homunculus
Hi Meteor
Es ist hier genau wie bei manchen Fragen, die im Physik-Brett diskutiert wurden (z.B. Antigravitation usw.): Auf der Grundlage der Voraussetzung „wenn man könnte, was man nicht kann, könnte man dann nicht auch…?“ kann man allerlei interessante Denksportaufgaben erfinden (wie eben dort, wenn z.B. manche Naturgesetze nicht gelten würden). Nur - man kommt damit nie zu einer Lösung, weil man bei der Voraussetzung irgendeine (z.B. formallogische oder kausale) Bedingung wegphantasiert hat, und daher in beliebigen und willkürlichen Gedanken schwelgt.
Ebenso beliebig vielfältig sind daher auch die Antwortvorschläge.
Zunächst einmal: Die Forschungen in dem Gebiet KI beschäftigen sich vorwiegend mit den Möglichkeiten der Automatisierung von Bewertungs-, Beurteilungs- und Entscheidungsstrategien (Algorithmen für Schachprogramme sind z.B. ein Ergebnis davon). Auch die Bionik und Robotik (Automatische Steuerung komplexer Bewegungsabläufe) zehrt davon.
Sie beschäftigen sich aber nicht mit Fragen des „Bewußtseins“ und schon gar nicht des „Selbstbewußtseins“.
Das tun vielmehr Forschungen auf dem Gebiet der Neurophysiologie - und das nur vorgeblich, nicht wirklich.
Die Fragen unter dem Thema NCC (Neuronal Correlates of Consciousness - Neuronale Korrelation zum Bewußtsein) machen den Eindruck (vorwiegend aus Gründen der Forschungsfinanzierung), daß sie sich mit dem beschäftigen, wonach du ja fragst, aber wenn man genauer untersucht, was in diesen Gebieten jeweils unter „Bewußtsein“ verstanden wird, dann kommt man zu erstaunlichen Ergebnissen, die mit dem was in Philosophie und Psychologie in dieser Richtung je erfassen wurde, nicht die Bohne zu tun hat.
Es spielt sich gerade mal auf dem Niveau z.B. der Bild(wieder)erkennung ab, auch wenn hier manche spektakuläre Entdeckung aufzuweisen ist:
http://idw-online.de/public/zeige_pm.html?pmid=29496
(in diesem Link sieht man, wie die Propaganda arbeitet: sie nennen das Erforschte „Selbstbewußtsein“, obwohl Selbstbewußtsein mit einer bloßen Selbstbezüglicheit der Objekterkennung gar nichts zu tun hat!)
Wir sind weit davon entfernt, tatsächlich ein so phantasievolles Ziel anzustreben wie eine Maschine, der man so etwas zuordnen könnte, was wir im psychologischen oder philosophischen Sinne „Bewußtsein“ nennen. Nach unseren Nachforschungen liegt das einfach daran, daß die Neurophysiologie, die ja mit naturwissenschaftlichen Methoden und Fragestellungen arbeitet, gar keine Chance hat, sich auf den Stand zu versetzen, was in Psychologie und Philosophie teils seit Jahrhunderten zu diesem Gegenstand „Bewußtsein“ erkannt wurde - schlicht, weil sie meint, das naturwissenschaftlich besser in den Griff kriegen zu können. Nur: „Bewußtsein“ ist gar kein naturwissenschaftlicher Begriff! Die Vorgabe, man versuche den Geheimnissen des Selbstbewußtseins mit Kalkülen und Algorithmen und neuronalen Netzen auf den Grund gehen zu wollen, sind (bis heute!) entweder bewußt kalkulierte Wissenschafts-Märchen oder schlicht Selbsttäuschungen, die man manchen Neurophysiologen durchaus unterstellen darf.
Daß das Problem überhaupt nicht in einer Optimierung des Rationalen zufinden, das zeigen dann auch solche genialen Sci-Fi-Literaturen, wie z.B. Stanislav Lems Abenteuer des Piloten Pirx: Dieser hatte z.B. die Aufgabe, mit einer Gruppe von Astronauten eine interstellare Forschungsreise durchzuführen. Der Haken: einige der Astronauten waren „künstliche“ Menschen, andere „natürliche“. Und er sollte herausfinden, ob er Kriterien der Unterscheidung finden könne. Die Geschichte ist insofern spannend, als alle Astronauten dem Pirx in Dialogen zu beweisen versuchten, daß sie „echte“ Menschen seien. Die Entscheidung fiel dann in einer gefährlichen Situation, die mit bloß rationalen Kriterien (die die Kunstmenschen besser beherrschten) zum Scheitern geführt hätte…
Ähnliches zeigt auch die Geschichte der Mythen vom „homunculus“ (des künstlichen Menschen): So bekam der Bildhauer Pygmalion von Aphrodite (die gerührt war von seiner Verehrung) die Gnade, seine elfenbeinerne Galatea so lebensecht zu gestalten, daß man sie nicht von einer lebenden Frau unterscheiden konnte. Galatea hatte nur eine kleine Macke: Sie konnte nicht lieben! (metaphorisch: ihre Lippen waren kalt). Sie konnte es erst, als Aphrodite sich selbst in diese lebensechte Statue hineinversetzte.
Und dies könnte das Geheimnis des menschlichen „Bewußtseins“ sein, das man schon in uralten Zeiten viel besser (intuitiv) begriff, als manche Naturwissenschaftler heute: Die Rationalität, die ratio, den Verstand, kann der Mensch zweifellos in eine technische Reproduktion seiner selbst hineinverpflanzen (da ist jede Zukunftsvision sinnvoll), aber die Erkenntnis dabei wird sein: Der Verstand unddie technische und diekünstlerische Perfektion ist gar nicht das entscheidende Kriterium, das den Menschen von jedem anderen Artefakt oder Lebewesen untersscheidet…: Das Enstscheidende am Menschen kommt immer woanders her, als aus der Natur selbst. So auch der Mythos des israelitischen Schöpfergottes: Er „schafft“ denMenschen aus Erde (= aus der Natur), aber den „Geist“ haucht er ihm direkt ein - dieser kommt also von irgendwie „außen“ in den Menschen, nicht aus seiner perfektionierten Natur.
Was wir also - wenn es auch ein schmerzlicher Prozess werden wird - aus den zukünftigen Techiken (die ja allemal menschliche Künste sind!) lernen werden müssen:
Die neuronale oder die gentechnische Optimierung wird zu Wesen oder Objekten führen, die in irgendeiner Hinsicht den Menschen selbst in die Ecke stellen werden: Sie werden „intelligenter“ sein - aber nicht „weiser“, und sie werden körperlich optimaler sein, schöner (immerhin ja menschliche Kriterien!) - aber sie werden nicht besser lieben können.
Das heißt: der Mensch wird sich selbst in die Zwangslage bringen, einsehen zu müssen, daß Rationalität und Intelligenz, körperliche Perfektion und Schönheit, nicht diejenigen Merkmale sind, die ihn zum Menschen machen - und ihn von jedweglichem anderen unterscheiden.
Gruß
Metapher