Guten Abend!
Im Dom zu Magdeburg sieht man auf einem der Säulenkapitelle im Chor-Umgang einen Wanderer, der von einem Wolf angefallen wird. Dazu findet man in der Literatur die - allerdings nicht die Szene deutende - Mitteilung, angesichts dieser Darstellung habe die Mystikerin Mechthild von Magdeburg ihr Bekehrungs-/Berufungs-/Erweckungserlebnis gehabt.
Meine Fragen: Teilt Mechthild dieses (dann also wirklich biographische, nicht nur legendäre) Detail selbst mit?
(Wie alt wäre sie da gewesen?)
Oder lässt sich nachweisen, wo diese Geschichte zum ersten Mal berichtet wird?
(Was mich hier NICHT interessiert: was mit dieser Szene auf dem Kapitell eigentlich gemeint ist.)
Mit bestem Dank und schönen Grüßen!
H.
Hi!
Ist zwar nicht biographisch aber eventuell kann ich alterstechnisch weiterhelfen, Gerhard Wehr schreibt in „Die deutsche Mystik“, Anaconda Verlag unter Anderem:
„Von Mechthild, die einige Jahrzehnte hindurch in einem Magdeburger Beginenhaus sich der frommen Übung hingegeben hat, wissen wir, dass sie schon als zwölfjähriges Mädchen in einer einsamen Stunde vom „Sturm des Heiligen Geistes“ überwältigt und „ungestürm gegrüßt“ worden ist. Dieses Initialerleben hat sie für immer geprägt. Dominikaner sind es gewesen, deren Seelsorge sie sich anvertraute. Erst im Alter von achtundsechzig Jahren trat sie ins Kloster der Zisterzienserinnen von Hefta bei Eisleben ein, wo sie die letzte Lebenszeit bis zu ihrem Tod 1290 verbrachte.“
Sprich, wenn es mit dem Bild zu tun hat, muss es in der Deutung wohl doch noch irgendwie signifikant sein, evtl. ist es auch nur die pompöse Aufmachung oder ein lüsterner Dekan 
Jedenfalls soll dieses Erlebnis wohl mit 12 stattgefunden haben, wie auch immer es aussah.
lg
Kate
alterstechnisch weiterhelfen
Ja, danke, Kate!
Das fand ich inzwischen auch im KINDLER s. v. „Das fließende Licht der Gottheit“: Mechthild begann wohl tatsächlich im Alter von zwölf Jahren zur Mystikerin zu werden.
Aber wo wird der Zusammenhang mit dem Wolfskampf auf dem Säulenkapitell erwähnt,
fragt immer noch ratlos
H.
Das Wolfskapitell
Hi Hannes,
wie Kati bereits sagte, hat Mechthild ihr Initialerlebnis mit 12 Jahren gehabt. Und dabei spielte das sog. „Wolfskapitell“ im Dom zu Magdeburg inhaltlich gewiß keine Rolle. Kann auch gar nicht, denn nach Magdeburg kam Mechthild nämlich erst, als sie bereits um die 20 Jahre alt war.
Dieses Wolfskapitell, in dem wohl die Auseinandersetzung zwischen Otto IV und Albrecht II repräsentiert sein soll, wird kaum vor dem Tod bzw. der Beisetzung Albrechts 1233 gemeißelt worden sein. Zumal der Neubau des Doms ja gerade zur Zeit von Mechthilds Geburt erst begonnen hatte (1209). Es wäre zu fragen, ob die Kapitelle 20 Jahre später überhaupt schon existierten.
Und daß ausgerechnet dieses Bild in „Das fließende Licht der Gottheit“ überhaupt (begonnen um 1250) eine Rolle gespielt haben soll, halte ich für Phantasie, bzw. für eine lokale Legende. Es wird in diesen Textsammlungen (meine Erinnerung müßte mich sehr täuschen) jedenfalls nicht erwähnt.
Gruß
Metapher
Dieses Wolfskapitell, in dem wohl die Auseinandersetzung
zwischen Otto IV und Albrecht II repräsentiert sein soll
[…}
Und daß ausgerechnet dieses Bild in „Das fließende Licht der
Gottheit“ überhaupt (begonnen um 1250) eine Rolle
gespielt haben soll, halte ich für Phantasie, bzw. für eine
lokale Legende. Es wird in diesen Textsammlungen (meine
Erinnerung müßte mich sehr täuschen) jedenfalls nicht erwähnt.
Hallo,
ja, ich hab noch etwas weiter gesucht, um nicht nur mein Foto von dem Kapitell vor mir zu haben:
Quast, Giselher: Der Dom zu Magdeburg. Deutscher Kunstverlag München-Berlin 1991 (= Große Baudenkmäler Heft 415). S. 39:
„… das berühmte Wolfskapitell (ein Mensch geht durch ein Dickicht und wird von einem Wolf angefallen - gedeutet als Abwehr Ottos IV. durch Erzbischof Albrecht II.), vor dem die deutsche Mystikerin Mechthild von Magdeburg (+1277) ihre Bekehrung erlebt hat und dessen Motiv über deren Hauptwerk ‚Das fließende Licht der Gottheit‘ bis in Dantes ‚Göttliche Komödie‘ nachgewirkt hat.“
Die Fragen werden dadurch nicht weniger.
Schöne Grüße!
H.
richtig, dieses Text findet man abkopiert auf zig pages. Aber wie ich schon schrieb: Bei Mechthilds Initialerlebnis KANN das Kapitell keine Rolle gespielt haben. Inhaltlich nicht und rein zeitlich erst recht nicht, denn da existierte es noch nicht. Außerdem ist der Ausdruck „Bekehrung“ unsinnig. M. brauchte mit 12 nicht „bekehrt“ zu werden.
Und definitiv steht in den erst ca 30 Jahre später begonnenen Aufzeichnungen „Das fließende Licht der Gottheit“ von diesem Kapitell nichts drin. Es IST eine lokale Legende.
Grüße
Metapher
Hallo,
und mit Dank an die Antworter!
Zur Klarstellung: Mir ging’s weniger um die Mechthild speziell als um die Art des behaupteten Erweckungserlebnisses (über das ich also nun nichts herausbekam).
Der Kontext: Mir fiel die Sache neulich in Rom wieder ein, als ich in S. Maria sopra Minerva vor dem Sarkophag des Giovanni Arberino stand: Die Stirnwand des Sarkophags bildet eine antike Reliefplatte, auf der der Kampf des Herakles mit dem nemeischen Löwen dargestellt ist.
Meine Überlegung, was der antike Heros in einer Kirche zu suchen hat, endete mit der Vermutung: Weil der Teufel „umhergeht wie ein brüllender Löwe auf der Suche, wen er verschlinge“, so dass man hier das Christenleben dargestellt sehen kann.
Ich wüsste gern, ob die Mechthild auch in dem Angriff des Wolfs sowas wie den Anfall durch das Böse sah - und eben: ob es dazu eine Äußerung von ihr gibt.
Schöne Grüße!
H.
Ich wüsste gern, ob die Mechthild auch in dem Angriff des
Wolfs sowas wie den Anfall durch das Böse sah - und eben: ob
es dazu eine Äußerung von ihr gibt.
Vom rein mystischen Standpunkt ist diese Darstellung eine Verbildlichung eines inneren Kampfes, durch den jeder zu gehen hat, der den inneren Weg betritt.
Je nach Kultur wird es verschieden dargestellt. Der Wald ist dabei das Dunkel des Unterbewußtseins und der Wolf stellt den feindlichen Angriff der Kräfte dar, die den Sucher vom Weg ablenken wollen.
Das wird auch Mechthild von Magdeburg erfahren haben.
gruß
rolf
Hi,
Der Wald ist
dabei das Dunkel des Unterbewußtseins
Fein, dass das immer alles so eindeutig zu sein scheint.
Wurde das Unterbewusstsein nicht erst vom alten Freud in die Öffentlichkeit der westlichen Welt eingeführt?
Viele Grüße
WoDi
Der Wald ist
dabei das Dunkel des UnterbewußtseinsFein, dass das immer alles so eindeutig zu sein scheint.
Wurde das Unterbewusstsein nicht erst vom alten Freud in die
Öffentlichkeit der westlichen Welt eingeführt?
Hallo Wodi
Es war auch der Antike bekannt, unter dem Namen Unterwelt.
gruß
Hi,
Es war auch der Antike bekannt, unter dem Namen Unterwelt.
Und später dann als Wald?
Viele Grüße
WoDi
Es war auch der Antike bekannt, unter dem Namen Unterwelt.
Und später dann als Wald?
Ja. Siehe auch der Wald von Brocoliande (ich weiß nicht ob es richtig geschrieben ist), im keltischen Mythos um Arthus.
gruß
Brocéliande ist nicht die Unterwelt…
Na, Thorshammer,
Es war auch der Antike bekannt, unter dem Namen Unterwelt.
Und später dann als Wald?
Ja. Siehe auch der Wald von Brocoliande (ich weiß nicht ob es
richtig geschrieben ist), im keltischen Mythos um Arthus.
Nur, dass Brocéliande mitnichten die keltische Unterwelt ist! Im Keltischen Kulturkreis gilt: die Unterwelt als solches gibt es an und für sich nicht. Avalon als Pendant kam erst sehr viel später ins Spiel.
Mythen und Bilder lassen sich nunmal nicht quer durch die Kulturen lesen…
Gruss
Y.-
Nur, dass Brocéliande mitnichten die keltische Unterwelt ist!
Im Keltischen Kulturkreis gilt: die Unterwelt als solches gibt
es an und für sich nicht. Avalon als Pendant kam erst sehr
viel später ins Spiel.Mythen und Bilder lassen sich nunmal nicht quer durch die
Kulturen lesen…
Da möchte ich doch etwas nachhacken.
Wo tritt dieser Begriff in der Keltischen Literatur überall auf und wie wird er dort behandelt. Als rein geographischer Ort oder als mythischer?
Und dies nur bei Malleroy oder auch in anderen Schriften (Vita Merlini) ?
gruß
rolf
Hi,
Da möchte ich doch etwas nach hacken.
Ouha! Hier lebt sich’s aber gefährlich. 
Viele Grüße
WoDi
Hi,
Da möchte ich doch etwas nach hacken.
Ouha! Hier lebt sich’s aber gefährlich.
Also damit Yseult es nicht in die falsche Kehle kriegt: nachhaken.
grins
rolf
Avalon und Brocéliande (offtopic)
Nur, dass Brocéliande mitnichten die keltische Unterwelt ist!
Im Keltischen Kulturkreis gilt: die Unterwelt als solches gibt
es an und für sich nicht. Avalon als Pendant kam erst sehr
viel später ins Spiel.Da möchte ich doch etwas nachhacken.
Und ich einiges klären.
Wo tritt dieser Begriff in der Keltischen Literatur überall
auf und wie wird er dort behandelt. Als rein geographischer
Ort oder als mythischer?
So etwas wie eine keltische Literatur gibt es nicht, aus dem einfachen Grund, dass (nach iro-keltischem Verständnis, es lässt sich aber auch auf andere Bereiche ausweiten) das Geschriebene Wort Stillstand bedeutet. Mythen und Geschichten, Sagen und Legenden allerdings keine Statik vertragen. Erschwerend kommt hinzu, dass durch römische Einnahme und christliche Mission, nur wenig von dem eh schon wenig Geschriebenen erhalten ist (Gesetzestexte, Anrufungen etc. beispielsweise).
Was es allerdings gibt, sind mittelalterliche Texte, die lokale Mythen aufgreifen, weiterentwickeln, aufschreiben, umdichten etc. Es gibt also nur indirekte Quellen.
Da Brocéliande ein realer Ort ist und immer war (bei Dinant, Frankreich), nehme ich an, Du möchtest mehr über Avalon wissen.
Avalon kommt bereits in der Historia regum britanniae bei Geoffrey of Monmouth als mythologischer Ort vor (Zeitlich also vor der Vita Merlini). Beim der Historia handelt es sich um eine Mischung von historischen Dokumenten und persönlicher Dichtung des Autors, wo die Vita Merlini als poetische Dichtung gilt. Dort findet sich dann auch eine genauere Beschreibung. Diese Beschreibungen gehen auf ältere keltische Motive zurück (Die neun Schwestern von Avalon gehen beispielsweise auf die neun Jungfrauen des Kessels des Preiddu Annwfn zurück).
Über Deutungen vor Geoffrey ist wenig bekannt. Nach Geoffrey gibt es verschiedene Orte, an denen Avalon angesiedelt wird, die von „am anderen Ende der Welt“ bis zu Sizilien reichen.
Die andere Version, welche um 1190 in Glastonbury aufkam dürfte Dir bekannt sein (zu finden bei Girardus Cambrensis oder Robert de Boron).
Und dies nur bei Malleroy oder auch in anderen Schriften (Vita
Merlini) ?
Der Autor heisst übrigen Thomas Mallory und macht mit dem Le Mort Darthur eine bis dahin marginale Version der Arthusmythen zum Bestseller. Mallory lässt es im Übrigen offen, ob Arthus nun in Glastonburry begraben liegt oder aber nach Avalon fuhr und auf Rückkehr wartet…
Gruss
Y.-
mythische Kämpfe
Ich wüsste gern, ob die Mechthild auch in dem Angriff des
Wolfs sowas wie den Anfall durch das Böse sah - und eben: ob
es dazu eine Äußerung von ihr gibt.
Ich sagte ja schon, nein, es gibt in den Aufzeichnungen „fließendes Licht“ Mechthilds dieses Kampfmotiv nicht. Weder mit einem Wolf, noch überhaupt der Kampf mit einem dämonischen Wesen. Und speziel gibt es einen Hinweis auf dieses Kapitell nicht.
Sie spricht wohl in einigen wenigen Kapiteln von den negativen Einflüssen von Teufeln (meist im Plural) auf die Seele, aber wird nicht als Kampf dargestellt. Dieses Motiv - Kampf des Heros mit Ungeheuern - zieht sich tatsächlich durch die Kulturen. Angefangen von syrischen, babylonischen, akkadischen Berichten primordialen Geschehens (Ba’al vs Jamm, Marduk vs. Tiamat usw.) über Andeutungen im Tanach (Jahwe vs. Rahab, Leviathan), bis zum apokalyptischen Kampf des Erzengels Michael mit dem Drachen, der sich in der St. Georg-Legende wieder auflebte, bis zu den Theseus- und Herakles-Mythen der Griechen und dem nordischen Mythos um „Authumbla“.
Auch in einigen visionären Formen der christlichen Mystik, der spanischen um Juan de la Cruz und der deutschen Mystiktradition (zumindest der weiblichen) gibt es die Auseinandersetzung der „Seele“ mit den „Kräften des Bösen“, aber sie wird dort nicht in dem antiken Mythem des Kampfes repräsentiert. Das kommt vielmehr nur in populären Legendenbildungen vor.
Gruß
Metapher
Dieses Motiv - Kampf des
Heros mit Ungeheuern - zieht sich tatsächlich durch die
Kulturen.
Ich nehme an, Du kennst
Campbell, Joseph: Der Heros in tausend Gestalten.
Fand ich lesenswert.
Dank und Gruß!
H.