Mangelnde Empathie lernen?

Hallo Experten,

ich habe folgende Problem mit einer Bekannten:

Sie ist eine nette Frau, aber ihr fehlt (beinahe) jegliches Einfühlungsvermögen.

So ist sie z.B. regelmäßig erstaunt über die Reaktion von Kolleginnen, obwohl es mir (und dass als Mann :wink:) häufig recht schnell klar ist, warum der oder die Person so auf meine Bekannte reagiert hat.

Wenn ich versuche, ihr das zu erklären, dann sieht sie es zwar (meist) ein, in einer anderen Situation ist sie aber dann wieder genauso von der Reaktion der Mitmenschen überrascht.

Zur Persönlichkeit der Bekannten muss ich sagen, dass sie eine ganze Reihe von Eigenschaften mitbringt, die diese mangelnde Empathie (zumindest in meinen laienhaften Augen) erklären können:

  1. Sie hat so gut wie keine Phantasie. Zum Beispiel bei dem bekannten Kinderspiel, bei dem man drei Worte genannt bekommt und daraus eine Geschichte entwickeln soll, fühlt sie sich völlig überfordert und erzählt bestenfalls Geschichten, die ihr wirklich passiert sind und zu der die Worte irgendwie passen. Sie kann auch nicht phantasievoll mit den Eigenschaften von Dingen spielen. Sie würde z.B. nie auf die Idee kommen, die Geschichte eines Hundes zu erzählen, der sich eine Rakete baut um zum Mond zu fliegen, weil dieser ihn an eine große Schüssel Hirsebrei erinnert, sein Leibgericht. Für sie ist ein Hund ein Hund, der bellt, gassi geht und Knochen nagt.

Daher fehlt es ihr auch an Vorstellungskraft, wie ein anderer in einer bestimmten Situation empfinden könnte (insbesondere, wenn sie selbst nicht so empfinden würde).

  1. Im Zusammenhang mit oben steht, dass sie ein sehr naturwissenschaftlich geprägter Mensch ist. Wobei ich allerdings viele sehr phantasievolle Naturwissenschaftler kenne. Sie ist aber eher der Typ des eindimensionalen Naturwissenschaftlers: Sehr gut in einem speziellen Gebiet, wenig Interesse an anderen Gebieten.

Es fehlt einfach das Bedürfnis zum Blick über den eigenen Tellerrand.

  1. Sie hat nur sehr wenige Freundschaften und diese, die sie hat, sind eher Bekanntschaften, also Freunde, mit denen man sich mal z.B. zum Kaffeetrinken trifft, mit denen man aber nicht seine innersten Gefühle teilt. Sie scheint aber auch kein Bedürfnis nach engeren Bindungen zu haben.

  2. Sie ist sehr direkt und versteht nicht, dass diese Direktheit - obwohl es objektiv die Wahrheit ist - nicht immer freundlich aufgenommen wird.

Man kann z.B. einem Bäcker sagen: „Diese Brötchen kaufe ich nicht mehr, die sind mir zu trocken. Ich nehme…“

Oder man kann sagen: „Schade, letztes Mal sind Ihnen Ihre Brötchen anscheinend nicht so gut gelungen, irgendwie waren die mir zu trocken. Ich kaufe daher heute mal …“

Erstere Version würde die Bekannte eher wählen.

  1. Auch ihr kultureller Hintergund ist wichtig, da sie in Rumänien geboren ist. Sie spricht zwar gut Deutsch, bestimmte Feinheiten bleiben ihr aber verborgen (z.B. Ironie, Zynismus, bestimmte ungeschriebene Verhaltensweisen, etc.).

Lange Rede kurzer Sinn: Wie kann der Bekannten geholfen werden? Kann man Einfühlungsvermögen bewusst lernen? Gibt es Übungen dazu?

Besten Gruß,
Sax

Hallo,

Deine Stärken/Schwächen Beschreibung passt eigentlich ganz gut zum sog. „Asperger-Syndrom“:
http://de.wikipedia.org/wiki/Asperger-Syndrom

Da bei dieser Form des Autismus nicht-organische Ursachen ausgeschlossen werden, wäre es dann kein Fall mehr für dieses Brett.
&Tschüß
Wolfgang

Ist es denn ein Problem für sie?
… jetzt wäre mir z.B. mit weniger Empathie besser geholfen.

Gruß

Stefan

Hallo,
Asperger oder nicht:
Ein gewisses Maß an Einfühlungsvermögen kann man schon lernen, dazu gibt es spezielle Trainings bei verhaltenstherapeutisch orientierten Psychologen / Psychotherapeuten.

Höfliche Feinheiten der Sprache kann man auch lernen ,dazu benötigt es nocht nicht mal einen Therapeuten.

Die Frage ist aber: Möchte die Frau denn was ändern? Oder stört ihre Besonderheit sie gar nicht?

Und wenn sie was ändern möchte: Würde sie sich dazu auch in Therapie begeben, oder möchte sie es erstmal mit Laienhilfe oder Selbsthilfe versuchen?

Wenn sie was ändern möchte, könnte sie sich zunächst fragen:

Merkt sie, wenn sie Leute vor den Kopf stößt, stört es sie oder ist es ihr egal?

KANN sie z.B. Gesichtsausdrücke oder Zwichentöne im Gesspräch nicht interpertieren, oder achtet sie nur nicht genug darauf?

KENNT sie keine „höfliche“ Form, Dinge rüber zu bringen, oder benutzt sie diese nur aus irgendwelchen Gründen nicht?

Diese Fragen könnten sie ihrem Problem schon näher bringen, aber das muss sie selbst wollen.
Wenn ihr Verhalten nur dich / ander stört, sie aber nicht, ist wohl nicht viel zu machen.
Bixie

Servus,

nun, das Problem ist, dass Sie zwar schon unter den Folgen leidet (zum Beispiel erhöhter Stress im Job/Ansätze von Mobbing durch Kollegen) aber nicht erkennt/wahrhaben will, dass diese Verhaltensweisen eigentlich nur Reakionen auf ihr eigenes Verhalten sind.

Ein gewisser Leidensdruck ist also schon da, aber sie geht davon aus, dass sie eben immer nur Pech hat, an die falschen Leute gerät, die anderen sie einfach nicht verstehen, die anderen zu empfindlich seien, sie es nicht besser könne, etc.

Bezüglich Asperger-Syndrom weiß ich nicht so recht ob es zutreffen könnte. Ich bin ja nur Laie und kann das nicht beurteilen, aber obwohl manche Punkte durchaus zutreffen, treffen manche Punkte (z.B. Schüchternheit) überhaupt nicht zu und auch die Übereinstimmungen sind nicht so stark ausgeprägt, wie es im Wikipedia-Artikel geschildert wird.

Man muss sich meine Bekannte eher als eine Person vorstellen, die schnell einen ersten Kontakt zu neuen Menschen aufbauen kann, und auf einer gewissen „professionellen“ Ebene auch freundschaftlich verbunden bleibt. Genauso kann es aber passieren, dass sie diese Person durch eine unangebracht direkte Äußerungen vor den Kopf schlägt und sich dann wundert, wenn die Person danach reserviert reagiert. Daher hat sie ihre „engsten Freunde“ auch über große Distanzen, mit denen sie über Telefon und Email kommuniziert und daher nicht so schnell verletzend werden kann.

Sie erkennt durchaus auch starke Gefühle, wie Traurigkeit etc. im Gegenüber, gibt dann aber eher Ratschläge, die sich auf die Beseitigung der sichtbaren Symptome beziehen und nicht auf das dahinter stehende eigentliche Problem.

Klingt jetzt sehr verschwurbelt, daher versuche ich ein Beispiel:

Nehmen wir an ein Freund hätte Liebeskummer und wäre nun regelrecht depressiv, dann würde meine Bekannte ihm wahrscheinlich raten nicht so viel herumzuheulen und doch mal wieder raus zu gehen. Auf die Idee, dass man aber eine Trennung vielleicht erst aufarbeiten muss oder vielleicht danach auch einfach mal Ruhe braucht, käme sie wahrscheinlich nicht von alleine.

Ich dachte darum auch lange Zeit, dass zu einem gewissen Teil sprachliche/kulturelle Hürden/Unterschiede eine Rolle spielen.

Während ich mal in England lebte, kannte ich einen Russen, der mit seiner direkten Art eigentlich ständig bei den Engländern aneckte. So schaltete er im Großraumbüro immer das Licht aus, wenn er ging, egal, ob noch ein anderer arbeitete oder nicht. Die Engländer waren viel zu höflich, um ihn darauf anzusprechen, ärgerten sich jedoch immer gewaltig. Er wunderte sich nur, dass kaum noch einer mit ihm sprach (nicht nur wegen des Lichtes). Ich redet dann mal mit ihm und er meinte nur, er würde ja auch morgens das Licht anschalten, während die anderen, die vor ihm da wären, im Dunkeln arbeiten würden. Also würde er aus Höflichkeit am Ende seines Arbeitstages auch das Licht wieder ausschalten. Und schließlich hätte sich ja bisher auch noch keiner bei ihm beschwert. Wäre jemand in Russland unzufrieden damit, würde man es ihm sofort sagen…

Jedenfalls dachte ich auch bei meiner Bekannten immer, dass solche kulturellen Fehleinschätzungen zumindest zum Teil eine Rolle spielten.

Doch obwohl die sprachlichen Fähigkeiten inzwischen immer besser geworden sind (und mit ihnen auch das Verständnis kultureller Eigenarten) gibt es dennoch immer wieder Zwischenfälle, bei denen sie sich regelrecht wie der Elefant im Porzellanladen aufführt.

Gut wäre es, wenn es irgendein gutes Buch oder ein Spiel oder eine andere „Übung“ gäbe, mit der man spielerisch emotionale Intelligenz/Einfühlungsvermögen verbessern könnte. Eine Art Hilfe zur Selbsthilfe, ein kleiner Wink mit dem Zaunpfahl, ohne dass es gleich als Beleidigung aufgeschnappt würde, denn zu einem Therapeuten bekomme ich sie ganz bestimmt nicht…

Gruß,
Sax

Nur Schadensminderung
Hallo Sax,

bei dem von dir beschriebenen Verhalten auf Asperger zu schließen, dazu gibt es keinen Anlaß. Was du beschreibst, ist vielmehr die Kontur der sog. → Alexithymie (Unfähigkeit, emotionale Regungen in anderen Menschen zu erkennen und daher auch emotionale reaktionen anderer zu verstehen).

Dazu passen eventuell auch deine Details unter 1., 2. und 4. Dagegen hat 3. damit gar nichts zu tun, und 5. erst recht nichts.

Wie kann der Bekannten geholfen werden?

Das setzt, wie schon erwähnt wurde, voraus, daß sie dazu das bedürfnis geäußert hat. Ansonsten wäre es dringend geraten, vom Bedrüfnis, helfen zu wollen, Abstand zu nehmen.

Kann man Einfühlungsvermögen bewusst lernen?

Nein. Es gibt aber (wie ebenfalls schon erwähnt wurde) die Möglichkeit, rhetorische Mittel zu erlernen, um Schäden kommunikativer Art möglichst zu vermeiden. Das setzt aber voraus, daß die Person sich dieser Schädenskonsequenzen bewußt ist (und den Willen, sie zu vermeiden). Solche Rhetorik-Trainings bzw. Trainings in dialogischem Verhalten gehören zu einem einschlägig fachkundigen Coaching. Auch in Verhaltenstherapien wäre soetwas trainierbar (falls der Therapeut sich auf Rhetorik versteht).

Gruß
Metapher