Luther: Glaube und Vergebung d. Sünde

Hallo,

ich habe noch ein paar Probleme Luthers Gedanken hinsichtlich des Glaubens und des Heils nachzuvollziehen. Ich versuch mal zu schreiben, wie ich das verstanden habe:

Vergebung der Sünden können wir allein durch den Glauben erlangen, dass Christus FÜR UNS gelitten und die Sünden FÜR UNS auf sich genommen hat. Jetzt darf Glaube nicht als historischer Glaube gesehen werden, sondern als ergreifender Glaube (fides apprehensiva). Alles schön und gut, den Unterschied kenn ich.

Dieser Glaube wird uns durch Gottes Gnade gegeben. Wir können diesen nicht durch eigene Werke oder Frömmigkeit von selbst erlangen. Er ist ein Geschenk des heiligen Geistes durch Christum. (donum spiritus sancti)

Wenn Glaube ein Geschenk Gottes ist und nur durch diesen Glauben meine Sünden vergeben werden, dann kann ich doch nichts tun als darauf zu warten und hoffen (und weltlich fromm leben), bis Gott mir dieses Geschenk macht. Oder hat er uns allen (einschl. Heiden?!) dieses Geschenk schon durch Christi Tod (jetzt historisch) gemacht und uns allen Sünden befreit?

Die erste Möglichkeit haut nicht hin, weil ich in der Kirche immer wieder erfahre, dass Gott mir meine Sünden vergeben hat (Taufe, Beichte…) Die zweite Möglichkeit kling schön, wirft aber weitere Fragen auf. Wenn z.B. den Heiden auch die Sünden vergeben worden sind, was bewegt sie dann noch, Christ zu werden? Die Erkenntnis, dass Gott eben jenes getan hat und die Möglichkeit, dadurch seine Liebe zu erfahren?

Luther schrieb irgendwo einmal, dass auch die Väter (Altes Testament) den selben Glauben gehabt haben, wie Christen --> dort wo wahrer Glaube im AT gewesen ist, war auch Christus.

Das spricht doch für die These, oder? Irgendwie klingt mir das so, als hätte ich etwas entscheidenes übersehen.

ich würde mich freuen, wenn mir da jemand weiterhelfen kann!

Ciao
vastitas

Hallo,

Wenn Glaube ein Geschenk Gottes ist und nur durch diesen
Glauben meine Sünden vergeben werden, dann kann ich doch
nichts tun als darauf zu warten und hoffen (und weltlich fromm
leben), bis Gott mir dieses Geschenk macht. Oder hat er uns
allen (einschl. Heiden?!) dieses Geschenk schon durch Christi
Tod (jetzt historisch) gemacht und uns allen Sünden befreit?

Die erste Möglichkeit haut nicht hin, weil ich in der Kirche
immer wieder erfahre, dass Gott mir meine Sünden vergeben hat
(Taufe, Beichte…) Die zweite Möglichkeit kling schön, wirft
aber weitere Fragen auf. Wenn z.B. den Heiden auch die Sünden
vergeben worden sind, was bewegt sie dann noch, Christ zu
werden? Die Erkenntnis, dass Gott eben jenes getan hat und die
Möglichkeit, dadurch seine Liebe zu erfahren?

das Wesentliche an einem Geschenk ist, dass man es auch annehmen muss.
Sonst hat man es nicht :wink:

Wenn die „Heiden“ dieses Geschenk annehmen, dann sind sie ja Christen geworden.

Und wenn sie nicht Christen werden wollen, dann haben sie auch nichts von dem Geschenk.

War das verständlich?

Gruss Harald

Vergebung der Sünden können wir allein durch den Glauben
erlangen, dass Christus FÜR UNS gelitten und die Sünden FÜR
UNS auf sich genommen hat. Jetzt darf Glaube nicht als
historischer Glaube gesehen werden, sondern als ergreifender
Glaube (fides apprehensiva). Alles schön und gut, den
Unterschied kenn ich.

Hallo Vastitas

Das eigentliche des Problems liegt in dieser Aussage von der „Vergebung der Sünden“ durch den Tod Jesu.

Dies ist eine Doktrin der Kirche mit der Absicht, den Menschen zu Ihrem Jesus zu locken und sonst gar nichts. Also eine rein politische Aussage.

Warum Jesus am Kreuz gestorben ist, kann man nur verstehen, wenn man Einsicht in spirituelle Vorgänge hat.

…und was ist eigentlich Sünde? Es gibt Fehltritte, gut und wenn man sie nicht wiederholt, hat man gelernt. Was gibt es da zu vergeben?

gruß
rolf

Hallo vastitas,

schlage vor, Du vergleichst Luthers Gedanken mit den Jesu Worten im NT. Denn Jesus ist unser Herr, nicht Luther!

Joh 13,16 Wahrlich, wahrlich ich sage euch: Der Knecht ist nicht größer denn sein Herr, noch der Apostel größer denn der ihn gesandt hat.

Was hat also Jesus diesbezüglich gelehrt?

Er hat gelehrt, dass man liebtätig sein soll! Hier einige Beispiele:

Lk 10,30… vom barmherzigen Samariter

Mt 25,34 Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt!
Mt 25,35 Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich gespeist. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich getränkt. Ich bin Gast gewesen, und ihr habt mich beherbergt.
Mt 25,36 Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich bekleidet. Ich bin krank gewesen, und ihr habt mich besucht. Ich bin gefangen gewesen, und ihr seid zu mir gekommen.
Mt 25,37 Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dich gespeist ? oder durstig und haben dich getränkt ?
Mt 25,38 Wann haben wir dich als einen Gast gesehen und beherbergt ? oder nackt und dich bekleidet ?
Mt 25,39 Wann haben wir dich krank oder gefangen gesehen und sind zu dir gekommen ?

Mt 25,40 Und der König wird antworten und sagen zu ihnen: Wahrlich ich sage euch: Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.

Lk 6,46 Was heißet ihr mich aber HERR, HERR, und tut nicht, was ich euch sage ?

Wird es in diesen Bespielen nicht klar um was es Jesus geht? Wir sollen liebtätig sein!

Natürlich sollen wir glauben, dass wir die Vergebung unserer Sünden durch den Glauben erlangen können, dass Jesus für uns gelitten und die Sünden für uns auf sich genommen hat.

Aber der Glauben an Jesus soll mit g u t e n W e r k e n gefüllt sein!

Jakobus wird überdeutlich:

Jak 2,14 Was hilfst, liebe Brüder, so jemand sagt, er habe den Glauben, und hat doch die Werke nicht? Kann auch der Glaube ihn selig machen ?

Jak 2,18 Aber es möchte jemand sagen: Du hast den Glauben, und ich habe die Werke; zeige mir deinen Glauben ohne die Werke, so will ich dir meinen Glauben zeigen aus meinen Werken.

Jak 2,24 So sehet ihr nun, daß der Mensch durch die Werke gerecht wird, nicht durch den Glauben allein.

Noch ein schöner Vers:

Offb 2,19 Ich weiß deine Werke und deine Liebe und deinen Dienst und deinen Glauben und deine Geduld und daß du je länger, je mehr t u s t.

Also: An unseren Liebtaten wird Jesus uns messen!

Herzliche Grüße
Helmut

Hallo vastitas,

schlage vor, Du vergleichst Luthers Gedanken mit den Jesu
Worten im NT. Denn Jesus ist unser Herr, nicht Luther!

Tach Helmut,

so etwas ist sicher immer sehr gut und nützlich, es bringt im Augenblick aber nicht weiter: denn es geht Vastitas eindeutig um Luthers Theologie und nicht um seinen eigenen, persönlichen Weg zum Heil.

Daß Ihr das nie auseinanderhalten könnt!

Gruß - Rolf

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Das eigentliche des Problems liegt in dieser Aussage von der
„Vergebung der Sünden“ durch den Tod Jesu.

Dies ist eine Doktrin der Kirche mit der Absicht, den Menschen
zu Ihrem Jesus zu locken und sonst gar nichts. Also eine rein
politische Aussage.

Tach Rolf,

also, ich finde, allmählich solltest Du Dir mal ein anderes Argumentationsmuster zu eigen machen als das ewig eine und ewig alte: die böse Kirche.
Ich weiß, die Tatsache, daß Du paranoid nicht, bedeutet nicht, daß nicht alle hinter deinem Kopf her sind, aber trotzdem…

Im Übrigen ist es einfach nicht wahr, daß die Vergebung der Sünden durch den Tod Jesu eine Erfindung der Kirche ist - sie ist Überzeugung und Bekenntnis schon der allerersten Gemeinden gewesen.
Und ich kann auch Dir nur sagen, was ich Helmut schon geschrieben habe: Vastitas hat eine konkrete Frage gestellt, und auf auf solche konkreten Fragen gibt es konkrete Antworten. Daß Du sie nicht kennst, bedeutet nicht, daß es sie nicht doch gibt.
Aber daß Du sie nicht kennst, verpflichtet Dich nicht zur Absonderung historischer Absonderlichkeiten.

Wenn schon Sri Aurobindo Deine Tage nicht füllt und Du auf anderen Feldern ackern möchtest, dann gibt es da z.B. auch noch Rabindranath Tagore.

Gruß - Rolf (der andere)

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Guten Morgen Vastitas,

meine Zeit reicht im Augenblick leider nur für ein paar kleinere Pamphletismen. Im Lauf des Abends aber werde ich Deine Frage länger und gründlicher beantworten können.

Gruß - Rolf

schlage vor, Du vergleichst Luthers Gedanken mit den Jesu
Worten im NT. Denn Jesus ist unser Herr, nicht Luther!

Die Frage ist aber doch ausdrücklich, wie Luther zu verstehen ist. Nicht darauf hast du eine Antwort gegeben, sondern du hast eine Meinung statt derer Luthers genannt.

Levay

Hallo Vasitas

Wenn Glaube ein Geschenk Gottes ist und nur durch diesen Glauben meine Sünden vergeben werden, dann kann ich doch nichts tun als darauf zu warten und hoffen (und weltlich fromm leben), bis Gott mir dieses Geschenk macht. Oder hat er uns allen (einschl. Heiden?!) dieses Geschenk schon durch Christi Tod (jetzt historisch) gemacht und uns allen Sünden befreit?

Wenn ein Geschenk für Dich bereitsteht, hast du es dann irgendwann, wenn du darauf wartest?
Anders gesagt, Du musst das GESCHENK ANNEHMEN, ES ERGREIFFEN. Er hat uns allen das geschenk schon gemacht, aber nicht alle nehmen es an.

Zur Annahme gehürt die Einsicht, dass man ein Sünder ist und die bitte das er die eigenen Sünden vergeben soll. Da er dies ja angeboten hat kann man danach danken, dass er dies getan hat.
Dazu muss man an jesus glauben und das was er für einem getan hat, ansonsten kann man obiges ja nicht beten/bitten.

Hallo,
sorry, aber es wird etwas länger:

Die Frage nach der Erlösung des Menschen ist letztlich eine Frage nach seiner Willensfreiheit. Für Luther steht fest, dass der Menschen keinen freien Willen hat – in Bezug auf Gott.
D.h. ob der Mensch hier auf dieser Welt anständig leben kann, liegt sehr wohl in seinem Willensbereich. Aber die Frage, ob der Mensch erlöst ist oder nicht, diese Frage kann der Mensch selbst nicht beeinflussen.
Der Mensch ist erlöst aufgrund des Glaubens und dieser Glaube und damit die Erlösung ist ein Geschenk Gottes. Auch die Annahme selbst dieses Geschenks ist nicht im Menschen begründet, sondern ob ein Mensch erlöst ist oder nicht, das liegt allein in der Macht Gottes. Für Luther geht es dabei darum, die absolute Macht Gottes und seine Gnade zu betonen. Die Willenslehre eines Luther hat Konsequenzen: Die Erwählungslehre. D.h. wer Gott Gott sein lässt und die Frage nach der Erlösung allein seiner Gnade überlässt, muss zwangsläufig annehmen, dass Gott auch Menschen verwirft.
Für Luther ist die Frage der Verwerfung eine Frage, die den Menschen auf den verborgenen Gott verweist. Das ist kein anderer Gott als der „offenbarte Gott“, aber der Gott, der (in der Schrift) offenbart ist, ist nicht der ganze Gott. Der Mensch kann Gott nicht vollkommen begreifen, ihn daher auch nicht beschreiben geschweige denn predigen, d.h. es gibt eine dem Menschen verborgene Seite Gottes.
Deutlich wird dies bei der Frage nach der Gerechtigkeit Gottes (letztendlich also bei der Theodizee): Wie kann es angehen, dass Gott den Sünder gerecht spricht, wie kann es sein, dass der gute Mensch leidet (Hiob). Für Luther ist klar, dass die Gerechtigkeit Gottes eine andere als die (zuteilende) des Menschen ist.
So schreibt er in de servo arbitrio:
„Nimm mir dreierlei Licht an, das Licht der Natur, das Licht der Gnade und das Licht der Herrlichkeit, wie es eine verbreitete und gute Unterscheidung tut. Im Licht der Natur ist es unlösbar, daß das gerecht ist, daß der Gute heimgesucht wird und daß es dem
Bösen wohl gehet. Doch dies löst das Licht der Gnade. Im Licht der Gnade ist es unlösbar, wie Gott den verdammen kann, der aus seinen eigenen Kräften nichts anderes tun kann als sündigen und schuldig werden. Hier sagen sowohl das Licht der Natur wie das Licht der Gnade, daß die Schuld nicht des armen Menschen, sondern des ungerechten Gottes sei. Denn sie können nicht anders über Gott urteilen, der den gottlosen Menschen umsonst ohne Verdienste krönt, und einen anderen nicht krönt, sondern verdammt, der vielleicht weniger oder wenigstens nicht mehr gottlos ist. Aber das Licht der Herrlichkeit redet anders und wird alsdann zeigen, daß Gott, dessen Gericht bisher eine unbegreifliche Gerechtigkeit innewohnt, die gerechteste und offenkundigste Gerechtigkeit zugehört. Bis dahin sollen wir das glauben, ermahnt und bestärkt durch das Beispiel des Lichtes der Gnade, welches ein ähnliches Wunder (nämlich die leichte Lösung einer ursprünglich unlösbaren Frage) beim natürlichen Licht vollbringt.“
Letztlich bedeutet das, dass wir nur darauf hoffen dürfen, die Frage im Eschaton (Licht der Herrlichkeit) lösen zu können, warum der als gerecht gepredigte Gott uns so ungerecht erscheint (Anfechtung).
Ein Gott, der aber die Gnade vom Menschen und seinen Willen abhängig macht, ja, der sich irgendwie vom Verhalten des Menschen abhängig macht (also z.B. der Annahme des Gnadengeschenks), ist für Luther undenkbar, denn eine solche Vorstellung widerspricht der Souveränität Gottes. In Luthers berühmten Bekenntnis am Ende von de servo arbitrio heißt es:
„Ich bekenne fürwahr in bezug auf mich: Wenn es irgendwie geschehen könnte, möchte ich nicht, daß mir ein freier Wille gegeben werde, oder daß etwas in meiner Hand gelassen würde, womit ich nach dem Heil streben könnte. Nicht allein deswegen, weil ich in so vielen Widerwärtigkeiten und Gefahren, weiter bei so vielen widerstreitenden Teufeln nicht Stand zu halten und es zu bewahren vermöchte, da ein Teufel mächtiger ist als alle Menschen und (um ihretwillen) kein Mensch gerettet würde. Sondern auch weil ich, auch wenn keine Gefahren, keine Widerwärtigkeiten, keine Teufel existierten, dennoch gezwungen wäre, fortwährend im Ungewissen zu arbeiten und Lufthiebe zu machen. Denn mein Gewissen würde, wenn ich auch ewig lebte und wirkte, niemals gewiß und sicher, wieviel es tun müßte, damit es Gott genug tue. Denn welches Werk auch immer vollbracht wäre, immer bliebe der beunruhigende Zweifel zurück, ob es Gott gefalle oder ob er irgend etwas darüber hinaus fordere, wie es auch die Erfahrung aller Werkheiligen beweist und wie ich es zu meinem großen Leidwesen so viele Jahre hindurch zur Genüge gelernt habe.
Aber jetzt, da Gott mein Heil aus meinem Willen herausgenommen und in seinen Willen aufgenommen hat, und nicht durch mein Werk oder Laufen, sondern durch seine Gnade und Barmherzigkeit mich zu erhalten verheißen hat, bin ich sicher und gewiß, daß er getreu ist und mir nicht lügen wird, auch mächtig und stark ist, daß keine Teufel, keine Widrigkeiten ihn werden überwältigen oder mich ihm werden entreißen können.“

Mit dieser Willens- und Gnadenlehre hat man theologiegeschichtlich immer wieder Schwierigkeiten gehabt.
Nach Luther wäre die Annahme, das Geschenk sei zumindest von Menschen abzunehmen oder er habe sogar die Möglichkeit, dieses Geschenk abzulehnen, absolut falsch (diese These hat Erasmus vertreten) – sie wäre für ihn Ausdruck eines werkgerechten Gottesbildes.

Grüße,
Taju

ach mensch…

Dies ist eine Doktrin der Kirche mit der Absicht, den Menschen
zu Ihrem Jesus zu locken und sonst gar nichts. Also eine rein
politische Aussage.

gut… was soll ich dazu noch sagen… rolf hat, denke ich, sehr passende worte dazu geschrieben. Ich bin sicher offen für jede Meinung, aber sorry! mich langweilen die eindimensionalen theorien von semikönnern, die der ach so bösen kirche stets die schuld an allem geben wollen.

das ist nichts gegen dich direkt, ich denke nur, dass ich mit solch einer propaganda herzlich wenig anfangen kann.

gruß
kevin

Lieber Vastitas,

jetzt also die versprochene Antwort zu Deiner Frage.
Ich fange etwas anders an als Taju, nämlich mit der Rechtfertigung.
Deine Frage ist nämlich die nach der Rechtfertigung des Sünders, auf deutsch also der
iustificatio impii.

Wir verstehen unter Rechtfertigung den Nachweis unserer Unschuld: entweder haben wir das, was uns vorgeworfen wird, gar nicht getan, oder die Gründe, die uns zu dieser Handlung getrieben haben, waren derart zwingend und überwältigend, daß man ohne weiteres von einem „übergesetzlichen Notstand“ reden darf. Jedenfalls ist eine gelungene Rechtfertigung immer der Nachweis der subjektiven Unschuld.

Im Neuen Testament ist Rechtfertigung immer ein Akt Gottes und wird auch von Luther immer so verstanden. Das könnte bedeuten, daß das, was wir selbst nicht fertigbringen - uns zu ent-schuldigen - nun von Gott besorgt wird. Dafür könnte der Gedanke der Vergebung der Sünden sprechen wie auch die Lehre von der Stellvertretung Christi: er hat unsere Schuld gesühnt, sie wird von Gott nicht mehr angerechnet, also sind wir ent-schuldigt und also vor Gott gerechtfertigt.

Wenn wir unseren Begriff der Rechtfertigung nun aber auf die Rechtfertigung des Sünders anwenden, kommen wir in die allergrößten Schwierigkeiten: Gott müßte - wenn unser Verständnis von Rechtfertigung richtig ist - an unserer Stelle den Beweis erbringen, daß wir die Sünden, derentwegen wir zur Rechenschaft gezogen werden sollen, gar nicht begangen haben! Das ist - wie leicht einzusehen ist - eine logische Unmöglichkeit. Darum haben wir zu fragen, ob denn Luther das gleiche Verständnis von Rechtfertigung hatte wie wir.
Kurz und schmerzhaft: er hatte es nicht!
Rechtfertigung bedeutete im Sprachgebrauch seiner Zeit etwas ganz anderes: sie bedeutet entweder den „peinlichen Prozß“, in dem es um Haut und Haar, um Leib und Leben geht, oder aber - und das am häufigsten -: den Vollzug, die Hinrichtung des Verurteilten.
So zum Beispiel in der peinlichen Halsgerichtsordnung Karls V. (Carolina), in der Bamberger Halsgerichtsordnung; sowohl die Apologie der Confessio Augustana wie auch spätere lutherische Dogmatiker (Hafenreffer beispielsweise) weisen ausdrücklich darauf hin, daß der Begriff der Rechtfertigung dem „usus forensi“ oder „ex iudiciis forensibus“, also der Terminologie des Gerichts entnommen ist.

„Rechtfertigung“ bedeutet also nicht, daß der Mensch sich ent-schuldigt, sondern daß der Scharfrichter dem Delinquenten „sein Recht tun“ soll. Die Lehre, daß der Mensch vor Gott als seinem Richter steht, der ihm „sein Recht tun“ wird, besagt, daß er von ihm zur Rechenschaft gezogen wird.

Ich kürze jetzt etwas ab.
Gott also ist Subjekt der Rechtfertigung, vom Menschen kann sie nur empfangen werden; der Mensch ent-schuldigt sich also nicht vor Gott. Nun wird er freilich entschuldigt - aber nicht, indem Gott besorgt, was der Mensch nicht leisten kann: die in der Rechtfertigung erfolgende Ent-schuldigung hat die Be-schuldigung oder An-schuldigung zur unabdingbaren Voraussetzung.
Wenn die Rechtfertigung ein richterlicher Akt Gottes ist, kann kein Zweifel sein, daß der zur Rechenschaft gezogene Mensch als der behandelt wird, der er vor Gott ist: als Sünder.

Ab jetzt wird es noch etwas komplizierter. Das möchte ich morgen fortführen. Einverstanden?

Gruß - Rolf

Hallo Helmut

auch wenn du mir keine rechte theologische Antwort auf meine Frage gegeben hast, bin ich dir sehr dankbar für dein Posting.

Kurz ein paar Worte dazu:

Denn Jesus ist unser Herr, nicht Luther!

das habe ich nicht vergessen :wink: keine Sorge…

Jak 2,14 Was hilfst, liebe Brüder, so jemand sagt, er habe den
Glauben, und hat doch die Werke nicht? Kann auch der Glaube
ihn selig machen ?

Jak 2,18 Aber es möchte jemand sagen: Du hast den Glauben, und
ich habe die Werke; zeige mir deinen Glauben ohne die Werke,
so will ich dir meinen Glauben zeigen aus meinen Werken.

Jak 2,24 So sehet ihr nun, daß der Mensch durch die Werke
gerecht wird, nicht durch den Glauben allein.

Durch die Werke allein wirst du auch nicht das Heil erfahren (nach Luther, wohl gemerkt!) Wir werden gratis gerecht. Gute Werke entstehen aus dem Glauben und aus der Liebe heraus. Wenn wir durch Werke unseren Glauben und unsere Liebe erschaffen, dann erschaffen wir unseren eigenen Gott - das bezeichnet Luther als lästerlich. Luther fordert sogar (und das erinnert mich ein wenig an Nietzsche), dass wir diesen selbst erschaffenen Gott töten… Dennoch sind Werke auch für Luther wichtig und gehören zum wahren Glauben dazu: "Es gibt keine Frucht ohne Baum, die Frucht kann nicht aus sich selbst heraus wachsen, sondern benötigt den Baum)

naja das geht jetzt zu weit und würde eine neue hoch interesante Diskussion auslösen, die mich zwar gerade auch sehr beschäftigt, aber wohl etwas warten muss… eins nach dem anderen :wink:

liebe grüße
vastitas

Hallo Beat,

Wenn ein Geschenk für Dich bereitsteht, hast du es dann
irgendwann, wenn du darauf wartest?
Anders gesagt, Du musst das GESCHENK ANNEHMEN, ES ERGREIFFEN.
Er hat uns allen das geschenk schon gemacht, aber nicht alle
nehmen es an.

Das hat Harald auch gemeint… hmm… klingt gut. Ist dieses „Annehmen“ von Heilsbedeutung oder sind die Heiden, die das Geschenk auch bekommen haben, aber noch nicht öffneten, auch schon von Gott aufgenommen (nach Luther)?

Wenn ich Gerechtigkeit allein aus den Glauben erfahren kann, dann ist den Heiden doch (noch) nicht das Heil zugesprochen worden… oder? Um ein wenig bildlich zu sprechen: Wenn ich Weihnachten ein großes Paket bekomme, in dem ein Auto verpackt ist, dann kann ich es ja erst fahren, wenn ich es angenommen und ausgepackt habe.

liebe grüße
vastitas

vielen dank euch beiden
jetzt hab ich es verstanden… denke ich… zumindest werde ich morgen noch einmal, mit neuem Wissen gefüttert, zu meinem Professor gehen können und mit ihm weiter diskutieren können…

so gut die Denkansätze von Harald und Beat waren, aber die kann ich (nach Luther) zunächst wohl in die Schublade tun…

gute Nacht
vastitas

das ist nichts gegen dich direkt, ich denke nur, dass ich mit
solch einer propaganda herzlich wenig anfangen kann.

Tja, in dem Fall natürlich nicht. Aber es lesen ja auch noch andere hier und für die ist es gut, daß man auf diese Art Propaganda hinweißt, die von den Vertretern der Falschheit ausgeht.

r.

Hallo Vastitas

Wenn ein Geschenk für Dich bereitsteht, hast du es dann
irgendwann, wenn du darauf wartest?
Anders gesagt, Du musst das GESCHENK ANNEHMEN, ES ERGREIFFEN.
Er hat uns allen das geschenk schon gemacht, aber nicht alle
nehmen es an.

Das hat Harald auch gemeint… hmm… klingt gut. Ist dieses
„Annehmen“ von Heilsbedeutung oder sind die Heiden, die das
Geschenk auch bekommen haben, aber noch nicht öffneten, auch
schon von Gott aufgenommen (nach Luther)?

Nein sind wir alle nicht, so wie jesus zu Nikodemus sagte, dass nur wer im Geist wiedergeboren wird, das Himmelreich sehen KANN. D.h dies ist eine Voraussetzung, dass men etwas sieht, damit man dann eintreten kann, was der 2. Schritt ist.

Wenn ich Gerechtigkeit allein aus den Glauben erfahren kann,
dann ist den Heiden doch (noch) nicht das Heil zugesprochen
worden… oder?

Doch zugesprochen schon und damit sie es auch wissen und das Geschenk auspacken können, haben wir christen ja den „Missionsbefehl“ als eine der allerletzten Worte auf erden von Jesus bekommen

Um ein wenig bildlich zu sprechen: Wenn ich
Weihnachten ein großes Paket bekomme, in dem ein Auto verpackt
ist, dann kann ich es ja erst fahren, wenn ich es angenommen
und ausgepackt habe.

Stimmt. Es ist da. Mann muss es den Menschen die Jesus nicht kennen sagen und zeigen, damit sie es annehmen und auspacken können.

liebe grüße
Beat

Zweiter Teil zu Luthers Rechtfertigungslehre
Lieber Vastitas,

jetzt möchte ich den Gedankengang von gestern fortführen:

Dem Gericht Gottes sind wir alle immer und unter allen Umständen ausgeliefert: Gott sorgt dafür, daß allen Menschen ihr Recht geschieht. Er wird sie alle „rechtfertigen“.

Rechtfertigung kann „Gerechtmachung aus Glauben“ = Gerechtsprechung bedeuten; dann erhebt sich die Frage, ob den so Gerechtfertigten nicht „ihr Recht“ geschieht.

Einmal kann Gerechtsprechung als Akt der Begnadigung erscheinen; das besagt dann, daß Gott „Gnade für Recht“ ergehen läßt. (Das ist die ursprüngliche und richtige Formulierung, Gnade v o r Recht hat sich erst später eingebürgert)

Die Gerechtsprechung hängt aber untrennbar mit der Gerechtigkeit Gottes zusammen: die dem Menschen zugesprochene Gerechtigkeit heißt auch „Gerechtigkeit Gottes“ oder „Gerechtigkeit aus Gott“ , weil Gott allein ihr Subjekt und Urheber ist. Diese „Gerechtigkeit Gottes“ ist also nicht eine Qualität, die der Mensch besäße, sondern immer Geschenk und Gnade.

Und hier kommt die ganze Paradoxie der Rechtfertigung ans Tageslicht:
Der Sünder weiß, daß Gott ihm ein gerechter Richter sein wird, und als gerechter Richter kann er nur das Urteil: Tod verkünden. Der glaubende Sünder ist bereit, dieses Urteil anzunehmen. Er kann ihm nichts entgegensetzen, er muß verstummen. Der Sünder kann und will nichts anderes sein als dies: Sünder. Und er ist gerecht! Dem Menschen ist sein Recht widerfahren. Er empfängt das Urteil: schuldig! Und damit ist er „gerechtfertigt“.

Dies ist - in aller Kürze - Luthers Position und Lehre von der Rechtfertigung; dazu müßte man nun natürlich noch Bekehrung und Buße etc. betrachten, aber das soll erst mal genügen.

Gruß - Rolf