Mehrere Gleichgewichtszustände im Reaktionsnetzwer

Hallo!

In einem mathematischen Paper, das ich gerade bearbeite ist ständig die Rede von „capacity of chemical reaction networks to admit multiple equilibria“. Also der Kapazität von Reaktionsnetwerken mehreren Gleichgewichtszustände zu erreichen. Die Umgebung in der die Reaktion stattfinden soll ist ein „isothermal homognenuous continuous flow stirred tank reactor“ also ein isothermer homogener Rührkessel, bei dem alle Stoffe kontinuierlich zu und abgeführt werden. Mathematisch sucht man nun eine Methode um alleine von der Netzwerkstruktur (d.h. von den Reaktionsgleichungen) festzustellen, ob das Reaktionsnetzwerk die Kapazität hat mehrere Gleichgewichtszustände zu erreichen.

Mit Reaktionsnetzwerk meine ich eine Menge Stoffen, die durch Reaktionen miteinander Verknüpft sind. Zum Beispiel:

A+B --> C
C D+E
E --> 2A

Mathematisch ist das auch klar. Man stellt die Differentialgleichungen auf und schaut, ob es eine oder mehrer Lösungen für „c’(t)=0“ gibt. Mein Problem ist jetzt, dass ich mir chemisch darunter nichts vorstellen kann. Also von was soll das denn abhängen? Von den Anfangskonzentrationen, dem Druck, Parametern (wie der Reaktionsgeschwindigkeit)?? (die Temperatur kanns ja nicht sein, da wir von einem isothermen Umfeld ausgehen)! Hat zum Beispiel die Belousov-Zhabotinski-Reaktion zwei Gleichgewichtszustände, die jedoch beide nicht stabil sind? Über eine anschauliche chemische Erklärung wäre ich sehr dankbar. (Muss auch nicht allzu kindlich sein, ich habe schon Chemie-Kenntnisse von einigen Semestern:smile:) Es wäre auch super, wenn jemand ein Beispiel hätte (auch gerne biochemisch).

Vielen Dank schonmal und viele Grüße,
K.

Hallo,
ich habe eher weniger Erfahrung in Chemie aber doch Grundkenntnisse.
Die einzige Begründung die mir aber in diesem Fall einfällt sind Dissoziationsgleichgewichte.
Das einfachste Beispiel fällt mir bei der Neutralisation ein mit HCl und NaOH.
Hier hat man auch H2O, H+, NaCl, OH+, und noch viele andere Salze vorliegen, wobei die Konzentrationen nicht immer gleich bleiben, je nachdem welche Verbindungen gerade (durch den hier beispielsweise Rührer) gerade örtlich zusammenkommen und in Interaktion miteinander treten.
Ein Phänomen aus der Praxis in der Neutralisation, das du sicher auch kennst: Obwohl sich nichts am System ändert (vielleicht nur gerührt wird) schwankt der pH-Wert ständig und man nimmt dann den Durchschnittswert bzw. den, der am häufigsten am pH-Meter angezeigt wurde.
Ich hoffe die Erklärung ist dir nicht zu simpel.

mfG giggg

Hallo,

ich bin mir jetzt nicht ganz sicher, was hier wirklich die Zielsetzung des genannten Papers ist (vielleicht könntest du da mal das Journal mit Stelle angeben). Einerseits sprichst du von Gleichgewichtszuständen andererseits von „c’(t)=0“. Letztere Bedingung bedeutet aber nicht zwingend Gleichgewicht, sondern erst mal nur Stationarität. Das kann heißen, dass ein konstanter Stoffstrom (mit konstanter Zusammensetzung) in der Reaktor reingeht und ein Stoffstrom mit einer anderen Zusammensetzung (aber gleichem Massenstrom) rauskommt. Die Zusammensetzung des ausgehenden Stroms ändert sich im Laufe der Zeit nur nicht. Darum ist aber noch kein chemisches Gleichgewicht erreicht. Beispiel: Bei den gegebenen Reaktionsbedingungen reicht die Verweilzeit der Stoffe im Reaktor nur, um 40% des Gleichgewichtsumsatzes zu erreichen. Dann befindet sich das System am Austritt noch nicht im Gleichgewicht (dafür hat die Reaktionszeit nicht gereicht). Wenn das System aber stationär ist, dann ändert sich die Zusammensetzung des ausgehenden Stroms mit der Zeit nicht.(c’(t)=0).
Die Gleichgewichtslage/der Umsatz im Stationären Zustand (je nachdem was gemeint ist) hängt natürlich von Anfangskonzentrationen und Druck ab. Die Temperatur ist aber auch immer ein sehr wichtiger Parameter. Isotherm heißt in dem Zusammenhang nur, dass sie Temperatur im Laufe der Zeit/der Reaktorausdehnung nicht ändert. Sie ist aber dennoch hochgradig relevant. So läuft die Reaktion bei 200°C vermutlich erheblich schneller ab als bei 20°C. Und damit wird die Zusammensetzung im stationären Zustand deutlich näher am Gleichgewichtszustand sein als bei 20°C. (Gleichzeitig kann sie die Gleichgewichtslage bei einer anderen Temperatur natürlich auch verändern; in welche Richtung und wie stark hängt von der Reaktionsenthalpie ab [van’t Hoff Gleichung].)
Ich hoffe das erklärt so grob, wie man sich das vorstellen muss. Ansonsten ruhig nochmal fragen.
Gruß,

etc. gamma

Hallo,

zum Thema Chemie kann ich leider keine kompetente Antwort geben. Vielleicht kann Ihnen mein Quellenverzeichnis unter Thermodynamik nützlich sein.
Die Temperaturen stellen nur einen statistischen Mittelwert dar.

Näheres finden Sie unter

http://docs.google.com/Doc?docid=0AfBRewZ-3tayZDR0Z3…

Mit freundlichem Gruß

Helmut Börjes

Hallo!

In einem mathematischen Paper, das ich gerade bearbeite ist
ständig die Rede von „capacity of chemical reaction networks
to admit multiple equilibria“. Also der Kapazität von
Reaktionsnetwerken mehreren Gleichgewichtszustände zu
erreichen. Die Umgebung in der die Reaktion stattfinden soll
ist ein „isothermal homognenuous continuous flow stirred tank
reactor“ also ein isothermer homogener Rührkessel, bei dem
alle Stoffe kontinuierlich zu und abgeführt werden.
Mathematisch sucht man nun eine Methode um alleine von der
Netzwerkstruktur (d.h. von den Reaktionsgleichungen)
festzustellen, ob das Reaktionsnetzwerk die Kapazität hat
mehrere Gleichgewichtszustände zu erreichen.

Hallo, erst mal vielen Dank für deine Antwort. Ganz klar ist mir das aber noch
nicht…

Hallo,

ich bin mir jetzt nicht ganz sicher, was hier wirklich die
Zielsetzung des genannten Papers ist (vielleicht könntest du
da mal das Journal mit Stelle angeben).

Der Artikel ist von Martin Feinberg und lautet „Multiple Equilibria in complex
chemical reaction networks I“. Findet man bei Google.

Einerseits sprichst du
von Gleichgewichtszuständen andererseits von „c’(t)=0“.
Letztere Bedingung bedeutet aber nicht zwingend Gleichgewicht,
sondern erst mal nur Stationarität. Das kann heißen, dass ein
konstanter Stoffstrom (mit konstanter Zusammensetzung) in der
Reaktor reingeht und ein Stoffstrom mit einer anderen
Zusammensetzung (aber gleichem Massenstrom) rauskommt. Die
Zusammensetzung des ausgehenden Stroms ändert sich im Laufe
der Zeit nur nicht. Darum ist aber noch kein chemisches
Gleichgewicht erreicht.

Ok. Das klingt erstmal logisch. In dem Paper wird die Bedingung für GG allerdings
so beschrieben. hmm…

Wenn wir jetzt annehmen, dass wir ein geschlossenes System hätten, dann würde
die Bedingung c’(t)=0 doch stimmen, oder? Allerdings kann ich davon nicht
ausgehen. Deshalb kommen jetzt einige neue Fragen auf. Ist es möglich, dass in
dem Paper mit equilibrium diese Art von stationären Zuständen, die du oben
beschrieben hast gemeint sind? Würde es Sinn ergeben, zu fragen, ob ein System
mehrere solche Zustände zulässt sinnvoll? Weil eigentlich sind dann doch fast
immer multiple equilibria möglich…

Beispiel: Bei den gegebenen
Reaktionsbedingungen reicht die Verweilzeit der Stoffe im
Reaktor nur, um 40% des Gleichgewichtsumsatzes zu erreichen.
Dann befindet sich das System am Austritt noch nicht im
Gleichgewicht (dafür hat die Reaktionszeit nicht gereicht).
Wenn das System aber stationär ist, dann ändert sich die
Zusammensetzung des ausgehenden Stroms mit der Zeit
nicht.(c’(t)=0).

Die Gleichgewichtslage/der Umsatz im Stationären Zustand (je
nachdem was gemeint ist) hängt natürlich von
Anfangskonzentrationen und Druck ab.

Bei diesem „offenen“ System, ist dort die Gleichgewichtslage wirklich von den
Anfangskonzentrationen abhängig? Also bei einem geschlossenem System ist das
klar, wenn ich mehr reinstecke ist am Ende auch mehr drin :smile: (eben je nach
Zusammensetzung!)

Die Temperatur ist aber
auch immer ein sehr wichtiger Parameter. Isotherm heißt in dem
Zusammenhang nur, dass sie Temperatur im Laufe der Zeit/der
Reaktorausdehnung nicht ändert. Sie ist aber dennoch
hochgradig relevant.

Das war ein kurzer Denkfehler mit dem Isotherm …

So läuft die Reaktion bei 200°C
vermutlich erheblich schneller ab als bei 20°C. Und damit wird
die Zusammensetzung im stationären Zustand deutlich näher am
Gleichgewichtszustand sein als bei 20°C. (Gleichzeitig kann
sie die Gleichgewichtslage bei einer anderen Temperatur
natürlich auch verändern; in welche Richtung und wie stark
hängt von der Reaktionsenthalpie ab [van’t Hoff Gleichung].)

Das habe ich mitlerweile auch wieder nachgelesen, dass die GG-Konstante von der
Temperatur abhängig ist. Aber dann macht es in der Hinsicht ja auch keinen Sinn
zu fragen, ob das System verschiedene Gleichgewichtszustände annehmen kann.
Die Antwort ist immer ja. Bei 20°C ein anderer als bei 200°C! Also muss die Frage
schonmal lauten: Bei einer festen Temperatur (bsp. 20°C) ist es dann möglich,
dass bei verschiedenen … das System verschiedene Gleichgewichtszustände
annimmt? Aber was ist denn jetzt „…“ in der Frage?

Ich hoffe das erklärt so grob, wie man sich das vorstellen
muss. Ansonsten ruhig nochmal fragen.

Gruß,

etc. gamma

Nochmals vielen Dank für die Hilfe,
Katja

Hallo,

ich hoffe mal, dass ich alle Fragen beantwortet kriege.

1.) Stationarität wird häufig als Gleichgewicht bezeichnet (was nicht ganz sauber ist, aber meistens identisch). Im geschlossenen System muss für c’(t)=0 (das ist die Bedingung für Stationarität) das chemische Gleichgewicht eingestellt sein (oder alternativ wenigstens eine Kinetische Hemmung gegeben sein [Beispiel: Ein Diamant wandelt sich bei Standardbedingungen selbst in Graphit um. Thermodynamisch! Kinetisch aber nicht, weil das so langsam geschieht, dass man näherungsweise c’(t)=0 sagen kann.]). Im offenen System muss das chemische Gleichgewicht nicht erreicht werden, um c’(t)=0 zu haben. Es muss nur Summe aller Zuströme, Abströme, Erzeugungen und Verbräuche durch Reaktion für jede Komponente gleich null sein. (Beispiel Ammoniaksynthese: Unter den Prozessbedingungen würde man wenn ich mich nicht irre im Ggw. ca. 19% Ammoniak haben. Tatsächlich will man im technischen Prozess dem System aber natürlich nicht unendlich lange Zeit geben um bis zum Gleichgewicht zu gelangen. Darum endet der Rohrreaktor nicht nach unendlich langer Strecke, sondern schon nach deutlich kürzerer Strecke [da hat man etwa 11% Ammoniak]. Chemisch hat man damit kein Gleichgewicht erreicht. Trotzdem ist beim kontinuierlichen Betrieb c’(t)=0. Das gilt nicht für c’(x) (x hier als Raumkoordinate). Das heißt über die Reaktorlänge nimmt die Ammoniakkonzentration zu. Sie ist im stationären Betrieb aber an jedem Ort zeitlich unveränderlich.
2.) Bei gegebenen Parametern (T,p,c(in),Verweilzeit 0 const.) gibt es nur einen Gleichgewichtszustand und auch nur einen Stationären Zustand. Ob man das Ggw. erreicht ist eine andere Frage und ob es einem gelingt den Prozess technisch stabil bei einem Stationären Punkt zu fahren nochmal eine ganz andere Frage. Aber bei gegebenen Parametern gibt es nur einen Gleichgewichtszustand und auch nur einen Stationären Zustand. Bei anderen Parametern ändern sich diese Zustände natürlich. Ich vermute, dass sich der Begriff „multiple equilibria“ darauf bezieht, dass man mehrere Reaktionen hat bei denen sich jeweils ein Gleichgewicht einstellt. Thermodynamsich sind diese Reaktionen aber gekoppelt und es ergibt sich ein „Gesamtgleichgewicht“ für das ganze System.
3.) Wenn man einen Reaktor isotherm fährt, dann gibt es nur einen stationären Betriebspunkt für die jeweilige Temperatur. Tatsächlich gibt es sogar für den technischen Betrieb nur zwei stabile Betriebspunkte, die jeweils einer Temperatur zugeordnet werden können. (da würde ich vielleicht mal in ein Lehrbuch zur Technischen Chemie schauen. Da sollten die Betriebspunkte beschrieben sein).
Kurz gesagt ist die Antwort aber: Bei einer festen Temperatur (und auch ansonsten gleichen Parametern) gibt es nur einen STATIONÄREN Zustand.
4.) Die Eingangskonzentration spielt auch offenen System eine Rolle. Es macht schon einen Unterschied, ob mein eingehender Stoffstrom 1 mol oder 100 mol Edukt enthält.