Kritik an antizyklischer Fiskalpolitik

Liebe/-r Experte/-in,ich hätte gern gewusst was es an der antizyklischen fiskalpolitik zu bemängeln gibt. Ein paar Kritikspunkte hab ich aber ich weiß nich warum das so ist könnte mir vlt jemand 1 - 2 Krtikspunkte etwas näher erklären?

folgende Kritikspunkte habe ich:
* Die Auslandsnachfrage lässt sich fast nicht beeinflussen. Internationale Zwänge erlauben darüber hinaus kein allzu übermächtiges Gegensteuern.
* Bei allen wirtschaftspolitischen Instrumenten treten Wirkungsverzögerungen (sog. Time-lags) auf. Das kann dazu führen, dass die Maßnahmen erst dann greifen, wenn bereits eine andere Konjunkturphase eingetreten ist, so dass sie sich kontraproduktiv auswirken.
* Die Reaktionen der Wirtschaftssubjekte sind nicht vorhersehbar. Eine Steuersenkung muss z. B. nicht unbedingt höhere Ausgaben auslösen, sondern sie kann auch zu einer höheren Sparquote führen.
* In Zeiten leerer Staatskassen sind expansive Maßnahmen nur zu Lasten der Staatsverschuldung möglich (sog. Deficit-spending). Eine hohe Staatsverschuldung kann jedoch inflationäre Tendenzen auslösen und schränkt die zukünftige Handlungsfähigkeit des Staates ein.
* Ein Teil der Wirtschaftstheoretiker bezweifelt grundsätzlich die Wirksamkeit fiskalpolitischer Maßnahmen. Sie führen an, dass höhere Staatsausgaben zu einem Anstieg des allgemeinen Zinsniveaus führen würden, wodurch private Investitionen zurückgedrängt würden (Verdrängungseffekt). Dadurch blieben Produktion und Beschäftigung unverändert.

Gibt es vlt noch mehr Kritikspunkte? Wenn ja welche zum Beispiel?

Vielen Dank schon mal im vorraus!!!

mfg
Seb.

Hallo Seb.,
welche Kritikpunkte sind dir denn unklar?
Gruß
later

Grundsätzlich ist der Gedanke, ein Staat könne in guten Zeiten Reserven anhäufen mit denen sich schlechte Zeiten besser überbrücken lassen, gut und richtig. Jede vernünftige Privatperson handelt so. Spare in der Zeit, dann hast Du in der Not.
Fast alle bereits genannten Kritikpunkte daran ließen sich entkräften mit dem schlichten Argument, dass es immer besser ist über Notreserven zu verfügen, ganz gleich welches Ereignis einen trifft. Zeitverzögerung, Auslandsnachfrage etc. alles schön und gut, aber alles nicht Kriegsentscheidend.
Das Hauptproblem eines negativen Konjukturereignisses ist doch, dass damit nicht nur die Einnahmen der Haushalte sinken, sondern ebenso die Steuereinnahmen des Staates. Die Privaten können das oft auffangen, wie man jetzt bei den Kurzarbeitern sieht, doch der Staat muss sich zur Aufrechterhaltung des Ausgabenniveaus entweder verschulden, oder die Krise mit Sparmaßnahmen verschärfen. Wir reden also noch gar nicht davon, dass durch Ausgaben gegen gesteuert wird, sondern alleine davon, dass der Staat regelmäßig gezwungen ist eine Krise zu verschärfen, wenn er nicht gleich den Privaten für eine Krise mir Ersparnissen vorsorgt.
Und nun zur Kritik.
Noch niemals haben Staaten mir Erspartem vorgesorgt für eine Krise, jedenfalls keine mir bekannte westliche Demokratie. In dieser ringen Politiker IMMER um ein Mandat und setzen Ausgaben und Steuersenkungen als Mittel ein, den Wahlbürger für sich zu gewinnen. Das Geld wird also ausgegeben, sowohl wenn man es hätte und sparen könnte, also auch wenn man es nicht hat. Wenn es aber keine Ersparnisse gibt und dennoch das Argument der antizyklichen Intervention bemüht wird, dann immer nur zur Rechtfertigung von Staatsausgaben in der Krise, also zum Aufbau einer Staatsverschuldung. Damit handelt man aber nicht antizyklisch, sondern versucht lediglich die Spürbarkeit einer Krise abzumildern bzw. zeitlich zu verschieben in die Zukunft. Konkret lähmt uns heute die in der Vergangenheit aufgebaute Staatsverschuldung und raubt uns jede Reaktionsfähigkeit, es sei denn, man ignoriert die Folgen und läßt die Last ins Exorbitante ansteigen. Am Ende stehen dann regelmäßig die wirklich dicken Krisen, bei denen die Anleger alles verlieren, weil den Schulden keinerlei werthaltige Sicherheiten gegenüber stehen.
Man muß das Wesen des Kapitalismus verstehen wie es von Franz Oppenheimer bereits vor gut 100 Jahren beschrieben wurde, und damit das Wesen der Krisen im Kapitalismus, dann wird klar, dass alle Akteure einem Zwang unterliegen mit stets gleichem Resultat.
Abschließende Anmerkung: Ludwig Erhard, Schüler Franz Oppenheimers, wollte das immer Gleiche mit seinem Konzept der Sozialen Marktwirtschaft durchbrechen. Doch es gibt heute niemanden mehr in der aktiven Politik oder Wissenschaft, der auch nur um die einfachsten Grundlagen seines Verständnisses von einer stabilen Wirtschaft wüßte. Wir sind heute wieder an einem Punkt angekommen, an dem der Bogen wohl bereits wieder überspannt ist.

Ergänzung:
Beginnt eine antizyklische Fiskalpolitik nicht beim Ansparen, sondern beim Ausgeben, sind die vom Fragesteller bereits angeführten Kritikpunkte berechtigt. Dies liegt aber genau daran, dass negativen Effekte der Staatsverschuldung mindestens so stark auf die langfristige Konjunktur einwirken wie sich kurzfristig positive Effekte durch Ausgaben erzielen lassen. Die langfristig negativen Auswirkungen summieren sich und überstrahlen schnell die kurzfristig erzielbaren positiven Wirkungen.
Weil eine falsch verstandene antizyklische Politik falsch ist, bedeutet dies aber nicht, dass eine richtig verstandene antizyklische Fiskalpolitik ebenfalls falsch wäre. In sofern muss man fein unterscheiden welchen Fall man diskutiert.
Ersparnise des Staates bedeuten, dass dieser gegenüber seinen Bürgern über einen Leistungsanspruch verfügt. Der Staat kann seinen Fuhrpark, seine Gebäude, seine Infrastruktur dann erneuern, wenn die allgemeine Nachfrage mal wieder stockt.
Im Grunde ist antizyklisches Verhalten Teil eines jeden unternehmerischen Handelns. Jeder Selbständige kennt die Nachfrageschwankungen und bemüht sich um einen glättenden Ausgleich. Ist nicht gerade Saat- und Erntezeit, repariert der Landwirt seine Gebäude. Ist die Produktion nicht voll ausgelastet, befaßt man sich mehr mit Verbesserungen. Normale Schwankungen bei der Nachfrage sind nichts, was reaktionsfähige Unternehmen in einer freien Marktwirtschaft bedrohen könnte. Das ist wie ein Schnupfen oder ein Beinbruch: unangenehm, aber durch die Selbstheilungskräfte beherrschbar. Da bedarf es keines Staates. Kommt es dicker, kann der Staat mal reagieren. Aber das eigentliche Krebsgeschwür, das jede Wirtschaft langfristig nieder ringt, die imense Akkumulation von Vermögen auf der einen Seite und die in gleicher Höhe imense Verschuldung von Privatpersonen, Unternehmen und Staaten auf der anderen Seite, führt zu einer Art von Krise, die den Rahmen der kleinen Schwankungen sprengt. Die damit verbundenen Probleme sind für die Haushalte und Unternehmen unlösbar, weil ihre Hauptursache im Verhalten der Staaten und deren Wirtschaftsordnung liegt. Reden wir also vom kapitalistischen Krisenzyklus, den großen Zusammenbrüchen am Ende einer hochgeschaukelten Überschuldung der wichtigsten Akteure zu denen mit Sicherheit die Staaten gehören, dann ist es geradezu ein Witz der auf Schulden basierten „antizyklischen Fiskalpolitik“ irgendeine positive Wirkung zuzuschreiben, denn sie ist die Hauptschuldige am finalen großen Knall, der einsetzenden Überschuldung ohne absichernden Gegenwert im Zuge fragwürdiger Kriseninterventionen.

Lieber Ven3xx,

leider lese ich deine Anfrage erst jetzt. Zunächst mein Rat, mal in ein Lehrbuch
der Makroökonomie zu sehen und dort unter dem Stichwort Keynes nachzulesen,
worum es geht und welche weiteren Kritikpunkte es an der antizyklischen
Fiskalpolitik gibt.

Die Antworten hast du unten an sich schon selbst geliefert. Durch die time lags
bspw. verstärken ursprünglich antizyklisch gedachte Maßnahmen die
konjunkturelle Entwicklung (Bsp.: Staat möchte zur Ankurbelung in einer
Rezessionsphase via höherer Haushaltsausgaben die Autoindustrie unterstützen,
indem er neue Autos für die Polizei ordert. Diese müssen jedoch erst produziert
werden und das Ganze verzögert sich, so dass die Maßnahme erst zum Tragen
kommt, wenn eigentlich schon wieder ein leichter Aufschwung begonnen hat -
jetzt heizt die Maßnahme des Staates die Konjunktur noch zusätzlich an.).

Was Steuersenkungen in der Rezession betrifft, so hast du auch diesen Punkt
selbst beantwortet. Eine Steuersenkung führt dazu, dass dem Steuerzahler netto
mehr Geld vom Einkommen übrig bleibt. Dieses Mehr an Geld, so die Vorstellung
der Keynesianer, müsste dazu beitragen, dass die Binnennachfrage steigt. Aber
das muss nicht so sein. Jemand, der in einer Rezessionsphase plötzlich mehr
Netto vom Brutto übrig hat, wird dieses Mehr an Geld nicht zwangsläufig zu 100%
für Konsum aufwenden, sondern aus Sicherheitsgründen womöglich zu einem
großen Teil für schlechtere Zeiten sparen, statt es auszugeben, so dass die
Steuersenkung die Sparquote erhöhen kann und nicht aus der Rezession führt.

Viele Grüße,
Tina