Ladungstrennung: Lädt sich ein Stoff beim Reiben elektrisch positiv oder negativ auf?

Liebe/-r Experte/-in,

Wir (Kantonale Maturitätsschule) behandeln zur Zeit in der Physik die Elektrostatik.

Wie lässt sich erklären, dass sich PVC beim Reiben mit einem Katzenfell negativ auflädt, ein Glasstab hingegen positiv beim Reiben mit einem Seidentuch?

Ich habe mir Gedanken gemacht, woher die Affinität Elektronen anzuziehen wohl kommen könnte. Eventuell ist bei der Ladungstrennung zu beachten, welcher Stoff chemisch betrachtet ein höheres Bedürfnis hat Elektronen an sich zu ziehen. Ich frage mich zudem, ob die zusätzliche elektr. negative Ladung beim PVC und beim Seidentuch in die Elektronenwolke aufgenommen wurde oder frei delokalisiert herumschwirrt.

Ich freue mich auf Ihre Antwort.

Daniel

Hallo Daniel,
Deine Vermutung ist ganz richtig, die Ladungstrennung ist abhängig von der Elektronenaffinität der beiden Stoffe: Höhere Elektroneneaffinität bedeutet, der Stoff nimmt Elektronen auf, wird also negativ aufgeladen (der andere entsprechend positiv).
Eine kleine Liste (von geringer zu hoher Elektronenaffinität ansteigend): Glas - Wolle - Fell - Seide - Baumwolle - Polyester - PVC; diese Reihe ist aber abhängig von Feuchtigkeit, Temperatur und Verunreinigungen.
Die aufgenommenen Elektronen bilden nur sehr schwache Bindungen an die positiven Protonen des Kerns und sind demnach delokalisiert.
Viel Spaß weiterhin bei der Physik
Peter Holzer

Wie kann ich von der molekularen Struktur auf die Elektronenaffinität schliessen?

Muss ich hier induktive Effekte beachten?

Daniel

Liebe/-r Experte/-in,

Hallo,

Wir (Kantonale Maturitätsschule) behandeln zur Zeit in der
Physik die Elektrostatik.

Wie lässt sich erklären, dass sich PVC beim Reiben mit einem
Katzenfell negativ auflädt, ein Glasstab hingegen positiv beim
Reiben mit einem Seidentuch?

Ich habe mir Gedanken gemacht, woher die Affinität Elektronen
anzuziehen wohl kommen könnte. Eventuell ist bei der
Ladungstrennung zu beachten, welcher Stoff chemisch betrachtet
ein höheres Bedürfnis hat Elektronen an sich zu ziehen. Ich
frage mich zudem, ob die zusätzliche elektr. negative Ladung
beim PVC und beim Seidentuch in die Elektronenwolke
aufgenommen wurde oder frei delokalisiert herumschwirrt.

Ich freue mich auf Ihre Antwort.

Ich fürchte, ich muss Dich enttäuschen. Mit solch angewandten Sachen kenne ich mich nicht aus. :wink:

Daniel

Grüße, Christoph

Hi Daniel, eine interessante Frage! Sie setzt ja auch schon eine Menge Wissen voraus, um sie stellen zu können. Hier nun meine Antwort.
Als erstes muss ich ein wenig ausholen. Alle uns umgebenden Stoffe / Materialien sind wie Du weißt aus Atomen aufgebaut. Ja, manchmal ist deren kleinster Baustein ein Molekül, aber das ist ja auch aus Atomen zusammengesetzt. Atome haben einen Kern, der aus den positiv geladenen Protonen und den neutralen Neutronen besteht, und der sogenannten „Elektronenhülle“. Im klassischen Verständnis „kreisen die Elektronen auf bestimmten Bahnen um diesen Kern“. Auf das Dualitätsprinzip will ich hier nicht eingehen, es würde zu weit ab führen und ist für die Erklärung eher erschwerend (man kann ein Elektron einerseits als Teilchen verstehen, andererseits auch als Welle. Je nach der beobachteten Erscheinung ist mal das eine odere das andere sinnvoll oder hilfreich). Wenn man sich das jetzt mal mechanisch vorstellen würde, dann müsste das „Elektronenkügelchen“ mit einer solchen Geschwindigkeit um den Kern kreisen, dass die Radialkraft FR = m*v²/R gerade so groß ist wie die elektrische Anziehungskraft (Colounbkraft) ist:
FC = Q1*Q2/(4*Pi*R²). damit wären eigentlich alle Abstände R möglich. Aber, jetzt kommt die Quantenphysik, die besagt, dass nicht alle Energiewerte für das kreiselnde Elektron zugelassen sind. So entstehen eben diese „ausgewählten Elektronenbahnen“, die nun auch wieder nur mit einer bestimmten Anzahl Elektronen besetzt sein dürfen. Je näher ein Elektron am Kern sitzt, desto „schneller“ muss es sich bewegen, d.h. desto größer ist auch seine Energie. Diese „Elektronenbahnen“ auch „Schalen genannt“, werden nun immer von innen nach außen aufgefüllt. das bedeutet, das äußerste Elektron verspürt die kleinste Anziehungskraft, die innersten die stärkste. Durch Energiezufuhr kann man jetzt so ein Elektron der Hülle entfernen, das Arom / Molekül ist dann „ionisiert“, positiv geladen, weil ja eine negative Elementarladung fehlt. Dieses „Entfernen eines Elektrons“ kann z. B. durch energiereiche elektro-magnetische Strahlung, also z.B. UV-Licht geschehen, oder eben auch durch direkten „Zusammenstoß“ mit einem anderen Teilchen.
Bei Metallen, die ja elektrisch leitfähig sind, und in ähnlicher Form auch bei Halbleitern, gibt es keine individuelle Zuordnung des Elektrons zu einem bestimmten kern. Im „summarischen Kernfeld“ können sich die Elektronen quasi frei bewegen. Das genau ist der Grund, dass es zum „Stromfluss“ kommt, wenn ich eine Kraft auf die Elektronen wirken lasse, z.B. ein elektrostatisches Feld durch Anlegen einer Spannung aufbaue.
Jetzt zurück zu Deiner Fragestellung! :smile:
wenn Du das Katzenfell am PVC-Stab bzw. mit dem Seidentuch am Glasstab, dann erzeugst Du keine ladung, Du nimmst nur eine Umverteilung vor. Strenggenommen lädt sich das Katzenfell positiv auf, weil es Elektronen an den PVC-Stab abgibt, das Seidentuch aber negativ, weil es Elektronen vom Glasstab bezieht. Wer sich wie auflädt, das hängt davon ab, welche Elektronen bei dem jeweiligen Material die kleinste Bindungsenergie haben, wo also die gerinste Energiezufuhr ausreicht, sie zu entfernen. Durch das Reiben schaffst Du einen engen Kontakt inklusive Energiezufuhr, na ja, und da wandern die Elektronen vom geringwertigsten Energiezustand in den, wo sie mit höherer Energie gebunden werden. Ein analoges Beispiel: der Stein fällt immer herunter, je näher am Erdmittelpunkt, desto größer seine potentielle Energie. Nur mit deutlich höherer Energiezufuhr (wenn Du ihn wirfst z.B. :smile:), fliegt er nach oben. Aber sofort kommt er wieder zurück!!
So, ich hoffe, ich habe mich einigermaßen verständlich ausdrücken können. Sollte noch was offen sein, frage erneut.
Ich wünsche Dir viel Erfolg beim Lernen an Deiner Maturitätsschule.
Herzlichst
Rainer

Hallo Daniel,

jeder Stoff besitzt eine für ihn spezifische Anzahl von Elektronen. Berühren sich nun zwei verschiedene Stoffe intensiv, so wandert der Elektronenüberschuss des einen Körpers in der Grenzschicht zu dem anderen Körper, der weniger Elektronen besitzt, so dass bei der Trennung der beiden Körper der eine mehr und der andere weniger Elektronen auf seiner Oberfläche besitzt als es seiner Natur entspricht. Bei Leitern kann man diesen Effekt nicht beobachten, weil in Leitern die Elektronen frei beweglich sind und bei der Trennung über die kleinste Berührung sofort wieder dahin wandern, wo sie hingehören. Bei Nichtleitern sind die Elektronen nicht frei beweglich. Sie bleiben also auf der einen Oberfläche und fehlen auf der anderen. Die eine Oberfläche ist dann negativ und die andere positiv. – Du könntest das auch mit zwei verschieden feuchten Körpern vergleichen: Wenn man sie intensiv zusammenpresst, hat die Grenzschicht dieselbe Feuchtigkeit. Trennt man nun die beiden Körper, so ist die eine Oberfläche feuchter und die andere trockener als sie vorher war!
Viele Grüße, Peter

Hallo Daniel,

das Vorzeichen der Ladung zweier aneinander geriebener Stoffe hängt meiner Meinung nach von der sog. Elektronenaffinität ab. Das ist die Energie, die nötig ist, ein Elektron aus einem negativ geladenen Ion zu lösen. Mit anderen Worten ist das genau die Energie, die frei wird, wenn ein Atom ein Elektron an sich bindet und damit zum Anion wird. Der genaue Wert dieser Energie bzw. der Elektronenaffinität hängt damit zusammen, wie viele Plätze in der äußeren Schale des jeweiligen Elektrons noch frei sind. Atome mit voll besetzen äußeren Schalen nehemn nicht gerne Elektronen auf und geben nicht gerne welche ab.

Die zusätzliche elektrische Ladung befindet sich meiner Meinung nach daher in den Elektronenwolken der Atome bzw. Moleküle des jeweiligen Stoffes und ist nicht frei delokalisiert. Aber da bin ich mir nicht ganz sicher.

Gruß
Marco

Hallo Daniel,
die Pi-Ladung an den O, S und N -Atomen z.B. (die man quantenmechanisch näherungsweise berechnen kann), bedeutet bei kleinen Werten eine gute Stabilisierung des aufgenommenen Elektrons durch mesomere Effekte und damit eine Delokalisierung desselben.
Aber auch die Bindungspolarisierbarkeit der das Elektron aufnehmenden Moleküle begünstigt eine Stabilisierung des gebildeten Anions.
In Klartext heißt das, daß möglichst gute quantenmechanische Näherungs-Rechnungen für die Molekülstruktur der beiden reibenden Partner durchgeführt werden müssen und daraus eine Aussage darüber abgeleitet werden muss, welcher Partner für die Aufnahme eines Elektrons begünstigt ist.
Grüße Peter Holzer

Sorry, aber ich war 2 Wochen in Urlaub und bin jetzt erst zurückgekommen…
zu deiner Frage:
ich nehme an du hast recht: ob ein Stoff Elektronen abgibt oder aufnimmt hängt sicher mit seiner Tendenz zusammen in chemischen Reaktionen Elektronen abzugeben, also mit seiner Elektronegativität;
allerdings könnte ich mir vorstellen, dass z.B. beim Katzenfell durchaus auch die Oberflächenstruktur und die Größe der Oberfläche eine Rolle spielt; leider kann ich im Detail dazu nichts sagen.
Was die zweite Frage betrifft: In oder auf einem Isolator, sollte die Ladung lokalisiert bleiben.

freundliche Grüße
Ralf Günther

(Trotzdem) vielen Dank für die Antwort!

Hallo Christoph

Kein Problem. Wünsche dir einen schönen Tag.

Beste Grüsse

Daniel

Hallo Peter

Ein verspätetes (?!) Dankeschön für deine kleine Liste.

Die Elektronenaffinität ist temperaturabhängig in wie weit?

Grüsse
Daniel

Hallo Rainer

Vielen Dank für deine ausführliche Antwort.

Ich (als Chemiefreak) bevorzuge das Quantemechanische Modell: die Orbitaltheorie und somit nicht das veraltete Bohrsche Atommodell.

„Je näher ein Elektron am Kern sitzt, desto „schneller“ muss es sich bewegen, d.h. desto größer ist auch seine Energie.“
Wieso muss das Elektron bei kleinerem Radius sich schneller bewegen, wenn ich beachte, dass die Kraft immer dieselbe bleibt.

  • F.zentr.=m*v^2/r => Wenn die Kraft bei kleinerem Abstand dieselbe sein sollte, dann müsste sich auch v^2 und somit v verkleinern?!

  • Ich denke die Antwort auf meine Frage ist die folgende:
    Es gilt der Energieerhaltungssatz: Wenn Epot (und somit der Radius zum Atomkern) kleiner wird muss Ekin (und somit die Geschwindigkeit) grösser werden!?

Ein analoges Beispiel: der Stein fällt immer herunter, je näher am Erdmittelpunkt, desto größer seine potentielle Energie.

  • Ist das wirklich so? Ich habe das Gefühl (Epot=mgH), dass je näher der Stein zur Erde kommt, desto kleiner Epot wird.

Ich freue mich auf eine interessante Antwort.

Daniel

Hallo Peter

Vielen Dank für deine Antwort.

„Wenn man sie intensiv zusammenpresst, hat die Grenzschicht dieselbe Feuchtigkeit. Trennt man nun die beiden Körper, so ist die eine Oberfläche feuchter und die andere trockener als sie vorher war!“
Diese Analogie gefällt mir :wink:

Beste Grüsse
Daniel

Hallo Marco

Danke für deine Antwort.

Ich bin mir auch nicht sicher, aber ich denke, dass die freien Elektronen in den Pi-Orbitalen der Atome aufgehoben sein müssten.

Grüsse
Daniel

Hallo Daniel,
da die Elektronenaffinität die durch die Aufnahme von Elektronen verbundene Enthalpie darstellt und da die Ableitung der Enthalpie nach der Temperatur die spezifische Wärme (p=const) ist, geht die Temperaturabhängigkeit der spezifischen Wärme direkt über ihre Integration in die Elektronenaffinität ein.
Gruß Peter Holzer

Hallo Peter,

dies leuchtet mir ein. Vielen Dank für deine Antwort.

Dir einen schönen Tag wünschend
Daniel