Das Sein, die Werte und das Nichts
Hi, Ralf.
ich würde mal sagen, ein logisches Argument ist entweder
schlüssig oder nicht - in beiden Fällen erübrigt es sich, an
„die Kraft des in Rede stehenden Argumentes“ zu
glauben oder nicht.
Die Logik des Arguments, wenn es denn eine hat, schwebt nicht einfach in der Höhenluft des reinen Denkens, sondern in einem auch von Emotionen erfüllten Raum. Da spielt auch Intuition eine Rolle, die erforderlich ist, um sich überhaupt auf das Argument einzulassen. Welcher Mensch denkt und handelt denn schon von vornherin immer logisch? Das verdammte Wörtchen „glauben“ ist mir da wieder mal versehentlich rausgerutscht.
„Zwingend“ ist hier gar nichts - zunächst einmal schon aus dem
Grund, weil Du die Prämissen Pascals einfach nach eigenem Gutdünken abänderst …
Ok, ich habe das Argument (als Coverversion sozusagen) auf einen aktuelleren Stand gebracht, der von „Gott“ abstrahiert und das reine Spirituelle thematisiert (Geist vs. Materie).
Ich bezweifle sehr, dass sich Pascal nicht der Tatsache
bewusst war, dass Glaube eben gerade nicht auf einer
rationalen Entscheidung beruht - das wäre ein Widerspruch in sich.
Gebongt.
Pascal nimmt für
seine Alternative Wahrscheinlichkeiten von jeweils 50% an -
auch dies eine Voraussetzung, die keineswegs logisch
unangreifbar ist. Gestehen wir Dir nun zu, in Deinem Fall
ebenfalls von einer gleich hohen Wahrscheinlichkeit von
jeweils 50% auszugehen.
Das war wirklich mein (unausgesprochener) Gedanke. Allerdings könnte man die Wahrscheinlichkeit auch zugunsten der Nachtod-Leben-Annahme erhöhen: es spricht schließlich NICHTS dafür, dass nach dem Tod nur Nichts ist. Kein Beweis, kein Indiz, kein Garnichts. Es kam auch noch keiner aus dem Nichts zurück und sagte: Leute, nach dem Tod ist nur Nichts. Alles also nur Spekulation und wilde Behauptung. FÜR die Annahme des Nachtod-Lebens sprechen zumindest die vielen Berichte und Lehren zu diesem Thema. Die kann man bezweifeln oder auch nicht, aber sie sind nicht Nichts.
wenn die Situation so aussieht: heute Nacht um 12 läuft deine Lebenszeit ab. … Vielleicht wird sich dann der eine oder andere Materialist (d.h. Skeptiker) etwas genauer überlegen, wie er die Dinge sehen sollte.
Angst (schon gar nicht Angst vor dem Sterben) ist für
rationale Entscheidungen selten hilfreich. Und darum geht es
doch wohl hier, nicht wahr? Um logische, vernünftige Argumente
und nicht um irrationale, womöglich von Angst gesteuerte
Hoffnungen.
Wer Angst vor dem Tod hat, „glaubt“ bereits an ein Leben nach dem Tod. Ich schrieb ja nicht „sterben“, sondern „versinken im Nichts“. Mein Beispiel meinte eine Art Delete-Taste, die das Bewusstsein von einem Moment auf den anderen auslöscht (ohne Schmerzen). Hätte ich klarer formulieren sollen, ist halt jetzt geschehen. Wer jedenfalls vor diesem Delete Angst hat, setzt schon auf das Nachleben, denn vor Nichts braucht man sich doch nicht zu fürchten.
Nicht darum, wie man „die Dinge sehen sollte“ oder
vielmehr vielleicht gerne sehen würde, sondern darum, was man
vernünftigerweise über die Dinge aussagen kann.
Meine Coverversion des Pascal-Arguments zielte auch auf die Notwendigkeit der Vorbereitung auf den Nachtod. Insofern ist ein gewisses „Sollen“ (abgeschwächt als „sollte“) schon im Spiel.
Zudem klingt es für mich nicht logisch, dass man zugleich Nachtod-Leben-Skeptiker sein kann und im Hier und Jetzt feuchtfröhlich das Leben vor sich hin feiert.
Was soll daran unlogisch sein? Wenn wir nur dieses eine Leben
haben, ist es dann nicht logisch folgerichtig, das Beste
daraus zu machen?
Jein. Eigentlich ist es ziemlich irrelevant, was man daraus macht, wenn es nicht gerade Massenmord oder ähnliches ist. Was ist zudem das „Beste“? WEISS der Skeptiker denn, dass sein Standpunkt richtig ist? Er weiß es eben NICHT. Er GLAUBT es nur. Ein Nachtod-Nichts ist komplett unbewiesen, wie gesagt. Materialismus ist ein reiner Glaubensakt. Auf dieser wackligen Basis kann keiner entscheiden, was wirklich das Beste ist. Das ist logisch einfach ausgeschlossen.
Wird da nicht eher umgekehrt ein Stiefel draus - dass
derjenige, der sich an den Glauben von einem Weiterleben nach
dem Tod klammert, den Tod verdrängt?
Ich bewundere deine Objektivität - schließlich bist du Buddhist. Mit Weiterleben soll aber meinerseits nicht personales Weiterleben gemeint sein (da sind wir uns einig). Zum Thema: nein, der HEDONIST, der an das Nichts glaubt, verdrängt den Tod. Täte er es nicht, müsst er ständig an dem, was er erlebt, fühlt, denkt usw., zweifeln - ja verzweifeln müsste er an der vermeintlichen Tatsache, dass alles mal, woran er sich im Leben so fest klammert, im Nichts versinkt. Der Hedonist glaubt nicht an die „Unsterblichkeit“ des Geistes, aber handelt so, als gäbe es diese. Er misst den Dingen Werte bei, die diese, wären sie vom Nichts umgeben, gar nicht haben können. Dieser offensichtliche Widerspruch zwischen Reflexionsebene (das Leben endet im Nichts) und Alltagspraxis kommt beispielsweise in folgendem vom Psychoanalytiker Slavoj Zizek zitierten Witz zum Ausdruck: „Ist das der Ort, an dem der Herzog von Wellington jene Worte sprach? - Ja, das ist der Ort, aber diese Worte hat er niemals gesprochen.“ Ebenso würde der Hedonist die Faktizität von „Geist“ leugnen und dennoch Daseiendes (den „Ort“) so handhaben, als sei es mit Wert(den „Worten“) unauflöslich verknüpft. Zizek schreibt: „Der Glaube ist in einem radikalen Sinne äußerlich, er ist verkörpert in der tatsächlichen praktischen Handlungsweise von Menschen.“ (Zizek, Liebe Dein Symptom wie Dich selbst!, 118)
Kein Leben nach dem Tod heißt: das absolute Nichts.
Kein Leben nach dem Tod bedeutet lediglich das Nichts für die
Toten. Somit kein „absolutes“ Nichts.
Ein Nichts für das Bewusstsein. Das ist das Entscheidende. Wen interessiert der tote Körper? Nicht das Bewusstsein, das ja angeblich im Nichts verschwunden ist.
Ein Nichts, das alles entwertet, was zuvor als schön und wichtig angesehen wurde.
Wie sollte ein Nichts ein Etwas entwerten? Alles hat einen
Wert nur in Bezug auf etwas oder jemanden, der diesen Wert
zuordnet, der bewertet. Die Dinge haben ihren Wert nicht aus
sich selbst heraus, mithin können sie auch nicht entwertet
werden.
Schrieb ich ja auch so: „als soundso angesehen wurde“. Wer Dingen einen Wert beimißt und dabei an das Nichts glaubt (es IST ein Glaubensakt), denkt unlogisch. Werte stehen immer in einem Kontext. Reißt dieser Kontext im Nichts ab, stürzt der Wert, den man den Dingen beimißt, ins Bodenlose. Nichts hält ihn, da er vor der Folie des Nichts besteht. Er ist nur eine Seifenblase bzw. Maya. Der Materialist GLAUBT nur an die Werte, wie er an das Nichts glaubt - er kann sie nicht logisch begründen.
Wenn jemand tot ist, kann er Dinge nicht bewerten -
für Tote hat nichts einen Wert. Das heisst nicht, dass diese
Dinge nicht für Andere einen Wert haben können.
Die selbst irgendwann vermeintlich ins Nichts sinken. Regressus infinitus oder so ähnlich.
Analoges fiktives Szenario: die schönste Frau der Welt (für Frauen: der schönste Mann) bietet dir für eine Nacht ihre/seine erotischen Künste an. Bedingung: sofort danach wird dein Gedächtnis daran gelöscht.
Jetzt im Ernst: wer würde einen solchen Deal eingehen…?
Oh, da kenne ich eine Menge Leute, die ohne Zögern auf ein
solches Angebot eingehen würden.
Ich auch, aber wäre das nicht Zeitverschwendung? Dann lieber noch Kreuzworträtsel lösen (für mich öde), da lernt man wenigstens was über die Nebenflüsse der Deichsel.
Was bringt Dich auf die Idee,
erlebte Augenblicke, an die man sich nicht erinnern kann,
würden „nicht zählen“? Sich an an diese Augenblicke nicht
erinnern zu können, heisst schon mal gar nicht, dass sie „nie
existiert haben“.
Ich meinte das so, dass mit der Erinnerung auch jeder Erfahrungswert deleted wäre. Jede Analogie hinkt nun mal, diese natürlich auch.
Was zählt also ein Leben, das es irgendwann einmal nie gegeben hat?
… das würde ich jetzt einen fetten Fehlschluss nennen.
Etwas, das vorbei ist, ist vorbei. Das heisst, dass es das
Vergangene nicht mehr gibt. Nicht, dass es das Vergangene nie
gegeben hat.
Für den/die, der/die im Nichts versunken ist, kann es nie etwas gegeben haben. Das meine ich. Und der Tod kommt. Das ist sicher. Also ist die Zukunft für die Materialisten in diesem Sinne schon Faktum - das, was sie erleben usw., ist dem Nichts geweiht. Es IST also, streng genommen, von diesem Nichts nicht mehr zu unterscheiden.
Gruß
Horst