The living years
Hallo, Max!
Du hast sicher recht, was Dich angeht. Es geht hier aber nicht
ums Sterben und Beerdigung, sondern darum, dieses Brett auch
für Jüngere attraktiv zu gestalten. Und mit Beerdigungsthemen
kannst Du sicher keinen 20Jährigen locken.
Ich finde das Thema durchaus interessant und auch relevant. Ich habe mit sehr viel Interesse gelesen, was andere bereits auf Beerdigungen erlebt haben und was sie sich vorstellen, das nach ihrem Tod mit dem Körper geschehen soll. Außerdem beschäftigt mich das Thema insofern durchaus, als dass zwischen Frühsommer 2001 und Spätsommer 2002 meine drei verbliebenen Großeltern gestorben sind und ich eine weitere Beerdigung im engsten Freundeskreis erlebt habe.
Ich habe mich bei drei von diesen vier Beerdigungen nicht recht mit dem zeremoniellen Ablauf der Beerdigung abfinden können, der sehr stark von christlichen Inhalten und Traditionen geprägt war. Ich hatte den Eindruck, dass eine große Inszenierung ablief, in der wenig Platz für Persönliches blieb.
Es war mehrfach sonnig und extrem heiß, Juli eben, und trotzdem durfte es in der konservativen Pfalz nur schwarze Kleidung sein. Wir schwitzten wie die Berserker, bis alle Trauergäste, von denen ich teilweise den Eindruck hatte, dass sie den Verstorbenen zu Lebzeiten kaum kannten, ihr Schäufelchen Sand versenkt hatten und mit einem halbdutzendfachen „Beileid …“ an der Familie vorbeigezogen waren. Doch man musste durchaus aufmerksam sein, da alle paar Minuten das Kreuzzeichen zu machen war. Noch besser wurde es im Gottesdienst, da die Kirche wider Erwarten stickig und brüllend heiß war, was der Pfarrer anscheinend nicht zur Kenntnis nahm und sich minutenlang in „Gott sei gepriesen“-Liedchen erging. Den Kredit, den er mit seiner sehr persönlichen und der langen Bekanntschaft mit der Familie angepassten Trauerrede verdient hatte, schmolz wie unsere Geduld. Da waren auch die Leidensfähigsten unter uns wirklich am Ende. Es mag ja sein, dass die Toten sehr kirchlich orientiert waren, aber ob wir ihnen einen Gefallen damit taten, stundenlang eine sture Zeremonie bei tropischen Temperaturen über uns ergehen zu lassen, die uns nicht interessierte, halte ich für fraglich. Es war halt so organisiert. Auch „halt so organisiert“ war der Schmaus danach, wo auf einmal noch mehr Leute als zuvor auftauchten, die die Dauer des Wortes „Beileid“ Trauer heuchelten und sich danach den Wanst mit Sahnetorte in fröhlicher Plauderrunde vollschlugen. Bevorzugt ältere Semester, denen die Einschläge auch schon näher zu kommen schienen.
Dagegen wirkt die Beerdigung, wie ich sie bei meiner Oma mütterlicherseits erlebt habe, als ein eindeutiger Kontrast. Wir hätten mit Sicherheit weit über hundert Gäste laden können, aber wir wollten – und ich denke, das wollte auch die Tote zu Lebzeiten – ein stilleres, privateres Begräbnis, als die, die wir zuvor schon oft erlebt hatten. Anwesend waren die Kinder, deren Partner und die Enkel sowie ein Pfarrer, den wir zuvor nicht kannten, dem es aber gelang, nach einem langen Gespräch mit uns eine Trauerrede zu formulieren, die klang, als ob er uns schon lange persönlich kennen müsste. Wem es wichtig war, zu zeigen, dass ihm die Tote wichtig war und ist, hat Karten und Kränze geschickt oder angerufen. Meine Oma war katholisch und ihr Leben lang religiös sehr interessiert, aber dass der Pfarrer ein evangelischer war, hätte sie sicher mit einem freundlichen Augenzwinkern quittiert. Auf den Beerdigungen, die ich oben beschrieben habe, wäre das ein Eklat gewesen.
Und nicht, dass Du mir noch einmal schreibst, das Thema betreffe junge Leute nicht
Mir macht es keine Angst, mir aus den Erfahrungen, die ich jetzt mache, den Ablauf meiner Beerdigung vorzustellen. So, dass ich selbst gerne lebendig zugegen wäre und so, dass ich niemanden aus meiner Familie in Zwänge stürze, die ich zu Lebzeiten vermieden hätte. Aber hat ja noch Zeit …
Ich hatte auch schon einen Herzinfarkt und eine Herzoperation,
mache mir aber keine Gedanken, über meinen Sarg. Wenn das so
wäre, könnte ich mich doch gleich erschießen.
Wenn Du Dir nur noch um Deine Beerdigung, um den Tod Gedanken machen würdest, dann wärst Du wahrscheinlich schon tot. Da hast Du Recht. Aber ich halte es für weder beängstigend, im Laufe der Zeit zu beobachten, wie sich in einem selbst ein Bild entwickelt, das zunehmend deutlicher wird und von dem ich dann in etwas höheren Jahren ablesen kann, wie ich möchte, dass nach meinem Tod mit mir verfahren wird. Weglaufen kann ich ohnehin nicht.
Ich lebe jetzt auch nicht intensiver, wie man es dauernd im
Fernsehen hören muß, von angeblich dem Tod von der Schippe Gesprungenen.
Ich will leben und nicht andauernd über den Tod nachdenken.
Ich hoffe doch, dass Du jetzt schon intensiv lebst …
Das mache ich nach meinem 2. Infarkt auf der Intensivstation.
Obwohl, wie ich mich kenne, werde ich dort dann über den
Garten nachdenken, wie er wohl unter der Obhut der Ehefrau verwahrlost.
Wie alt bist Du denn?
Über den Tod und seine Folgen sollen doch die Philosophen
nachdenken, die es auch bei www gibt, aber nicht die
Betroffenen. Sie sind betroffen genug!
Die Betroffenen? Davon dürfte es auf der Welt ungefähr sechs Milliarden geben, die meisten mehrfach. Außerdem möchte ich es nicht den ach so klugen Philosophen überlassen, sich über ein derart interessantes Thema zu unterhalten und Gedanken zu machen. Man sieht ja, wie sich die Meinungen trennen.
Gruß!
Christopher