Kritikunfähigkeit

Hi, Tychi, ich beeile mich, Folgendes richtig zu stellen:

Ja, das stimmt. Ich bekomme manchmal beinahe einen Blackout,
wenn ich am Ende eines Staues stehe und im Rückspiegel
beobachte, wie ein LKW herannaht. Dann läuft der Film vom
übernächtigen Fahrer, der ohne Pause seit gestern abend um 7
von Bukarest nach Kopenhagen unterwegs ist… das ist ein
Beispiel aus einem anderen Bereich als dem
Zwischenmenschlichen, ich weiß.

Aber trotzdem ist es doch interessant, dass du so heftige
Angst bekommst und andere nicht. Auch hier muss man die
Erklärung in deinem Charakter und deinen Erfahrungen suchen.
Der Grad an Ängstlichkeit ist von Mensch zu Mensch verschieden
und ist zum großen Teil genetisch bestimmt.

Ich bin kein allzu überängstlicher Mensch. Als gewesener Teilnehmer einer Endstaukarambolage, in der die Kinder in dem Auto hinter mir, was auf meines drauf geschoben wurde, schwer verletzt wurden, bereitet es mir schon ungute Gefühle, im Rückspiegel einen LKW ziemlich schnell immer größer werden zu sehen.

Dazu kommen noch die Horrorschilderungen der Medien von eingepennten LKW-Kutschern, die auf der A2 Berlin-Hannover arglose Pkws kaltverformen…

Ich überlege dann, auszusteigen, oder wechsle auf die mittlere oder linke, LKW-freie Spur, wenn das möglich ist.

To-i

Persönlichkeit und Biographie
Hi To-i,

Auch langjährige Partnerschaften führen zu Angleichungen, Assimilationen, oder auch zu Einprägungen unwillkürlicher Gegenreaktionen.

So ist es.

Ich zum Beispiel habe nicht wenige Partnerschaften gehabt, und jede prägt anders, egal wie stark oder schwach man selbst als Persönlichkeit ist.

So ist es.

Die Gefahr besteht, durch diese wiederholten Umprägungen zu vergessen, wie man selbst ist. Früher habe ich es belächelt, wenn ich z.B. im TV hörte, dass jemand „sich selbst finden müsse“, heute aber kann ich mir was darunter vorstellen.

Dieses „wie man selbst ist“ ist möglicherweise eine Illusion, die unserer Kultur eigentümlich ist. Fast alle Komödien von Shakespeare haben diesen Hintergrund: Wir tragen immer Masken, und wenn die Maske entlarvt ist, dann steht dahinter eine weitere Maske. Ein „wie man wirklich ist“ würde heißen, Person ohne jegliche Wechselwirkung, ohne jeglichen Außenbezug, ohne jeglichen Austausch. Auch in der Vergangenheit. Das aber wäre die fatalste „Persönlichkeitsstörung“, die nur denkbar ist.

Wir sind immer der Spiegel unserer Wechselbeziehungen, auch des Wechsels unserer Beziehungen. Eine interaktionsfreie Persönlichkeit gibt es nicht.

Euripides: „Jeder gleicht der Gesellschaft, mit der er sich umgibt“
/t/sprichwort-ursprung/4885459/6

Diese unwillkürlichen Gegenreaktionen sind insofern problematisch, weil nicht jedes Gegenüber damit etwas anfangen kann, sich zusammenreimen, wieso z.B. ich mich so oder so verhalte.

Deshalb ist es in Beziehungen bzw. Lebensgemeinschaften so bedeutsam, daß man wechselweise auch möglichzst viel aus seinem bisherigen Leben und Erleben austauscht.

Ein Grund auch, warum die hier erwähnte Computeranalogie für den Müll ist. Ein Computer, der etwa gebraucht gekauft ist, ist nicht durch die Emails, Chatprotokolle, Texte „geprägt“, die der Vorgänger gespeichert hatte. „format C:“ macht tabula rasa. Das gibt es bei einem Menschen nicht.

Ich bin der Auffassung, dass die Ursachen unserer meisten Verhaltensweisen ab dem bewusst erlebten Kindesalter gesetzt werden.

Dem hast du ja oben gerade selbst widersprochen. Alle vorhergehenden Erlebnisse färben die aktuelle Persönlichkeit.

Metapher, ich bin Techniker. Ich möchte daher genau wissen, wie solche Prägungen technisch funktionieren. Wie wirken sie in welchen Gehirnregionen?
Wie funktionieren frühkindliche, oder gar pränatale Prägungen technisch?

Mit „technisch“ meinst du „hirnühysiologisch“.

Die Computeranalogie gilt in den Neurowissenschaften ebenso wie in der Gedächtnisforschung und in der Lernpsychologie als überholt. Sie hat bestenfalls einen ganz groben, bloß anschaulich sein sollenden metaphorischen Erklärungswert, etwa wie die Kugelmodelle der Atome in der Chemie.

Allerdings haben die letzten 10-15 Jahre erhebliche Fortschritte in den o.g. Wissenschaften gebracht. Insbesondere ist die Erforschung der Bedeutung von Spiegelneuronen hochaktuell
http://de.wikipedia.org/wiki/Spiegelneuronen

Wir lasen in einem anderen Artikel, dass jemand an Verlustangst leiden kann, wenn ein Zwillingsgeschwister bei der Geburt stirbt. Es kann sich doch niemand daran erinnern?

In der Gedächtnisforschung unterscheidet man zwischen einem „extrinsischen“ Gedächtnis (filmartige, „äußere“ Erinnerung an Szenen, in denen man u.a. auch selbst eine Rolle spielt) und einem „intrinsischen“ Gedächtnis, das vor allem Gefühle speichert, das sich selten in Bildern zeigt, aber manchmal sehr wohl in den o.g. „Triggersituationen“ in Form von Reaktionen auswirken kann, deren Gründe uns nicht unmittelbar bewußt sind.

Dieses Letztere „enthält“ auch Erinnerungen an frühkindliche, ebenso wie spätere verdrängte Erlebensformen. Sie werden wirksam - wieder eine bloße Analogie - wie submarine Meeresströmungen, die an der Wasseroberfläche nicht erkennbar sind.


Nicht komisch. Es paßt zu dem, was ich unter den Folgen von b1, b2 und b3 beschrieb :smile:

Moment mal. B2 und B3 bin ich nicht! Das lass ich mir nicht bieten. Diesen Vorwurf weise ich auf das Schärfste zurück! :wink:)

Keine Sorge, du Ärmster, es waren ja nur die Folgen dier dreie gemeint: „Aussitzen, Leiden, Dulden, Sich-Zurücknehmen, In-sich-Hineinfressen“ :smile:

Gruß
Metapher

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Hi Metapher,

Ein Grund auch, warum die hier erwähnte Computeranalogie für
den Müll ist.

Sehr charmant formuliert. Falle ich jetzt in eine deiner Kategorien von fehlender passiver Kritikfähigkeit, wenn ich mich ein wenig verletzt fühle?

Ein Computer, der etwa gebraucht gekauft ist,
ist nicht durch die Emails, Chatprotokolle, Texte „geprägt“,
die der Vorgänger gespeichert hatte. „format C:“ macht tabula
rasa. Das gibt es bei einem Menschen nicht.

Man kann jede Analogie überstrapazieren und sie dann ganz verwerfen, obwohl sie durchaus einen Geltungsbereich hat.

Tychi

sorry :wink:
Werter Tychi,

Ein Grund auch, warum die hier erwähnte Computeranalogie für den Müll ist.

Sehr charmant formuliert. Falle ich jetzt in eine deiner Kategorien von fehlender passiver Kritikfähigkeit, wenn ich mich ein wenig verletzt fühle?

Ach herrje, das tut mir leid. Und ich nehme die darin enthaltene Kritik vice versa an meinem Ausdruck gerne an, nehme sie mir zu Herzen und verarbeite sie, um Wiederholungen zu vermeiden :wink:

Es warst ja auch gar nicht du persönlich gemeint - womit ich den Vorwurf nicht mildern, sondern den Ausdruck nur erläutern möchte. Es bezog sich darauf, daß (wie weiter unten erwähnt) diese Analogie lange Jahre favorisiert wurde, sich aber als „nicht brauchbar“ (= „Müll“) erwiesen hat.

Ist das jetzt so in Ordnung? (*hoff*)

Gruß
Metapher (der hin und wieder selbst gerne Computer- und Bildschirm-Metaphern benutzt)

Hallo Metapher,

Ach herrje, das tut mir leid. Und ich nehme die darin
enthaltene Kritik vice versa an meinem Ausdruck gerne an,
nehme sie mir zu Herzen und verarbeite sie, um Wiederholungen
zu vermeiden :wink:

Ich nehme deine Entschuldigung gerne an.

Es warst ja auch gar nicht du persönlich gemeint - womit ich
den Vorwurf nicht mildern, sondern den Ausdruck nur erläutern
möchte. Es bezog sich darauf, daß (wie weiter unten erwähnt)
diese Analogie lange Jahre favorisiert wurde, sich aber als
„nicht brauchbar“ (= „Müll“) erwiesen hat.

Ich wüsste jetzt natürlich gerne im Detail, inwiefern der Mensch oder die Psyche nicht mit einem Computer verglichen werden können und was man heute stattdessen zur Veranschaulichung nutzt.
Hast du einen Link oder hast du Zeit und Wissen, es selbst zu erklären?

Tychi

brauchbare Metaphern

Ich wüsste jetzt natürlich gerne im Detail, inwiefern der Mensch oder die Psyche nicht mit einem Computer verglichen werden können

Vergleichen kann man viel. Aber Metaphern müssen auch Sinn machen. Wäre es nicht auch müßig „im Detail“ erklären zu wollen, warum man nicht aus Knetgummi eine lebende Libelle nachbilden kann? Auch dein Beispiel mit dem Bildschirm ist als Metapher sicher geeignet, um das eine oder andere Bewußtseinsphänomen anschaulich zu machen, aber es erklärt ja nicht, wie das Gehirn es tatsächlich macht. Mit einem Windows-window kann man ja auch nicht erklären, wie Machinensprache oder ein Prozessor funktioniert.

und was man heute stattdessen zur Veranschaulichung nutzt.

Es ging To-i ja nicht um Anschaulichkeit, sondern um die heutigen neurophysiologischen Erklärungen von „Prägungen“ bzw. Gedächtnisfunktionen, und nicht um geeignete Metaphern für populäre Vorstellungen. Aber diese Erklärungen darzustellen, fehlt es mir an Fachwissen und an Kompetenz.

Einstiege findet man z.B. hier:
http://de.wikipedia.org/wiki/Ged%C3%A4chtnis
http://de.wikipedia.org/wiki/Lernpsychologie

Schöne Grüße
Metapher

ähm *räusper

Es ging To-i ja nicht um Anschaulichkeit, sondern um die
heutigen neurophysiologischen Erklärungen von
„Prägungen“ bzw. Gedächtnisfunktionen, und nicht um geeignete
Metaphern für populäre Vorstellungen. Aber diese Erklärungen
darzustellen, fehlt es mir an Fachwissen und an Kompetenz.

Es ging mir doch um eine anschauliche Erklärung, die sich für einen Laien auf diesem Gebiet, wie mich, nachvollziehen lässt.

Bei Sendung mit der Maus erklärt zu bekommen, wie ein Ottomotor oder ein Telegraphenamt funktionieren, heißt auch, sich Vergleichen auszusetzen, die hie oder da hinken können. Und am Ende muss es für meinen Hausgebrauch reichen.

Also streitet euch bitte nicht. Ihr habt beide Recht :smile:

Habe gesprochen
To-i

Literatur

Allerdings haben die letzten 10-15 Jahre erhebliche
Fortschritte in den o.g. Wissenschaften gebracht. Insbesondere
ist die Erforschung der Bedeutung von Spiegelneuronen
hochaktuell
http://de.wikipedia.org/wiki/Spiegelneuronen

Darüber schreibt Joachim Bauer auch in „Warum ich fühle was du fühlst“
ISBN 3453615018 Buch anschauen

Gruß
Miriam

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