Gefährliches Halbwissen
Hallo!
Besonders, dass viele junge Menschen so romantisierend an die Vergangenheit herangehen, erschreckt immer wieder. Ich mache Referendariat im Fach Gemeinschaftskunde und stehe manchmal ziemlich geschockt da. Die Kiddies (meine sind ab 14 Jahre alt) wissen prinzipiell viel - aber das meiste eben nur halb. Sie haben durchaus Meinungen - aber man kann sich sehr oft denken, woher sie diese haben (was ja auch verständlich ist). Wenn also Jugendliche, die weit nach der Wende geboren worden, der Meinung sind, alles sei gut gewesen, dann haben sie diese Meinung von den Erwachsenen, mit denen sie zu tun haben. Ich würde das den jungen Leuten nicht zum Vorwurf machen - woher sollen sie es denn auch wissen?! Die Betonung muss auf denen liegen, die zur Zeit des Untergangs des Sozialismus aus dem Schulalter heraus waren.
Die Aufgabe der Schule sollte es dann sein, mit diesen Halbwahrheiten aufzuräumen, möglichst viele Einzelaspekte zu beleuchten (Denn ein schlichtes „Es war alles schlecht.“ hilft hier m.M. nach überhaupt nicht weiter, höchstens kommt noch dieses Trotzgefühl hoch, sich vom „Westen“ abgrenzen zu müssen) und auch Dinge aufzugreifen, die mit der unmittelbaren Lebenswirklichkeit der Schüler heute zu tun haben. Aber ein Blick in den Lehrplan hat mir verraten, dass dafür leider keine Zeit bleibt, als politisches System kommt die DDR gar nicht vor, das Wirtschaftssystem wird in einer Stunde thematisiert (theoretischerweise, versteht sich) und das Leben der Menschen in der DDR?! Vielleicht hat man da bei Geschichte oder gar Ethik mehr Glück. Glaube ich aber nicht.
Woher sollen es die jungen Leute also besser wissen, wenn sie sich nie ernsthaft mit der eigenen jüngeren Vergangenheit auseinander gesetzt haben?! Klar wird dann die Meinung des frustrierten Vaters oder der verunsicherten Mutter übernommen. Über die Grausamkeiten des Nationalsozialismus stolpert man an allen Ecken und Enden - und das hinterlässt durchaus seine Wirkung. Über die DDR wird hier mal wahnsinnig schlecht und dort überaus gut berichtet. Da picke ich mir raus, was mir passt.
Mir persönlich passt übrigens die Marktwirtschaft und die Wiedervereinigung verhältnismäßig gut. Ich halte mir immer vor Augen, was ich wohl nicht hätte: ein Abitur, einen Studienabschluss, meinen Freund, ein Auto, eine wahnsinnig schicke Wohnung, die Möglichkeit, im Wald spazieren zu gehen, den freien Blick auf meine Heimat (ehemaliges Uran-Bergbaugebiet), die freie Meinungsäußerung usw. Klar ist nicht alles Gold, was da so glänzt. Aber ich denke, es glänzt heute mehr als vor 20 Jahren 
LG
Sonne
P.S.: Noch eine Anekdote zur Finanzkrise und Ostdeutschen (könnte sich ähnlich aber sicher auch im Westen abgespielt haben): Beim Telefonat mit meiner Oma erzählte diese mir, dass ihre Freundin, eine zwar noch rüstige, aber schon 70jährige Frau, nun große Angst habe, ihr Erspartes zu verlieren. Ich versuchte zuerst, die Oma zu beruhigen, was aber nicht gelang. Dann sagte ich, solle die Freundin doch das Geld von der Bank holen und ihren Enkeln geben, wenn sie nicht wolle, dass es Finanzhaien zum Opfer falle. Nein, das gehe nicht, sagte meine Oma, denn die 70jährige Freundin spare für ihr Alter! Für ihr Alter, fragte ich ungläubig!? Ja, sie wolle sich im Alter mal eine Eigentumswohnung kaufen, wo dann der ambulante Pflegedienst hinkäme. Später, im Alter…
Das hat zwar eher was mit unterschiedlicher Definition von Alter zu tun, aber interessant finde ich das trotzdem 