Lassalle und Marx - und Bebel und all die anderen
Liebe Linda,
Kann mir mal jemand erläutern, wieso Lassalle erst mit Marx
und Engels zusammenarbeitete, später jedoch verfeindet war??
Wikipedia spuckt dazu irgendwie nix passendes mehr aus, da
steht eben nur DASS sie direkte Konkurrenten wurden.
Weder kann von „Feindschaft“ die Rede sein, noch sonderlich sinnvoll von einem Konkurrenzverhältnis.
- Beide, Marx und Lassalle, waren Männer der Wissenschaft, und dazu gehört es, sachbezogene Kontroversen auszutragen, und sich gegenseitig möglichst scharf zu kritisieren.
Mit Feindschaft hat das nun wahrlich wenig zu tun.
Die Unterschiede in der wissenschaftlichen Haltung Marx’ und Lassalles sind doch recht umfangreich, aber viel zu speziell um das nun hier in Länge zu diskutieren, weshalb ich nur einen Punkte anführen möchte:
Marx selbst hatte in seinen früheren Schriften (z.B. im „Kommunistischen Manifest“) erklärt, der Arbeitslohn würde unter Bedingungen ungehinderter Ausbeutung zum Niveau der bloßen biologischen Reproduktion (gerade das, damit die Arbeiter nicht verhungern und noch Nachwuchs aufziehen können) tendieren.
Lassalle übernahm diese Sicht in seinem Theorem des „ehernen Lohngesetzes“.
Marx dagegen revidierte seine frühere Sicht, die allzu überhistorisch-naturalistisch war, und hob das folgende Spezifische der kapitalistischen Produktionsweise hervor:
Durch Entwicklung der Produktivkräfte (= Technik, Wissen, etc.) wird die Ausbeutung der Arbeiter (= die Differenz, der vielgepriesene Mehrwert, den der Kapitalist einbehält zwischen dem bezahlten Lohn für die Bearbeitung einer Sache und der Wertsteigerung, den diese Sache durch die Bearbeitung erhält; also das, was der Kapitalist an der Bearbeitung einer Sache durch den Arbeiters selbst einbehält, ohne selbst die Sache bearbeitet zu haben) immer größer, dabei muss aber der Lohn nicht aufs Existenzminimus sinken, sondern kann sogar steigen.
Also: steigende Lohn und zugleich steigende Ausbeutung sind kein Widerspruch (wie dies Marx früher und Lassalle nahelegen).
Auf Basis dieser Unterschiedlichkeit kritisiert Marx Lassalles „ehernes Lohngesetz“ z.B. in seiner „Kritik des Gothaer Programms“ von 1875 (lange nach dem Tod Lassalles, man sieht daran, es ist also nichts „Persönliches“, sondern einzig dem Dienst an der Sache geschuldet).
- In politischer Sicht wollten Marx wie Lassalle den Umsturz der (politischen) Produktionsverhältnisse, wie Wherewolf es bereits treffend beschrieben hat.
Während die Marxisten aber von der Notwendigkeit einer gegen die gesamtkapitalistische Staatsordnung gerichteten proletarischen Revolution ausgingen, glaubte Lassalle, diese Veränderung könne auf Grund der zahlenmäßigen Überlegenheit durch das Erringen der Zulassung der Arbeiterschaft zu gleichen und freien Wahlen erreicht werden.
Der Unterschied war also v.a. einer in der Einschätzung der Rolle des Staates in Bezug auf die Ausbeutung und Unterdrückung der Arbeiterschaft als auch seine Rolle in Bezug auf den Kampf der Arbeiterschaft gegen die Unterdrückung (das betrifft auch die weit konsequentere internationalistische Haltung der Marxisten, während Lassalle deutsch-national eingestellt war).
Diesem Punkt war übrigen auch der Bruch innerhalb Lassalles ADAV zwischen ihm bzw. den Vertretern seiner Position und Liebknecht geschuldet, weshalb Liebknecht 1869 die SDAP gründete (als Lassalle bereits 5 Jahre tot war), die sich aber bereits 1875 mit dem Gothaer Manifest wieder mit dem ADAV vereinigte, was zeigt, dass es programmatische Differenzen gab, aber keineswegs „Feindschaften“.
Außerdem sollte man auch die Gemeinsamkeiten nicht vergessen:
Marxisten und Lassalle-Anhänger proklamierten beide die Notwendigkeit des Aufbaus von durch Arbeiter selbstverwalteten Betrieben, die Notwendigkeit eines klaren proletarischen Klassenbewusstseins inklusive politischer Zusammenschlüsse, wohingegen wiederum Lassalle anders als Marx den Kampf gegen die Bourgeoisie einzig auf dem politischen Feld führen wollte, sehr viel weniger aber auf dem ökonomischen Feld durch Gewerkschaftsbildungen und Streiks.
- Dass zwischem Marx und Lassalle keine „Feindschaft besteht“, zeigt sich schon im umfangreichen Briefverkehr zwischen den beiden und in ihren Besuchen.
Marx hielt Lassalle aber für ein -naja- theoretisches Leichtgewicht, zudem nahm er ihm übel, dass er viele Gedanken von ihm übernommen hatte (z.B. das eherne Lohngesetz, siehe oben!), dabei aber oft einerseits Marx nicht als Urheber nannte, und andererseits zudem noch Marx’ Gedanken (aus Marx’ Sicht) recht schluderhaft und verfälschend propagierte.
Dazu kommt, dass Lassalle und Marx rein vom persönlichen Lebensstil her nicht zusammenpassten, dennoch schätzten sie sich als Kämpfer für die Arbeiterklasse sehr, wie dies etwa diese bekannte Aussage Engels zu Lassalles für ihn sehr passenden Tod im Duell mit dem Verlobten seiner Verlobten wunderbar auf den Punkt bringt:
Lassalle mag sonst gewesen sein, persönlich, literarisch, wissenschaftlich, wer er war, aber politisch war er sicher einer der bedeutendsten Kerle in Deutschland. Welcher Jubel wird unter den Fabrikanten und unter den Fortschrittsschweinehunden herrschen; Lassalle war doch der einzige Kerl in Deutschland selbst, vor dem sie Angst hatten
- Zudem trug zu diesem Eindruck einer „Feindschaft“ zwischen Marx und Lassalle bzw. den Marxisten und den Lassalle-Anhängern die Tatsache bei, dass Lassalle gerade in der Geschichtsschreibung der Ostblockländer, aber auch im Westen, aus der Geschichte des Marxismus/Sozialismus eher getilgt bzw. an den Rand gedrängt wurde, weil er nicht so recht passte zum real-existierenden Sozialismus und weil aus seiner Perspektive auch gehörige Kritik an diesem geübt werden konnte - aus Marxens Perspektive(n) übrigens auch, der ließ sich jedoch schwerer als Randfigur darstellen
_ ℂ Λ ℕ Ð I Ð €
Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt drauf an, sie mit Suppenküchen zu verändern.
(11. Suppenkaspar-These)_