Langzeitarbeitslosigkeit – wo liegen die Schwierigkeiten ihrer Eindämmung?

Hallo,

heute hat das Kabinett ein neues Gesetz zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit beschlossen.

Das von der SPD initiierte Projekt nennt sich „sozialer Arbeitsmarkt“. Die Maßnahme solle Betroffenen die Möglichkeit geben, am Arbeitsleben und damit auch am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Die Aufnahme einer normalen Beschäftigung sei dabei das erklärte Ziel, heißt es in dem Entwurf. Weiterbildungsangebote und betriebliche Praktika für Langzeitarbeitslose sind ebenfalls Teil des Vorhabens.

Gleichzeitig veröffentlichte statista heute eine Übersicht zur Entwicklung der Langzeitarbeitslosigkeit in den letzten zehn Jahren.

Welche Faktoren machen die Verringerung der Langzeitarbeitslosigkeit selbst bei so guter Konjunkturlage so schwierig?

Gruß, Hans-Jürgen Schneider

Würdest du als Arbeitgeber jemanden einstellen, von dem du nicht weißt, wie er seine letzten 2 oder 3 Jahre (beispielsweise) verbracht hat? Der möglicherweise die ganzen Zeit hindurch nur auf dem Sofa gesessen hat? Ich eigentlich nicht.

Dann ist es wohl so, dass Arbeitslosigkeit die meisten Leute demoralisiert, und dass sie dann keinen guten Auftritt beim Bewerbungsgespräch mehr abliefern können.

Hallo,

häufig gibt es bei Langzeitarbeitslosen mehrere, im Amtsdeutsch Vermittlungshemnisse genannte, Faktoren. Dazu können gehören:

  • Körperliche Einschränkungen
  • psychische Probleme
  • mangelnde Ausbildung (bspw. kein Schulabschluss)
  • Drogenkonsum
  • mangelnde Selbstmotivation
  • mangelnde Mobilität (kein Führerschein, Wohnort im Nirgendwo, etc.)

Bei all diesen Faktoren kann die Konjunktur noch so rosig sein, es ändert sich aber an den Grundproblemen leider nichts.

Gruß,
Steve

Was weißt du über die Faktoren, die zu Langzeitarbeitlosigkeit führen? Wie kommst du zur Behauptung, die Betroffenen würden nur auf dem Sofa sitze die ganze Zeit hindurch? Wie kommst du zur Auffassung, dass diese keinen guten Auftritt beim Bewerbungsgespräch abliefern können?

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Das Grundproblem ist, dass diese Menschen häufig sehr wohl arbeiten können. Ihnen wird aber mit sehr viel Vorurteilen begegnet, wie man hier schon an den Kommentaren lesen kann.

Schwerbehinderung und chronische Erkrankungen bedürfen manchmal eine Anpassung des Arbeitsplatzes und eine besondere Einarbeitung, ggf. stufenweise. Dann können diese Menschen aber sehr wohl arbeiten, in aller Regel vollwertig.

Es gab hier mal Programme und gut qualifizierte Mitarbeiter beim Arbeitsamt, als das noch so hieß. Nur sind die zum Großteil wegrationalisiert worden oder sonst wohin verschwunden. Ersetzt wurden sie durch befristete Kräfte, die auch nicht mehr die Zeit haben, Klinken zu putzen und Kontakte zu Arbeitgebern zu suchen.

Lies den Text nochmal genau durch. Ich habe nicht behauptet, dass die Betroffenen nur auf dem Sofa sitzen würden.

Eigene Erfahrung. Und ich kenne einige Langzeitarbeitslose. Natürlich stimmt das nicht immer, aber wenn man sich hundertmal beworben und hundert Absagen bekommen hat, das macht was mit einem. Und wenn man sich in ein paar Jahren Arbeitslosigkeit nie ernsthaft beworben hat, das macht auch was mit einem.

Was du da beschreibst, sind Vorurteile. Die stimmen nicht nur nicht immer, sondern statistisch belegbar eher in den selteneren Fällen. Zumindest betrifft das den Teil derer, die nicht wollen. Denn unter den Langzeitarbeitslosen befinden sich fast keine ohne wirklich Vermittlungshemmnisse. Kein Bock zählt nicht dazu! Dieses Klientel hat man relativ erfolgreich im Griff.

Natürlich ist es auch demotivierend, wenn Betroffene immer wieder und wieder versuchen, einen Arbeitsplatz zu bekommen, und sie bekommen nie eine echte Chance.

Es ist schon reichlich zynisch am System, dass es für diese Gruppe de facto so gut wie keine Unterstützung bisher gibt! Es wird monatelang, jahrelang versucht, Steine werden in den Weg gelegt und dann hält man ihnen auch noch vor, dass irgendwann die sprühende Dynamik verloren geht.

Wie unsäglich ist da die Stammtischargumentation, dass einer da einen kennt, der sich nie ernsthaft beworben hat - und das wird dann zum Maßstab für eine ganze Gruppe gemacht.

Beispiel Hamburger Modell. Das ist eigentlich für eine Wiedereingliederung gedacht. Nur gibt es einen nennenswerten Personenkreis, für die das nicht in Frage kommt. Weil sie gekündigt wurden beispielsweise, einen befristeten Job hatten, selbstständig waren. Für diesen Personenkreis gibt es nichts adäquates. Das betrifft übrigens nicht selten auch Akademiker.

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Um noch weiter von strukturellen Problemen in dem Zusammenhang zu reden:

Gekniffen sind tatsächlich am Meisten die Akademiker in diesem Kreis. Die gehörten fachlich eigentlich in die Betreuung der AA, landen aber dank ALG II beim Jobcenter. Nur haben die überhaupt nicht das Personal, das so qualifiziert ist, dass sie Akademiker betreuen können. Geschult auf Betreuung von Menschen mit Behinderung oder chronischer Erkrankung bzw. psychische Erkrankung bspw. nach Anpassungsstörung, PTBS, etc. ist man auch nicht. Das betrifft bspw. auch kombinierte Faktoren, die sich aufeinander beziehen. Nach Krebs oder Herzinfarkt zum Beispiel.

Die Denkstruktur ist falsch. Das betrifft bspw. die Faktoren Antrieb und Motivation. Grundsätzlich ist die Motivation zu arbeiten bei diesem Menschen vorhanden. Es wird aber ein Maß an Eigenmotivation in der Bewerbungsphase erwartet, das diese Menschen nicht, nicht im erforderlichen Umfang oder - nach zu vielen Ablehnungen - nicht mehr aufbringen können. Die einzige Reaktion, welche in den letzten Jahren dem JC zur Verfügung stand: Druck, Repressionen. Das ist für diese Menschen aber extrem schädlich, weil es noch mehr runterzieht.

UvdL hat immer getönt: Fördern und Fordern. Nur dass dies in der Praxis ausschließlich aus der zweiten Hälfte bestanden hat.

Leider ist den Sozialdemokraten dazu in den letzten Jahren auch nicht viel Substanz eingefallen.

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Lies doch mal, was da steht:
Würdest du als Arbeitgeber jemanden einstellen, von dem du nicht weißt, wie er seine letzten 2 oder 3 Jahre (beispielsweise) verbracht hat? Der möglicherweise die ganzen Zeit hindurch nur auf dem Sofa gesessen hat?

Daraus geht doch eindeutig hervor, was gemeint ist. Wenn ich jemanden einstellen möchte, dann habe ich in der Regel die freie Auswahl aus wenigstens einer Handvoll von Bewerbern. Als Arbeitgeber habe ich vor allem die Pflicht, eine Stelle durch einen guten Bewerber zu besetzen und liegt es doch auf der Hand, daß die eingeladen werden, die einen vernünftigen Lebenslauf haben, aus dem hervorgeht, daß sie für die Stelle geeignet sind. Bei den Langzeitarbeitslosen weiß ich weder nach der Lektüre des Lebenslaufes, warum sie so lange arbeitslos waren noch (in der Regel) ob sie sich in den letzten Jahren in irgendeiner Form weitergebildet haben. Da lade ich doch lieber die ein, die über die letzten Jahre eine zumindest verwandte Tätigkeit ausgeübt haben.

Hinzu kommt, daß die Langzeitarbeitslosen sehr viel häufiger im Segment der niedrig oder gar nicht qualifizierten Arbeitskräfte zu finden sind. Auch das ist nicht unbedingt ein Verkaufsargument, wenn man sich auf eine Stelle bewirbt und entgegen der Ansicht der SPD und der Linken werden nun einmal Arbeitskräfte, deren wesentliche Qualifikation körperliche Stärke oder die schiere Anwesenheit ist, nicht mehr so häufig gebraucht wie vor 30 oder 50 Jahren.

Hier gibt es übrigens eine schöne Studie dazu:

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Das ist doch ein ureigenes sozialdemokratisches Konzept, kam damals von Bill Clinton über den Teich und wurde dann von Schröder und Peter Hartz umgesetzt.

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Moin,

als langjährige Dozentin an einer Bildungseinrichtung der Erwachsenenbildung, deren überwiegende Klientel aus Kunden der Agentur und des Jobcenters bestehen, kann ich dir gern ein paar Punkte (die natürlich nur meine eigene Erfahrung widerspiegeln und natürlich! nicht allgemeingültig sind. Dies sei erwähnt, weil hier schon wieder Blödsinn im Sinne von Wortklauberei hochkocht) aufzählen.

  • viele Brüche im Lebenslauf bei gleichzeitiger geringer Qualifizierung
  • langjährige Abstinenz im Job aufgrund von Kinder- oder auch Pflegezeiten
  • psychische Probleme (dies hat in den letzten Jahren exorbitant zugenommen
  • langjährige physische Krankheiten
  • Nullbock

Ich habe im Jahr mit ca. 120 verschiedenen Kunden oder Klienten zu tun gehabt. Von diesen 120 haben es etwa 20 geschafft, während der laufenden Maßnahme wieder in Lohn und Brot zu kommen. Weitere ca. 20 wurden innerhalb eines halben Jahres im Anschluss vermittelt. Das war’s.
Es wird immer schwieriger, den Klienten etwas beizubringen, weil die Päckchen, die sie tragen, immer größer werden.
Wir haben mehr oder weniger Vollbeschäftigung und das, was übrig bleibt, sind halt die Langzeitarbeitslosen, die nicht mal jetzt eine Chance haben, einen Job zu bekommen.
Nur mal ein Beispiel, wie die „Qualität“ der Kunden abgenommen hat:
Am Anfang meines Kurses gibt es eine, zugegeben umfangreiche, Aufgabe mit Prozentrechnung. Diese Aufgabe stelle ich seit 8 Jahren. Vor 8 Jahren habe ich die Aufgabe gestellt und fast alle Teilnehmer haben die Aufgabe gelöst, allein! Im Laufe der Jahre hatten immer mehr Teilnehmer Probleme, diese Aufgabe zu lösen. Mittlerweile löse ich zusammen mit den Teilnehmern die Hälfte der Aufgabe an der Tafel, den Rest machen sie dann allein.

Ich habe mittlerweile aufgegeben und mir einen neuen Job gesucht. Was mich wirklich nachdenklich macht…Ich arbeite jetzt 10 Stunden mehr in der Woche, also 45, statt 35 Stunden und ich komme komplett entspannt von der Arbeit, obwohl der neue Job eine riesen Herausforderung ist mit neuem Metier, neuen Aufgaben, neuen fachlichen Grundsätzen.
Was ich sagen will, mir ist während der Zeit in der Erwachsenenbildung nie aufgefallen, wie sehr mich der Job gestresst hat. Ich habe viele Geschichten mit nachhause genommen und mir zu Herzen genommen.

Soon

Vielleicht liegt es ja nicht nur an den Arbeitslosen sondern einfach an den fehlenden Arbeitsplätzen für niedrig Qualifizierte oder an der Unmöglichkeit z.B. in München Wohnraum zu finden der für Geringverdiener bezahlbar ist?

Ich weiß nicht, ob du jetzt mich ansprichst; falls ja, ich habe niemandem etwas vorgehalten, sondern nur geschrieben, dass es so ist.

An wen richtet sich das denn? Jemanden von hier, oder geht es um irgendwelche früheren Diskussionen?

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Hm. Deine Grafik zeigt eine annähernd konstante Verringerung.

Und wer sonst soll übrig bleiben, wenn nicht die Langzeitarbeitslosen? Siehe die zutreffenden Ausführungen von @DrSoon. Der Arbeitsmarkt ist ein Markt. Angebot und Nachfrage treffen zusammen. Gestört ist dieser Markt, wenn Angebot und Nachfrage zu stark voneinander abweichen. Im Ergebnis: Wenn diejenigen, die qualifiziert und leistungsbereit sind, kaum einen Job kriegen.

Lass’ uns daher das Thema verschieben bis nach dem Platzen der Target 2-Bombe.

Es liegt an den Arbeitslosen, die nicht qualifiziert sind. Die Unternehmen fragen die Arbeitskräfte nach, die sie brauchen.

Ja, aber die kognitiven Fähigkeiten innerhalb einer Population haben annähernd eine Normalverteilung, d.h. es gibt immer Personen die nicht für alles qualifizierbar sind. Aus ideologischen Gründen wird oft so getan als ob man einfach alles und jeden qualifizieren könnte aber jeder Mensch hat irgendwo seine kognitiven Grenzen.

Wenn man Migranten nicht nach Fähigkeiten selektiert sondern wahllos einreisen läßt hat man evtl. sogar noch eine schiefere Verteilung und eine größere linken Seite des Graphen…

Eine Gesellschaft bricht aber auseinander wenn man einem Teil davon jegliche Perspektive nimmt. Durch Automatisierung werden die Gewinne der Unternehmen gesteigert - und der Unterschicht wird das Wasser abgegraben.

Nein, es wird nicht so getan. Tatsache ist vielmehr, daß ein Hauptschulabschluß machbar ist und die ein oder andere Ausbildung auch, sofern man mit einem IQ von jenseits der 80 gesegnet ist. Nicht jeder muß und kann Gehirnchirurg oder Astrophysiker werden, aber niemand ist gezwungen, ohne Schul- und Berufsausbildung durchs Leben zu wandeln (wenn man mal von geistiger oder körperlicher Behinderung absieht, aber um diese Fälle geht es beim Großteil der Langzeitarbeitslosen nicht.

Das ist die Theorie, in der Praxis hat jeder 4. Jugendliche in Deutschland psychische Probleme. http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/depressionen-jeder-vierte-junge-mensch-hat-psychische-probleme-15462273.html

Psychische Probleme können einen erheblichen Einfluß auf den schulischen Erfolg haben. Aber auch psychisch gesunde Jugendliche können durch Faktoren wie Krankheit, Probleme im Elternhaus, Mobbing, Tod eines Nahestehenden, Trennung vom Partner, Gewalt, sexuellen Missbrauch, schlechten Einfluß durch das Umfeld, Drogen… während relevanter Phasen in Schule, Studium oder Ausbildung in Situationen geraten in denen sie nicht die benötigte Leistung erbringen können und aus dem System herausfallen.

Welche Perspektive ein Hauptschulabschluß eröffnet - vor allem wenn jemand in einer Gegend mit hoher Arbeitslosigkeit lebt - ist die nächste große Frage.

Dazu kommt die lausige Bezahlung in der Branche, obwohl sich das durch den Mindestlohn etwas gebessert hat.

Stümmt, ich verdiene jetzt mehr als das Doppelte. Ich habe die Arbeit wirklich gern und mit viel Herzblut gemacht, ärgere mich aber mittlerweile, dass ich doch so lange dort gearbeitet habe. Mit Herzblut und Enthusiasmus oder glücklichen, vermittelten Klienten kann man kein Brot kaufen.

Soon