Kunst in der Orthodoxie

Hallo Kunstfreunde,

ich fange an, mich mit der Kunst, insbesondere der Malerei, in der Orthodoxie (ich meine Byzanz, Russland, Griechenland usw.) zu beschäftigen. Schwerpunkt Mittelalter ab Ikonoklaste. Meine bisherige Ausbeute ist aber sehr enttäuschend: Ikonen nach einheitlichem Muster wohin man blickt. Aber keine Auseinandersetzungen mit der Perspektive, Farbe usw. Motive: Heiligenbilder und Szenen aus den Evangelien, schüchterne Andeutung von Himmel und Hölle, aber keine Darstellung von Tod, Liebe, Krieg, Stilleben u.a. Impressionismus und Expressionismus fand wohl auch nicht statt?!
Sehe ich das richtig, oder habe ich bisher nur in den falschen Veröffentlichungen nachgeschaut? Was hat denn die Malerei in den orthodoxen Ländern so „einfrieren“ lassen? Bildhauerei gab es wohl auch nicht?!

Bitte gebt mir Nachhilfe!

Danke Wolfgang D.

Hallo Wolfgang

Ikonen nach einheitlichem Muster wohin man
blickt. Aber keine Auseinandersetzungen mit …

Da gehst du mit abendländisch-säkularen Kriterien an
etws heran, was nicht einmal die Absicht hat, Kunst zu
sein!
Die Ikone ist ein «heiliges Bild», das seine Funktion
in der Kirche, in der Liturgie und im Gefühls- und
Glaubensleben der einzelnen Gläubigen hat.
Dass es darüber hinaus unseren nach Kunsterlebnis
dürstenden Augen Genuss oder Anregung bieten könnte,
ist nicht vorgesehen!
Der Ikonenmaler ist im Normalfall (oder wenigstens im
Idealfall) ein frommer Mönch, der sich mit seiner
Malerei weder profilieren noch selbstverwirklichen
will. Er erfüllt einfach seine Aufgabe, wie der Bruder
in der Küche.
Wenn einzelne aus der Masse stilbildend und vorbildlich
hervortreten, dann ist das eine Ausnahme.
Ikonen werden nach unserem Kunstverständnis «kopiert» –
nach orthodoxem Verständnis ist das die korrekte und
demütige Weitergabe eines Erbes.

Lies Rilkes Stundenbuch vom mönchischen Leben:

Wir dürfen dich nicht eigenmächtig malen,
du Dämmernde, aus der der Morgen stieg.
Wir holen aus den alten Farbenschalen
die gleichen Striche und die gleichen Strahlen,
mit denen dich der Heilige verschwieg.

Grüsse
Rolf
(der bei ikonenmalenden Nonnen das Vergolden gelernt
hat)

Hallo Rolf!

Was Du schreibst ist nachvollziehbar. Demnach gab es also neben der sakralen Kunst in der orthodoxen Welt keine profane Parallelkultur analog der abendländischen Malerei?

Gruß
Wolfgang D.
(Bewunderer von Ikonen und griech. sakraler Kunst, aber auf der Suche nach Mehr!)

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[MOD] Vollzitat entfernt. B. FAQ:29

Hallo Wolfgang

Demnach gab es also neben der sakralen
Kunst in der orthodoxen Welt keine profane
Parallelkultur analog der abendländischen Malerei?

Das kann ich mir kaum vorstellen, zumal ja z.B.
Architektur überall vonnöten ist, wo man nicht draussen
im Regen stehen will.
Aber ehrlich gesagt: darüber weiss ich nun zu wenig, um
dir kompetente Hinweise geben zu können.
Hoffen wir auf andere Experten hier!

Freundliche Grüsse
Rolf

Hallo Wolfgang,

deine Vermutungen sind schon richtig. Und dazu

Bildhauerei gab es wohl auch nicht?!

noch ein Zitat nach Heinrich Lützeler „Weltgeschichte der Kunst“:

„Begnadete Künstler ließen durch die Macht der Form selbst das schier Unmögliche möglich erscheinen: daß die Kunst sich von Natur und Welt lösen und schon hier und heute zu einem verklärten Sein gelangen könne. Dieses Ziel erklärt ihre auffallende Abneigung gegen die „grobsinnliche“ Plastik, die bereits vor dem Bilderstreit aus der byzantinischen Kunst gänzlich verschwand, obwohl sie nicht ausdrücklich verboten war. Die dem Tastsinn entzogene, unstofflichere Malerei war den Künstlern gemäßer zur Vergegenwärtigung übersinnlichen Lebens. … Beim Prozeß der Entweltlichung und Verklärung waren ihnen zwei Techniken besonders willkommen, die zwangsweise zu einer abstrakten Darstellung führen: Zellenschmelz und Mosaik. …“

Freundliche Grüße
rotmarder