Leitkultur

hallo!

sagt blosz, ihr habt euch dazu ausgeschwiegen?!?

vielleicht ist ja eine diskussion in irgendeinem anderen brett versteckt, ich gab zu, ich bin nicht suchen gewesen (wie unkultiviert :wink:.

hm, meine meinung: der begriff ist, schon allein von der semantik, ausdruck einer hierarchie. dadurch wird suggeriert, eine kultur sei wichtiger, besser als eine andere.

das wort ist eine schande fuer ‚sophisticated‘ leute (mir faellt kein treffendes deutsches wort ein, tut mir leid). allerdings wird der begriff, unabhaengig davon, ob er unter politikern ueblich wird, (ich sag mal:smile: an den „stammtischen“ sicherlich weiterverwendet und wahrscheinlich zu einer verstaerkung nationalistischer tendenzen fuehren koennen.

ich finde es wirklich PEINLICH, in einer zeit gewalttaetiger uebergriffe auf angehoerige anderer kulturen, auf synagogen etc., deutsche (leit)kultur groszartig im munde zu fuehren. ich finde es erbaermlich, das problem *integration* den auslaendern, fluechtlingen, andersartigen zuzuschieben, anstatt sich an die eigene nase zu fassen - ein jeder kehr’ vor seiner tuer…

[achtung: provokante these!]
es gibt Kulturen voller gastfreundschaft, gewaltfreiheit, mitmenschlichkeit, waerme, hilfsbereitschaft… -
und es gibt die deutsche „Kultur“.

viele gruesze
jonas

Vom Leid mit der Kultur

Ein Beitrag aus einer deutschen Kleinstadt anläßlich des Jahrestages des Potsdamer Ediktes

Der Begriff „Leitkultur“ ist in aller Munde. Was lässt sich aus dem bescheidenen H.er* Blickwinkel dazu sagen?
Die Stadt H. hat in ihrer Geschichte schon einmal eine tiefgreifende Begegnung mit einer fremden Kultur gemacht. Der Straßenname‚Kolonie’ erinnert noch heute daran, dass auch die Ackerbürgerstadt in der Folge des Potsdamer Ediktes vom 8.11.1685 französisch kolonisiert wurde. Bekanntlich kamen die Hugenotten als Refugiés, als Flüchtlinge, und brachten viel Fremdes und Andersartiges mit in unsere Gegend. Eine fremde Religion (so nannte man die Reformierten), eine fremde Sprache, fremdes Brauchtum und ihr großes Können und Geschick. Und sie bekamen Privilegien, steuerliche, kirchliche, juristische - mit eigener Gerichtsbarkeit.
Bemerkenswert erscheint überdies das sprachliche Privileg. Die Franzosen durften weiter sprechen wie sie wollten, und sogar Schulen errichten. Diese waren bald hoch angesehen, so dass in manchen Städten auch deutsche Eltern ihre Kinder dorthin schickten. Hundert Jahre lang sprachen die Hugenotten französisch. Zum Befremden mancher Deutscher, die sie zuweilen mit scheelem Blick bedachten. Bald entwickelte sich an den Stammtischen eine Art Neidkultur. Der Zugang zu Gilden und Zünften, wie auch der Absatz wurde den Zugewanderten erschwert. Sie haben Hindernisse gemeistert und Maßstäbe gesetzt. Wir kennen die Erfin-dung des Hugenotten Achard - die Sache mit der Runkelrübe - , der somit auch unseren Aufschwung in der Zuckerindustrie sicherte. Weitere hundert Jahre haben die „Fremden“ ihre Gottesdienste in französischer Sprache gefeiert. So lange eben, wie sie es als recht empfanden. Heute gehören sie ‚zu uns’, ihre Abstammung ist allenfalls an ihrem fremdartigen Namen erkennbar: Palis, Passier, etc… Wir wissen, was wir ihnen zu verdanken haben; die Begegnung mit der französischen Kultur hat sich - bis heute - als eine Bereicherung erwiesen.
Was hat den Hugenotten eigentlich das Überleben, die wirtschaftliche Blüte und ihre lang anhaltende Wirksamkeit in Deutschland gesichert? Mein Lexikon von 1930, als man draußen bereits schrille Hassgesänge gegen den französischen Erbfeind anstimmte, vermeldet nüchtern und sachlich: „Ihre überlegene Kultur sicherte ihnen bald im industriellen geistigen und militärischen Leben eine führende Rolle“! Es war also umgekehrt. Die Leitkultur damals war nicht unbedingt die deutsche. Und das war gut so.
Für heute scheint die Rede von einer deutschen Leitkultur ein Wunschtraum in den Köpfen mancher Politiker. Ein gefährlicher obendrein. Denn die Ausrichtung der Kultur ‚von oben’ zu verordnen, war schon immer verhängnisvoll.
Was wäre das eigentlich für eine erwünschte Kultur? Die Werteordnung der „christlich-abendländischen“ Kultur sei zu akzeptieren, fordern lautstark jene Herrschaften von der Poli-tik. Aber damit scheint es selbst bei den Abendländern nicht eben weit her. Wenn etwa Luzia Braun, die Moderatorin des ZDF - Kultur (!)- Magazins, im Fernsehen eigenmächtig und nassforsch den Termin des christlichen Totensonntags um drei Wochen nach vorne verlegt, dann kann ich nur sagen, Gute Nacht, liebes Abendland, du christliches…

Wolfram Steinacker

___
* Abk., weil pars pro toto

es gibt Kulturen voller gastfreundschaft, gewaltfreiheit,
mitmenschlichkeit, waerme, hilfsbereitschaft… -
und es gibt die deutsche „Kultur“.

viele gruesze
jonas

Hi Wolfram
einen Unterschied hast Du nicht erwähnt, die Hugenotten waren eine geistige Elite, hochgebildet und kultiviert.
Solche Leute befruchten die Wissenschaft und Kultur eines Landes und werden ja wieder gesucht, siehe Greencard-Diskussion.
Leider kommen aber jetzt die anderen.
Gruß
Rainer

Etwas abweichend…
Hallo!
Ja auch ich habe aud Grund meiner Herkunft Probleme mit diesem Begriff.
Was mich aber genauso irritiert, ist das die Deutschen EXTREME Probleme mit ihrer eigenen Kultur haben. Andere Laender (Europa) haben mit einigen dieser Punkten (Foerderung der Sprache, Literatur,…) ueberhaupt keine Probleme und setzen diese auch mit immensen Aufwand in die Tat um=> Frankreich.
Denen wuerde es nur im Traum nicht einfallen mit solch „platten Parolen“ in die Diskussion zu ziehen.
Bis denn
Ema

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Hallo Rainer

Leider kommen aber jetzt die anderen.

Da bin ich mir nicht so sicher. Auch die Hugenotten benötigten selbstverständlich ihre eigene Gerichtsbarkeit. Es wäre doch etwas blauäugig, unter ihnen nur moralische Glanzlichter zu vermuten. Warum eigentlich wird von den ‚anderen‘ gern verlangt, was die eigenen Leute zu wünschen übrig lassen?

In vielen Instituten, Betrieben bis hin zu den Bereichen, wofür sich viele Deutsche mittelerweile zu fein dünken, nehme ich solche ‚anderen‘ wahr, die gewissenhaft bis vorbildlich ihre Aufgaben erfüllen.

Wir haben ja eine Leitkultur. Nur keiner spricht davon. Es ist natürlich die amerikanische, die uns durchdringt, wie das Wasser den Schwamm. Von der Sprache bishin zum Brauchtum. Von Halloween bis zum Wahlrummel. Und kein politischer Hahn kräht danach. Von kultiviert oder gar elitär vermag ich da wenig zu erkennen.

Grüße von Wolfram

Hallo Ema!

Was mich aber genauso irritiert, ist das die Deutschen EXTREME
Probleme mit ihrer eigenen Kultur haben. Andere Laender
(Europa) haben mit einigen dieser Punkten (Foerderung der
Sprache, Literatur,…) ueberhaupt keine Probleme und setzen
diese auch mit immensen Aufwand in die Tat um=> Frankreich.

gerade das finde ich aber mindestens ebenso nationalistisch und auch engstirnig. kultur ist meiner meinung nach nichts, was derart bevormundet werden sollte! natuerlich ist jeder einzelne von uns kulturtraeger und damit auch in der lage, kultur mit zu beeinflussen, und jeder sollte das auch reflektiert tun. aber andererseits ist eben eine staatliche vorschreibung dessen, welche kultur man haben darf, welche nicht gewuenscht ist, und welche richtung kultur gehen darf, einfach nur schlimm.

Denen wuerde es nur im Traum nicht einfallen mit solch
„platten Parolen“ in die Diskussion zu ziehen.

stimmt vielleicht. ich befuerchte, so etwas wie „leitkultur“ gehoert laengst zu ihrem selbstverstaendlichsten selbstverstaendnis…

viele gruesze
jonas

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hallo!
sagt blosz, ihr habt euch dazu ausgeschwiegen?!?

hiho, im brett inlandspolitik wurd das schon mal diskutiert.

ich finde es absolut dumm und unverschämt was sich die herren/dame der cdu/csu da mal wieder (doppelte staatsbürgerschaft, kinder statt…) geleistet haben. aber so sind die politikerInnen nun mal heutzutage, aber dem ist entgegenzuhalten: Wir lassen es zu!

aber: die problematik aus der heraus dieses gesabbel erwächst, ist eine ganz anderere: wir deutschen dürfen auf uns selber kein bißchen stolz sein, weder im privaten geschweige denn im öffentlichen. egal wie toll wir mit unseren großen dichtern und musikern dastehen, egal wie viele weltkonzerne wir aufgebaut haben. gemessen und beurteilt werden wir nur nach unseren beiden Weltkriegen. im grunde besteht unsere geschichte nur aus den letzten 60-70 jahren.
und darauf haben scheinbar immer mehr leute keine lust, nur stehen denen noch viele gegenüber, die immer mit dem zeigefinger da sind, wenn der deutsche auch nur ansatzweise deutsch sein will. und ich finde es völlig legitim, und ich verlange das auch, daß der charakter unseres landes so wie ich ihn kennengelernt und verinnerlicht habe, erhalten bleibt.
alleine für den satz werde ich wahrscheinlich von tausenden leuten (währ schön wenn’s so viele lesen :smile:) verbale haue bekommen, aber warum eigentlich??

ich finde es wirklich PEINLICH, in einer zeit gewalttaetiger
uebergriffe auf angehoerige anderer kulturen, auf synagogen
etc., deutsche (leit)kultur groszartig im munde zu fuehren.

dem stimme ich zu, aber genauso polemisch wird die ökosteuer zur ko-steuer gemacht, auch zur völlig falschen zeit und unberechtigt.

ich finde es erbärmlich,das problem *integration* den
auslaendern, fluechtlingen, andersartigen zuzuschieben,
anstatt sich an die eigene nase zu fassen - ein jeder kehr’
vor seiner tuer…

naja, wenn ich nach syrien ziehe, muß ich mich wesentlich stärker umkrempeln und zu änderungen in meinem leben bereit sein, als umgekehrt. und man wird es von mir verlangen, oder ich werd konsequenzen spüren. warum sollen sich die zugezogenen nicht integrieren, und zwar von sich heraus. viele ausländer halten uns für zuuu sozial und links. jeder bekommt bei uns alles, wenn ers nur richtig anstellt. und immer finden wir noch eine ausrede warum wir doch noch mit der sozialen gießkanne übers land ziehen müssen.

und eins hab ich mittlerweile auch gelernt, obwohl ich’s lange nicht wahr haben wollte. viele ausländer sehen auf uns herab. weil wir keine familien mehr haben, weil wir keinen glauben haben, weil bei uns alte menschen einsam in ihren wohnungen sterben. auf der anderen seite leben sie aber ganz gut hier und kämen nie auf die idee aus diesen gründen dsa land zu verlassen. aber wenn jemand auf mich herabsieht, wie soll ich ihn integrieren können?

[achtung: provokante these!]
es gibt Kulturen voller gastfreundschaft, gewaltfreiheit,
mitmenschlichkeit, waerme, hilfsbereitschaft… -
und es gibt die deutsche „Kultur“.

ja so ist das. aber diese kultur hat viele andere vorteile deretwegen uns millionen beneiden. vielleicht geht beides nicht zusammen, aber im laufe der jahre wird sich schon die passende mischung herausstellen. und ich fänds prima, wenn dabei auch ein bißchen deutsches ‚kulturgut‘ wäre. das geht aber nicht, wenn wir deutschen heute nicht zu unserer kultur stehen.

grüße, rené

hallo rené

wir deutschen dürfen auf uns selber
kein bißchen stolz sein, weder im privaten geschweige denn im
öffentlichen.

stimmt groesztenteils.
wenn ich ehrlich sein darf: ich moechte nicht darauf stolz sein, Deutscher zu sein. ich verstehe nicht, wieso ich stolz sein koennte auf dichter und denker. wieso sollte ich goethe anders lesen als shakespeare? mit welchem recht soll ich auf den einen stolz sein (koennen), auf den anderen nicht? das verstehe ich nicht.
ich gehoere nicht zu denen, die stolz sind auf etwas, zu dem sie nichts beigetragen haben.

und ich finde es völlig legitim, und ich
verlange das auch, daß der charakter unseres landes so wie ich
ihn kennengelernt und verinnerlicht habe, erhalten bleibt.

halt! ich will den charakter unseres landes, wenn man diesen begriff ueberhaupt verwenden kann (ich halte ihn fuer SEHR fragwuerdig) nicht mir nichts dir nichts wegwischen.
aber ich will ihn auch nicht um jeden preis erhalten.
so konservativ und rueckwaertsgerichtet bin ich nicht.

wie hast du denn, wuerde mich interessieren, den charakter dieses landes kennengelernt? und was davon hast du verinnerlicht?

ich finde es erbärmlich,das problem *integration* den
auslaendern, fluechtlingen, andersartigen zuzuschieben,
anstatt sich an die eigene nase zu fassen - ein jeder kehr’
vor seiner tuer…

naja, wenn ich nach syrien ziehe, muß ich mich wesentlich
stärker umkrempeln und zu änderungen in meinem leben bereit
sein, als umgekehrt.

ich spreche nicht davon, wie man als fremder in syrien behandelt wird. solange ich fehler und schwaechen in meiner unmittelbaren umgebung sehe, wieso sollte ich mich da hinsetzen, ausruhen und sagen: bei anderen ist es ja noch schlimmer?
dann sollen wir also auch muelltrennung, bestechlichkeit etc. fahrlaessiger betrachten?

viele ausländer halten uns für zuuu sozial und links.

mag sein. frage: ist das nun der charakter, den du verinnerlicht hast und erhalten willst? ist das ueberhaupt zutreffend? ist es nicht vielleicht ein idealismus, mit dem leider die menschen noch nicht ausreichend mitgewachsen sind? ist mitmenschlichkeit fortgeschrittener als die menschen?
einige der regelungen z.b. fuer asylbewerber sind bescheuert, sicher. aber deswegen werde ich nicht das asylrecht auf den muell werfen.

viele auslaender halten uns vielleicht fuer zu sozial, weil sie nie in einem land waren, in dem (demokratischer) sozialismus einen einfluss auf die politik hatte. es ist einfach ungewohnt fuer sie.

jeder bekommt bei uns alles, wenn ers nur richtig anstellt.

und sei es eins in die fresse - und dazu muss er nicht mal was angestellt haben. bevor ich fremdenfreundlichkeit kritisiere, kritisiere ich fremdenfeindlichkeit…

und eins hab ich mittlerweile auch gelernt, obwohl ich’s lange
nicht wahr haben wollte. viele ausländer sehen auf uns herab.
[…]aber wenn jemand auf mich herabsieht, wie soll ich
ihn integrieren können?

frag dich: sieht er zurecht auf dich herab? wenn ja, verbessere dich. wenn nein: versuch ihm zu erklaeren, warum du so bist, wie du bist.
in jedem fall: jeder hat eine meinung, die aus einer anderen kultur, einem anderen wertesystem gepraegt ist (das gilt auch fuer zwei deutsche, die aus demselben dorf kommen - am wenigsten vielleicht noch, wenn sie brueder sind…).
und eine absolute wahrheit, eine loesung fuer alle fragen, die allen seiten gerecht wird, findest du nicht.

ich kann mit menschen zusammenleben, ohne mit ihnen in allem uebereinzustimmen. deswegen muss ich nicht auf sie herabsehen.
es gibt menschen - in allen laendern! - die das vielleicht nicht koennen. aber ich meine, das kann man lernen. muss man lernen.
unabhaengig von nationalitaeten. auch in einer familie gibt es streit, und man lebt dennoch zusammen.

das geht aber nicht, wenn wir deutschen heute
nicht zu unserer kultur stehen.

„kultur“ ist nun mal nichts, was du in worte fassen kannst. ist nicht definierbar. nicht vorschreibbar.
kultur ist nichts, was man als ganzes abgrenzen kann. kultur ist ein gigantisches komplexes mischwerk. steh zu deiner kultur. ich zu meiner.

aber wenn der staat von oben festlegen will, dass eine kultur leitkultur sein soll, krieg ich die kraetze. das zeugt einfach nur von kultureller blindheit. unverstand.

wenn die CDU als ausdruecklich christliche partei (sollte es da nicht eine trennung von kirche und staat geben, laut verfassung?) den islam nicht abkann, sollen sie es laut sagen und eine verfassungsbeschwerde gegen diese religion einlegen.

was ist denn unsere leitkultur? kaffee, pizza, cola, highfidelity?
duerfen wir jetzt keine japanischen autos mehr fahren, nicht mehr afrikanische autoren lesen, nicht mehr shakespeare sehen, nicht mehr apfelsinensaft trinken, keine computer mehr benutzen, uns vom internet abkapseln, sollen die firmen ihre filialen (und geschaeftsbeziehungen) im ausland beenden, duerfen wir nur noch deutsches wasser trinken, muessen wir jetzt gegen den euro sein, duerfen unsere politiker den wahlkampf nicht weiter amerikanisieren, brauchen wir wieder mal sprachpuristen, sollten wir benzin nicht besser nur noch aus deutschem erdoel herstellen? sollten wir das christentum nicht per dekret vom judentum vollstaendig trennen? darf das radio nur noch funkwelle heiszen und keine englische musik mehr spielen? sollten auslaender nicht aus unseren basketball- und fuszballteams verschwinden? sind ab sofort nur noch teckel, deutscher schaeferhund und deutsche dogge, aber keine perserkatzen mehr erlaubt? muss ich meinen wellensittich jetzt zu einem jaegerschnitzel verbraten?

die aufzaehlung laesst sich beliebig weiterfuehren und soll nur eins zeigen:

„deutsch“ ist keine einzelne kultur, kein einzelnes volk, nichts isoliertes.
kultur ist ein gewebe, dass nicht erst seit gestern weltoffen ist. (im gegensatz zu manchen politikern, die morgen immer noch nicht weltoffen sein werden *sfz*).

wenn du von deutscher kultur redest, muss du dir im klaren sein, dass das eine fiktion ist. „die deutsche kultur“, das ist ein witz. ich habe in meinem leben seltener sauerkraut gegessen als pizza, ich habe genauso haeufig indischen oder anderen tee getrunken wie cola, und kakao… ich habe weit mehr auslaendische filme gesehen und buecher gelesen als deutsche.
nur ein bruchteil der technik und kleidung und gegenstaende in meinem besitz ist aus deutschem material und deutscher herstellung.

deshalb werde ich nicht von deutscher leitkultur sprechen. deshalb bilde ich mir nicht ein, „deutsche kultur“ sei ein begriff, den man ontologisieren koennte. „deutsche kultur“ ist eine kette von lauten, die im gespraech sehr hilfreich sein kann, die man aber nciht so verwenden darf, als gaebe es da etwas ganz bestimmtes oder bestimmbares, was „deutsche kultur“ tatsaechlich ist, voll und ganz…

viele gruesze
jonas

hallo jonas, hab dein posting nicht gesehen weil ich die benachrichtigung vergessen hab, deswegen die späte antwort.

wir deutschen dürfen auf uns selber
kein bißchen stolz sein, weder im privaten geschweige denn im
öffentlichen.

stimmt groesztenteils.
wenn ich ehrlich sein darf: ich moechte nicht darauf stolz
sein, Deutscher zu sein. ich verstehe nicht, wieso ich stolz
sein koennte auf dichter und denker. wieso sollte ich goethe
anders lesen als shakespeare? mit welchem recht soll ich auf
den einen stolz sein (koennen), auf den anderen nicht? das
verstehe ich nicht.
ich gehoere nicht zu denen, die stolz sind auf etwas, zu dem
sie nichts beigetragen haben.

stolz auf etwas zu sein, auf das man selber keinen direkten einfluß hat(te) (geburtsland,familie,goethe,shakespeare etc,etc)
kommt meiner meinung nach dadurch zustande, daß man sich mit der sache identifiziert. natürlich kann keiner was dafür, aber es macht trotzdem spaß sich darauf zu beziehen. ein franzose der voller stolz die marsaillese (oder so :smile: singt oder ein amerikaner die nationalhymne oder oder oder kann auch nichts dafür, aber ich bin dennoch ein bißchen neidisch, daß ich sowas niemals machen durfte und mir (uns deutschen) dadurch vielleicht etwas wichtiges fehlt. ich sehe es im übrigen so, auch auf die gefahr eines inhaltlichen widerspruches:je lauter ein land die nationalhymne singt, desto geringer ist das selbstwertgefühl. dennoch ist das wir-gefühl und die identifikation bei diesen ländern stark ausgeprägt. ich selber bin nicht stolz deutscher zu sein, sondern nur verdammt froh, es hätte schlimmer kommen können.

und ich finde es völlig legitim, und ich
verlange das auch, daß der charakter unseres landes so wie ich
ihn kennengelernt und verinnerlicht habe, erhalten bleibt.

halt! ich will den charakter unseres landes, wenn man diesen
begriff ueberhaupt verwenden kann (ich halte ihn fuer SEHR
fragwuerdig) nicht mir nichts dir nichts wegwischen.
aber ich will ihn auch nicht um jeden preis erhalten.
so konservativ und rueckwaertsgerichtet bin ich nicht.
wie hast du denn, wuerde mich interessieren, den charakter
dieses landes kennengelernt? und was davon hast du
verinnerlicht?

also konservativ und rückwärtsgerichtet find ich stark übertrieben. ich denke schon, trotz aller sozialer umkrempeleien die derzeit stattfinden, das modell unseres staates immer noch vorbildlich ist.
und den charakter unseres landes hab ich so kennengelernt:
-ein gewisser hang zur ordnung, ein dachziegel wird sofort ausgetauscht wenn er defekt ist
-pünktlichkeit
-deutsche sind weltweit wahrscheinlich wirklich die einzigen, die nachts auf einer einsamen landstraße bei rot stehen bleiben
-förderalismus
-rechtssicherheit
-meinungsfreiheit etc.
-persönliche entfaltung
-handwerkliches talent
-weltweit das land mit den meisten brotsorten :smile:
-stabile gesellschaftliche/politische verhältnisse und die einsicht in die notwendigkeit der gleichen um die oben genannten punkte zu ermöglichen

einiges davon ist heutzutage nicht mehr wirklich typisch deutsch, aber mir gefallen die meisten punkte und vieles davon hab ich verinnerlicht, was sich vielleicht auch in meiner ausbildung zum maschinenbau-ingenieur ausdrückt. und, bevor du mir was vorwirfst, natürlich gibt es das genauso in anderen ländern, aber erstens noch lange nicht in allen, und zweitens red ich im moment als subjekt mit einer subjektiven sicht der dinge.

ich finde es erbärmlich,das problem *integration* den
auslaendern, fluechtlingen, andersartigen zuzuschieben,
anstatt sich an die eigene nase zu fassen - ein jeder kehr’
vor seiner tuer…

naja, wenn ich nach syrien ziehe, muß ich mich wesentlich
stärker umkrempeln und zu änderungen in meinem leben bereit
sein, als umgekehrt.

ich spreche nicht davon, wie man als fremder in syrien
behandelt wird. solange ich fehler und schwaechen in meiner
unmittelbaren umgebung sehe, wieso sollte ich mich da
hinsetzen, ausruhen und sagen: bei anderen ist es ja noch
schlimmer?
dann sollen wir also auch muelltrennung, bestechlichkeit etc.
fahrlaessiger betrachten?

ok, das stimmt. dennoch muß man von zugezogenen eine gewisse bereitschaft zur anpassung verlangen dürfen. ich spreche hier nicht von kopftuch, religion o.ä., sondern von der art und weise wie man mit uns deutschen kommuniziert und auf hiesige gewohnheiten reagiert. es gibt bei uns eine tages-job vermittlung für studenten und dort treff ich immer wieder ausländische studenten, die genau wissen, daß die arbeitgeber zum beispiel die aufenthaltsgenehmigung, steuerkarte, sozialschein etc. sehen wollen. aber jedesmal meckern sie rum und reden von ausbeutung, dummer bürokratie und tun so als wolle man sie versklaven. bei aushilfsjobs für 20DM/pro stunde netto! schreien sie das wär ne zumutung. ich verlange einfach von ihnen, daß sie diese sachen akzeptieren und sich daran halten. in marokko würden sie nicht für 20DM/std. arbeiten können (jaja, die lebenshaltngskosten sind natürlcih niedriger usw.) in syrien muß ich bei jeder busfahrt von einem ort zum anderen meinen paß und alle anderen papiere bereithalten, da mecker ich auch nicht andauernd rum obwohl es nervig ist.

viele ausländer halten uns für zuuu sozial und links.

mag sein. frage: ist das nun der charakter, den du
verinnerlicht hast und erhalten willst? ist das ueberhaupt
zutreffend? ist es nicht vielleicht ein idealismus, mit dem
leider die menschen noch nicht ausreichend mitgewachsen sind?
ist mitmenschlichkeit fortgeschrittener als die menschen?
einige der regelungen z.b. fuer asylbewerber sind bescheuert,
sicher. aber deswegen werde ich nicht das asylrecht auf den
muell werfen.

hab ich nie verlangt und wirst du auch nicht von mir hören. die paar männecken die hier asyl fordern, daran wird deutschland nun wirklich nicht verhungern. und richtig, die mitmenschlichkeit und der soziale idealismus IST fortgeschrittener als der mensch. sobald es einem längere zeit schlecht geht ohne perspektive auf besserung sucht der durchschnittsmensch immer noch nach sündenböcke, und da ist ein fremder immer ein prächtiges opfer.
und es stimmt auch, daß das ein charkaterzug den ich verinnerlicht habe, die förderung der schwachen, auch wenn andere dabei den kopf schütteln. aber das führt bei mir nicht bis zur unterwerfung nach dem motto:"…darf ich auch die andere wange hinhalten."

jeder bekommt bei uns alles, wenn ers nur richtig anstellt.

und sei es eins in die fresse - und dazu muss er nicht mal was
angestellt haben. bevor ich fremdenfreundlichkeit kritisiere,
kritisiere ich fremdenfeindlichkeit…

ich bin der festen überzeugung, daß dieses problem in den alten bundesländern wirklich marginal ist. ok, ein verfolgter oder geschlagener ist schon zuviel, aber im großen und ganzen müssen wir uns nicht schämen. absolut gesehen ist hier nicht alles gold was glänzt, aber ich sehe das im vergleich zu anderen nationen und da gehts schlimmer ab.
die neuen bundesländer schliesse ich explizit aus, denn da seh ich wirklich ein tieferliegendes potential zu intoleranz und ausländerfeindlichkeit. wer vierzig jahre eingesperrt war kann nicht von heut auf morgen problemlos in eine multi-kulti kapital-ist-alles gesellschaft integriert werden.

und eins hab ich mittlerweile auch gelernt, obwohl ich’s lange
nicht wahr haben wollte. viele ausländer sehen auf uns herab.
[…]aber wenn jemand auf mich herabsieht, wie soll ich
ihn integrieren können?

frag dich: sieht er zurecht auf dich herab? wenn ja,
verbessere dich.

nein, sieht er nicht. denn meine werte sind es, die es anderen ermöglichen zu uns zu kommen und sich hier eine existenz aufzubauen. ich kann sicher schlafen, habe, wenn ich die möglichkeiten unseres systems ausschöpfe eine gesicherte zukunft. daß es bei uns an menschlicher wärme fehlt ist allerdings ein problem. aber nur menschliche wärme sichert mir auch nicht die zukunft und ein ruhiges leben, siehe in ländern in denen man sicherlich gastfreundlich und familienorientiert ist, aus denen die leute aber zu uns wollen, weil man hier satt wird.

wenn nein: versuch ihm zu erklaeren, warum du

so bist, wie du bist.

das hört sich ja an als müßt ich mich verteidigen.

in jedem fall: jeder hat eine meinung, die aus einer anderen
kultur, einem anderen wertesystem gepraegt ist (das gilt auch
fuer zwei deutsche, die aus demselben dorf kommen - am
wenigsten vielleicht noch, wenn sie brueder sind…).
und eine absolute wahrheit, eine loesung fuer alle fragen, die
allen seiten gerecht wird, findest du nicht.

ich kann mit menschen zusammenleben, ohne mit ihnen in allem
uebereinzustimmen. deswegen muss ich nicht auf sie herabsehen.
es gibt menschen - in allen laendern! - die das vielleicht
nicht koennen. aber ich meine, das kann man lernen. muss man
lernen.

genau, und das war es, was ich von zugezogenen erwarte, weil ich es selber so lebe.

„kultur“ ist nun mal nichts, was du in worte fassen kannst.
ist nicht definierbar. nicht vorschreibbar.
kultur ist nichts, was man als ganzes abgrenzen kann. kultur
ist ein gigantisches komplexes mischwerk. steh zu deiner
kultur. ich zu meiner.

ich hab auch nicht eine leitkultur verlangt und will sie auch nicht, andererseits seh ich nichts verwerfliches darin, wenn ich gewisse „eigenheiten“ beschützt sehen will. nicht im sinne von gesetzen oder sonstigem. sondern dadurch, daß ich und andere zu unseren eigenheiten stehe und die auch vertrete. so wie japaner ihre teetradition vertreten, ami’s ihren hamburger, italiener ihre temperamentvolle art, norweger ihre sauna und was weiss ich nicht alles, und so steh ich dazu, daß der dachziegel repariert wird wenn er defekt ist, auch wenn der türke das spießig bzw. für unnötig hält weils ja grad nicht regnet. während ich das schreibe lach ich über diese ordnungsfimmel, aber er ist mir trotzdem so symphatisch, daß ich es von anderen verlange die hier leben wollen.

wenn die CDU als ausdruecklich christliche partei (sollte es
da nicht eine trennung von kirche und staat geben, laut
verfassung?) den islam nicht abkann, sollen sie es laut sagen
und eine verfassungsbeschwerde gegen diese religion einlegen.
was ist denn unsere leitkultur? kaffee, pizza, cola,
highfidelity?
duerfen wir jetzt keine japanischen autos mehr fahren, nicht
mehr afrikanische autoren lesen, nicht mehr shakespeare sehen,
nicht mehr apfelsinensaft trinken, keine computer mehr
benutzen, uns vom internet abkapseln, sollen die firmen ihre
filialen (und geschaeftsbeziehungen) im ausland beenden,
duerfen wir nur noch deutsches wasser trinken, muessen wir
jetzt gegen den euro sein, duerfen unsere politiker den
wahlkampf nicht weiter amerikanisieren, brauchen wir wieder
mal sprachpuristen, sollten wir benzin nicht besser nur noch
aus deutschem erdoel herstellen? sollten wir das christentum
nicht per dekret vom judentum vollstaendig trennen? darf das
radio nur noch funkwelle heiszen und keine englische musik
mehr spielen? sollten auslaender nicht aus unseren basketball-
und fuszballteams verschwinden? sind ab sofort nur noch
teckel, deutscher schaeferhund und deutsche dogge, aber keine
perserkatzen mehr erlaubt? muss ich meinen wellensittich jetzt
zu einem jaegerschnitzel verbraten?
„deutsch“ ist keine einzelne kultur, kein einzelnes volk,
nichts isoliertes.
kultur ist ein gewebe, dass nicht erst seit gestern weltoffen
ist. (im gegensatz zu manchen politikern, die morgen immer
noch nicht weltoffen sein werden *sfz*).
wenn du von deutscher kultur redest, muss du dir im klaren
sein, dass das eine fiktion ist. „die deutsche kultur“, das
ist ein witz. ich habe in meinem leben seltener sauerkraut
gegessen als pizza, ich habe genauso haeufig indischen oder
anderen tee getrunken wie cola, und kakao… ich habe weit
mehr auslaendische filme gesehen und buecher gelesen als
deutsche.
nur ein bruchteil der technik und kleidung und gegenstaende in
meinem besitz ist aus deutschem material und deutscher
herstellung.
deshalb werde ich nicht von deutscher leitkultur sprechen.
deshalb bilde ich mir nicht ein, „deutsche kultur“ sei ein
begriff, den man ontologisieren koennte. „deutsche kultur“ ist
eine kette von lauten, die im gespraech sehr hilfreich sein
kann, die man aber nciht so verwenden darf, als gaebe es da
etwas ganz bestimmtes oder bestimmbares, was „deutsche kultur“
tatsaechlich ist, voll und ganz…

ich weiss nicht was die cdu will und sie wissen es selber scheinbar nicht, denn den begriff leitkultur haben sie ja immer noch nicht mit wirklichen inhalten gefüllt.
ich vestehe aber unter deutscher kultur auch nicht unbedingt sauerkraut mit eisbein. und das es keine feste und absolute kultur gibt, alles richtig und dem stimm ich auch voll zu.
der mensch ist nunmal aber ein hordentier, und es ist fraglich ob sein erkenntnisstand und seine aufnahmefähigkeit bedingungslos auf die ganze weltbevölkerung (als horde) erweitert werden kann.

grüße rené

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hi rené

mal eine frage vorweg: du warst mal in syrien? :smile:

auch auf die gefahr eines inhaltlichen widerspruches:je lauter
ein land die nationalhymne singt, desto geringer ist das
selbstwertgefühl. dennoch ist das wir-gefühl und die
identifikation bei diesen ländern stark ausgeprägt.

ja, denke ich auch. sagen wir vielleicht: desto geringer ist das individuelle selbstwertgefuehl? deswegen muss es im kollektiv aufgepeppt werden…
aber dieses wir-gefuehl birgt auch viele gefahren. nach unserem bisherigen austausch schaetze ich, wir koennten auch hier einer meinung sein; ich sprechs trotzdem lieber aus, eh man mir unterlassung vorwirft… :wink:
die gefahren: der einzelne gibt verantwortung ab/ entzieht sich der verantwortung; jeder ueberlaesst das denken dem kollektiv oder einem fuehrer, jeder ist (unbewusst) bemueht, so konform zu sein wie es nur geht…

(charakter des landes erhalten)

also konservativ und rückwärtsgerichtet find ich stark
übertrieben.

du sprachst von „erhalten“, und konservativ heiszt nichts anderes als „erhaltend“, oder? das sollte ja auch kein boeser vorwurf sein, sondern nur der hinweis auf eine - wie ich finde - unbedachte ausdrucksweise. wie gesagt, ich halte es fuer daemlich, die kultur eines landes [wenn man nun schon mal von so etwas zu sprechen koennen meint] ueber den haufen zu werfen; aber fuer genauso dumm halte ich es, kultur *uebermaeszig* bewahren zu wollen. jeder darf seine kultur pflegen, solange damit keine grundgesetze verletzt werden; aber bei der CDU klang es so, als wollten sie irgendwelche deutschen kulturmerkmale auch fuer auslaender zu einer art pflichtkultur vorschreiben - und das alles nur aus einem trieb, die kultur „erhalten“ zu muessen…

wir muessen vorsichtig sprechen.

und den charakter unseres landes hab ich so kennengelernt:
-ein gewisser hang zur ordnung, ein dachziegel wird sofort
ausgetauscht wenn er defekt ist
[…]

interessante aufzaehlung :smile:
es ging vor allem um mentalitaeten, juristisch festgelegte freiheiten u.a., brot, handwerk… :smile:
und nationalhymne, goethe, volkslied, deutscher wald, berliner mauer, deutschrock, bach … auch irgendwo dinge, die typischerweise mit deutscher kultur in verbindung gebracht werden, nicht wahr? es ist nur eine beobachtung, aber wohin sie fuehrt, weisz ich selbst nicht…

und, bevor du mir was vorwirfst,

keine sorge :o) so bin ich nicht *g*

ok, das stimmt. dennoch muß man von zugezogenen eine gewisse
bereitschaft zur anpassung verlangen dürfen.

das leugne ich nicht. aber das ist etwas voellig anderes als ueber „leitkultur“ zu reden. wenn die CDU das meint, ist sie der deutschen sprache nicht maechtig *fg*

ich wuerde von einer gewissen toleranz und bescheidenheit des gastes sprechen…

es gibt bei uns eine tages-job
vermittlung für studenten und dort treff ich immer wieder
ausländische studenten, die genau wissen, daß die arbeitgeber

ich verstehe was du meinst. und ich kann das verhalten der leute auch nicht gutheiszen, werde es nicht rechtfertigen etc…
andererseits koennte man aber auch bedenken: die sind in einer art gesellschaftlichem dauerstress. allein durch ihr aussehen werden sehr viele auslaender bereits anders angesehen, anders behandelt. es kommen sprachschwierigkeiten hinzu, dann die alltaegliche jungmann-paranoia, sich in einer feindlich gesinnten welt behaupten und beweisen zu muessen…

rollenverhalten ist rettung. genauso wie eine hingebungsvoll gesungene nationalhymne ist rumprollen eine moeglichkeit, sich in eine gemeinschaft gleicher einzufuegen…

fremdenfeindlichkeit forciert solche prozesse nur noch.
und damit meine ich schon die ganz alltaegliche fremdenfeindlichkeit, die nur in den blicken liegt, mit denen man fremde menschen ansieht…

ich bin der festen überzeugung, daß dieses problem in den
alten bundesländern wirklich marginal ist. ok, ein verfolgter
oder geschlagener ist schon zuviel, aber im großen und ganzen
müssen wir uns nicht schämen. absolut gesehen ist hier nicht
alles gold was glänzt, aber ich sehe das im vergleich zu
anderen nationen und da gehts schlimmer ab.

man siehe, was die israelis mit den palaestinensern machen. das ist nahe an einer zweiten shoah… :frowning:

die neuen bundesländer schliesse ich explizit aus, denn da seh
ich wirklich ein tieferliegendes potential zu intoleranz und
ausländerfeindlichkeit. wer vierzig jahre eingesperrt war kann
nicht von heut auf morgen problemlos in eine multi-kulti
kapital-ist-alles gesellschaft integriert werden.

das wussten natuerlich auch alle schon vor zehn jahren, als die frage war, ob (!) und wie eine wiedervereinigung stattfinden sollte. und kohl wusste, er wollte die wahl noch mal gewinnen. *sfz*

frag dich: sieht er zurecht auf dich herab? wenn ja,
verbessere dich.

nein, sieht er nicht. denn meine werte sind es, die …

wenn nein: versuch ihm zu erklaeren, warum du
so bist, wie du bist.

das hört sich ja an als müßt ich mich verteidigen.

nein: du solltest, finde ich, versuchen, seine toleranz und sein verstaendnis zu wecken. was ich meine, ist nicht verteidigung, defensiv/offensive rechtfertigung, sondern *voelkerverstaendigung*. dazu muss man miteinander reden. und es ist dummheit, immer vom anderen zu verlangen, das gespraech zu beginnen :wink:

ich kann mit menschen zusammenleben, ohne mit ihnen in allem
uebereinzustimmen. deswegen muss ich nicht auf sie herabsehen.
es gibt menschen - in allen laendern! - die das vielleicht
nicht koennen. aber ich meine, das kann man lernen. muss man
lernen.

genau, und das war es, was ich von zugezogenen erwarte, weil
ich es selber so lebe.

arbeite dafuer, dass sie diese erwartungen auch erfuellen koennen! in deutschland leben bereits nachbarn mehr nebeneinander als miteinander. wie ist es da erst z.b. mit fluechtlingen…
wir leben doch nicht gemeinsam mit tuerken in einem land, auch wenn das sprachlich kaum anders auszudruecken ist… beide seiten scheinen doch beinahe bemueht, nicht allzuviel miteinander zu tun zu haben…

das meine ich mit: versuch zu erklaeren, warum du so bist wie du bist. das muss keine verbale erklaerung sein. das kann einfach heiszen, dass du dein verhalten offenlegst, dass du einlaedst und teilhaben laesst.

und erst wenn du anfaengst zu teilen, kannst du auch wirklich gewinn machen…

ich hab auch nicht eine leitkultur verlangt und will sie auch
nicht, andererseits seh ich nichts verwerfliches darin, wenn
ich gewisse „eigenheiten“ beschützt sehen will. nicht im sinne
von gesetzen oder sonstigem. sondern dadurch, daß ich und
andere zu unseren eigenheiten stehe und die auch vertrete.

das werde ich dir doch auch nicht wegzunehmen versuchen.
aber dieses „wir-gefuehl“, das schon ganz oben im text steht, dieser verlust an eigenverantwortung sollte dabei nicht zu stark werden.

der mensch ist nunmal aber ein hordentier, und es ist fraglich
ob sein erkenntnisstand und seine aufnahmefähigkeit
bedingungslos auf die ganze weltbevölkerung (als horde)
erweitert werden kann.

nein. kann nicht. :smile:
waer auch tragisch und witzlos.
ich will auch keine weltkultur auf uns herabpredigen.
aber weltoffenheit. toleranz. wo etwas wie eine uebergeordnete, eine meta-kultur: freiheit zu friedlichen meinungsverschiedenheiten (mit recht auf intensivste diskussion), toleranz, akzeptanz kultureller unterschiede, offenheit fremden menschen gegenueber…
regionale und lokale kulturen sind etwas wunderbares und (so ahne ich) auch sehr sinnvolles fuer den menschen. aber sowas wie eine leitkultur ist dagegen eher ein krebstumor, eine grausame verdrehung des gesamten, freien kulturwesens.

viele gruesze
jonas

mal eine frage vorweg: du warst mal in syrien? :smile:

schwer zu erraten, oder? :smile:
ja, ein paar mal in syrien und im libanon. diese reiseziele kann ich nur jedem empfehlen der WIRKLICH was lernen will. ich würd jeder 10.klasse empfehlen, statt abschlußfahrt im müchner hofbräuhaus oder skifahren in den alpen, in ein land mit völlig anderer „kultur“ zu fahren.

andererseits koennte man aber auch bedenken: die sind in einer
art gesellschaftlichem dauerstress. allein durch ihr aussehen
werden sehr viele auslaender bereits anders angesehen, anders
behandelt. es kommen sprachschwierigkeiten hinzu, dann die
alltaegliche jungmann-paranoia, sich in einer feindlich
gesinnten welt behaupten und beweisen zu muessen…
rollenverhalten ist rettung. genauso wie eine hingebungsvoll
gesungene nationalhymne ist rumprollen eine moeglichkeit, sich
in eine gemeinschaft gleicher einzufuegen…
fremdenfeindlichkeit forciert solche prozesse nur noch.
und damit meine ich schon die ganz alltaegliche
fremdenfeindlichkeit, die nur in den blicken liegt, mit denen
man fremde menschen ansieht…

ich gebs zu: jungmann-paranoia? noch nie gehört. kann mir aber sehr gut vorstellen, was darunter zu verstehen ist. aber wie ist es umgekehrt? nicht nur der fremde steckt im streß, oder? ist nicht auch der einheimische, je nach bildung und lebenslage völlig überfordert einen fremden aufzunehmen, verstehen, auf ihn zuzugehen etc?
und wenn jemand fremd aussieht, schaut man ihn nunmal an, mensch ist ja neugierig. wobei ich mal behaupte, daß die deutschen mittlerweile so an ausländer gewöhnt sind, daß diese blicke ziemlich selten sind/werden.!?

man siehe, was die israelis mit den palaestinensern machen.
das ist nahe an einer zweiten shoah… :frowning:

schlimmes thema, siehe die seit fast einem jahr anhaltende diskussion im brett auslandspolitik

die neuen bundesländer schliesse ich explizit aus, denn da seh
ich wirklich ein tieferliegendes potential zu intoleranz und
ausländerfeindlichkeit. wer vierzig jahre eingesperrt war kann
nicht von heut auf morgen problemlos in eine multi-kulti
kapital-ist-alles gesellschaft integriert werden.

das wussten natuerlich auch alle schon vor zehn jahren, als
die frage war, ob (!) und wie eine wiedervereinigung
stattfinden sollte. und kohl wusste, er wollte die wahl noch
mal gewinnen. *sfz*

ehrlich gesagt, habe ich mir damals kein bild davon gemacht, was da wirklich auf uns zukommt. ich hatte ja keinen einblick in das leben der ddr, von daher war es sicherlich für mich und auch für viele andere unrealistisch eine prognose über den eingliederungsprozeß zu formulieren. was bei den politikern mit all ihren beratern und kontakten doch anders ausgesehen haben dürfte.

ich kann mit menschen zusammenleben, ohne mit ihnen in allem
uebereinzustimmen. deswegen muss ich nicht auf sie herabsehen.
es gibt menschen - in allen laendern! - die das vielleicht
nicht koennen. aber ich meine, das kann man lernen. muss man
lernen.

genau, und das war es, was ich von zugezogenen erwarte, weil
ich es selber so lebe.

arbeite dafuer, dass sie diese erwartungen auch erfuellen
koennen! in deutschland leben bereits nachbarn mehr
nebeneinander als miteinander. wie ist es da erst z.b. mit
fluechtlingen…
wir leben doch nicht gemeinsam mit tuerken in einem land, auch
wenn das sprachlich kaum anders auszudruecken ist… beide
seiten scheinen doch beinahe bemueht, nicht allzuviel
miteinander zu tun zu haben…
das meine ich mit: versuch zu erklaeren, warum du so bist wie
du bist. das muss keine verbale erklaerung sein. das kann
einfach heiszen, dass du dein verhalten offenlegst, dass du
einlaedst und teilhaben laesst.
und erst wenn du anfaengst zu teilen, kannst du auch wirklich
gewinn machen…

hab ich schon, bin seit 5jahren mit einer libanesin zusammen *grinsumdieohren*, sozusagen der 6-er im lotto :smile:)))

ich hab auch nicht eine leitkultur verlangt und will sie auch
nicht, andererseits seh ich nichts verwerfliches darin, wenn
ich gewisse „eigenheiten“ beschützt sehen will. nicht im sinne
von gesetzen oder sonstigem. sondern dadurch, daß ich und
andere zu unseren eigenheiten stehe und die auch vertrete.

das werde ich dir doch auch nicht wegzunehmen versuchen.
aber dieses „wir-gefuehl“, das schon ganz oben im text steht,
dieser verlust an eigenverantwortung sollte dabei nicht zu
stark werden.

das glaub ich gerade nicht. wenn ich ein gestärktes selbstbewußtsein habe, bin ich in der lage andere zu akzeptieren, egal ob er ausländer ist, oder ein angehöriger irgendeiner spinnerten sekte. dieses selbstbewußtsein wird unter anderem durch den rückgriff auf meine eigene kultur gestärkt, was aber nicht in einem wir-gefühl negativen charakters ausarten muß. ein gewisses wir-gefühl muß einfach sein, sonst hat mensch wirklich gar keinen rückhalt aus dem er kraft schöpfen kann.

ich denke wir beide sind uns im großen und ganzen eh einig.
den begriff leitkultur versteh ich nicht, schon gar nicht so wie ihn merz und konsorten formuliert haben, und letzten endes muß ich feststellen, beziehe ich mich bei der ganzen diskussion auch gar nicht auf diesen begriff bzw. dessen „erfinder“. ich glaube der großteil von uns ist über dieses niedrige stadium schon hinweg, allerdings werden grade dumpfe massen mobilisiert, die einen gewissen denkprozeß noch nicht beendet. bzw begonnen haben. ich sehe das problem in etwas fernerer zukunft und dann vielleicht wesentlich exzessiver. und das ist das problem, daß sich die deutschen irgendwann fragen müssen, was von all dem das uns umgibt, ist eigentlich noch deutsch, oder andersherum: wer ist hier eigentlich noch deutsch?
und wenn ich heute nicht darauf achte, meine „liebgewordenen deutschen eigenheiten“ zu wahren und zu achten, wird in 100 jahren keiner mehr auf die frage antworten können.
wie gesagt, ich bin seit 5jahren mit einer libanesin zusammen, und mein freundeskreis besteht zu über 2dritteln aus ausländern aller herren länder, und ich hab schon einiges an diskussion und integration und annäherung etc etc hinter mir. und das witzige daran ist, daß die meisten ausländer selber sagen, daß wir deutsche mehr achtung und respekt vor uns selber haben sollten, denn dadurch daß wir uns ständig selber öffentlich „geisseln“, sind wir für sie ein armes häufchen elend und man hat allenfalls mitleid für uns übrig. und dann beginnt der prozeß des herabblickens den ich angesprochen habe, und nicht nur bei der oben beschriebenen job-vermittlung, sondern es ist ein meinungsbild daß sich bei den ausländern allgemein eingeprägt hat. so was hört man aber nicht wenn man nur „bekannt“ mit ausländern ist, sowas erfährt und erlebt man tatsächlich erst nach einigen jahren des miteinanders und man lernt dann auch irgendwann, daß man/frau sich als deutsche ruhig erheben darf und sogar muß, denn sonst wird man nicht ernst genommen! und das sieht man ja auch an der deutschen scheck-buch mentalität die wir im ausland beziehen. kein deutscher traut sich im ausland wirklich anzuprangern was anzuprangern ist, da muß er sich immer dreimal überlegen wa er sagt.
tja, das wolt ich noch dazu sagen, bin gespannt auf deine reaktion…

grüße rené