Einmischung (Semjon und Nescio)
Hallo Semjon und Nescio,
entschuldigt bitte, wenn ich mich hier einmische, denn irgendwie betrifft mich das doch ziemlich direkt
Wahrscheinlich nicht. Es gibt heute sicher einige
Individuen von aussergewöhnlichem Charakter und
grosser Weitsicht. Leute, die, hätten sie gelebt
in der „Zeit der Philosophen“, der Zeit der Metaphysik
und des Glaubens an die „Wahrheit“ - sich mit ihren Werken
in der „Philosophiegeschichte“ verewigt hätten.
Warum unterscheidet keiner von Euch beiden zwischen der institutionalisierten Philosophie und den Philosophen? Was Kanon ist, was gelesen werden muss und was als gehaltvoll angesehen werden muss, bestimmte schon seit jeher (beginnt mit der Gründung der Akademie und der Esoterik von Platon) eine Institution. Sei es nun zeitgenössisch oder rückwirkend. Das kann, muss aber nichts über den philosophischen Gehalt als solches aussagen, es ist einfach eine Norm, die akzeptiert werden kann oder nicht. Schopenhauer hat sie nicht akzeptiert und wurde von heutiger Norm aus gesehen trotzdem Philosoph, oder?
Anders gefragt. Welchen „Wert“ hat die Arbeit der
Philosophen heute für die „Nichtphilosophen“.
Erstens: weil der Nichtphilosoph den Wert nicht sieht, muss er nicht da sein. Zweitens geb ich lieber ein Beispiel: Die Athener haben den Wert Sokrates Arbeit (der Hebammenarbeit im Denken) auch nicht gesehen. Oder (in der Neuzeit) hat der kleine Uhrmacher Schweden auch nicht erkannt, was jetzt an den tollen Theorien eines Descartes dran sein soll, dass er bei der Königin eingeladen wird. Gerade am Beispiel der Philosophiegeschichte zeigt sich doch, dass Philosophie immer ein exklusives Spiel einer bestimmten Klasse Gebildeter war. Das ist etwas das sich erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geändert hat.
Das ist schon auch „anders gefragt“ 
Wenn einer einen „Beruf“ hat, dann kann man
auch genau angeben, was er in diesem Beruf
tut und was es wem nützt. So legt es afaik
Plato im Gorgias dem Sokrates in den Mund.
Und wenn einer „Philosoph“ von Beruf ist, dann …
Ja, aber heute gilt doch die Philosophie als eine jener „Beschäftigungen […], die zwar Wohlgefallen erregen, aber dabei nicht auf das Beste bedacht sind…“, oder? Philosophie wird sich doch heut meist nur noch fürs Schulterklopfen der Gesellschaft gehalten… dass es eine Wissenschaft ist, glaubt doch heute keiner mehr… Heute zählen nur noch Wert und Wirtschaftlichkeit. Die ausgängliche Frage nach dem Wert der Philosophie für Nichtphilosophen bestätigt das…
Dass wir in „philosophischer Ödnis“ leben, glaube ich
nicht mal.
Noch nie war die Philosophie so ‚feuilltonisiert‘ wie heute. Noch nie konnten soviele nicht-philosophische Menschen ihre Meinunng zur Philosophie abgeben. s.o.
OK, dass ein „bei-lebzeiten-klassischer Philosoph“ auf
spektakuläre Weise mit einem Paradigmenwechsel
koinzidiert, wie es einem Sokrates, Locke, Descartes,
Russeau, Nietzsche oder Heidegger passierte, war in
den letzten Jahren sicher nicht zu beobachten. Was
das bedeutet, darauf kann ich mir auch keinen rechten
Reim machen.
Sorry, Semjon, aber diese Denker haben einen Paradigmenwechsel ausgelöst, aber ihn meistens gar nicht mehr erlebt. Lies einfach noch mal am Anfang was ich über die Institution und die Norm geschrieben habe…
Die spektakulärsten quasi-philosophischen Kielwellen
findet man (imho!) an der Phasengrenze zur Naturwissen-
schaft, z.B. u.a. in der Evolutionstheorie. …
Direkt aus den Schreibstuben der philosophischen Institute
ist, wie Du vielleicht sagen wolltest, gegenwärtig wenig zu
vernehmen, was die ehernen Mauern verlässt.
Nur, weil das das Einzige ist, was Du wahrnimmst, oder mitbekommst, ist es noch lange nicht das ganze Segment der aktuellsten philosophischen Forschung. Surft doch mal ein wenig im Internet rum oder macht die Augen in den Zeitungen auf. Noch nie in der ganzen Geschichte der Philosophie wurde soviel vulgarisiertes (im ersten Wortsinn gemeint) Philosophisches in der Öffentlichkeit diskutiert wie heute. Heute gehört es in allen Bereichen dazu mindestens zwei Mal im Jahr einen Feuilleton-Beitrag, Podiumsdiskussionen und Fernsehsendungen zu machen… Dass es dabei meist nicht darum geht ‚dem Volk‘ was beizubringen sondern sich in oben erwöhnten institutionellen Kreisen wieder zum Gespräch zu machen, kann ich als Insider wirklich beurteilen.
Hehe, es kann ja sogar vorkommen, dass einer
den „Philosophenberuf ergreift“ und trotzdem noch zum
Philosophen werden kann … 
Nur weil es nicht im Who-is-Who steht? Weil Du ihn nicht kennst, Nescio? Schon wieder Institution mit Philosophie verwechselt…
Nochmal: nicht die institutionalisierte Akademie bestimmt was philosophisch ist und was nicht.
Mehr kann man wohl in einem Forum wie diesem auch nicht tun.
Schon der Unterschied zwischen Philosoph und „Philosoph“
wäre doch in der hier nötigen Kürze kaum ernsthaft zu
benennen.
*sich umschaut* Ich kann hier wirklich keine eingrenzenden Gartenzäune erkennen… Der Platz steht Dir frei, und vielleicht hilft Dir die Tatsache, dass Du Dir Zeit und Raum für die Formulierung Deines Unbehagens nehmen kannst, nicht so schnelle qualifizierende Urteile abzugeben, die *sorry* nicht mal im Ansatz fundiert sind…
Ein Philosoph, der die Grenzen der Erkenntniss und
vielleicht des Mensch-seins auslotet, muss zwangs-
läufig unabhängig und an irgendeiner Grenze existieren.
*Stern für Semjon* Doch vergessen wir nicht, dass Forschung nur ein Teil ist, mindestens genauso wichtig ist doch die Lehre, oder? Ich persönlich nehme die wirklich wichtig und DAS ist der Ort an dem sich dann herausstellt ob man Philosoph (mit oder ohne Abschluss) oder einfach nur ‚Kommentator philosophischer Meinungen‘ ist. [Zu meiner Einteilung der philosophischen Profession ein ander Mal…]
Der „Blick herab“ auf seinen „Untersuchungsgegenstand“
muss „sprichwörtlich“ sein … 
*nochmal Stern für Semjon*
Umfrage: Welche Werke gehören zur
„heutigen Philosophie“ mit einer Wirkung
auf Nichtphilosophen. Gute Frage!
Alles, und ich meine ALLES, was dem menschliche Wesen in seiner momentanen Lebenssituation Perspektiven eröffnet, die ihm vorher nicht zugänglich waren. Das klingt daher so furchtbar verschroben, weil ich es besonders offen formulieren wollte: darunter kann auch ein guter Roman sein, der Dich gewisse Dinge anders sehen lässt; es kann ein Artikel sein, der Dir grössere Zusammenhänge eines Problems erklärt etc. Die Aufgabe das dann auf Dein Leben anzuwenden, diese Erfahrung ernst zu nehmen und in alles einfliessen zu lassen, ist dann deine ur-philosophische Aufgabe. Philosophie mag zwar eine Wissenschaft sein, aber es ist auch eine Lebenskunst und da lässt sie sich nicht kartographieren oder einteilen: umgekehrt sind Philosophen die ihre Lebenserfahrungen auch in ihre Wissenschaft einfliessen lassen ein Schritt weiter, als jene die Wasser predigen und Wein trinken…
Mein didaktisches Bild dafür, das ich immer wieder in Tutoriaten verwende, lautet so: Wenn man eine Gitarrensaite anzupft, schwingen alle anderen mit. Genauso ist es mit der Philosophie und dem Leben als Mensch.
Grüsse
Y.-