Hallöchen,
da ich ja nun seit neuestem von unserem Experten für sämtliche Wirtschaftsbelange zum Dummkopf ernannt worden bin, kann ich ja ohne Gefahr eines weiteren Verlustes an Reputation ein paar Berichte aus der Praxis ablassen.
Folgende Situation: Bei x Kunden (regelmäßig mehrhundertfache Umsatzmillionäre (EURO)) drehen seit dem 11. September die ursprünglich positiv geplanten Zahlen für 2001 in den roten Bereich. Da fragt man sich natürlich als guter Bankmann „was ist da los?“ und vereinbart mal ein paar Termine. Und in den Gesprächen der letzten Wochen beim jeweiligen Vorstand erfährt man dann die tollsten Dinge. Nachgerade begeistert berichtet man da, daß gar nichts hätte besseres passieren können, als eben die Ereignisse vom 11. September. Die Zahlen werden nun nach allen Möglichkeiten schlecht gerechnet, und derer gibt es viele. So kann man wunderbar und ohne Protest der Gewerkschaften und Betriebsräte (vermeintliche) Überkapazitäten abbauen, gerade vor dem Hintergrund der angeblich schlechten Wirtschaftsaussichten für 2002. So durfte ich heute erfahren, daß man vor dem Hintergrund der ach so furchtbaren wirtschaftlichen Lage eine unwesentliche Umstrukturierung vollzogen hat und nun über 60 Leute entlassen konnte, allesamt aufgrund des Alters und Familienstandes ohne Abfindung. Einspareffekt: € 6 Mio./Jahr. Ironisch überrascht zeigt man sich darüber, daß nun just nach den Entlassungen massenweise Aufträge eingehen. Und auf einem bankinternen Seminar in der vergangenen Woche gab es die gleichen Berichte von meinen Kollegen aus anderen Abteilungen und Niederlassungen.
Um mich nicht mißzuverstehen: Natürlich gab es eine vorübergehende Nachfragedelle bei diversen Produkten, insbesondere bei tourismusnahen Branchen. Aber es handelt sich dabei (was meine Kunden angeht) nur um Nachfrageverschiebungen. Tatsächlich ist es bei einigen Kunden soweit, daß sie die nun auftretende Nachfrage für die ersten Monate des Jahres 2002 überhaupt nicht bewältigen können und Aufträge fremdvergeben müssen. Soviel zu Industrie, Handel und Dienstleistern.
Und dann die Entlassungen bei den Banken. Komischerweise riefen heute alleine bei mir drei (!) Headhunter an, die mir die tollsten Jobs anboten (leider alle in Frankfurt). Alleine wir suchen für unsere Niederlassung in Ddorf 4 neue Leute, in unserer Zentrale weiß ich von mindestens 20 offenen Stellen. Wo jetzt Arbeitsplätze abgebaut werden, liegt eigentlich auf der Hand: Im zyklischen Geschäft der Übernahmefinanzierungen (wo natürlich die gleichen Leute wieder in 2 Jahren mit Mördergehältern gelockt werden werden), in den abwickelnden Abteilungen, wo tatsächlich auch Überkapazitäten vorhanden sind, und im defizitären Schalterdienst.
Ehrlich gesagt, verstehe ich hier einige Leute nicht, die normalerweise keine Gelegenheit auslassen , um über die bösen und moralfreien Unternehmen zu lästern, aber bei relativ offensichtlichen Vorgängen dieses Argument nicht mal mit dem Holzhammer wiederfinden können.
Aber wer bin ich schon, daß ich Einblick in die Wirtschaft habe, ich Dummkopf, ich.
Schöne Grüße
Christian