Latein !richtig! sprechen

Hallo

Ich habe mich vor kurzem mit einem Freund darüber unterhalten ob es möglich ist Latein zu sprechen.
Ganz abgesehen von der Gramatik, den Vokabeln etc. kamen wir zu dem Problem dass doch niemand weiß wie die Wörter ausgesprochen werden, da niemand die Wörter wirklich vor Jahrhunderten ausgesprochen wurde.

Hallo,

es gibt gewisse Unsicherheiten, aber man kann die Aussprache des Lateinischen ziemlich gut rekonstruieren:

http://de.wikipedia.org/wiki/Lateinische_Aussprache

Viele Grüße

Marco

Moin,

Ich habe mich vor kurzem mit einem Freund darüber unterhalten
ob es möglich ist Latein zu sprechen.

klar, es gibt sogar Stammtische, wo sich nur in Latein unterhalten wird.

Ganz abgesehen von der Gramatik, den Vokabeln etc. kamen wir
zu dem Problem dass doch niemand weiß wie die Wörter
ausgesprochen werden, da niemand die Wörter wirklich vor
Jahrhunderten ausgesprochen wurde.

Latein wurde kontinuierlich als Gelehrtensprach gepflegt und gesprochen.
Gewisse Unsicherheiten gibt es zwar, aber im Großen und Ganzen weiß man schon wie die Römer parlierten.

Gandalf

Es ist aber zu merken, dass es unterschiedlich ausgesprochen wird. Z.Bleistift, ich hab’ Latein in Deutschland gelernt und mein Neffe hat Latein in England gelernt (und gelehrt). Wao - wirklich anders!

KIM

Es ist aber zu merken, dass es unterschiedlich ausgesprochen
wird. Z.Bleistift, ich hab’ Latein in Deutschland gelernt und
mein Neffe hat Latein in England gelernt (und gelehrt). Wao -
wirklich anders!

Ja, und wenn du noch jemanden dazunimmst, der Latein in Italien oder in Frankreich gelernt hat, das wäre dann noch mal krass anders. Das liegt eben daran, dass in den Schulen nicht die rekonstruierte „wissenschaftliche“ Aussprache des klassischen Lateins gelehrt wird. Das gleiche gilt übrigens auch fürs Altgriechische, da wird hierzulande auch „filosofos“ gesagt, obwohl das nicht der alten Aussprache entsprache.

Liebe Grüße,

  • André

Hallo, XiaoD,
ich bin kein Lateiner, kenne aber z. B. die unterschiedlichen Aussprachen etwa von C vor E und I (klassisch: immer K, altfränkisch und daraus bei uns traditionell in der Kirche Z, bei den Italienern und daher z. B. auch bei Benedikt XVI. Tsch). Entscheide selbst!
Was ich dir aber auf jeden Fall ans Herz legen würde, wäre die korrekte Aussprache der Längen, also etwa „rex“ als „reegs“ und nicht wie in „Hexe“ sowie z. B die des R, das immer Zungenspitzen-R ist.
Gruß
Sepp

Woher man das weiss
Hallo

Ich verstehe deine Frage mehr so, dass du ja nicht (bloss) wissen wolltest, wie Latein gesprochen wurde, sondern woher man das wissen kann.

Zunächst einmal kommt es sehr darauf an, welche Zeit du im Auge hast: Latein wurde etwa 1000 Jahre als Muttersprache gesprochen (ganz grob 500 v.uZ. bis 500 u.Z.). Für die ersten Jahrhunderte hat man recht wenig konkrete Anhaltspunkte.

Aber sobald eine gewisse Menge an Literatur überliefert ist, gibt es schon von den Zeitgenossen reichlich Angaben zur Aussprache.

Und da gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten:

Ermahnungen zur richtigen Aussprache
indirekte Hinweise
Anekdoten , die auf Missverständnissen/Doppeldeutigkeiten beruhen
– (parodierte) Volkssprache in Komödien
Graffiti
griechische (und andere) Schreibweisen

Auch damals hat man versucht, den Kindern ein „ordentliches“ Latein beizubringen, auch damals haben Ausländer die Weltsprache Latein gelernt, auch damals gab es sprachliche Moden, die man kritisierte, und nicht zuletzt gab es den zu allen Zeiten und in allen Sprachen beklagten „Sprachverfall“, der nichts weiter als die natürliche Weiterentwicklung ist. Irgendwann kann man halt statt von einer späten Form des Latein genausogut von einer frühen Form des Italienischen, Französischen, Spanischen etc. sprechen.

Viele Zeugnisse sind Ermahnungen zur „richtigen“ bzw. deutlichen Aussprache, woraus man Rückschlüsse auf die tatsächlich verbreitete Aussprache ziehen kann.

Das folgende finde ich bei Marouzeau, einem bedeutenden französischen Gelehrten des 20. Jh., in seiner Prononciation du Latin von 1955.

So wird (laut Sueton) Kaiser Vespasian für seine als falsch empfundene Aussprache des Wortes plaustrum gerügt: Er hat wohl plostrum gesagt, woran man erkennen kann, dass schon gegen 80 u.Z. die Entwicklung au > o begonnen hatte. Aber noch im 2. Jh. wird diese Aussprache kritisiert und als bäuerisch bezeichnet (Beispiele hier aurum, auricula, aurata bei Festus).

Ein indirekter Hinweis ist, dass „ein Claudius, ein Aulus ihre Namen in Clodius und Olus änderten, um sie zu demokratisieren“ (Marouzeau).

Von Crassus wird folgende Anekdote berichtet:
Als er sich 55 v.u.Z. zum Feldzug gegen die Parther einschiffte, soll er in Brindisi den Marktschrei „Cauneas“ als „cave ne eas“ (Pass auf, geh nicht [dorthin]!) interpretiert haben. (Es wurde eine katastrophale Niederlage der Römer, Crassus wurde bei Kapitulationsverhandlungen getötet.)

Egal, ob an der Crassus-Geschichte etwas wahres dran ist, man erkennt daran gleich mehrere Dinge:

1.: Mitte des 1. Jh.s v.u.Z. wurde au noch als „au“ gesprochen. Gute hundert Jahre dagegen gab es schon die Aussprache „o“ (siehe oben), die sich aber erst später endgültig durchsetzt.

2.: v wurde wie „u“ (bzw. engl. [w]) gesprochen – sonst wäre ein (behauptetes) Missverständnis unmöglich.

3.: Es gab keinen Glottisschlag, das Schluss-e von ne kann mit dem Anfangs-e von eas verschmelzen.

Generell war das Lateinische (wen wundert’s, wenn man Italienisch kennt) eine legato-Sprache, in der viele Laute weggelassen wurden. (Ganz allgemein ist das zwar eine Eigenart der mündlichen Umgangssprache aller Sprachen, aber welche Laute es genau trifft und auf welche Weise, ist unterschiedlich.)

Das sieht man halt sehr schön auch an vielen anderen Beispielen in der Literatur, Schreibweisen, in denen Laute weggelassen wurden.

In Komödien finden sich viele Beispiele, wie das „Volk“ gesprochen hat. Da muss man zwar mit einer gewissen Übertreibung rechnen (wie heutzutare, wenn Balina Dialekt im Theata voakommt, wa), aber die generelle Richtung stimmt.

Dass das h sehr schwach war, erkennt man an Parallelschreibungen wie nihil/nil (schon sehr früh).

In Graffiti (denk nur an Pompei) findet man schöne Beispiele z.B. dafür, dass das Endungs-m schon sehr früh weggefallen ist .

Aus der griechischen Schreibweise K für lateinisches C lässt sich ganz leicht nachweisen, bis wann das C auch vor E (auch OE, AE) und vor I als K gesprochen wurde. (Auch in Graffiti findet man manchmal Latein in griechischer Schrift.)

So, das war mal ein Überblick :wink:

Übrigens: Das Hörbeispiel in dem verlinkten Wikipedia-Artikel ist ganz ordentlich, aber die p-t-k-Laute (also p, t und c bzw. qu) sind viel zu englisch (oder auch deutsch) behaucht.

Gruss
A.S.

Hallo!
Eine superschöne, sehr informative und – wie ich überblicken kann – rundum korrekte Antwort. Dafür ein Stern! =)

Ich kann dazu noch ein Buch empfehlen, das ich unbedingt mal lesen möchte, aber bisher noch keine Zeit gefunden habe:

Historische Laut- und Formenlehre der lateinischen Sprache von Gerhard Meiser.

Dort sind auch diese Sachen, die du erklärt hast, beschrieben und es gibt auch einen schönen Blick über die gesamte Entstehung des Lateinischen (aus phonetischer und grammatikalischer Perspektive). Ist aber vielleicht für Nichtlinguisten und Nichtlateiner doch recht schwierig…
Es wird auch Bezug genommen nicht nur auf frühere und spätere Formen, und nicht nur auf die Herleitungen vom Proto-Indoeuropäischen oder Parallelen zum Griechischen, sondern auch Vergleiche mit den Schwestersprachen des Lateins, nämlich v.A. Oskisch und Umbrisch (die recht schnell von Latein verdrängt und ausgestorben wurden).

Was ich mich oft frage… wenn sich nicht Latein gegen seine Nachbar-/Schwestersprachen durchgesetzt hätte, sondern Oskisch oder Umbrisch oder Falliskisch, wie sähen heute wohl unsere romanischen Sprachen aus. Ich wollte schon immer mal die gleichen Lautwandelgesetz, die zu Italienisch, Spanisch, Französisch, Rumänisch usw. führten, auf Oskisch oder Umbrisch anwenden… quasi eine hypothetische Parallelwelt. Wäre das nicht spannend? Beispielsweise sind die Fragewörter quis und quid auf Oskisch pís und píd gewesen…

Liebe Grüße,

  • André

Hallo André

Danke für den Literaturtip, hört sich sehr gut an, hab’s gleich in der Bibliothek bestellt.

Ich hatte einfachheitshalber den Marouzeau hergenommen, weil das Bändchen so schön überschaubar ist. Ich habe noch die Historische Latein-Altromanische Grammatik von Günter Reichenkron. Leider gibt es nur den ersten Teil „Das sogenannte Vulgärlatein und das Wesen der Romanisierung“ (1965), aber der ist sehr gut und ausführlich (408 Seiten).

quasi eine hypothetische Parallelwelt. Wäre das nicht spannend?

Und ob, na klar! Ähnlich auch, was wäre, wenn die slawischen oder germanischen Sprachen romanisiert worden wären…

Beispielsweise sind die Fragewörter quis und quid auf Oskisch pís und píd gewesen…

Hey, das ist ja wie bei den P- und Q-Kelten! In diesem Sinne, auf palifizierte Beiträge nicht nur in der Pantenmechanik, sondern pasi immer. Pod er i t demonstrandum. :wink:

Liebe Grüsse
A.S.

Hallo

Generell war das Lateinische (wen wundert’s, wenn man Italienisch kennt) eine legato-Sprache, in der viele Laute weggelassen wurden.

Ach, deswegen konnte sich auch Französisch daraus entwickeln? - Ich hab mich immer gewundert, wie aus Latein Französisch werden kann. So wie wir früher Latein ausgesprochen haben, hätte höchstens per Dekret daraus Französisch werden können.

Viele Grüße

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Hallo

So wie wir früher Latein ausgesprochen haben, hätte höchstens per Dekret daraus Französisch werden können.

Schön gesagt! Wobei die Franken ja auch Germanen waren, aber auf die Aussprache hat’s sich dann zumindest nicht verhärtend ausgewirkt.

Übrigens ist es faszinierend, den Lautwandel von Latein zu Französisch und im Französischen selbst zu verfolgen, zum Beispiel

von pira (lat. Neutrum Plural wird als fem. sg. verstanden)
–> pera
–> peire
–> poire (o-i oder oë gesprochen!, also wie geschrieben, Betonung auf o)
–> puere (erst mit Betonung auf dem u!)
–> puere (dann mit Betonung auf dem e!)
–> puäre (e öffnet sich)
–> puare (Pariser Slang, wird erst ganz spät von den Grammatikern akzeptiert)
–> pua:r

Irgendwo unterwegs ist dann das Englische pear abgezweigt… Aber, „Luise, das ist ein (zu) weites Feld“ :wink:

Viele Grüsse

Hallo

von pira (lat. Neutrum Plural wird als fem. sg. verstanden)
–> pera
–> peire
–> poire (o-i oder oë gesprochen!, also wie geschrieben,
Betonung auf o)
–> puere (erst mit Betonung auf dem u!)
–> puere (dann mit Betonung auf dem e!)
–> puäre (e öffnet sich)
–> puare (Pariser Slang, wird erst ganz spät von den
Grammatikern akzeptiert)
–> pua:r

Ach, ist ja interessant. Und welche der Versionen sind in die Schriftsprache eingegangen, außer der ersten und vierten?

Irgendwo unterwegs ist dann das Englische pear abgezweigt…

Beim Englischen kommt doch unheimlich viel aus dem Lateinischen. Es gilt aber trotzdem als Germanische Sprache. - Na gut, die Grammatik ist wohl eher nicht Lateinisch.

Aber, „Luise, das ist ein (zu) weites Feld“ :wink:

Den Film habe ich gestern noch gesehen! Den alten, von Faßbinder. Aber irgendwie fehlte was in dem Film.

Viele Grüße

Hallo

Und welche der Versionen sind in die Schriftsprache eingegangen, außer der ersten und vierten?

Hoppla, das hab ich unklar und inkonsequent geschrieben: das ist alles Schriftsprache (gewesen)! Es ist die Entwicklung von der lateinischen „pira“ zur französischen „poire“, wobei ich ab der fünften Version eine Art Lautschrift benutzt habe. Denn die Schreibweise poire gibt es seit dem 12. Jahrhundert, aber damals so gesprochen wie ein Reim auf „teure (Gattin)“. Die Aussprache [wa] für die Buchstabenfolge „oi“ gibt es dann seit dem 13. Jahrhundert in der Umgangssprache, aber die Grammatiker haben sie erst im 18. Jahrhundert (!) als korrekt akzeptiert.

Ich hatte das ganze aus dem Kopf geschrieben, hier noch einmal mit den Zeitangaben (und die Entwicklung -a zu -e war auch später, sorry):

lat. pira
3. Jh. pera
6. Jh. peira
7. Jh. peire
erste Hälfte 12. Jh. poire (o-i gesprochen)
ab hier weiter in „Lautschrift“
zweite Hälfte 12. Jh. púere, später puére
13. Jh. puäre, umgangssprachlich schon puare
15. Jh. puärö, umgangssprachlich puarö
17. Jh. puär, umgangssprachlich heutige Aussprache
18. Jh. heutige Aussprache offiziell anerkannt

Wie im Lauf der Zeit aus einem i über e und ei zu [oi] und von da über [we] ein [wa] werden kann, finde ich faszinierend.

Beim Englischen kommt doch unheimlich viel aus dem Lateinischen.

Stimmt, aber ein guter Teil davon durch Vermittlung des Französischen ab 1066 durch Guillaume le Conquérant und seine Nachfahren. Zum Beispiel kommen debt und doubt nicht direkt von lat. debitum und dubium (*dubitum gab’s gar nicht), sondern von frz. dette und doute. Die Engländer haben bloss später die Orthographie latinisiert. Die englische Wikipedia meint, 29% des englischen Wortschatzes kommen aus dem Lateinischen und noch einmal genausoviel aus dem Französischen. Nur 26% sind germanischen Ursprungs, davon viele aus skandinavischen Sprachen (z.B. they, take, fellow, sky…)

Es gilt aber trotzdem als Germanische Sprache. - Na gut, die Grammatik ist wohl eher nicht Lateinisch.

Klar, die Grundstruktur (und der Grundwortschatz) sind germanisch. Angeblich kann man Gespräche über landwirtschaftliche Themen heute noch mit rein germanischem Wortschatz führen…

Aber, „Luise, das ist ein (zu) weites Feld“ :wink:

Den Film habe ich gestern noch gesehen! Den alten, von Faßbinder. Aber irgendwie fehlte was in dem Film.

Ich hab das damals für die Schule lesen sollen, aber nie getan und nur den Film gesehen. War dann irgendwie peinlich bei der Klassenarbeit, da fehlten mir wichtige Infos. Und jetzt kann ich mich an gar nichts mehr erinnern ausser an das Zitat.

In diesem Sinne herzliche Grüsse und gute Nacht!
A.S.

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