Formen von Kritikunfähigkeit
Hi To-i,
Kritikunfähigkeit ist doch im Grunde, wenn
a) empfangene Kritik nicht als solche (fruchtbare, helfende, konstruktive oder eben auch mal tadelnde) verstanden wird, sondern als persönlicher Angriff, als Vernichtungsfeldzug, als Herabschätzung usw.
stimmt schon, vor allem wird sie als Liebesverlust erlebt. In extremen Versionen sogar panisch. Das ist die „passive“ Kritikunfähigkeit. Wichtiger aber ist, wie sie sich im dialogischen Verhalten äußert. Und diese Reaktionsformen sind sehr vielgestaltig. Um nur einige aufzuzählen:
a1) Es wird als Unverschämtheit, Grenzüberschreitung des Gegenübers aufgefaßt und in Folge wird die Beziehung beendet, manchmal schlagartig.
a2) Es gibt eine Gesprächverweigerung. Man reagert mit (ggf. eisigem) Schweigen, tut dann so, als wäre nichts oder läuft mit gekränkter Miene herum, um Druck auszuüben, Schuldgefühle im Kritiker zu erzeugen und somit die Machtposition zu stärken.
a3) Man begreift es überhaupt nicht, was der andere meint, fragt aber auch nicht zurück - könnte ja irgendwas dabei herauskommen, das das Selbstbild ruiniert. Vermeidung von Schamgefühlen.
a4) Man erkennt bestenfalls, daß der andere etwas auf dem Herzen hat, dessen Ursache man ist - und verfällt in endlose Selbstvorwürfe, Zerknirschung, Schuldgefühle oder ergeht sich in stereotypen Entschuldigungskaskaden, ohne daß sich etwas verändert.
a5) Es gibt unverzüglich eine Racheaktion: Bei jeder noch so leisen Kritik wird mit massiver Aggression reagiert, und zwar in der Regel weit unter der Gürtellinie, und nicht mehr sachbezogen, sondern personbezogen. Dieses Verhalten ist vorzüglich hier im Forum zu beobachten.
Dasselbe gilt für die „aktive“ Kritikunfähigkeit
b) die Fähigkeit nicht vorhanden ist, anderseits Kritik an anderen zu äußern, im Spektrum der Rosaroten Brille über die Menschen und Dinge habend, bis hin zum Aussitzen von Problemen und dem Verdrängen und Nachtsausschwitzen von Konflikten.
Auch sie hat ein weites Spektrum von Formen, in denen sie sich zeigt. Die meisten davon sind perpekte komplementäre Reaktion, s.h. solche, die zu unter „a“ aufgezählten passen wie Schlüssel auf Schloß und dadurch eine Verhaltenskorrektur systematisch verhindern:
b1) Angst, jemanden zu verletzen, egal wie erheblich der Anlaß der Kritik eigentlich ist: abwertend, ignorierend, lieblos, aggressiv, einengend, verweigernd usw. usw.
b2) Angst vor Revanche und entsprechend verletzender Gegenwehr.
b3) falsch verstandener Respekt vor dem als Autoritätsperson oder Autoritätsinstanz aufgefaßten Gegenüber, das ebendaher Immunität genießt.
Die Folge aller dieser drei Formen ist, wie du sagst, Aussitzen, Leiden, Dulden, Sich-Zurücknehmen, In-sich-Hineinfressen oder sogar penetrantes Entschuldigen und Weg-Erklären der kritikwürdigen Verhaltenweise des anderen.
Dies paßt vor allem in die sog., „dependente“ (abhängige) Persönlichkeit(sstörung).
b4) Eine ganz andere Kritikunfähigkeit liegt vor, wenn kritikwürdiges Verhalten eines anderen mit dem verbalen Baseballschläger kommentiert wird, ungeachtet der Voraussetzungen (Alter, Erfahrung usw.) der kritisierten Person. Hier wird die Schwäche des anderen als günstige Gelegenheit benutzt, um eigene, uneingestandene Unsicherheiten durch Selbsterhöhung zu überspielen (vor sich selbst).
Das wiederum paßt eher zur sog. „passiv-aggressiven“ (alias „selbstunsicheren“) Persönlichkeit(sstörung).
Woher kommt denn so eine Eigenschaft? Ist der Grundstein auch frühkindlich
Es wäre falsch, solches Verhalten vorschnell (und immer) einer Persönlichkeitstörung zuzuordnen und damit der „frühen Störung“ in die Schuhe zu schieben. Insbesondere paßt das nicht immer plakativ zu einer narzißtischen PS, bei Borderline tritt es viel häufiger und auch charakteristischer auf. Das führt nur zu Verstärkungen, Einbetonierungen und Selbstrechtfertigungen („ich weiß ja, daß es nicht therapierbar ist, also kann ich nichts dafür“).
So etwas ist ein „Verhalten“ - somit ein erlerntes, und somit ist es auch ein ver lernbares. Fast immer nämlich hängt es nicht an einer PS, sondern ist ein Produkt der schon früh abgeguckten und dann assimilierten Familiensprache, der Form dialogischen Verhaltens im engeren Einzugsgebiet, in dem Verhalten erlernt wird.
Gruß
Metapher
(Wir Indianer kritisieren immer konstruktiv, mit Pfeil und Bogen)
Und wie und mit was reagieren Indianer umgekehrt auf Kritik?