Woher man das weiss
Hallo
Ich verstehe deine Frage mehr so, dass du ja nicht (bloss) wissen wolltest, wie Latein gesprochen wurde, sondern woher man das wissen kann.
Zunächst einmal kommt es sehr darauf an, welche Zeit du im Auge hast: Latein wurde etwa 1000 Jahre als Muttersprache gesprochen (ganz grob 500 v.uZ. bis 500 u.Z.). Für die ersten Jahrhunderte hat man recht wenig konkrete Anhaltspunkte.
Aber sobald eine gewisse Menge an Literatur überliefert ist, gibt es schon von den Zeitgenossen reichlich Angaben zur Aussprache.
Und da gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten:
– Ermahnungen zur richtigen Aussprache
– indirekte Hinweise
– Anekdoten , die auf Missverständnissen/Doppeldeutigkeiten beruhen
– (parodierte) Volkssprache in Komödien
– Graffiti
– griechische (und andere) Schreibweisen
Auch damals hat man versucht, den Kindern ein „ordentliches“ Latein beizubringen, auch damals haben Ausländer die Weltsprache Latein gelernt, auch damals gab es sprachliche Moden, die man kritisierte, und nicht zuletzt gab es den zu allen Zeiten und in allen Sprachen beklagten „Sprachverfall“, der nichts weiter als die natürliche Weiterentwicklung ist. Irgendwann kann man halt statt von einer späten Form des Latein genausogut von einer frühen Form des Italienischen, Französischen, Spanischen etc. sprechen.
Viele Zeugnisse sind Ermahnungen zur „richtigen“ bzw. deutlichen Aussprache, woraus man Rückschlüsse auf die tatsächlich verbreitete Aussprache ziehen kann.
Das folgende finde ich bei Marouzeau, einem bedeutenden französischen Gelehrten des 20. Jh., in seiner Prononciation du Latin von 1955.
So wird (laut Sueton) Kaiser Vespasian für seine als falsch empfundene Aussprache des Wortes plaustrum gerügt: Er hat wohl plostrum gesagt, woran man erkennen kann, dass schon gegen 80 u.Z. die Entwicklung au > o begonnen hatte. Aber noch im 2. Jh. wird diese Aussprache kritisiert und als bäuerisch bezeichnet (Beispiele hier aurum, auricula, aurata bei Festus).
Ein indirekter Hinweis ist, dass „ein Claudius, ein Aulus ihre Namen in Clodius und Olus änderten, um sie zu demokratisieren“ (Marouzeau).
Von Crassus wird folgende Anekdote berichtet:
Als er sich 55 v.u.Z. zum Feldzug gegen die Parther einschiffte, soll er in Brindisi den Marktschrei „Cauneas“ als „cave ne eas“ (Pass auf, geh nicht [dorthin]!) interpretiert haben. (Es wurde eine katastrophale Niederlage der Römer, Crassus wurde bei Kapitulationsverhandlungen getötet.)
Egal, ob an der Crassus-Geschichte etwas wahres dran ist, man erkennt daran gleich mehrere Dinge:
1.: Mitte des 1. Jh.s v.u.Z. wurde au noch als „au“ gesprochen. Gute hundert Jahre dagegen gab es schon die Aussprache „o“ (siehe oben), die sich aber erst später endgültig durchsetzt.
2.: v wurde wie „u“ (bzw. engl. [w]) gesprochen – sonst wäre ein (behauptetes) Missverständnis unmöglich.
3.: Es gab keinen Glottisschlag, das Schluss-e von ne kann mit dem Anfangs-e von eas verschmelzen.
Generell war das Lateinische (wen wundert’s, wenn man Italienisch kennt) eine legato-Sprache, in der viele Laute weggelassen wurden. (Ganz allgemein ist das zwar eine Eigenart der mündlichen Umgangssprache aller Sprachen, aber welche Laute es genau trifft und auf welche Weise, ist unterschiedlich.)
Das sieht man halt sehr schön auch an vielen anderen Beispielen in der Literatur, Schreibweisen, in denen Laute weggelassen wurden.
In Komödien finden sich viele Beispiele, wie das „Volk“ gesprochen hat. Da muss man zwar mit einer gewissen Übertreibung rechnen (wie heutzutare, wenn Balina Dialekt im Theata voakommt, wa), aber die generelle Richtung stimmt.
Dass das h sehr schwach war, erkennt man an Parallelschreibungen wie nihil/nil (schon sehr früh).
In Graffiti (denk nur an Pompei) findet man schöne Beispiele z.B. dafür, dass das Endungs-m schon sehr früh weggefallen ist .
Aus der griechischen Schreibweise K für lateinisches C lässt sich ganz leicht nachweisen, bis wann das C auch vor E (auch OE, AE) und vor I als K gesprochen wurde. (Auch in Graffiti findet man manchmal Latein in griechischer Schrift.)
So, das war mal ein Überblick 
Übrigens: Das Hörbeispiel in dem verlinkten Wikipedia-Artikel ist ganz ordentlich, aber die p-t-k-Laute (also p, t und c bzw. qu) sind viel zu englisch (oder auch deutsch) behaucht.
Gruss
A.S.