deprivierte Gedanken
Christine McGuire: Die Leibeigene ISBN 3404134710 Buch anschauen fällt sicher auch in das Einzugsgebiet. Aber das kennst du ja.
kenne ich nur vom Hörensagen, scheint mir aber im engeren
Sinne doch nicht dazuzugehören, da hier die Interaktion
zwischen Peiniger und Opfer eine große Rolle einnimmt.
Colleen Stan war sieben Jahre in einer Kiste eingesperrt, die kaum größer als ihre Körpermaße waren. Ausnahmen waren Zeiten, in denen sie außerhalb der Kiste gefoltert wurde.
Genau das ist das spannende daran. Bei historischen Fällen
wird bisweilen geschildert, dass in Dunkel- / Isolationshaft
gehaltene Gefangene nach einiger Zeit „den Verstand verloren“
hätten und „mehr Tier als Mensch“ gewesen seien, aber was
genau ist da in diesen Menschen abgelaufen?
Ja, „den Verstand verlieren“ oder „wahnsinnig werden“ ist leider meist die einzige Verbalisierung solcher Folter. Es ist nur wenigen möglich, es genauer zu beschreiben - anders als „konkretere“ Folter-Szenarien, in denen wenigstens beschrieben werden kann, was geschah.
Aber auch dabei wird das Geschehen und Erfahrene meist nur äußerlich beschrieben (ich nenne das, im Unterschied zur subjektiven die „Film“-Erinnerung). Die „subjektive“, also emotionale Erinnerung: „was ging in mir vor, als es geschah“ können die meisten mangels Potential des sprachlichen Ausdruck, und weil die Sprache überhaupt nur wenig Vokabular dafür zur Verfügung stellt, nur angedeutet zur Sprache bringen.
Dafür (und nach meiner Auffassung auch: deswegen) kommen die Erinnerung in der subjektiven Form umso krasser und heftiger in den sog. Flashbacks ins aktuelle Bewußtsein. Und bei rein mentalen Foltern ist das noch um ein Vielfaches Extremer. Man kann auch erklären, warum das so ist.
Theoretisch (also ohne subjektive, individuelle, aktuelle Inhalte) darstellen kann man es etwa so:
Der Zustand der Deprivation und Seklusion ist vor allem dadurch gekennzeichnet, daß das Denken (andere würden sagen: das Gehirn) ausschließlich sich selbst als Gegenpart hat. Es gibt keine „Bremse“ durch die Antwort, Reaktion oder den Widerspruch, Widerstand eines fremden Denkens. Es wird dadurch ausschließlich „rekursiv“ bzw.„autoreferentiell“.
Was dann passiert, ist quasi eine Naturgesetzlichkeit, die man mit den Mitteln neuerer mathematischer Errungenschaften inzwischen genauer darstellen kann: Der Zustand wird, metaphorisch gesagt, „chaotisch“ (was aber inzwischen präziser beschreiben, sogar modellieren kann). Das heißt jedenfalls, es gibt keine auch noch so kurze Phase mentaler Verfassung, die zeitlich „stabil“ bleibt, so, daß der aktuelle Gedanke sich retrospektiv auf den kurz zuvor Gedanken beziehen kann. Dadurch geht die hierachische Struktur des Denkens verloren. Der 1. unmittelbare Gedanke und der 2. reflektierte, erinnerte Gedanken und 3. das Bewußtsein, DASS er aktuell gedacht wird, werden in einem Eintopf verrührt und das Ich-Bewußtsein löst sich auf.
Man kann es auch viel genauer beschreiben als diese Andeutungen. Aber das würde möglicherweise den hiesigen Rahmen sprengen.
Wichtiger für deinen Fragekontext wäre imho, daß man die Flashback-Erlebnisse mildern oder sogar reduzieren kann, wenn man der betreffenden Person die Fähigkeit vermittelt, das Erlebte tatsächlich in einer adäquaten sprachlichen Form zu erfassen. Wenn das erreicht ist, hat man dann das, was du vermutlich suchst: Die subjektive Schilderung dieser Zustände. Eine publizierte Form davon ist mir bisher nicht bekannt.
Liebe Grüße nochmal
Metapher