Lache, Germane !

Ich weiß, ich soll ja keine Volltextartikel mehr hier posten, aber dieser ist einfach zu gut und lustig um ignoriert zu werden *g*.

Lache, Germane, und kaufe

Lache, Leser, tanze und singe, linksrum und rechtsrum, frohlocke und springe, und frag nicht, warum. Denn du wirst es sowieso nicht glauben. Doch es ist wahr! Es stand in der deutschen „Financial Times“ und war die letzte Amtshandlung von deren scheidendem Chefredakteur Andrew Gowers. Was tut ein solch Gewaltiger der Medienwelt an seinem letzten Arbeitstag? Er schreibt - natürlich. Aber was? Einen feurigen Leitartikel, einen bissigen Kommentar, einen fulminanten Rückblick, eine ätzende Philippika, eine ehrliche Selbstkritik? Nein, einen offenen Brief. An den Bundeskanzler. Auch nicht schlecht, wirst du, Leser, murmeln und dich fragen, was das denn nun mit der ersten Zeile dieser Glosse zu tun hat: Lache, Leser! Und du wirst nicht lachen, sondern stocken: Jetzt duzt mich der Kerl von der Zeitung auch noch. O tempora, o mores! Doch die Zeiten sind danach, daß die Sitten sich ändern, denn von 2003 an wird das Siezen verboten, und wir wollen nicht anstehen - fortschrittlich, wie diese Zeitung traditionell ist -, mit gutem Beispiel voranzugehen. Also beruhige dich, Leser, diese Glosse ist zu deinem Besten. Woher wir das wissen? Aus dem offenen Brief von Mr. Gowers selbstverständlich. Er schlägt dem Kanzler mehreres vor. Zunächst ein Drei-Punkte-Programm, und dessen letzter ist das Verbot des Siezens. (Die beiden anderen sind die Abschaffung des Ladenschlußgesetzes und das Verbot des Krawattentragens in Behörden und Ministerien.) Cui bono? Lieber Leser, du fragst immer so keck: Der Wirtschaft nützt es, wem denn sonst? Der Vorschlag steht doch in der „Financial Times“. Mr. Gowers hat nämlich während seiner dreijährigen Deutschland-Expedition etwas festgestellt. „Ihre Mitbürger und Mitbürgerinnen“ (ja, Mr. Gowers hat viel gelernt in diesen drei Jahren), schreibt er dem Kanzler, „sind derzeit nicht sehr glücklich.“ Mißmut aber erfreut das Herz des Chefredakteurs nicht: „Lächeln ist gesund, Nichtlächeln ungesund. Wenn Leute nicht lächeln, bremsen sie sich zumeist bei anderen gesunden oder lustigen Dingen - wie beim Investieren, beim Einkaufen oder ganz allgemein beim Geldausgeben.“ Originelles Völkchen, diese Briten, was die so unter Spaß verstehen. Also abermals: Lache, Leser! Vergiß die alten Lehren aus dem Wirtschaftskundeunterricht. Jedes Angebot schafft sich seine Nachfrage? Nonsens, jedes Kichern schafft es besser. Bedeutung der Preiselastizität für den Absatz? Pah, entscheidend ist die Mundwinkelelastizität. In der Inflationsfalle à la Keynes? Immer nur lächeln, immer vergnügt, dann zieht man sich am eigenen Gelächter wieder raus. Gowers nennt dieses Maßnahmenpaket das „Bundeskanzler-Don’t-worry-be-happy-Programm“ oder auch „Wirtschaftswachstum durch Happy Shopping“. Du sitzt noch, Leser? Läufst nicht schon prustend zum nächsten Supermarkt? Dann hat das Programm wohl seine Tücken, denn mehr Grund zum Lachen wird nimmermehr sein. Im Jahr 2003, wenn der Kanzler auf den Rat des Weisen gehört haben wird und krawattenlos und kumpelhaft das Land regiert, ist Mr. Gowers schon weit, und wir - du, Leser, und ich - werden eine stille Träne für ihn vergießen, daß er das nicht mehr erleben darf. Und dann werden wir sofort einkaufen gehen. Noch nie was vom deutschen Wort „Frustkauf“ gehört, der gute Mr. Gowers.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.08.2001, Nr. 198 / Seite 41

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selten so wirtschaftfördernd geschmunzelt!
Grüße
Raimund