Mehrsprachigkeit -Definition

Hallo nochmal :smile:

Im Studium haben wir uns letztens mit Mehrsprachigkeit beschäftigt. Dazu sollten wir kurzen Beschreibungen von (fiktiven) Menschen entnehmen, ob sie mehrsprachig/ zweisprachig sind oder nicht.

Um diese Aufgabe zu lösen, braucht man meiner Meinung aber erstmal eine Ahnung was Mehrsprachigkeit ist. Ist jemand mehrsprachig, wenn er beide Sprachen als Muttersprachen gelernt hat? Oder auch jemand der in der Schule Englisch gelernt hat? Oder jemand der nur ein paar Wörter Französisch kann?

Als ich den Prof nach einer Definition fragte, nannte er mir als ‚Arbeitsdefinition‘ (also für besagte Aufgabe):

„Mehrsprachigkeit ist die Fähigkeit, mehr als eine Sprache zu sprechen.“

Dass ich mich anschließend leicht verar***t gefühlt habe, dürfte wohl nachvollziehbar sein. Denn nach dieser Aussage wäre m.E. jeder Mensch mehrsprachig, da jeder Mensch die Fähigkeit dazu besitzt (grundsätzlich) oder wurde gegenteiliges schonmal bewiesen?

Deshalb meine Frage an euch, ab wann ist eurer Meinung nach jemand mehrsprachig, bzw. gibt es dafür konkrete Definitionen die auch als allgemeingültig angesehen werden?

LG
Schnee

Hi,

hm also ich weiß ja nicht, in was für einer Veranstaltung (übergeordnetes Thema) diese Aufgabe gestellt wurde… aber kann es nciht sein, dass es gerade das Ziel war, herauszufinden, was Mehrsprachigkeit ist? Aufgrund der Euch zur Berfügung stehenden Materialien etc.?

die Franzi

Schon möglich, allerdings fühle ich mich da nun kein bisschen fähiger.

Abgeschlossen haben wir das Seminar mit der Definition von Els Oskaar (o.ä.) nach welcher jemand mehrsprachig ist, wenn er
„in den meisten Situationen von einer Sprache in die andere wechseln kann, falls nötig.“

(sehr aussagekräftig) und weiter:

„Das Verhältnis der Sprachen kann dabei durchaus verschieden sein. In der einen kann (je nach Struktur, Situation und Thema) ein wenig eloquenter Code, in der anderen ein mehr eloquenter Code verwendet werden.“

Diese Definition ist meines Erachtens jedoch genauso nichtssagend wie die Erste. Oder interpretiere bzw. verstehe ich sie nur falsch? Laut zweiter Aussage ist es also irrelevant, wie gut ich beide Sprachen beherrsche, solange ich - wenn nötig - zwischen beiden switchen kann?

Wie verhält es sich dann mit Mündlichkeit und Schriftlichkeit?

Hi,

beide Definitionen sind tatsächlich sehr aussagekräftig - ohne Ironie.

„Richtig“ und „falsch“ sind zwei Begriffe, die vielleicht in den exakten Wissenschaften einigermaßen eindeutig angewendet werden können. In der Sprach- und Literaturwissenschaft geht das kaum.

Ein paar Beispiele:
Man könnte mich mit ein wenig Optimismus nach beiden Definitionen als zweisprachig bezeichnen: Deutsch und Englisch. Immerhin habe ich ja ein Staatsexamen und habe ein Jahr in England gelebt. Ich bin mir hinsichtlich der zweisprachigkeit nicht so sicher, weil ich mich im Deutschen wohler fühle und die englische Umgangssprache recht wenig beherrsche. Für meine Schüler bin ich fraglos eine Autorität, und JoCor rollen sich gerade die Fussnägel auf.
Eine Freundin von mir ist in einem spanischsprachigen Land als das Kind chinesischer Eltern aufgewachsen. Mittlerweile hat sie in Deutschland ein Studium abgeschlossen und ist heir verheiratet. Ich halte sie für dreisprachig, weil sie fließend Konversationen in Spanisch, Chinesisch und Deutsch führen kann. Sie selbst sagt, sie kann eigentlich nur Deutsch richtig gut, weil sie nur da alles sagen kann, was sie will.
Meine Kollegen halten mich für dreisprachig, weil ich auch Russisch unterrichte. Aus meiner Sicht sind meine Kenntnise sehr heruntergekommen. Ich verstehe noch fast alles (außer Umgangssprache, die ich nie konnte), aber die Praxis hat sehr gelitten - ich muss übersetzen und nachdenken, wenn es über den Anfängerstoff, den ich tagtäglich interrichte, hinausgeht. Meine muttersprachlichen Schüler finden, dass ich es für einen Nichtmuttersprachler gut beherrsche (was ein Kompliment ist, angesichts der Besonderheiten des Russischen)

Was ist nun richtig?

die Franzi

Deshalb meine Frage an euch, ab wann ist eurer Meinung nach
jemand mehrsprachig

Hallo auch,

für mich persönlich bedeutet mehrsprachig, wenn es bei einem Menschen keine dominante Sprache gibt. Wer nicht mehrsprachig ist, kann zwar mehr als eine Sprache beherrschen, aber er hat eine einzige Sprache, die er am besten kann (meistens die Muttersprache).

bzw. gibt es dafür konkrete Definitionen
die auch als allgemeingültig angesehen werden?

Wikipedia zählt ein paar auf.

Grüße Bellawa.

für mich persönlich bedeutet mehrsprachig, wenn es bei einem
Menschen keine dominante Sprache gibt.

Das ist eine meines Erachtens zu enge Definition, nach der nicht besonders viele Leute ›mehrsprachig‹ wären – wenn überhaupt jemand. Der Normalfall, von dem mir keine Ausnahme im strengen Sinn bekannt ist, ist die (kontextgebundene) Dominanz einer Sprache:

One of the myths of bilingualism is that of two equally developed languages. In reality, individuals rarely have a balance between their two languages. Terms such as balanced bilingual, equilingual or ambilingual define idealized concepts unrelated to the great majority of bilinguals. Rarely will anyone be equally competent in speaking, reading and writing both languages across all different situations and domains, nor does language stay constant over time.
(Colin Baker: The Care and Education of Young Bilinguals – An Introduction for Professionals. 2000. Bei Google Books.)

In der Literatur findet man die Begriffe „balanced bilinguals“ und „dominant bilinguals“. Bei dem Begriff „balanced bilinguals“ geht man davon aus, dass ein Mensch beide Sprachen in allen Situationen gleich gut beherrscht. Die Kompetenzen für beide Sprachen werden dann als identisch wahrgenommen. Ob dies in der Realität möglich ist, wird sehr angezweifelt. Die meisten Forscherinnen und Forscher gehen daher eher von „dominanten“ bilingualen Menschen aus.
(Solveig Chilla: Zweisprachigkeit/Bilingualität – Ein Ratgeber für Eltern. 2011. Bei Google Books.)

Gruß
Christopher

3 „Gefällt mir“

Hallo auch,

In reality, individuals rarely have a
balance between their two languages. Terms such as balanced
bilingual, equilingual or ambilingual
define idealized
concepts unrelated to the great majority of bilinguals.

Gut, was sicher stimmen muss, denn niemand spricht in allen Situationen zwei Sprachen gleichzeitig. Also muss eine mehr geübt werden als die andere usw.

Zur echten Mehrsprachigkeit gehört IMHO auch, dass beides Erstsprachen sind. Also dass die Person in mehreren Sprachen das Sprechen erlernt hat anstatt nur mit einer.

Aber ich fürchte fast, du wirst auch hier ein Zitat dagegenhalten. :wink:

Grüße Bellawa.

Hallo!

Hat mir mal ein Australier erzählt:

Q: What do you call somebody who speaks several languages?
A: Multilingual.

Q: What do you call somebody who speaks two languages?
A: Bilingual.

Q: What do you call somebody who speaks only one language?
A: Australian.

:wink: Michael

Hallo,

Gut, was sicher stimmen muss, denn niemand spricht in allen
Situationen zwei Sprachen gleichzeitig. Also muss eine mehr
geübt werden als die andere usw.

ja, ich denke, man sollte die fehlende Ausgewogenheit der Sprachen nicht als Defizit oder Versäumnis einzelner Personen sehen, sondern als Normalfall, der sich daraus ergibt, wie Sprachverwendung üblicherweise eben strukturiert ist. Dass der Begriff ›ausgewogene Mehrsprachigkeit‹ (bzw. ›balanced bilingualism‹) noch verwendet wird, hat wohl damit zu tun, dass er häufig weniger streng ausgelegt wird: Jemand, der in mehreren Sprachen exzellente Kenntnisse hat, die von denen eines monolingualen Muttersprachlers auf den ersten Blick nicht oder kaum zu unterscheiden sind, gälte dann als ›balanced bilingual‹. Ob man sich mit dieser Verwendung anfreunden kann, ist eine andere Frage.

Zur echten Mehrsprachigkeit gehört IMHO auch, dass beides
Erstsprachen sind. Also dass die Person in mehreren Sprachen
das Sprechen erlernt hat anstatt nur mit einer.
Aber ich fürchte fast, du wirst auch hier ein Zitat dagegenhalten. :wink:

Jein. Ich finde deine Definition von ›Mehrsprachigkeit‹ als ›ausgewogene Bi- oder Multilingualität auf hohem Niveau‹, wie gesagt, zu restriktiv. Wenn man diese Definition akzeptiert, stimme ich dir allerdings zu, dass die Wahrscheinlichkeit, dass jemand den Kriterien entspricht, dann am höchsten ist, wenn der Lernbeginn für beide Sprachen möglichst früh in der Kindheit lag. Wenn es indes jemandem nachweislich gelänge, in einer Sprache, die er erst als Erwachsener zu lernen angefangen hat, dasselbe Niveau zu erreichen wie in seiner Muttersprache, sehe ich keinen Grund, aus dem man ihn dann nicht ebenfalls als ›balanced bilingual‹ bezeichnen sollte – wenngleich die Chancen, dieses Niveau zu erreichen, eben nicht besonders gut stehen. Warum das so ist, wäre wieder eine ganz andere Geschichte.

Gruß
Christopher

1 „Gefällt mir“

Es gibt zig Definitionen von Mehrsprachigkeit. Manchmal wird zwischen Mehrsprachigkeit und Vielsprachigkeit unterschieden, wobei Mehrsprachigkeit sich auf das Beherrschen mehrerer Muttersprachen bezieht, und Vielsprachigkeit auf das Beherrschen von anderen Sprachen außer der Muttersprache (also außerdem auch mindestens eine Zweit- oder Fremdsprache).

Bei der Euch genannten Definition wird dieser Unterschied nicht gemacht - mehrsprachig ist laut dieser Definition jeder, der in mehr als einer Sprache kommunizieren kann (wobei offen ist, welcher Beherrschungsgrad erreicht sein muss).

Genau das, denke ich, sollt Ihr herausfinden: Was für unterschiedliche Konstellationen gibt es; welcher Beherrschungsgrad muss erreicht sein, um von erfolgreicher Kommunikation sprechen zu können; inwiefern spielen unterschiedliche kommunikative Absichten eine Rolle? (z.B. kann Person A einen akademischen Text in Sprache x lesen, diese aber nicht sprechen. Person B kann sich auf Sprache x unterhalten, nicht jedoch einen akademischen Text lesen). Etc etc.

gruss, isabel

Hallo auch,

ja, ich denke, man sollte die fehlende Ausgewogenheit der
Sprachen nicht als Defizit oder Versäumnis einzelner Personen
sehen, sondern als Normalfall, der sich daraus ergibt, wie
Sprachverwendung üblicherweise eben strukturiert ist.

Das war auch so gemeint und nicht als Versäumnis.

Jemand, der in
mehreren Sprachen exzellente Kenntnisse hat, die von denen
eines monolingualen Muttersprachlers auf den ersten Blick
nicht oder kaum zu unterscheiden sind, gälte dann als
›balanced bilingual‹.

Ich würde das eher von der Selbsteinschätzung abhängig machen. Jeder, der mehr als eine Sprache kann, kann diese Sprachen in absteigender Reihenfolge einreihen, von „gut“ bis „schlecht“. Wobei man aktiv und passiv und schriftlich und mündlich unterscheiden müsste.

Wenn jemand wirklich zwei Geburtssprachen hat, ist denkbar, dass es da ein Gleichgewicht gibt. Weltweit betrachtet ist es ja eher selten, dass nur eine Sprache verwendet wird und die Menschen ausschließlich in der Schule auf künstliche Weise mit einer zweiten Sprache zu tun haben.

Grüße Bellawa.

Franzi…

beherrsche. Für meine Schüler bin ich fraglos eine Autorität,
und JoCor rollen sich gerade die Fussnägel auf.

Aber nein —mitnichten!

Es ist doch so: Nach allgemeinem Verständnis bist du mindestens zweiprachig. Nach der superstrengen Definition ist das kaum jemand.
Wer nicht, wie ich, das Glück hat, mit zwei Sprachen aufzuwachsen, wäre dann schon raus… Ich weiß nicht, ob ich das so eng sehen mag.

Das einzige, was ich nicht mag, sind Leute, die erzählen, sie „sprächen“ soundsoviele Sprachen (im Sinne von beherrschen). Das stellt sich immer als unwahr heraus.

Beherrschen tut man eine Sprache, wenn man in ihr denkt, d.h. nicht mehr gedanklich übersetzen muss, alles in ihr formulieren kann und----in ihr träumen.

Gruß
Jo

Beherrschen tut man eine Sprache, wenn man in ihr denkt, d.h.
nicht mehr gedanklich übersetzen muss, alles in ihr
formulieren kann und----in ihr träumen.

Naja, das mit dem Träumen ist mir ein bisschen zu esoterisch, das besagt nämlich gar nichts. Ich habe schon mal auf Weißrussisch geträumt (kein Scherz)… aber kann ich Weißrussisch? Nö, kein Stück.

Ich hab auch schon auf Chinesisch geträumt, obwohl ich niemals von mir behaupten würde, ich spräche die Sprache perfekt. Ich übersetze zwar gedanklich kaum noch und kann auch nicht alles in ihr formulieren, „beherrsche“ Chinesisch also mitnichten (ich würde sagen, ich „spreche sie ganz gut, joa“).

In einer Sprache zu träumen indiziert also rein gar nichts. Die anderen Sachen mögen da schon eher ein Kriterium sein.

Gruß,

  • André

für mich persönlich bedeutet mehrsprachig, wenn es bei einem
Menschen keine dominante Sprache gibt.

Also ist ein Einwanderer der 2. Generation, der weder Deutsch noch seine Elternsprache beherrscht, mehrsprachig. Das hat zwar schon was für sich, aber dann müsste man jemanden, der weder Schreiben noch Rechnen noch Singen kann als Multitalent bezeichnen. Gleichmässig begabt trifft es besser.

Gruss Reinhard

1 „Gefällt mir“

Hi,

In einer Sprache zu träumen indiziert also rein gar nichts.

Für mich indiziert es alles. Ich kann nur in genau zwei Sprachen eine durchgängige komplexe Story träumen, obwohl ich mich in sechs Sprachen recht gut verständigen kann. Einzelne Sequenzen kann ich auch in klingonisch träumen :wink: (Die verstünde nur keiner außer mir)
Esoterisch meinte ich das ganz und gar nicht, eher im Sinne von „sie im Schlaf beherrschen“.
Aber, wie gesagt, diese Auslegung bezieht sich aufs wirkliche „Beherrschen“, für den Begriff „Mehrsprachigkeit“ würde ich die Latte nicht so hoch hängen.

Gruß

Jo