Menschenrechte

Hallo Peter,

ja sicher - die Kirche erreichte die Menschen und wirkte meinungsbildend im Volk - mehr als jeder andere. Schöießlich gab es in jedem Dorf ne Kirche und nen Pfarrer und alle gingen zum Gottesdienst - eine vergleichbare Möglichkeit, um prapagandistisch zu wirken, hatte sonst keiner, auch nicht der Staat.
Und deshalb war es ja möglich, die Menschen zu Dingen zu bewegen, die sie eigentlich wenig angingen. Denn was irgendwo im Heiligen Land geschah und wie sich der Papst im fernen Rom mit dem Kaiser zoffte - das konnte dem Bauern in Thüringen eigentlich egal sein. Der hatte deshalb keinen Sack Weizen mehr in der Scheune - egal, wer sich da durchsetzte.
Man darf immer eins nicht vergessen: Die Schicht an Gelehrten und Stundenten und an selbstständigen Bürgern - die war auch im 15. und 16. Jahrhundert noch recht klein. Dort wurde Geschichte aufgeschrieben - das ja. Fast alles, was wir heute wissen, stammt von diesen Leuten. Aber die Mehrheit war das nun wirklich nicht.
Selbst zur Zeit der deutschen Klassik: Ganz Weimar - immerhin eine Residenzstadt - hatte gerade mal 5.000 Einwohner damals. Und alles, was in den Archiven liegt und was heute bekannt ist, stammt von einer Handvoll Leute damals: Gothe, Schiller, Wieland, Herder, Goethes Sekretär Eckermann, der Herzog, seine Familie - dazu noch ein paar Protokolle und Haushaltsbücher und Akten - und das war es. Praktisch eine ganze Epoche wird beurteilt nach dem, was vielleicht 50 oder 100 gebildete Leute taten. Aber wer weiß was von den Abertausenden Bauern und kleinen Handwerkern - davon, was die wirklich dachten?

Ich denke, man muß, wenn man da werten will, auch einfach mal das Machbare sehen und nicht das Wünschenswerte. Das einfache Volk lebte ziemlich gleichförmig unter bedingungen, die sich über Jahrhunderte fast nicht änderten und auf sehr niedrigem Niveau. Denen war eine gesicherte Existenz mit halbwegs vollem Magen wichtiger als alle Menschenrechte zusammen. Die wollten in ihrer kleinen überschaubaren Welt ihre Ordnung und Ruhe haben - und das bekamen sie unter anderem auch von der kirche geliefert.
Die Kirche war ja Bewahrer der Tradition - im guten wie im schlechten Sinne. Einerseits stand sie jeglicher Entwicklung im Wege - das stimmt. Aber sie verhinderte auch eine Verschlechterung der Rahmenbedingungen in vielen Fällen, weil die Bewahrung der Tradition es den herrschenden auch schwer machte, neue Abgaben und Forderungen und Leistungen durchzusetzen (Versuche dazu gab es immer wieder).

Ich denke, sie war damals vor allem eins: als verbindendes Elemt und mit vielen ihren Funktionen ganz einfach notwendig, damit die Gesellschaft überhaupt funktionierte. Alles andere sind Nebeneffekte - im positiven wie im negativen Sinne.

Gernot Geyer

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Ich denke, dass die „Menschenrechte“ (also „Rechte der Menschen“ höher als die eines Gottes, Staates, Monarchen etc.) sich erst durchsetzen konnte,
als man begann daran zu zweifeln, dass eine „einzige, wahre“ Religion nicht tragen kann,
sondern erst die Idee einer UNVERSELLEN Religion, sprich Universal-Ethik !

Vittorio Hösle, Philosoph:

Ich glaube, dass der Übergang zur universalistischen Ethik letztlich analog ist zu dem enormen Abstraktionsschritt, der in der Wissenschaft geschieht. Die moderne Wissenschaft ist abstrakter gegenüber der antiken Wissenschaft und die moderne Ethik ist ebenfalls abstrakter gegenüber der antiken Ethik. Dieser hohe Abstraktionsgrad ist ein entscheidender Aspekt für Vernunft, für Rationalität.

Ich betone noch mal: Es ist nicht der einzige! Ich sage nicht, dass Ethik auf das Generalisierbarkeitspostulat allein zurückgeführt werden kann. Aber ohne dieses Postulat geht es nicht. Und ich denke, dass es einer der entscheidenden Pflichten eines gerechten Menschen in unserer Zeit ist, daran festzuhalten, dass wir für eine Gesellschaft arbeiten müssen, in der dieses Prinzip verwirklich ist. Wenn jemand etwa sagt, wir haben in Europa oder in den USA einen bestimmten Lebensstandard, den wollen wir halten, auch wenn das bedeutet, dass es nicht möglich wäre, dass alle anderen Menschen auf dem Planeten denselben Lebensstandard haben, weil sonst der Planet ökologisch kollabieren würde, dann widerspricht er dem Generalisierbarkeitspostulat. Das einzige Prinzip, das moralisch akzeptabel wäre, wäre zu sagen: Jeder Mensch hat den gleichen Umweltraum, er darf die gleichen „ökologischen Fußspuren“ hinterlassen.

Wir müssen einen Schwellenwert festlegen, jenseits dessen es zu Zusammenbrüchen von ökologischen Kreisläufen kommt, und dann teilen wir das durch die Zahl der Weltbevölkerung und sagen: Jeder Mensch hat den Anspruch auf den gleichen Umweltraum. Wenn aber eine Nation sagt, wir haben das Recht auf einen größeren Umweltraum, weil wir de facto zuerst gekommen sind, wir wollen unseren Lebensstandard nicht aufgeben, und die anderen dürfen nicht zu unserem Lebensstandard aufsteigen, weil das sonst die Erde kaputt macht, dann verlässt man den Boden einer universalistischen Ethik.

Meine Anmerkung dazu:

Ganz analog funktionieren Religionen: Wenn eine Religion meint, sie sei die einzig rechte und wahr, dann ist es eben schon eine Erniedrigung der anderen und ein Ausschlussprinzip… wenn der Herr sagt: „NUR wer MIR nachfolgt, der…“ oder: „Ich bin die Wahrheit…“… dann ist das nicht nur anmaßend sondern ausschliesend… „Es werden nur wenige das Himmelreich sehen“ u.v.a. Sätze…sie alle taugen nicht zu einer universellen Religion! Im Gegenteil, sie sind die kulturellen Wurzeln aller Kriege)

Gruss
MultiVista

Hallo Gernot,

ich glaube immer noch, dass Du da ein überzogen positives Bild kirchlicher Macht und ein übertrieben negatives weltlicher Macht zeichnest. Zum einen reden wir hier ja über eine lange Zeit. In dieser Zeit änderten sich Dinge. Zum Beispiel war die Macht der Kirche ab der Reformation bei weitem nicht mehr so absolut. Wir müssen als ab Martin Luther von veränderten Machtverhältnissen ausgehen.
Nehmen wir ein Beispiel dieser Zeit. Jemand, der z.B. mit der Inquisition Probleme hatte, konnten von Nürnberg nach Fürth wandern, weil eines katholisch, das andere protestatisch war. Er konnte dadurch der eigenen Verbrennung aus dem Wege gahen, was man ja durchaus auch als Verschlechterung der persönlichen Lebensverhältnisse hätte betrachten können.
Handwerker wiederum konnten (und da die Not an guten Handwerkern groß war, wurde selten gefragt ob sie katholisch oder protestantisch waren) von Dombaustelle zu Dombaustelle wandern um so ihr Geld zu verdienen (ein Beispiel in dem die katholische Kirche als eine durchaus tolerante Arbeitgeberin auftaucht, wenn auch mehr der eigenen Not gehorchend). Viele nutzten das wiederum um aus Gebieten zu entkommen in denen katholische Kirche und Staatsmacht Hexenprozesse zur Refinanzierung eben dieser Bauvorhaben nutzten.
Gehen wir noch ein paar Jahrhunderte weiter zurück. Ins finstere Mittelalter. Da haben wir zunächst natürlich mal Wilhelm den Eroberer. Er war der Eroberer, er war der König. Trotzdem konnte ihm ein Parlament regelmäßig heftig zusetzen weil auch dieses Parlament (obwohl es weit von einem heutigen Parlament entfernt war) Rechte hatte. Und der königliche Hof befand sich in Wichester weil die Rechte des Königs in der Hauptstadt London eingeschränkt waren. Stadtluft machte frei und wer ein Jahr und einen Tag nachweislich in der Stadt lebte, war z.B. frei von der auf dem Land üblichen Leibeigenschaft. Darüber kam, zu seinem Leidwesen auch der König nicht hinweg.
Nun, und dann haben wir natürlich Deutschland. Zu Deutschland gehörten damals noch weite Teile des heuitigen Italien. Der deutsche Kaiser hatte ein gewichtiges Wort bei Papstwahlen mitzureden und mehr als einmal griffen ja deutsche Kaiser direkt ein um Päpste und Gegenpäpste abzusetzen und wieder Ordnung zu schaffen. Zum Beispiel bei Silvester contra Benedict im Jahre 1045.
Aber wir haben auch das späte Mittelalter. Die Zeit in der die Staufer mit den Päpsten oft genug in Fehde lagen. Du sagst, das Volk interessierte sich nicht dafür? Pustekuchen, das Volk regte sich manches Mal mehr auf als Papst und Kaiser zusammen. Die gingen dann schon mal her und hängten eine päpstlichen Gesandten an einen Baum ohne den Kaiser vorher zu fragen weil sie sich eben als „kaiserlich“ fühlten (was ja z.B. Poppo von Bamberg bei dessen Rückkehr von Rom beinahe ebenfalls passiert wäre, nur die Nachricht, dass der Kaiser diese Vorgehensweise nicht so gut fand, kam ja rechtzeitig). Umgekehrt haben wir natürlich die marodierenden Banden, die die Aufhebung der Lehenstreue gegenüber Friedrich II in Sizilien durch den Papast als hinreichenden Grund ansahen, zu plündern und brandschatzen. Wieder so eine willkommene Gelegenheit für einen anderen Teil des "einfachen Volkes.
Und was im heiligen Land geschah, interessierte natürlich das einfache Volk nicht. Daher Kinderkreuzzug und Bauernkreuzzug. In vielen Gegenden hatte ja die weltliche Obrigkeit versucht, diese (durchaus idiotischen) Unternehmen zu verhindern. Es ging nur nicht mehr. Aber das waren eben solche Aktionen eines Volkes, dass sich, Deiner Aussage zufolge, keinen Deut für nix interessierte.
Halten wir weiterhin ein anderes Detail fest. Die Geschichtsschreibung des Mittelalters erfolgte durch gebildte, bis hierhin richtig. Aber die meisten dieser Gebildeten waren geistliche und nicht wenige von ihnen stammten eben ursprünglich nicht aus der Oberschicht. Kramer, der den Hexenhammer schrieb, war ein gebildeter (und völlig durchgeknallter fanatischer) Mann aus ursprünglich ärmlichen Verhältnissen. Martin Luthers Vater war gewissermaßen das Beispiel eines Selfmademan dieser Zeit. Als Martin geboren wurde, war der Vati noch Bauer, verlegte sich später auf Bergbau und brachte es später bis zu einer eigenen Mine. Der Vater der Brüder Fugger war Weber. Niccolo Machiavelli entstammte einer angesehenen aber verarmten Familie, der Vater von Albrecht Dürer dem Älteren war Goldschmied (also immerhin etwas). Die Leute, von denen wir etwas über diese Zeit wissen waren also allesamt Kinder dieser Zeit und größtenteils in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen.

Gruß
Peter B.

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Anmerkungen zur englischen Geschichte
Hallo Peter,

finstere Mittelalter. Da haben wir zunächst natürlich mal
Wilhelm den Eroberer. Er war der Eroberer, er war der König.
Trotzdem konnte ihm ein Parlament regelmäßig heftig zusetzen
weil auch dieses Parlament (obwohl es weit von einem heutigen
Parlament entfernt war) Rechte hatte.

ich erlaube mir, Dich auf einen groben Anachronismus aufmerksam zu machen. Die ‚Curia Regis‘ (oder ‚Great Council‘) Williams I. kann man kaum als Parlament bezeichnen; sie war in erster Linie propagandistische Inszenierung der Königsmacht und erst in zweiter Linie ein beratendes Gremium, das in Fragen der Kriegführung und Steuererhebung angehört werden konnte. Nicht angehört werden musste.

Zu Recht wird der Beginn der Geschichte des englischen Parlaments mit der Magna Charta 1215 angesetzt, obwohl man strenggenommen erst mit der Einberufung des sog. ‚Model Parliaments‘ durch Edward I. 1295 tatsächlich von einem Parlament sprechen kann.

Und der königliche Hof
befand sich in Wichester weil die Rechte des Königs in der
Hauptstadt London eingeschränkt waren.

Nun, der Hof war in Winchester, weil es immer noch die Hauptstadt war - seit den Zeiten Alfreds des Großen, nachdem Winchester schon vorher Hauptstadt des Königreichs Wessex war. William I. wurde zwar in London gekrönt, was die Bedeutung der Stadt aufzeigt, aber u.a. auch etwas damit zu tun hatte, dass die auf Veranlassung von Edward the Confessor erbaute und gerade (1065) fertiggestellte Westminster Abbey eine hervorragende Kulisse für die Inszenierung dieses Staatsaktes abgab. Hauptstadt im eigentlichen Sinne wurde London erst, als William II. (Rufus) Westminster Hall bauen ließ (1097) und zum Hauptsitz des Hofes machte. Vorher war der White Tower bei den Aufenthalten in London Residenz des Königs - der wurde freilich auch erst ab 1078 erbaut.

Wenn William I. in England weilte - was so häufig gar nicht vorkam - dann residierte er übrigens nicht nur in der Hauptstadt Winchester. Es gab im Jahresverlauf drei große Staatsakte, bei denen der König öffentlich in Gesellschaft der Curia Regis die Krone trug - an Ostern in Winchester, an Pfingsten in Westminster und zur Wintersonnenwende in Gloucester, der früheren Hauptstadt des Königreichs Mercia (lt. Peterborough Chronicle).

Stadtluft machte frei
und wer ein Jahr und einen Tag nachweislich in der Stadt
lebte, war z.B. frei von der auf dem Land üblichen
Leibeigenschaft.

Das hat mit dem London des 11. Jahrhunderts nun nichts zu tun. William I. bestätigte zwar in der Charter von 1067 die von Edward the Confessor gewährten Priviliegien, doch die betrafen die (beschränkte) Selbstregierung der Stadt durch die Aldermen und den Common Council. Die Bürger der Stadt waren zwar ‚freemen‘, aber dieses Privileg wurde auch eifersüchtig gehütet. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, musste man Mitglied einer guild (Gilde, später ‚livery company‘) sein - und das wurde nur, wer entweder in London geboren war oder einen Eid ablegte, als freeman geboren worden zu sein.

Freundliche Grüße,
Ralf

Hallo Peter,

finstere Mittelalter. Da haben wir zunächst natürlich mal
Wilhelm den Eroberer. Er war der Eroberer, er war der König.
Trotzdem konnte ihm ein Parlament regelmäßig heftig zusetzen
weil auch dieses Parlament (obwohl es weit von einem heutigen
Parlament entfernt war) Rechte hatte.

ich erlaube mir, Dich auf einen groben Anachronismus
aufmerksam zu machen. Die ‚Curia Regis‘ (oder ‚Great Council‘)
Williams I. kann man kaum als Parlament bezeichnen; sie war in
erster Linie propagandistische Inszenierung der Königsmacht
und erst in zweiter Linie ein beratendes Gremium, das in
Fragen der Kriegführung und Steuererhebung angehört werden
konnte. Nicht angehört werden musste.

-> Ja, deswegen musste er das Parlament auch mindestes dreimal auflösen … weil es nicht tat, was es wollte. Da unterscheiden sich wohl Fakten von der allgemeinen Vorstellung. Alleine schon die Tatsache, dass in der Curia eine ziemlich mächtige Ansammlung von geistlichen und weltlichen Würdenträgern beieinander saß verlieh ihr ja eine de facto Macht. Insofern kein Anachronismus.

Zu Recht wird der Beginn der Geschichte des englischen
Parlaments mit der Magna Charta 1215 angesetzt, obwohl man
strenggenommen erst mit der Einberufung des sog. ‚Model
Parliaments‘ durch Edward I. 1295 tatsächlich von einem
Parlament sprechen kann.

-> Was „angesetzt“ wird, ist ja in diesem Zusammenhang ziemlich gleichgültig. Entscheidend ist ja der politische Fakt. Natürlich hatte die Curia formal keine Rechte. Praktisch jedoch hatte sie, weil andernfalls Wilhelm hätte mit weiteren Widerständen in England rechnen müssen. Es war ja nicht gerade so, dass er sich hätte hundertprozentig auf seine Normannen verlassen können.

Und der königliche Hof
befand sich in Wichester weil die Rechte des Königs in der
Hauptstadt London eingeschränkt waren.

Nun, der Hof war in Winchester, weil es immer noch die
Hauptstadt war - seit den Zeiten Alfreds des Großen, nachdem
Winchester schon vorher Hauptstadt des Königreichs Wessex war.

Nur teilweise richtig. Winchester war Hauptstadt von Wessex gewesen. Es war Hauptstadt auf dem Papier bis zur Krönung Wilhelms. Bereits Harold jedoch hatte die kurze Zeit, in der er regierte, von London regiert (nur ein paar Wochen), aber auch schon Edward der Bekenner regierte meistens von London aus seit ihm wegen des Aufstandes von 1051 Wessex als Sitz nicht mehr so richtig sicher erschien. Was verständlich erscheint, war es doch sein Schwiegervater Godwin von Essex gewesen, der nicht nur in Wessex den Aufstand gegen ihn geprobt hatte sondern in dessen Wirren auch noch schnell Edwards Brüder um die Ecke gebracht hatte. Also auch hier: Winchester war formal Hauptstadt, de fact Hauptstadt war mindestens seit 18 Jahren London. Tatsächlich musste Wilhelm ja erst mal in Winchester wieder Bauten instandsetzen lassen bevor er wegen dem Ärger in London umziehen konnte.

William I. wurde zwar in London gekrönt, was die Bedeutung der
Stadt aufzeigt, aber u.a. auch etwas damit zu tun hatte, dass
die auf Veranlassung von Edward the Confessor erbaute und
gerade (1065) fertiggestellte Westminster Abbey eine
hervorragende Kulisse für die Inszenierung dieses Staatsaktes
abgab. Hauptstadt im eigentlichen Sinne wurde London erst, als
William II. (Rufus) Westminster Hall bauen ließ (1097) und zum
Hauptsitz des Hofes machte. Vorher war der White Tower bei den
Aufenthalten in London Residenz des Königs - der wurde
freilich auch erst ab 1078 erbaut.

Richtig, aber vorher gab es bereits White Hall als Sitz des Königs in London (die heuteige Whitehall ist ja eigentlich nur die Straße die ursprünglich mal dahin führte). Die jedoch brannte um 1076 ab, was unter anderem die gegenüber dem ursprünglichen Plan vergrößerte Fassung des White Towers notwendig machte. Denn genau betrachjtet war ja der White Tower offensichtlich in der Erstplanung nur der Bergfried der normannischen Festungsanlage, die weiderum als eine der ersten Festungen Wilhelms in England begonnen worden war, während, wie Du richtig betonst, der White Tower in dieser Form erst 1078 begonnen wurde.

Wenn William I. in England weilte - was so häufig gar nicht
vorkam - dann residierte er übrigens nicht nur in der
Hauptstadt Winchester. Es gab im Jahresverlauf drei große
Staatsakte, bei denen der König öffentlich in Gesellschaft der
Curia Regis die Krone trug - an Ostern in Winchester, an
Pfingsten in Westminster und zur Wintersonnenwende in
Gloucester, der früheren Hauptstadt des Königreichs Mercia
(lt. Peterborough Chronicle).

Ja, es gab diese drei Staatsakte. Zusätzlich sollte man erwähnen, dass er ja auch häufig auf Kriegszügen war. Was die Position der formalen Hauptstadt nun auch nicht gerade stärkte. Was aber eigentlich genauso wenig mit dem Thema zu tun hat, wie der Rest dieses Einwandes.

Stadtluft machte frei
und wer ein Jahr und einen Tag nachweislich in der Stadt
lebte, war z.B. frei von der auf dem Land üblichen
Leibeigenschaft.

Das hat mit dem London des 11. Jahrhunderts nun nichts zu tun.

Denk ich aber schon. Denn es ging u.a. um die von Edward dem Bekenner (oder Confessor wenn Du die englische Version bevorzugst) Rechte. Beachte „u.a.“ denn es gab ja auch ältere Stadtrechte die zum Teil bis in das alte Recht der Mercier-Könige zurückreichten.

William I. bestätigte zwar in der Charter von 1067 die von
Edward the Confessor gewährten Priviliegien, doch die betrafen
die (beschränkte) Selbstregierung der Stadt durch die Aldermen
und den Common Council. Die Bürger der Stadt waren zwar
‚freemen‘, aber dieses Privileg wurde auch eifersüchtig
gehütet. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, musste man
Mitglied einer guild (Gilde, später ‚livery company‘) sein -
und das wurde nur, wer entweder in London geboren war oder
einen Eid ablegte, als freeman geboren worden zu sein.

Uhhhh, hier geht es jetzt aber ziemlich durcheinander.
a.) William I bestätigte 1067 (und zwar zum zweiten Mal, den zum ersten Mal hatte er es 1066 mündlich getan um seine Krönung in London sicherzustellen) per Charta die Rechte der Stadt.

b.) Darin ging es nicht um die Selbstverwaltung der Stadt. Ziemlich sicher nicht. Weil erst William II Rufus nämlich den formalen Schritt tat und London zur Hauptstadt machte und erst Richard Löwenherz 1189 den ersten Mayor ernannte (also als William I schon so rund un bummlig 100 Jahre tot war, was seine persönliche Anwesenheit bei diesem Vorgang eher unwahrscheinlich macht).

c.) Das System einer Selbstverwaltung durch Aldermen und ein Common Council entsprach ja dem alten angelsächsischen Modell, hatte jedoch de fact höchstens beratenden Funktion.

d.) Die Bürger der Stadt waren „freemen“, d.h. keine Leibeigenen. Genau darum ging es in dem Beispiel ursprünglich. Wie Du richtig sagst wurde das Privilig eifersüchtig gehütet, aber in dem Sinne, dass man daran keine Abstriche hinnahm. Das starke Wachstum Londons ab dem 11 Jhdt. ist ja Zeichen, dafür, dass die Londoner offensichtlich mehr geworden sind. Einer der Gründe dafür ist sicher in diesem besonderen Status zu suchen (der ürbrigens nach und nach und in kleinerem Umfange ja auch für andere Städte galt).

e.) Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen musste man also Mitglied in einer Gilde (später Livery Company sein? Interessant. Aber leider auch nicht völlig richtig. Es gab Gilden, die bestimmte Wirtschaftszweige unter Kontrolle hatten. Zum Teil auf der Basis von an diese Gilden verliehenen Privilegien. Bestes Beispiel waren vielleicht Tuchhändler oder Maurer. Es gab auch Zimmermannsgilden. Aber das bedeutete nicht, dass ein jeder Weg, seinen Lebensunterhalt zu verdienen von einer Gilde kontrolliert war. Es gab zum Beispiel keine Metzgergilde, keine Straßenkehrergilde, keine Kutschergilde, … es gab eine Fischergilde, in der die Mitgliedschaft aber nicht Pflicht war. Nützlich Mitglied zu sein, klar, aber nicht Pflicht. Und was den Ausdruck „Livery Companys“ angeht, so ist der ja sehr viel später und bezeichnet (nach Zerfall des Gildenwesens) spezielle Fälle in denen aus Gilden dann eher so etwas wie echte Berufsverbände in modernem Sinne wurden. Wobei auch dabei die Politik eine nicht unerhebliche Rolle spielte, den mit der Royal Chata von 1394 (also nun muntere 214 Jahre nach Williams Tod) versuchte man ja von königlkicher Seite genau wieder Einfluss dadurch zu gewinnen, dass man die Gilden umwandelte und durch generalistischere Organisationen unter Druck setzte. The workshipful Merchantmen beispielsweise umfassten ja die Tätigkeitsfelder der Tuchhändler genauso wie der Goldhändler, der Gewürzhändler und anderer Zweige, die bis dahin eigenständige Gilden gewesen waren.

Halten wir, um beim Thema „Stadtluft macht frei“ also fest, dass es nichts hilft, Gildenprivilegien, die zum Teil erst zwei Jahrhunderte später vergeben wurden mit Stadtrechtsprivilegien zu vermischen, nur um zu zeigen, wie finster das Mittelalter und speziell Wilhelms Herrschaft war. Allgemein war das finstere Mittelalter durchaus eine eher farbige Epoche, wenn auch sehr viel härter, was die Lebensumstände betraf. Aber es war eben auch eine Zeit großer Wandlungen und Entdeckungen.

Gruß
Peter

Freundliche Grüße,
Ralf

Hallo Peter,

-> Ja, deswegen musste er das Parlament auch mindestes dreimal
auflösen …

bitte weise mir doch mal durch Quellenangabe nach, wann und wo William I. „mindestens dreimal“ das Parlament auflösen ließ. Ich bin gespannt …

-> Was „angesetzt“ wird, ist ja in diesem Zusammenhang ziemlich
gleichgültig. Entscheidend ist ja der politische Fakt. Natürlich
hatte die Curia formal keine Rechte.

Eben. Der entscheidende politische Fakt ist, dass die Curia keine Rechte hatte. Dies änderte sich erst 1215 - insofern ist dieses Datum alles andere als „gleichgültig“. Dass auch unumschränkte Herrscher nicht ohne Rücksicht auf die Eliten regieren können ist spätestens seit Cäsar und Augustus trivial und hat mit der Beschränkung der Königsmacht durch ein verfasstes Gremium (wie es ein Parlament darstellt, nicht aber die Curia Regis) nicht das Geringste zu tun.

Zur Erinnerung - Du hattest Folgendes über William I. behauptet:

Er war der Eroberer, er war der König. Trotzdem konnte ihm ein
Parlament regelmäßig heftig zusetzen weil auch dieses Parlament
(obwohl es weit von einem heutigen Parlament entfernt war) Rechte
hatte.

Nochmal zum Mitmeißeln: es gab kein Parlament , es gab allenfalls eine Curia Regis. Und für die gilt, wie Du ja nun selbst zugibst:

Natürlich hatte die Curia formal keine Rechte

Deswegen erlaube ich mir, Deine Behauptung auch weiterhin einen Anachronismus zu nennen.

Weiter im Text:

Und der königliche Hof befand sich in Wichester weil die Rechte des
Königs in der Hauptstadt London eingeschränkt waren.

Nun, wenigstens räumst Du ja jetzt ein:

Winchester war formal Hauptstadt, de fact Hauptstadt war mindestens
seit 18 Jahren London.

… weswegen William ja auch nicht nur in Winchester, sondern auch in Westminster amtierte, wie ich schrieb. Insofern gehört das durchaus zum Thema, trotz Deiner Einlassung

Was aber eigentlich genauso wenig mit dem Thema zu tun hat, wie der
Rest dieses Einwandes.

… weil Du nämlich den Anschein erweckt hattest, William hätte sich von London ferngehalten, weil angeblich „die Rechte des Königs in der Hauptstadt London eingeschränkt waren.“ Also - William amtierte in London (Westminster) ebenso wie in Winchester (und Gloucester). In Winchester schlicht aus dem Grunde, weil es die Hauptstadt war, nicht wegen irgendwelcher Vorbehalte gegen London, die ja dann auch für William II. in eher noch verstärktem Maße gegolten hätten. Deine Argumentation war schlicht falsch begründet.

Stadtluft machte frei
und wer ein Jahr und einen Tag nachweislich in der Stadt
lebte, war z.B. frei von der auf dem Land üblichen
Leibeigenschaft.

Das hat mit dem London des 11. Jahrhunderts nun nichts zu tun.

Denk ich aber schon. Denn es ging u.a. um die von Edward dem
Bekenner (oder Confessor wenn Du die englische Version bevorzugst)
Rechte.

Nu mal langsam - es gab im 11. Jahrhundert ein solches Rechtsinstitut für London?? Das womöglich schon auf ein Privileg Edwards zurückgehen soll??? Der früheste mir bekannte Beleg datiert von 1127 für Saint-Omer in Flandern. Entsprechende Regelungen sind auch in England bekannt - aber im 12. Jahrhundert, und zwar für Nottingham, Lincoln und Newcastle. Aber in London und im 11. Jahrhundert?

Ansonsten - was Du über die Charter schreibst, ist im Allgemeinen schon richtig - es widerspricht aber nicht meiner Aussage von der

(beschränkte) Selbstregierung der Stadt durch die Aldermen und den
Common Council

(richtiger: Husting / Folkmoot, Vorläufer des Council). Beschränkt, weil - wie allein schon die Adresse der Charter (die sich inhaltlich weitestgehend auf die Bestätigung der nicht näher spezifizierten früher vergebenen Privilegien beschränkt) deutlich macht - zwischen den Bürgern und dem König noch der Bischof William und der Portreeve Gosfregdh standen. Natürlich waren beide keine Repräsentanten der Bürger, sondern der Kirche und der Krone. Von einem Mayor war meinerseits nirgendwo die Rede. Wichtig natürlich die in der Charter explizit garantierte Testierfähigkeit - was nichts anderes als Bestätigung des Status der Bürger als ‚freemen‘ bedeutete.

Du selbst widersprichst damit vielmehr Deiner Aussage, William habe in Winchester residiert,

weil die Rechte des Königs in der Hauptstadt London eingeschränkt
waren

Inwiefern waren denn nun Williams Rechte in London eingeschränkt? Durch die Tatsache, dass die Londoner Bürger freemen waren? Da waren sie nicht die einzigen, die gab es auch in Winchester …

Freundliche Grüße,
Ralf

Hallo Peter,

-> Ja, deswegen musste er das Parlament auch mindestes dreimal
auflösen …

bitte weise mir doch mal durch Quellenangabe nach, wann und wo
William I. „mindestens dreimal“ das Parlament auflösen ließ.
Ich bin gespannt …

-> als beinahe Zeitzeuge: William von Malmsbury (Deeds of the English Kings), heute verfügbar als Gesta Regum Anglorum (also wie das Original in Latein). Oxford University 1998, ISBN 0-19-820678-X Buch anschauen.
-> David C Bates’ „Willian the Conqueror: The Norman Impact upon England“ bezieht sich etwas kürzer und ohne eigene Quellenangabe ebenfalls vesonders auf kirchliche Mitglieder der Curia von denen einige wohl der Einfachheit halber rausgeschmissen wurde … was dann die nächste drohende Erhebung zu Folge hatte.
Von den neueren Autoren bin ich mir nich sicher, wer sich hier auf welche Urquelle bezieht, da sie alle mehr oder weniger aus William von Malmsbury oder Sir James Ramsay’s Foundation of England Bd.2 (der sich wiederum sehr stark für Roger von Salisbury und dessen Konflikte mit Wilhelm interessiert) zusammensetzen.

-> Was „angesetzt“ wird, ist ja in diesem Zusammenhang ziemlich
gleichgültig. Entscheidend ist ja der politische Fakt. Natürlich
hatte die Curia formal keine Rechte.

Eben. Der entscheidende politische Fakt ist, dass die Curia
keine Rechte hatte. Dies änderte sich erst 1215 - insofern ist
dieses Datum alles andere als „gleichgültig“. Dass auch
unumschränkte Herrscher nicht ohne Rücksicht auf die Eliten
regieren können ist spätestens seit Cäsar und Augustus trivial
und hat mit der Beschränkung der Königsmacht durch ein
verfasstes Gremium (wie es ein Parlament darstellt, nicht aber
die Curia Regis) nicht das Geringste zu tun.

-> Du gehst hier eher von verfassungsrechtlichen Fragen als von politischem Fakt aus.

Zur Erinnerung - Du hattest Folgendes über William I.
behauptet:

Er war der Eroberer, er war der König. Trotzdem konnte ihm ein
Parlament regelmäßig heftig zusetzen weil auch dieses Parlament
(obwohl es weit von einem heutigen Parlament entfernt war) Rechte
hatte.

-> Und worum es hier geht, sind de facto Rechte. Schließlich sollte man ja auch mal betrachten, wer in der Curia saß …

Nochmal zum Mitmeißeln: es gab kein
Parlament
, es gab allenfalls eine Curia Regis. Und
für die gilt, wie Du ja nun selbst zugibst:

Natürlich hatte die Curia formal keine Rechte

-> guter rethorischer Trick, aber das war es dann auch schon. Die Betonung meiner Aussage lag auf „formal“

Deswegen erlaube ich mir, Deine Behauptung
auch weiterhin einen Anachronismus zu nennen.

-> Na, wenn es Dir Spaß macht …

Weiter im Text:

Und der königliche Hof befand sich in Wichester weil die Rechte des
Königs in der Hauptstadt London eingeschränkt waren.

Nun, wenigstens räumst Du ja jetzt ein:

Winchester war formal Hauptstadt, de fact Hauptstadt war mindestens
seit 18 Jahren London.

… weswegen William ja auch nicht nur in Winchester, sondern
auch in Westminster amtierte, wie ich schrieb. Insofern gehört
das durchaus zum Thema, trotz Deiner Einlassung

-> Das ursprüngliche Thema waren „Menschenrechte“ und wogegen ich mich wandte war die pauschale Darstellung des Mittelalters als „finster mit 24/7 Folterservice“. In diesem Thema war William auch nur ein Beispiel von mehreren. Insofern bleibe ich dabei, dass Deine Einlassungen immer weiter vom Hauptthema weggehen.

Was aber eigentlich genauso wenig mit dem Thema zu tun hat, wie der
Rest dieses Einwandes.

… weil Du nämlich den Anschein erweckt hattest, William
hätte sich von London ferngehalten, weil angeblich „die Rechte
des Königs in der Hauptstadt London eingeschränkt waren.“ Also

  • William amtierte in London (Westminster) ebenso wie in
    Winchester (und Gloucester). In Winchester schlicht aus dem
    Grunde, weil es die Hauptstadt war, nicht wegen irgendwelcher
    Vorbehalte gegen London, die ja dann auch für William II. in
    eher noch verstärktem Maße gegolten hätten. Deine
    Argumentation war schlicht falsch begründet.

Um das mal festzuhalten: Ich „erwecke“ nicht den Anschein, ich behaupte knallhart, es war so. Nachdem Willi ja bereits 1068(muss ich nachschlagen, kann auch 69 gewesen sein) zum ersten Mal London selbst etwas hektische verlassen musste weil die Londoner gerade mal wieder etwas sauer auf ihn waren, konnte man wohl kaum von einem guten Verhältnis sprechen. Was zum Teufel glaubst Du, warum der Mann eine Zwingburg mitten in London errichten ließ? Wahrscheinlich weil er da keine Probleme hatte, richtig?
Westminster war übrigens zu Lebzeiten von William nicht gerade Stadtmitte um es vorsichtig auszudrücken. Prinzipiell regierte wer in Westminster regiert VOR den Toren. Ich schlage einen Blick in alte Pläne und Karten vor. Und was das residieren in Gloucester anging … er war im durchschnitt drei oder vier Tage pro Jahr da, solltest Du andere Informationen haben, bitte ich um Aufklärung.
Und da Du William II Rufus hier reinziehst, solltest Du vielleicht auch bemerken, dass der überall Probleme hatte, nicht nur in London. Homosexuelle Könige waren eher eine Seltenheit, oder, soweit es William Rufus betraf, Könige deren Homosexualität dermaßen von der Kirche propagandistisch breitgetreten wurde. London war für ihn ein logischer Schritt ganz einfach weil nicht nur seine Macht sondern noch viel mehr die Macht kirchlicher Würdenträger dort eingeschränkt war.
Wie schon mehrfach reißt Du eine kleine Seitenbemerkung aus dem Kontext um zu beweisen ich „Dein Gegner, auch wenn ich noch nicht weiß wieso“ argumentiere falsch. Wunderschön, und jetzt warte ich mal auf eine Stellungnahme on rethorische Tricks und halbvollständige Darstellung, damit wir das hier endlich auf der Basis von Argumenten zu Ende bringen können.

Stadtluft machte frei
und wer ein Jahr und einen Tag nachweislich in der Stadt
lebte, war z.B. frei von der auf dem Land üblichen
Leibeigenschaft.

Das hat mit dem London des 11. Jahrhunderts nun nichts zu tun.

Denk ich aber schon. Denn es ging u.a. um die von Edward dem
Bekenner (oder Confessor wenn Du die englische Version bevorzugst)
Rechte.

Nu mal langsam - es gab im 11. Jahrhundert ein solches
Rechtsinstitut für London?? Das womöglich schon auf ein
Privileg Edwards zurückgehen soll??? Der früheste mir bekannte
Beleg datiert von 1127 für Saint-Omer in Flandern.
Entsprechende Regelungen sind auch in England bekannt - aber
im 12. Jahrhundert, und zwar für Nottingham, Lincoln und
Newcastle. Aber in London und im 11. Jahrhundert?

-> Edward der Bekenner bezieht sich bereits dabei auf älteren Usus (vergl. Julian Rathbone). Tatsächlich scheint es schon etwas aus der Zeit Aethelreds des Schlecht Beratenen zu geben. Soweit ich weiß, gibt es keine Original charta darüber mehr, aber Aethelred bezieht sich in einer Charta an seinen Nachfolger darauf.
E. der Bekenner wiederum bezieht sich auf diesen Usus in einer Verfügung von 1060 (wiederum Rathbone) und garantiert nur das „Freemen“ Recht für bestimmte Gilden erneut, die sich um seinen Bauplan von Westminster Abbey verdient machten. Das Original liegt meines Wissens bei der Oxford University.
Flandern lag a.) nicht in England und b.) gehörte St.Omer nicht eigentlich zur Markgrafschaft Valenciennes? Dann wäre es 1045 bereits an Hennegau gefallen. Der interessante Punkt ist hier (wie auch im Falle Londons), dass ein eigentlich recht gut erschlossenes Gebiet kurzfristig knapp an Menschen wurde (in beiden Fällen durch kriegerische Auseinandersetzungen). Es blieb also gar nichts anderes übrig, als Anreize zu schaffen um die Menschen dahin zu ziehen.

Ansonsten - was Du über die Charter schreibst, ist im
Allgemeinen schon richtig - es widerspricht aber nicht meiner
Aussage von der

(beschränkte) Selbstregierung der Stadt durch die Aldermen und den
Common Council

(richtiger: Husting / Folkmoot, Vorläufer des Council).
Beschränkt, weil - wie allein schon die Adresse der Charter
(die sich inhaltlich weitestgehend auf die Bestätigung der
nicht näher spezifizierten früher vergebenen Privilegien
beschränkt) deutlich macht - zwischen den Bürgern und dem
König noch der Bischof William und der Portreeve Gosfregdh
standen. Natürlich waren beide keine Repräsentanten der
Bürger, sondern der Kirche und der Krone. Von einem Mayor war
meinerseits nirgendwo die Rede. Wichtig natürlich die in der
Charter explizit garantierte Testierfähigkeit - was nichts
anderes als Bestätigung des Status der Bürger als ‚freemen‘
bedeutete.

->Autsch, jetzt geht es aber tief ins Detail! Der Folkmoot war ja die angelsäschische Variante, die von William durch das Council (in gleicher Funktion aber mit der Hoffnung auf mehr Einfluss auf dessen Ttätigkeit) ersetzt wurde. Was die Funktion des Bischofs „zwischen dem König und den Bürgern“ angeht, erlaube ich mir ebenfalls Einspruch zu erheben. Auch wenn es nicht zum offenen Streit kam schwellte doch die Frage der Einsetzung von Bischöfen munter vor sich hin und sorgte für gelegentliche Konfrontationen. Aus diesem Kontenxt heraus verstehe ich das „zwischen“ der Charter eher als „vermittelnd“, nicht als „hierarchisch dazwischen“.
Der Text der Charter selber erwähnt ja auch nicht die Positionen zueinander. Lediglich „William, König, grüßt Bischof Willi, Portgreeve G. und die Bürger von London, England und Frankreich (über diesen Teil der Übersetzung mag man streiten) in Frieden …“
Der Portgreeve war seit Edward dem Älteren eine Aufsichtsfunktion, die sicherstellte, dass die Steuern aus Handel ordentlich abgeführt wurden (also keine Bürgerfunktion) einfach dadurch, das es nur an definierten Orten erlaubt war zu handeln. Bis in die Zeit von Edward dem Bekenner hatte sich an dieser Funktion wohl auch wenig geändert. Erst später entwickelte sich diese Position (basierend auf der Formulierung von Williams Charter „and the king will not suffer that anybody do ye wrong (altes Englisch übersetzt aus altem Latein hat so seine Momente)“. Denn damit bekam der Portgreeve eine neue Aufgabe (die dann bis zum 13.Jhdt. mehr und mehr von den Mayors übernommen wurde).

Du selbst widersprichst damit vielmehr Deiner Aussage, William
habe in Winchester residiert,

weil die Rechte des Königs in der Hauptstadt London eingeschränkt
waren

-> Sehe ich jetzt zwar nicht, aber meinetwegen. Alleine schon das fehlende exklusive Jagdrecht hätten den Hof etwas schwierig gestaltet.

Inwiefern waren denn nun Williams Rechte in London
eingeschränkt? Durch die Tatsache, dass die Londoner Bürger
freemen waren? Da waren sie nicht die einzigen, die gab es
auch in Winchester …

Und auch hier geht es sehr tief ins Detail. Der Begriff „Freemen“ bedeutete ja zunächst einmal „frei von Leibeigenschaft“. Im Fall von London kam jedoch noch hinzu, dass a.) die Stadt direkt dem König unterstand (formal), ihre Bürger jedoch Freemen waren. Es gab also keinen ständigen Lehnsherren für London woraus sich eine sehr viel stärkere de facto Unabhängigkeit entwickelte, dass b.) die sogenannte Halsgerichtsbarkeit (die KEIN Teil der Leibeigenschaft war) über London nicht gegeben war (London hatte sogar mit dem sogenannten Profoss eine eigene Strafverfolgung) und dass c.) die Londoner sich im Gegensatz zu anderen Städten immer das Recht herausnahmen ihrem Unmut durch kleinere Aufstände inklusive anzünden von Gebäuden Ausdruck zu verleihen (und hier mal wirklich ein Anachronismus, weil es so nett ist: Du erinnerst Dich an Lancaster House?). Da London der wichtigste Wirtschaftsstandort Englands war und damit ja auch Haupteinnahmequelle des Königs konnte er da keinen Ärger gebrauchen - und die Londoner waren sich dessen sehr bewusst. In der Folge waren also Williams Rechte sowohl formal als noch viel mehr de facto eingeschränkt.

Freundliche Grüße,
Ralf

mfg
Peter B.

Hallo Andreas,

  1. Was sind Menschenrechte?

Rechte, die jedem einzelnen Menschen zustehen. Wirklich jedem Menschen, egal welcher Volkszugehörigkeit, Hautfarbe, Geschlecht, Religion.

  1. Wer sagt mit welchem Recht, dass solche Menschenrechte
    allgemeingültig für die gesamte Weltbevölkerung sein sollten
    und könnte das überhaupt funktionieren?

Menschenrechte können überhaupt nur allgemeingültig für die gesamte Weltbevölkerung sein - oder gar nicht. Schon aus Gerechtigkeits- Gleichheitsgründen. Entweder Menschenrechtsverletzungen werden gleichermaßen überall angeprangert, oder man lässt die Menschenrechte ganz bleiben, oder jeder kann tun und lassen was er will.

  1. Sind das, was wir als „Menschenrechte“ bezeichnen nicht
    eigentlich schützenswerte Güter, die wir nur aus unserer
    christlichen Welt heraus für schützenswert befinden?

Wie gesagt, Menschenrechte sind unabhängig von der Religion. Sie gelten ja für Buddhisten, Christen, Atheisten, Hinduisten, Shintoisten gleichermaßen.

Wenn man z.B. sagt: „Menschenrechte gelten für Moslems (d.h. immer wenn Moslems von Menschenrechtsverletzungen betroffen sind) nicht aber ebenso ohne wenn und aber von Moslems (d.h. Moslems verletzen Menschenrechte und berufen sich dabei auf ihre Religion)“ dann kann man sich auch gleich die Menschenrechte voll und ganz sparen. Denn warum sollten z.B. chinesische/nordkoreanische Kommunisten verpflichtet sein, Menschenrechte zu beachten, wenn Moslems das nicht gleichermaßen sind? Regularien machen nur Sinn, wenn sie als Recht und als Pflicht für alle Menschen gleichermaßen gelten. Und wenn z.B. in Afghanistan ein Moslem zum Christentum konvertieren will, dann hat er genaus dasselbe Recht dazu wie ein Christ in Deutschland, der Moslem werden will, und Afghanen haben diese Entscheidung ebenso zu akzeptieren wie Deutsche.

Gruß Andreas

Gruß Jasper

EOD / Plonk
Dass dieser Teilthread nur bedingt etwas mit dem Hauptthema zu tun hat, wird schon durch den veränderten Titel klar. Es geht lediglich um drei eindeutig falsche Ausagen von Dir über William I, auf die ich aufmerksam gemacht habe.

Offensichtlich bist Du unfähig, einen sachlichen Fehler einzuräumen. Und hier:

bitte weise mir doch mal durch Quellenangabe nach, wann und wo
William I. „mindestens dreimal“ das Parlament auflösen ließ.
Ich bin gespannt …

-> als beinahe Zeitzeuge: William von Malmsbury (Deeds of

kommt zur pathologischen Rechthaberei auch noch intellektuelle Unredlichkeit hinzu. Wenn Du schon die Curia Regis flott zu einem Parlament umdeklarierst, solltest Du das wenigstens deutlich machen. Die englische Verfassungsgeschichte wird man wegen Dir so oder so nicht umschreiben.

Von daher: EOD und Plonk.

1 „Gefällt mir“

Ich darf also annehmen, dass Du einen der wichtigsten Englischen Chrónisten des Mittelalters (speziell für die Zeit ab 1066) nicht anerkennst. Gut. Und wem die Argumente ausgehen, der wird polemisch? Auch gut. Einen schönen Tag noch.

Gruß
Peter

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bitte weise mir doch mal durch Quellenangabe nach, wann und wo
William I. „mindestens dreimal“ das Parlament auflösen ließ.
Ich bin gespannt …

-> als beinahe Zeitzeuge: William von Malmsbury (Deeds of

kommt zur pathologischen Rechthaberei auch noch intellektuelle
Unredlichkeit hinzu.

Um letzteres zu unterstreichen: ich habe mir die Mühe gemacht, trotz der sehr vagen Angabe bei Malmesbury nachzusehen, ob dort irgend etwas die genannte Behauptung belegen könnte. Selbstverständlich konnte es nicht um eine Auflösung des Parlaments gehen - ein solches gab es bekanntlich erst 1295, etwa 150 Jahre nach William von Malmesburys Tod. Aber auch von einer Auflösung der Curia Regis - gar „mindestens dreimal“ - ist dort nirgendwo die Rede. Was der Sache noch am nächsten kommt, ist die ‚Säuberung‘ des englischen Klerus, von der William im Anschluss an die verlustreiche Abwehr der Invasion der Söhne Harolds durch die angelsächsischen Kollaborateure unter Ednoth (1068) berichtet:

„Thus having overturned the power the power of the laity, he made an ordinance, that no monk, or clergymqn, of that nation, should be suffered to aspire to any dignity whatever … William, from certain causes, canonically deposed some persons and in the place of such as might die, appointed diligent men of any nation, except English. Unless I am deceived, their inveterate frowardness towards the king, required such a measure …“ (Übers. John Sharpe)

Auch bei Williams Zeitgenossen Henry of Huntingdon (Historia Anglorum) findet sich nichts dergleichen - bei beiden hingegen die Nachricht, dass William, wenn er in England anwesend war, um Pfingsten in Winchester (Henry schreibt sogar explizit ‚London‘) residierte. Hätte man bei einiger Kenntnis Malmesburys also wissen können. Dass dies auch so in der Angelsächsischen Chronik (Peterborough Manuskript) steht, hatte ich ja schon erwähnt.

Die Überprüfung zeitgenössischer Quellen - also neben der genannten Chronik William von Jumieges ‚Gesta Normannorum Ducum‘ und William von Poitiers ‚Gesta Wilhelmi Ducis Normannorum et Regis Anglorum‘ - für diese alberne Behauptung habe ich mir erspart.

Freundliche Grüße,
Ralf

Also,
Du hast jetzt Bezug auf zwei Quellen genommen, die ich gar nicht genannt habe, nur um zu beweisen, das dort nichts über das steht, was ich gesagt habe. Da steht auch nichts über das was Du gesagt hast. Was also soll Dein Nebelwandmanöver.
Du hast fernerhin einen Satz, der Dir genehm ist aus einer Übersetzung einer von mir genannten Quelle herausgezogen um auf dieser Basis zu belegen, was ich doch für ein Rechthaber bin. Den Rest der Quelle (von mir so schlampig mit ISBN, Verfasser und Titel angegeben) hast Du mal eben unterschlagen. Bei genaueren Nachschalgen wäre Dir vielleicht aufgefallen, dass die Mitglieder des Klerus, die diesen Säuberungen zum Opfer fielen nämlich (zumindest ein paar der höheren Ränge) Mitglieder der Curia waren.
Ich würde diese Diskussion nun normalerweise auf der Basis von Quellen, Faktenlagen und dergleichen fortsetzen. Das aber macht Dein beleidigender, arroganter und selbstherrlicher Stil, der bis hin zur Verkrüppelung von Quellen und völliger Ignoranz geschichtlicher Prozesse reicht, unmöglich. Insofern ist das mein letztes Posting in dieser Sache. Du kannst Dir also Deine Polemik auch getost sparen, weil ich in diesen Teilthread ohnehin nicht mehr reinschaue.

Gruß
Peter B.

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]