MAthematik

Ich hatte mit einem (zur zeit wenig geschätzten) kollegen eine diskussion, es ging dabei um die frage ob Mathematik eine naturwissenschaft ist. Ich bestritt das entschieden, er war dafür und nun suche in nach erleuchtung.

Anmerkungen

  1. Ich poste bewusst im philosophie forum
  2. es ist mir nicht entgangen, dass es ein forum MATHEMATIK gibt, und das dieses sich unter NATURWISSENSCHAFTEN befindet

Grüsse

Ich hatte mit einem (zur zeit wenig geschätzten) kollegen eine
diskussion, es ging dabei um die frage ob Mathematik eine
naturwissenschaft ist. Ich bestritt das entschieden, er war
dafür und nun suche in nach erleuchtung.

Also:
Mathe kann keine Naturwissenschaft sein, weil ihre Herangehens- und Arbeitsweise grundlegend verschieden von den Naturwissenschaften ist: Mathematische Beweisführung wissenschaftliche Erkenntnis.
Andererseits ist die Mathematik ein Produkt des menschlichen Geistes, weshalb man sie dahin stellt.
Etwas anderes ist es, wenn man das Einsatzgebiet der mathematik betrachtet: Von diesem Blickwinkel aus gesehen geht Mathe mit nicht nur den Naturwissenschaften Hand in Hand, mit den Geisteswissenschaften dagegen scheint sie nichts zu tun zu haben.
Das sind kurz gesagt die Gründe, warum man Mathe inhaltlich bei den Naturwissenschaften ansiedelt.
Gruss,

Mathematik ist die Sprache der Natur. Alles um uns herum lässt sich durch Zahlen und Grafiken wiedergeben. An sich hat Mathe doch nichts mit der Natur zu ist aber das unerlässlichste werkzeug um wissenschaftlich tätig zu sein.
grüße aus Minden

Hallo Minsk,

Definieren wir mal die Naturwissenschaft so, dass sie sich mit der physischen Welt beschäftigt, in der wir leben.

Diese Welt verhält sich vollkommen mathematisch.

Das fällt einem normalerweise nicht auf, weil man es so selbstverständlich findet.
Aber wenn man nur mal darüber nachdenkt - ich finde es im Grunde eigentlich verblüffend, dass man etwas auf Papier ausrechnen kann, z.B. die Flugbahn von einem Ball, und dann fliegt er tatsächlich so, wie man es ausgerechnet hat.

Das Ziel der Physik besteht im Grunde darin, eine mathematische Beschreibung der natürlichen Welt zu finden. Und die anderen Naturwissenschaften lassen sich im Grunde auf die Physik zurückführen:

Chemie: Die Phänomene der Chemie sind letztlich Wechselwirkungen zwischen Atomen, Molekülen und Elektronen -> Physik.
Biologie: Hier geht es um die Chemie in einem lebenden System -> letztlich Physik.
Und Physik ist letztlich Mathematik. qed.

Natürlich könnte man nun auch andersherum argumentieren und sagen: Die Naturwissenschaft oder der Teil der Naturwissenschaft, der die Welt unbedingt mathematisch beschreiben will, ist letztlich eine Geisteswissenschaft …

Klio

Hallo Minsk,

Definieren wir mal die Naturwissenschaft so, dass sie sich mit
der physischen Welt beschäftigt, in der wir leben.

Diese Welt verhält sich vollkommen mathematisch.

Das ist ein Glaube, keine Tatsache. Manches laesst sich mathematisch
gut beschreiben (z.B. Wuerfe), anderes nicht (z.B. Turbulenzen).
Man hofft, dass letzteres eines Tages auch beschreibbar sein werde,
aber man weiss es nicht. Wir koennen auch sagen, dass die Physik sich
den mathematisch beschreibbaren Teil der Welt herauspickt und den
Rest dann oft gar nicht mehr wahrnimmt.

Das Ziel der Physik besteht im Grunde darin, eine
mathematische Beschreibung der natürlichen Welt zu finden. Und
die anderen Naturwissenschaften lassen sich im Grunde auf die
Physik zurückführen:

Chemie: Die Phänomene der Chemie sind letztlich
Wechselwirkungen zwischen Atomen, Molekülen und Elektronen
-> Physik.
Biologie: Hier geht es um die Chemie in einem lebenden System
-> letztlich Physik.
Und Physik ist letztlich Mathematik. qed.

Klio

Hallo Klio

Deine hier vertretenen Ansichten fallen mancherorts unter den Begriff
Reduktionismus, der meistens abwertend gebraucht wird, z.B. von
sogenannten Holisten. Ein Buch, das deine Ansichten bekaempft, ist
„Eros, Logos, Kosmos“ (Reihenfolge nicht sicher) von Ken Wilber
(glaube ich). Das Buch fand ich sehr interessant, aber man braucht
viel Zeit es zu lesen, und Zeit ist heutzutage Mangelware. Jedenfalls
hatte ich nach seiner Lektuere den Eindruck, dass Ansichten wie die
deinen, die ich vor Jahren noch unterschrieben haette, zu naiv sind,
um der Komplexitaet der Welt gerecht zu werden.

Gruesse, Tychi

Richtigstellung
Hallo Tychi,

Definieren wir mal die Naturwissenschaft so, dass sie sich mit
der physischen Welt beschäftigt, in der wir leben.

Diese Welt verhält sich vollkommen mathematisch.

Das ist ein Glaube, keine Tatsache. Manches laesst sich
mathematisch
gut beschreiben (z.B. Wuerfe), anderes nicht (z.B.
Turbulenzen).
Man hofft, dass letzteres eines Tages auch beschreibbar sein
werde,
aber man weiss es nicht. Wir koennen auch sagen, dass die
Physik sich
den mathematisch beschreibbaren Teil der Welt herauspickt und
den
Rest dann oft gar nicht mehr wahrnimmt.

Falls du mich so verstanden hast, dass ich der Meinung bin, die ganze Welt sei naturwissenschaftlich und mathematisch erfassbar:

Ich meinte nur den mathematisch beschreibbaren Teil der Welt, den, mit dem sich die mathematisch agierende Naturwissenschaft beschäftigt. Das habe ich mit dem obigen ersten Satz gemeint. Über etwas anderes kann sie keine Aussagen machen.
Ich bin übrigens in _keinster_ Weise der Ansicht, dass das die ganze Welt ist. Wenn du der Meinung bist, dass das meine („bekämpfenswerte“) Ansicht ist, hast du dich getäuscht (oder ich zu unklar geschrieben).

Also, ich meinte nicht:
Die Welt verhält sich vollkommen mathematisch -
sondern:
Diese Welt verhält sich vollkommen mathematisch. Und mit „diese“ meinte ich die oben beschriebene naturwissenschaftlich erfassbare.

„Eros, Logos, Kosmos“ (Reihenfolge nicht sicher) von Ken
Wilber

Hört sich interessant an, werde es wahrscheinlich auch mal lesen.

Klio

Hmm,

Diese Welt verhält sich vollkommen mathematisch. Und mit
„diese“ meinte ich die oben beschriebene naturwissenschaftlich erfassbare.

mir erscheint diese Erkenntnis nicht weiter spektakulär, wenn nicht sogar zirkulär :wink:.

Gruss
Enno

Hmm,

Diese Welt verhält sich vollkommen mathematisch. Und mit
„diese“ meinte ich die oben beschriebene naturwissenschaftlich erfassbare.

mir erscheint diese Erkenntnis nicht weiter spektakulär, wenn
nicht sogar zirkulär :wink:.

Hallo Enno,

hmm … ja, da hast du Recht.
Na ja, eigentlich wollte ich ja mit dem zitierten Satz keine neue Erkenntnis formulieren, sondern nur noch mal klarstellen, was ich eigentlich gemeint habe, um die „Anschuldigungen“ von Tychi zurückzuweisen.
Und letzten Endes ging es ja darum, ob Naturwissenschaft etwas mit Mathematik zu tun hat bzw. warum sie damit in Verbindung gebracht wird.

Klio

Hallo Helge,

Mathe kann keine Naturwissenschaft sein, weil ihre
Herangehens- und Arbeitsweise grundlegend verschieden von den
Naturwissenschaften ist: Mathematische Beweisführung
wissenschaftliche Erkenntnis.

das habe ich schon häufiger gehört und würde es intuitiv bestätigen, aber ehrlich gesagt konnte ich nie GENAU den methodologischen Unterschied beschreiben. Was an der Herangehensweise ist GRUNDSÄTZLICH anders (gewisse Differenzen findet man ja auch innerhalb der Nat-W, z.B. zwischen Biologie und Physik).

Andererseits ist die Mathematik ein Produkt des menschlichen
Geistes, weshalb man sie dahin stellt.

Meines Wissens ist das nicht ganz korrekt oder zumindest unvollständig. Die Herleitung der gesamten Mathematik aus der Logik, die ja ein reines Produkt des menschlichen Geistes sein soll, ist - so weit ich weiß - nicht möglich. Die Mathematik bedarf also als Voraussetzung der Interaktion mit der Umwelt.

Etwas anderes ist es, wenn man das Einsatzgebiet der
mathematik betrachtet: Von diesem Blickwinkel aus gesehen geht
Mathe mit nicht nur den Naturwissenschaften Hand in Hand, mit
den Geisteswissenschaften dagegen scheint sie nichts zu tun zu
haben.

Das sehe ich anders: Die Schnittstelle zur Logik (Philosophie) ist bedeutend (Frege, Russel, Hilbert, etc.).

Gruß
f.

Hallo,

Was an der Herangehensweise ist GRUNDSÄTZLICH anders.

in den Naturwissenschaften müssen Theorien durch Versuche validierbar sein. Dieser zwingende „Link“ Theorie - Natur fehlt in der Mathematik.

Die Herleitung der gesamten Mathematik aus der
Logik, die ja ein reines Produkt des menschlichen Geistes sein
soll, ist - so weit ich weiß - nicht möglich.

(Fast) alle mathematischen Theorien beruhen letztlich auf Mengenlehre und Logik. Das logische Systeme hinreichender Aussagekraft oder besser mit hinreichender „Selbstrefle{kt,x}ion“ Probleme aufwerfen (Gödel, Cohen etc.) ist zwar bekannt aber inwiefern widerlegt das die These, Mathematik sei ein Produkt des menschlichen Geistes ?

Die Mathematik bedarf also als Voraussetzung der Interaktion mit der Umwelt.

Die Entwicklung der Mathematik ist sicher durch die Umwelt beeinflußt worden - allerdings trifft dies ja auch auf den menschlichen Geist zu.

Das sehe ich anders: Die Schnittstelle zur Logik (Philosophie)
ist bedeutend (Frege, Russel, Hilbert, etc.).

Ich sehe die Rolle der Mathematik auch anders als Helge (Füsikah halt :wink:).

Gruss
Enno

Hallo,

(Fast) alle mathematischen Theorien beruhen letztlich auf
Mengenlehre und Logik. Das logische Systeme hinreichender
Aussagekraft oder besser mit hinreichender
„Selbstrefle{kt,x}ion“ Probleme aufwerfen (Gödel, Cohen etc.)
ist zwar bekannt aber inwiefern widerlegt das die These,
Mathematik sei ein Produkt des menschlichen Geistes ?

Ich meinte: kein REINES Produkt des menschlichen Geistes sondern auch ein Produkt der menschlichen Erfahrung. Ich bin mir nicht sicher, aber ich dachte, die bisherigen Versuche, die Mathematik komplett aus der Logik herzuleiten, seien bisher nicht gelungen (irre ich mich?). Das müsste doch heißen, dass, wenn die Mathematik nicht komplett aus den Gesetzen des reinen Denkens resultiert, sie etwas außerhalb des reinen Denkens benötigt, also Erfahrung.
Gruß,
F.

Hallo,

Ich bin mir nicht sicher, aber ich dachte, die bisherigen Versuche,
die Mathematik komplett aus der Logik herzuleiten, seien
bisher nicht gelungen (irre ich mich?).

Nein das ist schon korrekt (für den üblichen finiten Beweisbegriff). Die Aussage, daß logische Systeme mit hinreichender Aussagekraft (genauer die Peano-Arithmetik umfassend) nicht in sich ihre Widerspruchsfreiheit belegen können, geht im wesentlichen auf Gödel zurück.

Das müsste doch heißen, dass, wenn die Mathematik nicht komplett aus den
Gesetzen des reinen Denkens resultiert, sie etwas außerhalb
des reinen Denkens benötigt, also Erfahrung.

Wenn wir klassische Logik als Produkt des reinen Denkens ansehen (was ich allein schon für fraglich halte - es gibt mittlerweile „Unmengen“ von Logiken) stimmt das. Man akzeptiert ein System, z.B. die Zermelo-Fraenkel’sche Mengenlehre (inkl. Auswahlaxiom) als Grundlage der Mathematik, obwohl erwiesenermaßen deren Widerspruchsfreiheit nicht innerhalb dieses Systems gezeigt werden kann.

Gruss
Enno