Hallo Peter,
finstere Mittelalter. Da haben wir zunächst natürlich mal
Wilhelm den Eroberer. Er war der Eroberer, er war der König.
Trotzdem konnte ihm ein Parlament regelmäßig heftig zusetzen
weil auch dieses Parlament (obwohl es weit von einem heutigen
Parlament entfernt war) Rechte hatte.
ich erlaube mir, Dich auf einen groben Anachronismus
aufmerksam zu machen. Die ‚Curia Regis‘ (oder ‚Great Council‘)
Williams I. kann man kaum als Parlament bezeichnen; sie war in
erster Linie propagandistische Inszenierung der Königsmacht
und erst in zweiter Linie ein beratendes Gremium, das in
Fragen der Kriegführung und Steuererhebung angehört werden
konnte. Nicht angehört werden musste.
-> Ja, deswegen musste er das Parlament auch mindestes dreimal auflösen … weil es nicht tat, was es wollte. Da unterscheiden sich wohl Fakten von der allgemeinen Vorstellung. Alleine schon die Tatsache, dass in der Curia eine ziemlich mächtige Ansammlung von geistlichen und weltlichen Würdenträgern beieinander saß verlieh ihr ja eine de facto Macht. Insofern kein Anachronismus.
Zu Recht wird der Beginn der Geschichte des englischen
Parlaments mit der Magna Charta 1215 angesetzt, obwohl man
strenggenommen erst mit der Einberufung des sog. ‚Model
Parliaments‘ durch Edward I. 1295 tatsächlich von einem
Parlament sprechen kann.
-> Was „angesetzt“ wird, ist ja in diesem Zusammenhang ziemlich gleichgültig. Entscheidend ist ja der politische Fakt. Natürlich hatte die Curia formal keine Rechte. Praktisch jedoch hatte sie, weil andernfalls Wilhelm hätte mit weiteren Widerständen in England rechnen müssen. Es war ja nicht gerade so, dass er sich hätte hundertprozentig auf seine Normannen verlassen können.
Und der königliche Hof
befand sich in Wichester weil die Rechte des Königs in der
Hauptstadt London eingeschränkt waren.
Nun, der Hof war in Winchester, weil es immer noch die
Hauptstadt war - seit den Zeiten Alfreds des Großen, nachdem
Winchester schon vorher Hauptstadt des Königreichs Wessex war.
Nur teilweise richtig. Winchester war Hauptstadt von Wessex gewesen. Es war Hauptstadt auf dem Papier bis zur Krönung Wilhelms. Bereits Harold jedoch hatte die kurze Zeit, in der er regierte, von London regiert (nur ein paar Wochen), aber auch schon Edward der Bekenner regierte meistens von London aus seit ihm wegen des Aufstandes von 1051 Wessex als Sitz nicht mehr so richtig sicher erschien. Was verständlich erscheint, war es doch sein Schwiegervater Godwin von Essex gewesen, der nicht nur in Wessex den Aufstand gegen ihn geprobt hatte sondern in dessen Wirren auch noch schnell Edwards Brüder um die Ecke gebracht hatte. Also auch hier: Winchester war formal Hauptstadt, de fact Hauptstadt war mindestens seit 18 Jahren London. Tatsächlich musste Wilhelm ja erst mal in Winchester wieder Bauten instandsetzen lassen bevor er wegen dem Ärger in London umziehen konnte.
William I. wurde zwar in London gekrönt, was die Bedeutung der
Stadt aufzeigt, aber u.a. auch etwas damit zu tun hatte, dass
die auf Veranlassung von Edward the Confessor erbaute und
gerade (1065) fertiggestellte Westminster Abbey eine
hervorragende Kulisse für die Inszenierung dieses Staatsaktes
abgab. Hauptstadt im eigentlichen Sinne wurde London erst, als
William II. (Rufus) Westminster Hall bauen ließ (1097) und zum
Hauptsitz des Hofes machte. Vorher war der White Tower bei den
Aufenthalten in London Residenz des Königs - der wurde
freilich auch erst ab 1078 erbaut.
Richtig, aber vorher gab es bereits White Hall als Sitz des Königs in London (die heuteige Whitehall ist ja eigentlich nur die Straße die ursprünglich mal dahin führte). Die jedoch brannte um 1076 ab, was unter anderem die gegenüber dem ursprünglichen Plan vergrößerte Fassung des White Towers notwendig machte. Denn genau betrachjtet war ja der White Tower offensichtlich in der Erstplanung nur der Bergfried der normannischen Festungsanlage, die weiderum als eine der ersten Festungen Wilhelms in England begonnen worden war, während, wie Du richtig betonst, der White Tower in dieser Form erst 1078 begonnen wurde.
Wenn William I. in England weilte - was so häufig gar nicht
vorkam - dann residierte er übrigens nicht nur in der
Hauptstadt Winchester. Es gab im Jahresverlauf drei große
Staatsakte, bei denen der König öffentlich in Gesellschaft der
Curia Regis die Krone trug - an Ostern in Winchester, an
Pfingsten in Westminster und zur Wintersonnenwende in
Gloucester, der früheren Hauptstadt des Königreichs Mercia
(lt. Peterborough Chronicle).
Ja, es gab diese drei Staatsakte. Zusätzlich sollte man erwähnen, dass er ja auch häufig auf Kriegszügen war. Was die Position der formalen Hauptstadt nun auch nicht gerade stärkte. Was aber eigentlich genauso wenig mit dem Thema zu tun hat, wie der Rest dieses Einwandes.
Stadtluft machte frei
und wer ein Jahr und einen Tag nachweislich in der Stadt
lebte, war z.B. frei von der auf dem Land üblichen
Leibeigenschaft.
Das hat mit dem London des 11. Jahrhunderts nun nichts zu tun.
Denk ich aber schon. Denn es ging u.a. um die von Edward dem Bekenner (oder Confessor wenn Du die englische Version bevorzugst) Rechte. Beachte „u.a.“ denn es gab ja auch ältere Stadtrechte die zum Teil bis in das alte Recht der Mercier-Könige zurückreichten.
William I. bestätigte zwar in der Charter von 1067 die von
Edward the Confessor gewährten Priviliegien, doch die betrafen
die (beschränkte) Selbstregierung der Stadt durch die Aldermen
und den Common Council. Die Bürger der Stadt waren zwar
‚freemen‘, aber dieses Privileg wurde auch eifersüchtig
gehütet. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, musste man
Mitglied einer guild (Gilde, später ‚livery company‘) sein -
und das wurde nur, wer entweder in London geboren war oder
einen Eid ablegte, als freeman geboren worden zu sein.
Uhhhh, hier geht es jetzt aber ziemlich durcheinander.
a.) William I bestätigte 1067 (und zwar zum zweiten Mal, den zum ersten Mal hatte er es 1066 mündlich getan um seine Krönung in London sicherzustellen) per Charta die Rechte der Stadt.
b.) Darin ging es nicht um die Selbstverwaltung der Stadt. Ziemlich sicher nicht. Weil erst William II Rufus nämlich den formalen Schritt tat und London zur Hauptstadt machte und erst Richard Löwenherz 1189 den ersten Mayor ernannte (also als William I schon so rund un bummlig 100 Jahre tot war, was seine persönliche Anwesenheit bei diesem Vorgang eher unwahrscheinlich macht).
c.) Das System einer Selbstverwaltung durch Aldermen und ein Common Council entsprach ja dem alten angelsächsischen Modell, hatte jedoch de fact höchstens beratenden Funktion.
d.) Die Bürger der Stadt waren „freemen“, d.h. keine Leibeigenen. Genau darum ging es in dem Beispiel ursprünglich. Wie Du richtig sagst wurde das Privilig eifersüchtig gehütet, aber in dem Sinne, dass man daran keine Abstriche hinnahm. Das starke Wachstum Londons ab dem 11 Jhdt. ist ja Zeichen, dafür, dass die Londoner offensichtlich mehr geworden sind. Einer der Gründe dafür ist sicher in diesem besonderen Status zu suchen (der ürbrigens nach und nach und in kleinerem Umfange ja auch für andere Städte galt).
e.) Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen musste man also Mitglied in einer Gilde (später Livery Company sein? Interessant. Aber leider auch nicht völlig richtig. Es gab Gilden, die bestimmte Wirtschaftszweige unter Kontrolle hatten. Zum Teil auf der Basis von an diese Gilden verliehenen Privilegien. Bestes Beispiel waren vielleicht Tuchhändler oder Maurer. Es gab auch Zimmermannsgilden. Aber das bedeutete nicht, dass ein jeder Weg, seinen Lebensunterhalt zu verdienen von einer Gilde kontrolliert war. Es gab zum Beispiel keine Metzgergilde, keine Straßenkehrergilde, keine Kutschergilde, … es gab eine Fischergilde, in der die Mitgliedschaft aber nicht Pflicht war. Nützlich Mitglied zu sein, klar, aber nicht Pflicht. Und was den Ausdruck „Livery Companys“ angeht, so ist der ja sehr viel später und bezeichnet (nach Zerfall des Gildenwesens) spezielle Fälle in denen aus Gilden dann eher so etwas wie echte Berufsverbände in modernem Sinne wurden. Wobei auch dabei die Politik eine nicht unerhebliche Rolle spielte, den mit der Royal Chata von 1394 (also nun muntere 214 Jahre nach Williams Tod) versuchte man ja von königlkicher Seite genau wieder Einfluss dadurch zu gewinnen, dass man die Gilden umwandelte und durch generalistischere Organisationen unter Druck setzte. The workshipful Merchantmen beispielsweise umfassten ja die Tätigkeitsfelder der Tuchhändler genauso wie der Goldhändler, der Gewürzhändler und anderer Zweige, die bis dahin eigenständige Gilden gewesen waren.
Halten wir, um beim Thema „Stadtluft macht frei“ also fest, dass es nichts hilft, Gildenprivilegien, die zum Teil erst zwei Jahrhunderte später vergeben wurden mit Stadtrechtsprivilegien zu vermischen, nur um zu zeigen, wie finster das Mittelalter und speziell Wilhelms Herrschaft war. Allgemein war das finstere Mittelalter durchaus eine eher farbige Epoche, wenn auch sehr viel härter, was die Lebensumstände betraf. Aber es war eben auch eine Zeit großer Wandlungen und Entdeckungen.
Gruß
Peter
Freundliche Grüße,
Ralf