Libidine mulieris accensus

Hallo Lateiner!
obiger Satz steht im Lateinbuch meines Sohnes (Cursus, Baden-Württemberg) und wird mit „weil er die Frau begehrte“ übersetzt. Jetzt bin ich kein Lateiner, habe jedoch ein wenig Ahnung von Grammatik.
Kann mit jemand erklären, wie diese Übersetzung zustande kommt?

Bis jetzt habe ich herausgefunden:
libidine Ablativ von „Begehren“
mulieris Gen. sing von „Frau“
accensus 3. Pers. sing. part. perf. pass. von „entflammen“

Ich bekomme den Kausalzusammenhang nicht hin (es sei denn, der Ablativ wäre ein solcher), dann irritiert mich die passiv-Form von entflammen. Die Übersetzung ist eindeutig aktiv. Ebenso irritiert der Genitiv von Frau, denn dann müsste es in der Übersetzung doch heißen: „Das Begehren der Frau [führte dazu, dass] er entflammt wurde.“ Von entflammt steht aber überhaupt nichts in der Übersetzung. Zudem wäre auch das Begehren ein Nominativ.

Bin echt ratlos
Danke für Hilfe.

Hallo!

„weil er die Frau begehrte“
Kann mit jemand erklären, wie diese Übersetzung zustande
kommt?

Also:
libidine mulieris accensus
wörtlich:
accensus entbrannt, entflammt
wodurch? libidine durch das Verlangen/Begehren
mulieris (genitivus obiectivus: wen/was begehren?): nach der Frau.
—> entflammt vom Verlangen nach der Frau
Nun kann/soll das Partizip (Grammatikstoff der Lektion?) als adverbialer Gliedsatz wiedergeben werden: freie Wahl, was halt dem Sinn nach passt:
temporal: nachdem er entflammt war
kausal: weil er …
konditional: falls er …
adversativ: während (Gegensatz!) er …
konzessiv: obwohl er …
usw.

Ich bekomme den Kausalzusammenhang nicht hin

Der ist bei diesen Partizipen (participium coniunctum) nicht ausgedrückt, in der Sprache also nicht vorgegeben. Das macht solche Ausdrücke mehrdeutig. Bei der Übersetzung mit Gliedsatz (s. o. ) muss man sich entscheiden - auch auf die Gefahr hin, das Falsche zu treffen.

Bin echt ratlos

Es spricht eigentlich nichts dafür, die von dir kritisierte freiere Übersetzung zu wählen.
(Die Cursus-Macher sollten froh sein, wenn ihre armen Schüler wenigstens eine einigermaßen ordentliche wörtliche Übersetzung hinkriegen.)

Schönen Gruß!
H.

Vielen Dank Hannes, ich glaube, ich verstehe jetzt…
Mir war nicht bewusst, dass bei „Verlangen wonach?“ „nach der Frau“ im Lateinischen die Frau im Genitiv steht (deutsch ist das doch ein klassischer Dativ). Ich hätte auch hier einen Dativ erwartet. So macht es dann aber doch Sinn.

Hallo!

Mir war nicht bewusst, dass bei „Verlangen wonach?“ „nach der
Frau“ im Lateinischen die Frau im Genitiv steht (deutsch ist
das doch ein klassischer Dativ). Ich hätte auch hier einen
Dativ erwartet.

Im Deutschen verlangt nicht das Wort „Verlangen“ den Dativ, sondern die Präposition „nach“ muss hier vom Dativ gefolgt werden.
Im Lateinischen ist dieser Genitiv der Objektsgenitiv. Er gibt das „Objekt“, das Ziel einer Handlung oder eines Gefühls an, was im Substantiv steckt - im Deutschen gibt es den nicht, also muss man es mit Substantiv+ passender Präposition umschreiben.
Um es noch verwirrender zu machen: libido mulieris kann auch - je nach Zusammenhang- als „das Verlangen der Frau“ übersetzt werden, d.h. als Subjektsgenitiv, den es auch im Dt. gibt, deshlab ist Übersetzung mit dt. Genitiv möglich. Hier würde das Verlangen von der Frau ausgehen, sie ist also „Subjekt“ des Verlangens.

Grüße
mitzisch

Hallo!

Mir war nicht bewusst, dass bei „Verlangen wonach?“ „nach der
Frau“ im Lateinischen die Frau im Genitiv steht (deutsch ist
das doch ein klassischer Dativ). Ich hätte auch hier einen
Dativ erwartet.

Im Deutschen verlangt nicht das Wort „Verlangen“ den Dativ,
sondern die Präposition „nach“ muss hier vom Dativ gefolgt
werden.

Nicht nur das!
Ohne das „nach“ kann man „verlangen“ sogar im Deutschen mit dem Genitiv verwenden!
http://www.woerterbuchnetz.de/DWB?lemma=verlangen
Abschnitt 4, unter „object ein genitiv“
(darunter, beim Verlangen, genauso)

mfg,
Che Netzer

Ohne das „nach“ kann man „verlangen“ sogar im Deutschen mit
dem Genitiv verwenden!
http://www.woerterbuchnetz.de/DWB?lemma=verlangen

Zitate:
tapffere seelen verlangen der jugend
verlange der gottheit nicht
o selige rast, wie verlang ich dein

Du bist sicher, dass diese Konstruktion dem heutigen Sprachgebrauch entspricht, also
Der Polizist verlangte meines Ausweises / Sie verlangte einer Entschädigung?

Gruß
Kreszenz

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Du bist sicher, dass diese Konstruktion dem heutigen
Sprachgebrauch entspricht, also
Der Polizist verlangte meines Ausweises / Sie verlangte einer
Entschädigung
?

Umgangssprachlich sicher nicht, poetisch aber schon.
Besonders bei Personen.
Und wenn ich z.B. gewzungen wäre, (in einem beliebigen Text) zwischen „Ich verlange deiner“, „… dir“ oder „… dich“ zu wählen, würde ich mich ganz klar für den Genitiv entscheiden.
Generell würde ich den Genitiv dabei eher bei einem Sehnen, den Akkusativ bei einem Fordern verwenden.

mfg,
Ché Netzer

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Hallo!

Ohne das „nach“ kann man „verlangen“ sogar im Deutschen mit
dem Genitiv verwenden!
http://www.woerterbuchnetz.de/DWB?lemma=verlangen
Abschnitt 4, unter „object ein genitiv“
(darunter, beim Verlangen, genauso)

Jeder Lateinlehrer im deutschen Sprachraum wird wird die Übersetzung des Genitivus Obiectivus libido mulieris mit das Verlangen der Frau als Fehler anstreichen. [Jedenfalls wenn er nicht grad dabei ist, einen Notenschnitt von 5,3 zurechtzubiegen :smile:]
Dem Genitiv sein Tod ist vielgestaltig.
Gruß!
H.

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Hi!
Man lernt nie aus, aber nimm’s mir nicht übel, bei der Vorstellung, dass du an eine Angebetete schreibst: „Schatz, mir verlangt deiner.“
muss ich doch kichern =)
Wir hatten’s doch vom Substantiv. Lt. DWB geht es im Dt. auch mit objektivem Genitiv.„denn dis leben soll nicht anders sein, denn ein hasz uber den alten menschen und ein suchen und verlangen des lebens in dem neuen menschen. Luther 1, 17“ !!!
Seither ist viel Wasser den Rhein hinuntergeflossen und die Sprache hat sich doch etwas verändert.
Mit derselben Argumentation wäre „thou dost“ auch heute korrektes Englisch, halt nur ein bißchen poetischer.
Ich bin ganz Kreszenz’ Meinung.
Grüßle
mitzisch

Hi!

Generell würde ich den Genitiv dabei eher bei einem Sehnen,
den Akkusativ bei einem Fordern verwenden.

Wie das denn! Wird nicht das Ansinnen „Mich verlangt eines Thées“ der Ober als ein Forderndes percipiren und hurtig! das Ersehnte credentzen? (Falls er Mager heißt, vielleicht sogar mit der Bemerkung „Es ist buchenswert“).
Leyder läss’t das Programm die Wahl angemessen preziöser Lettern nicht zu :smile:
Gruß!
H.

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Du bist sicher, dass diese Konstruktion dem heutigen
Sprachgebrauch entspricht,

Umgangssprachlich sicher nicht,

Auch nicht standardsprachlich.

poetisch aber schon.

Unter Sprachgebrauch verstehe ich die in einer Sprache übliche Ausdrucksweise und nicht eine solche, die von Einzelnen im Sinne „dichterischer Freiheit“ oder um einer originellen persönlichen Note willen bevorzugt wird.

Gruß
Kreszenz

Wie das denn! Wird nicht das Ansinnen „Mich verlangt eines
Thées“ der Ober als ein Forderndes percipiren und hurtig! das
Ersehnte credentzen?

Der Ober ist ja auch bestrebt, deine Wünsche (bezüglich Essen und Trinken) zu erfüllen. Genauso wie „Könntest du mir bitte … geben?“ keine direkte Aufforderung ist.

mfg,
Che Netzer

PS: Eigentlich würde dich der Ober zuerst einmal schief ansehen…

Unter Sprachgebrauch verstehe ich die in einer Sprache übliche
Ausdrucksweise und nicht eine solche, die von Einzelnen im
Sinne „dichterischer Freiheit“ oder um einer originellen
persönlichen Note willen bevorzugt wird.

ja, natürlich ist Verlangen mit Genitiv ziemlich ungewöhnlich, aber es ist möglich. „Verlangen“ wird sowieso selten ohne „nach“ benutzt, aber wenn doch, dann wäre der Genitiv gar nicht so abwegig; das wollte ich überhaupt sagen. Von daher wäre der Bezug zum lateinischen Ausdruck oben noch etwas stärker.

Natürlich bin ich nicht der Meinung, dass diese Formulierung besonders häufig anzutreffen ist.

mfg,
Che Netzer

Obwohl, bem zweiten Überlegen, warum soll

Abschnitt 4, unter „object ein genitiv“

(darunter, beim Verlangen, genauso)

das nicht richtig sein?
Nicht wegen des Genitivs beim Verb verlangen, sondern gerade wegen des Akkusativs. Das ist dann doch ganz analog zu vielen anderen transitiven Verben:
das Verlangen/Fordern/Aushändigen des Geldes,
das Wählen/Erreichen/Verfehlen des Ziels
und tausend andere solche substantivierten Infinitive.
Nur bei der Frau hapert’s halt und darum stockt man: Weil die Frau nicht nur verlangt werden, sondern auch selbst verlangen kann,neigt man nicht dazu, das Verlangen als substantivierten Infinitiv aufzufassen, sondern als vollwertiges Substantiv mit eigenen Regeln.
H.

Wie das denn! Wird nicht das Ansinnen „Mich verlangt eines
Thées“ der Ober als ein Forderndes percipiren und hurtig! das
Ersehnte credentzen?

Der Ober ist ja auch bestrebt, deine Wünsche (bezüglich Essen
und Trinken) zu erfüllen.

Wieso meine? Ich wollte zum Ausdruck bringen, dass, wer das Verb verlangen mit dem Genitivobjekt gebraucht, dies nicht nur in Falle einer Sehnsucht, sondern auch bei einer Forderung tun kann.
ICH doch nicht!
H.

Ich würde sagen, dass es bei der Bestellung auch (eher) eine Sehnsucht wäre, d.h. mehr eine (nicht direkt ausgesprochene) Bitte als eine Forderung.

mfg,
Che Netzer