Lebensraumpolitik 3. Reich

Hallo!
Ich habe heute im Geschichtsunterricht die Frage gestellt bekommen, wie sich die sogenannte „Lebensraumpolitik“ von Hitler schließlich in seiner „Amtszeit“ ausgewirkt hat, erst recht so 1933 und die nächsten Jährchen…obwohl ich weiß, wie die Lebensraumpolitik definiert ist, wusste ich erstmal keine Antwort und stand voll auf dem Schlauch.

Kann mir jemand Antwort geben?

Carina

Servus,

die bedeutendsten Auswirkungen haben sich ab 01.09.1939 abgespielt.

Die vorher betriebene „Innere Kolonisation“ hat sich auf wenige Projekte beschränkt, mit den Junkern wollte es sich der Führer eh nicht verderben, und Moorentwässerungen wie im Dachauer Moos und im Emsland dienten nur sehr am Rand der Gewinnung von Siedlungsraum, eher dem Quälen von Häftlingen.

Das Reichserbhofgesetz wurde noch im September 1933 verabschiedet und damit auch die Träume von vielen Reformern und Landfreaks aus der „Siedlerbewegung“, die in der NSDAP eine politische Heimat gefunden zu haben glaubten.

Schöne Grüße

MM

Danke schonmal für die Antwort!

Das Reichserbhofgesetz wurde noch im September 1933
verabschiedet und damit auch die Träume von vielen Reformern
und Landfreaks aus der „Siedlerbewegung“, die in der NSDAP
eine politische Heimat gefunden zu haben glaubten.

Kannst du das genauer erläutern? Mein Geschichtslehrer will immer exakte Beispiele :S

Carina

Servus,

leider muss ich Mottenfraß im Hirn infolge fortschreitender Alterung feststellen.

Die Mitschriften von 1984-86 sind irgendwo (falls noch vorhanden), einige Büchelein teils verliehen und nicht wiedergekriegt, teils in irgendwelchen Kartongs vergraben. Und erschreckenderweise kann ich Dir außer Reichsbauernführer Richard Walther Darré selber keinen einzigen Namen mehr aus dem Kopf benennen.

Wieauchimmer: Der Gedanke der „inneren Kolonisation“, manifestiert im bis heute gültigen, aber belanglos gewordenen Reichssiedlungsgesetz von 1919, zielte auf die Schaffung einer großen Zahl von kleinen landwirtschaftlichen und gartenbaulich genutzten Siedlerstellen, die eine grundlegende Selbstversorgung mit dem Lebensnotwendigen sicherstellen sollten, teils auf urbar gemachtem, bisher wenig oder nicht genutzten Land - dass das auf entwässerten Mooren nicht geht, hätte man 1920 bereits wissen müssen -, und teils auf zu diesem Zweck aufgeteiltem Großgrundbesitz. Dieser Gedanke wurde sowohl von Sozialreformern aus dem Spektrum der idealistischen Halblinken, als auch von Rechtsaußen (dort unter dem Schlagwort „Entproletarisierung“) verfolgt. Gudrun Pausewang beschreibt in ihrem Büchelein „Rosinkawiese“ das Leben einer jungen „Siedlerfamilie“ auf einem winzigen Gütlein in Schlesien, das demjenigen einer „Land-WG“ der 1970er Jahre sehr ähnelt.

Im Gegensatz zu dem Konzept der Aufsiedlung im „Inneren“ des Reichs stand das Konzept - etwa durch Hjalmar Schacht und Heinrich Himmler vertreten - der Eroberung von Lebensraum, primär im Osten, für das „Volk ohne Raum“, bei gleichzeitiger Stärkung der inländischen Landwirtschaft durch Förderung relativ größerer Höfe und vor allem Beschränkung der Zersplitterung der bestehenden Höfe durch Erbteilung. Das Reichserbhofgesetz von 1933 dehnt das vorher nicht überall in Deutschland und teilweise nur fakultativ geltende Anerbenrecht auf alle Höfe, d.h. landwirtschaftliche Betriebe zwischen 7,5 und 125 ha aus und legt damit auch fest, welche Betriebsgrößen angestrebt werden.

Für die „Siedler“ mit ihren Gütlein, die eher in Größenordnungen von 0,2-3 ha zu suchen sind, bedeutet das, dass sie sich bei der NSDAP nur insofern noch heimisch zu fühlen brauchen, als ihnen diese die Perspektive eröffnet, im Osten einen „richtigen“ Hof zu erobern.

Sehr vielen hat es dabei grad für 1,80 * 0,50 * 0,80 m Raum gereicht:

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/28/B…

Schöne Grüße

MM

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Vielleicht ist es insgesamt auch noch ganz interessant zu wissen, dass die Lebensraumpolitik keine Erfindung Hitlers ist, er hat sie letztlich „nur“ durchgeführt.

Entstanden ist das ganze nämlich schon viel früher; in seinen Grundzügen Ende des 19. Jahrhunderts im Umgeld des „Alldeutschen Verbandes“.
Die Ideologie dieses Verbandes beinhaltete unter Anderem auch die Ausdehnung Deutschlands in den „praktisch leeren Osten Europas“, wobei es natürlich keine einheitliche Vorstellung über die räumliche Ausdehnung dieser „Ostexpansion“ gab.

Konkret wurde es dann zum ersten mal ab 1915, als deutsche und k.u.k Truppen im damaligen Westrussland einmarschierten und die besetzten Gebiete unter Militärverwaltung kamen. Diese hieß informell nur „OberOst“ und baute sich im Laufe der Jahre ein eigenes kleines „Ostreich“ auf.

Weiterhin interessant ist, dass auch im Laufe der Besetzung weiter Teile Osteuropas durch Deutschland erstmals Entlausungen im großen Stil durchgeführt wurden, wobei - dank diverser bereits vorhandener Vorurteile gegenüber Juden - schnell das Klischee entstand, die Osteuropäischen Juden seien besonders verlaust.
In „OberOst“ entwickelten deutsche Ärzte und Chemiker auch erstmals wirksame Methoden, ganze Eisenbahnwaggons voller Kleider etc. wirksam zu Entlausen. Auch wurde während der dt. Besatzungszeit in Osteuropa ein Schädlingsbekämpfungsmittel entwickelt, welches den Handelsnamen „Zyklon B“ erhielt…

Als dann im Frühjahr 1918 ein Friedensvertrag zwischen den Mittelmächten und Russland geschlossen wurde, in dem Russland praktisch seine wertvollsten Provinzen verlor, wurden Millionen freigewordener deutscher Soldaten zum vermeintlich „finalen Schlag“ gegen die verbliebenen Gegner an die Westfront transportiert(März 1918).
Den Rest kennen wir: Bewegungskrieg bis vor die Tore von Paris, Gegenoffensive, Rückzug, Waffenstillstand am 11.11.1918.

Im Vertrag von Versailles wurde natürlich der deutsch-russische Friedensvertrag (der „Vertrag von Brest-Litowsk“) annulliert, was natürlich auch als „Diebstahl“ angesehen wurde.
In den Köpfen einiger Militärs und Politiker blieb der Gedanken eines von Deutschland militärisch, wirtschaftlich und kulturell dominierten Osteuropas - der Grundstein für die spätere „Lebensraumpolitik“ der Nationalsozialisten.

Gruß

Betasator

[Mottenfraß im Hirn …
… ächt geil! Merk ich mir, insbesondere alldieweil ich schon ein paar Jährchen mehr als Du auf dem Buckel habe.

Häw e neis wiekent
Pit]

Guten Tag,

für das Lernen wissenschaftlicher Arbeitsweisen wäre es durchaus zuträglich, wenn Du mal eine Bibliothek aufsuchen würdest anstatt vorgekaute Fertignahrung zu suchen.
Wie willst Du Deinem Geschichtslehrer unterjubeln, dass Martin May von w-w-w sich damit auskennt?

Ja, so ist das …
Pit

für das Lernen wissenschaftlicher Arbeitsweisen wäre es
durchaus zuträglich, wenn Du mal eine Bibliothek aufsuchen
würdest anstatt vorgekaute Fertignahrung zu suchen.
Wie willst Du Deinem Geschichtslehrer unterjubeln, dass Martin
May von w-w-w sich damit auskennt?

Vielen Dank für diese hilfreiche und ausführliche Antwort. Vielleicht sollte ich meinem Lehrer ja mal „unterjubeln“, dass er mir keine Fragen bezüglich Geschichte zu stellen braucht. Antworten bekommt er ja auch in der- wie heißt dies noch gleich?-Bücherei? Noch nie gehört!

Außerdem bekommt man in Büchern ja wohl erst recht vorgekaute Fertignahrung, da stehen Fakten drin-schwarz auf weiß.
Ich suche hier aber Denkanstöße und einen Fingerzeig in die richtige Richtung.

Ja, so ist das …

Nein, ist es nicht.

Carina