hallo jonas, hab dein posting nicht gesehen weil ich die benachrichtigung vergessen hab, deswegen die späte antwort.
wir deutschen dürfen auf uns selber
kein bißchen stolz sein, weder im privaten geschweige denn im
öffentlichen.
stimmt groesztenteils.
wenn ich ehrlich sein darf: ich moechte nicht darauf stolz
sein, Deutscher zu sein. ich verstehe nicht, wieso ich stolz
sein koennte auf dichter und denker. wieso sollte ich goethe
anders lesen als shakespeare? mit welchem recht soll ich auf
den einen stolz sein (koennen), auf den anderen nicht? das
verstehe ich nicht.
ich gehoere nicht zu denen, die stolz sind auf etwas, zu dem
sie nichts beigetragen haben.
stolz auf etwas zu sein, auf das man selber keinen direkten einfluß hat(te) (geburtsland,familie,goethe,shakespeare etc,etc)
kommt meiner meinung nach dadurch zustande, daß man sich mit der sache identifiziert. natürlich kann keiner was dafür, aber es macht trotzdem spaß sich darauf zu beziehen. ein franzose der voller stolz die marsaillese (oder so
singt oder ein amerikaner die nationalhymne oder oder oder kann auch nichts dafür, aber ich bin dennoch ein bißchen neidisch, daß ich sowas niemals machen durfte und mir (uns deutschen) dadurch vielleicht etwas wichtiges fehlt. ich sehe es im übrigen so, auch auf die gefahr eines inhaltlichen widerspruches:je lauter ein land die nationalhymne singt, desto geringer ist das selbstwertgefühl. dennoch ist das wir-gefühl und die identifikation bei diesen ländern stark ausgeprägt. ich selber bin nicht stolz deutscher zu sein, sondern nur verdammt froh, es hätte schlimmer kommen können.
und ich finde es völlig legitim, und ich
verlange das auch, daß der charakter unseres landes so wie ich
ihn kennengelernt und verinnerlicht habe, erhalten bleibt.
halt! ich will den charakter unseres landes, wenn man diesen
begriff ueberhaupt verwenden kann (ich halte ihn fuer SEHR
fragwuerdig) nicht mir nichts dir nichts wegwischen.
aber ich will ihn auch nicht um jeden preis erhalten.
so konservativ und rueckwaertsgerichtet bin ich nicht.
wie hast du denn, wuerde mich interessieren, den charakter
dieses landes kennengelernt? und was davon hast du
verinnerlicht?
also konservativ und rückwärtsgerichtet find ich stark übertrieben. ich denke schon, trotz aller sozialer umkrempeleien die derzeit stattfinden, das modell unseres staates immer noch vorbildlich ist.
und den charakter unseres landes hab ich so kennengelernt:
-ein gewisser hang zur ordnung, ein dachziegel wird sofort ausgetauscht wenn er defekt ist
-pünktlichkeit
-deutsche sind weltweit wahrscheinlich wirklich die einzigen, die nachts auf einer einsamen landstraße bei rot stehen bleiben
-förderalismus
-rechtssicherheit
-meinungsfreiheit etc.
-persönliche entfaltung
-handwerkliches talent
-weltweit das land mit den meisten brotsorten 
-stabile gesellschaftliche/politische verhältnisse und die einsicht in die notwendigkeit der gleichen um die oben genannten punkte zu ermöglichen
einiges davon ist heutzutage nicht mehr wirklich typisch deutsch, aber mir gefallen die meisten punkte und vieles davon hab ich verinnerlicht, was sich vielleicht auch in meiner ausbildung zum maschinenbau-ingenieur ausdrückt. und, bevor du mir was vorwirfst, natürlich gibt es das genauso in anderen ländern, aber erstens noch lange nicht in allen, und zweitens red ich im moment als subjekt mit einer subjektiven sicht der dinge.
ich finde es erbärmlich,das problem *integration* den
auslaendern, fluechtlingen, andersartigen zuzuschieben,
anstatt sich an die eigene nase zu fassen - ein jeder kehr’
vor seiner tuer…
naja, wenn ich nach syrien ziehe, muß ich mich wesentlich
stärker umkrempeln und zu änderungen in meinem leben bereit
sein, als umgekehrt.
ich spreche nicht davon, wie man als fremder in syrien
behandelt wird. solange ich fehler und schwaechen in meiner
unmittelbaren umgebung sehe, wieso sollte ich mich da
hinsetzen, ausruhen und sagen: bei anderen ist es ja noch
schlimmer?
dann sollen wir also auch muelltrennung, bestechlichkeit etc.
fahrlaessiger betrachten?
ok, das stimmt. dennoch muß man von zugezogenen eine gewisse bereitschaft zur anpassung verlangen dürfen. ich spreche hier nicht von kopftuch, religion o.ä., sondern von der art und weise wie man mit uns deutschen kommuniziert und auf hiesige gewohnheiten reagiert. es gibt bei uns eine tages-job vermittlung für studenten und dort treff ich immer wieder ausländische studenten, die genau wissen, daß die arbeitgeber zum beispiel die aufenthaltsgenehmigung, steuerkarte, sozialschein etc. sehen wollen. aber jedesmal meckern sie rum und reden von ausbeutung, dummer bürokratie und tun so als wolle man sie versklaven. bei aushilfsjobs für 20DM/pro stunde netto! schreien sie das wär ne zumutung. ich verlange einfach von ihnen, daß sie diese sachen akzeptieren und sich daran halten. in marokko würden sie nicht für 20DM/std. arbeiten können (jaja, die lebenshaltngskosten sind natürlcih niedriger usw.) in syrien muß ich bei jeder busfahrt von einem ort zum anderen meinen paß und alle anderen papiere bereithalten, da mecker ich auch nicht andauernd rum obwohl es nervig ist.
viele ausländer halten uns für zuuu sozial und links.
mag sein. frage: ist das nun der charakter, den du
verinnerlicht hast und erhalten willst? ist das ueberhaupt
zutreffend? ist es nicht vielleicht ein idealismus, mit dem
leider die menschen noch nicht ausreichend mitgewachsen sind?
ist mitmenschlichkeit fortgeschrittener als die menschen?
einige der regelungen z.b. fuer asylbewerber sind bescheuert,
sicher. aber deswegen werde ich nicht das asylrecht auf den
muell werfen.
hab ich nie verlangt und wirst du auch nicht von mir hören. die paar männecken die hier asyl fordern, daran wird deutschland nun wirklich nicht verhungern. und richtig, die mitmenschlichkeit und der soziale idealismus IST fortgeschrittener als der mensch. sobald es einem längere zeit schlecht geht ohne perspektive auf besserung sucht der durchschnittsmensch immer noch nach sündenböcke, und da ist ein fremder immer ein prächtiges opfer.
und es stimmt auch, daß das ein charkaterzug den ich verinnerlicht habe, die förderung der schwachen, auch wenn andere dabei den kopf schütteln. aber das führt bei mir nicht bis zur unterwerfung nach dem motto:"…darf ich auch die andere wange hinhalten."
jeder bekommt bei uns alles, wenn ers nur richtig anstellt.
und sei es eins in die fresse - und dazu muss er nicht mal was
angestellt haben. bevor ich fremdenfreundlichkeit kritisiere,
kritisiere ich fremdenfeindlichkeit…
ich bin der festen überzeugung, daß dieses problem in den alten bundesländern wirklich marginal ist. ok, ein verfolgter oder geschlagener ist schon zuviel, aber im großen und ganzen müssen wir uns nicht schämen. absolut gesehen ist hier nicht alles gold was glänzt, aber ich sehe das im vergleich zu anderen nationen und da gehts schlimmer ab.
die neuen bundesländer schliesse ich explizit aus, denn da seh ich wirklich ein tieferliegendes potential zu intoleranz und ausländerfeindlichkeit. wer vierzig jahre eingesperrt war kann nicht von heut auf morgen problemlos in eine multi-kulti kapital-ist-alles gesellschaft integriert werden.
und eins hab ich mittlerweile auch gelernt, obwohl ich’s lange
nicht wahr haben wollte. viele ausländer sehen auf uns herab.
[…]aber wenn jemand auf mich herabsieht, wie soll ich
ihn integrieren können?
frag dich: sieht er zurecht auf dich herab? wenn ja,
verbessere dich.
nein, sieht er nicht. denn meine werte sind es, die es anderen ermöglichen zu uns zu kommen und sich hier eine existenz aufzubauen. ich kann sicher schlafen, habe, wenn ich die möglichkeiten unseres systems ausschöpfe eine gesicherte zukunft. daß es bei uns an menschlicher wärme fehlt ist allerdings ein problem. aber nur menschliche wärme sichert mir auch nicht die zukunft und ein ruhiges leben, siehe in ländern in denen man sicherlich gastfreundlich und familienorientiert ist, aus denen die leute aber zu uns wollen, weil man hier satt wird.
wenn nein: versuch ihm zu erklaeren, warum du
so bist, wie du bist.
das hört sich ja an als müßt ich mich verteidigen.
in jedem fall: jeder hat eine meinung, die aus einer anderen
kultur, einem anderen wertesystem gepraegt ist (das gilt auch
fuer zwei deutsche, die aus demselben dorf kommen - am
wenigsten vielleicht noch, wenn sie brueder sind…).
und eine absolute wahrheit, eine loesung fuer alle fragen, die
allen seiten gerecht wird, findest du nicht.
ich kann mit menschen zusammenleben, ohne mit ihnen in allem
uebereinzustimmen. deswegen muss ich nicht auf sie herabsehen.
es gibt menschen - in allen laendern! - die das vielleicht
nicht koennen. aber ich meine, das kann man lernen. muss man
lernen.
genau, und das war es, was ich von zugezogenen erwarte, weil ich es selber so lebe.
„kultur“ ist nun mal nichts, was du in worte fassen kannst.
ist nicht definierbar. nicht vorschreibbar.
kultur ist nichts, was man als ganzes abgrenzen kann. kultur
ist ein gigantisches komplexes mischwerk. steh zu deiner
kultur. ich zu meiner.
ich hab auch nicht eine leitkultur verlangt und will sie auch nicht, andererseits seh ich nichts verwerfliches darin, wenn ich gewisse „eigenheiten“ beschützt sehen will. nicht im sinne von gesetzen oder sonstigem. sondern dadurch, daß ich und andere zu unseren eigenheiten stehe und die auch vertrete. so wie japaner ihre teetradition vertreten, ami’s ihren hamburger, italiener ihre temperamentvolle art, norweger ihre sauna und was weiss ich nicht alles, und so steh ich dazu, daß der dachziegel repariert wird wenn er defekt ist, auch wenn der türke das spießig bzw. für unnötig hält weils ja grad nicht regnet. während ich das schreibe lach ich über diese ordnungsfimmel, aber er ist mir trotzdem so symphatisch, daß ich es von anderen verlange die hier leben wollen.
wenn die CDU als ausdruecklich christliche partei (sollte es
da nicht eine trennung von kirche und staat geben, laut
verfassung?) den islam nicht abkann, sollen sie es laut sagen
und eine verfassungsbeschwerde gegen diese religion einlegen.
was ist denn unsere leitkultur? kaffee, pizza, cola,
highfidelity?
duerfen wir jetzt keine japanischen autos mehr fahren, nicht
mehr afrikanische autoren lesen, nicht mehr shakespeare sehen,
nicht mehr apfelsinensaft trinken, keine computer mehr
benutzen, uns vom internet abkapseln, sollen die firmen ihre
filialen (und geschaeftsbeziehungen) im ausland beenden,
duerfen wir nur noch deutsches wasser trinken, muessen wir
jetzt gegen den euro sein, duerfen unsere politiker den
wahlkampf nicht weiter amerikanisieren, brauchen wir wieder
mal sprachpuristen, sollten wir benzin nicht besser nur noch
aus deutschem erdoel herstellen? sollten wir das christentum
nicht per dekret vom judentum vollstaendig trennen? darf das
radio nur noch funkwelle heiszen und keine englische musik
mehr spielen? sollten auslaender nicht aus unseren basketball-
und fuszballteams verschwinden? sind ab sofort nur noch
teckel, deutscher schaeferhund und deutsche dogge, aber keine
perserkatzen mehr erlaubt? muss ich meinen wellensittich jetzt
zu einem jaegerschnitzel verbraten?
„deutsch“ ist keine einzelne kultur, kein einzelnes volk,
nichts isoliertes.
kultur ist ein gewebe, dass nicht erst seit gestern weltoffen
ist. (im gegensatz zu manchen politikern, die morgen immer
noch nicht weltoffen sein werden *sfz*).
wenn du von deutscher kultur redest, muss du dir im klaren
sein, dass das eine fiktion ist. „die deutsche kultur“, das
ist ein witz. ich habe in meinem leben seltener sauerkraut
gegessen als pizza, ich habe genauso haeufig indischen oder
anderen tee getrunken wie cola, und kakao… ich habe weit
mehr auslaendische filme gesehen und buecher gelesen als
deutsche.
nur ein bruchteil der technik und kleidung und gegenstaende in
meinem besitz ist aus deutschem material und deutscher
herstellung.
deshalb werde ich nicht von deutscher leitkultur sprechen.
deshalb bilde ich mir nicht ein, „deutsche kultur“ sei ein
begriff, den man ontologisieren koennte. „deutsche kultur“ ist
eine kette von lauten, die im gespraech sehr hilfreich sein
kann, die man aber nciht so verwenden darf, als gaebe es da
etwas ganz bestimmtes oder bestimmbares, was „deutsche kultur“
tatsaechlich ist, voll und ganz…
ich weiss nicht was die cdu will und sie wissen es selber scheinbar nicht, denn den begriff leitkultur haben sie ja immer noch nicht mit wirklichen inhalten gefüllt.
ich vestehe aber unter deutscher kultur auch nicht unbedingt sauerkraut mit eisbein. und das es keine feste und absolute kultur gibt, alles richtig und dem stimm ich auch voll zu.
der mensch ist nunmal aber ein hordentier, und es ist fraglich ob sein erkenntnisstand und seine aufnahmefähigkeit bedingungslos auf die ganze weltbevölkerung (als horde) erweitert werden kann.
grüße rené