestimmte Verordnungen/Gesetze/Vorgaben geäußert haben.
Heute würden wir z.B. die Geschwister Scholl, die als Kriminelle hingerichtet wurden, als Widerstandskämpfer gegen ein totalitäres Regime bezeichnen.
Es gab auch Häftlinge im KZ, die z.B. wg. eines Lebensmittel-Diebstahls als Kriminelle eingesperrt wurden. Heute gäbe es für Mundraub eine geringfügige Geldstrafe.
„Echte“ Kriminelle (z.B. Sittlichkeitsverbrecher) wurden i.d. Regel sofort hingerichtet.
M.W. waren z.B. der Befreiung in den KZs nur sehr wenige „echte“ Kriminelle, über die dann die Gerichte der Allierten urteilten.
Gruß
History55

Die hatten alle ihre Abzeichen, wo man das erkennen konnte.

http://de.wikipedia.org/wiki/Kennzeichnung_der_H%C3%…

Hi Petra,

keine Antwort, aber eine neugierige Rückfrage: Gab es denn (abgesehen von den „Politischen“) überhaupt Kriminelle unter den KZ-Häftlingen, die nicht erst nach Verbüßung einer Haftstrafe in Lagerhaft genommen wurden wurden?

Nur in diesem Fall hätte sich die Frage formal überhaupt gestellt.

Diese Rückfrage ist nicht rhetorisch, es interessiert mich wirklich. Meines Wissens konnten ordentliche Strafgerichte nicht zu KL-Haft verurteilen, sondern bloß Gefängnis- oder Zuchthausstrafen verhängen, die dann auch in Gefängnissen und Zuchthäusern vollstreckt wurden, bevor der Verurteilte anlässlich seiner Entlassung aus der Haft ggf. in „Schutzhaft“ genommen wurde.

Davon ausgenommen sind sicherlich Fremdarbeiter, die für irgendwelche Vergehen u.a. mit Lagerhaft - ohne vorhergehende reguläre Haftstrafe, und auch ohne Verurteilung durch ein ordentliches Gericht - bestraft wurden. Aber in diesen Fällen hätte es nach der Befreiung der Lager keine Handhabe und auch keinen Anlass für eine erneute Festnahme gegeben.

Schöne Grüße

Dä Blumepeder

Hallo Petra,

Was ist mit denen eigentlich nach dem Krieg passiert? Es
wurden ja alle Häftlinge von den Alliierten befreit, also auch
die Kriminellen nehme ich an.

‚Kriminelle‘ verschleiert völlig den Sachverhalt. Die Häftlinge trugen die offizielle Bezeichnung ‚B.V.‘, was von ihren Mithäftlingen idR als ’ B erufs v erbrecher’ interpretiert wurde und de facto auch häufig zutraf. Tatsächlich stand ‚B.V.‘ für " b efristete V orbeugehaft". Diese Häftlinge wurden von der Kriminalpolizei bzw. der 1936 durch Zusammenschluss von Kripo und Gestapo entstandenen Sipo (Sicherheitspolizei) und nicht von Gerichten - also ohne Urteil - eingewiesen.

‚Befristet‘ bedeutet in diesem Zusammenhang übrigens nicht, dass die KZ-Einweisung befristet war - Fristen gab es für eine Haftüberprüfung, auf die die Entlassung oder aber (bis zur nächsten Haftüberprüfung) Fortsetzung der Vorbeugehaft folgte.

Die B.V. - Häftlinge waren in der Regel (mehrfach) vorbestraft wegen Eigentumsdelikten oder Verstoß gegen Arbeitsgesetze - meistens sog. ‚Arbeitsscheue‘, wobei der Übergang zur Häftlingsgruppe der ‚Asozialen‘ fließend war. Die zweite große Gruppe waren wegen ‚Sittlichkeitsverbrechen‘ Vorbestrafte bzw. der Prostitution verdächtige Frauen. Rechtsgrundlage war der ‚Grunderlass über vorbeugende Verbrechensbekämpfung d…‘ vom 14.12.1937.

Natürlich spricht eine vorbeugende Inhaftierung - also ohne Gerichtsverhandlung und Urteil und noch dazu auf unbefristete Zeit - sämtlichen rechtsstaatlichen Prinzipien Hohn. Deswegen kam eine Inhaftierung dieser B.V. - Häftlinge nach Befreiung der KZs selbstverständlich nicht in Frage.

Hat man danach Anstrengungen unternommen, sie erneut
festzunehmen? War man damit erfolgreich?

Wenn sie Straftaten begingen - selbstverständlich ja. Vorbeugehaft jedoch gab es nicht mehr - die gibt es in keinem Rechtsstaat.

Unter den B.V. - Häftlingen gab es tatsächlich auch verurteilte Kriminelle, jedoch idR erst ab 1943, als Reichsminister Thierack und Reichsführer SS Himmler vereinbart hatten, sog. ‚asoziale Elemente‘ aus Strafvollzug, Arbeitshäusern und Psychiatrie der ‚Vernichtung durch Arbeit‘ in Kzs zuzuführen. Neben den Sicherungsverwahrten (als lediglich Vorbestraften) betraf dies nun auch straffällige Juden, Zigeuner, Russen und Ukrainer. Dazu Polen, wenn sie zu Haftstrafen über drei Jahren verurteilt waren sowie Tschechen und Deutsche, wenn sie zu Haftstrafen über acht Jahren verurteilt waren. Die Überlebensrate dieser (äußerst berüchtigten) Häftlinge war gering - es wurden nicht sehr viele befreit. In Anbetracht der völligen Unverhältnismäßigkeit ihrer Bestrafung stand eine ‚normale‘ Inhaftierung der Überlebenden außer Frage.

Quelle:
Benz, Wolfgang / Distel, Barbara (Hrsgb)
Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager
Band 1/9: Die Organisation des Terrors
C.H.BECK ISBN 978-3-406-52961-0 Buch anschauen
S. 91 ff (Kapitel 'Häftlingskategorien und Kennzeichnungen von Annette Eberle)

Freundliche Grüße,
Ralf