Hi Winkel,
wie lese ich das? Vorurteil-shopping oder Voruteils-hopping?
Gemeint war hopping, aber shopping ist auch keine schlechte Idee. Dann könnte man Verbraucherschutz und Produkthaftung für Vorurteile einfordern.
vorwärtsweisendere Fragestellungen beizumengen, dabei mehrfach
jährlich die Welt umrundet und im Fluge Dutzende Bücher
schreibt, die auch gekauft werden…
ist das eine Wertung über den Autor?
Das mit den vorwärtsweisenderen Fragestellungen war eine geschmackliche Selbstkundgabe, der Rest ist Insiderwissen, an dem ich euch zur freien Wertung teilhaben lassen wollte.
Menschliches Verhalten
In Sachen Wissenschaft und Technik haben wir große
Fortschritte gemacht weil das Verhalten physikalischer
Substanzen und Gesetze recht stabil und zuverlässig ist.
Anders verhält es beim Menschen, wo wir es mit interaktiven
Schleifen zu tun haben. Wenn man z.B. jemanden einen „Idioten“
nennt, dann ist diese Person nicht mehr die gleiche wie die,
die man so bezeichnete, bevor man es tat.
wie heißt es bei meinem Vorredner: Mehr wissen ist nicht gleich
mehr Verstand. Das Problem entsteht nämlich schon eine Stufe
früher. Ich glaube es war Schiller in seinem Aufsatz über die
Ästhetik: Das Bild was man sich von jemandem macht, ist
entscheidend, nicht das was man über ihn sagt, denn dieses
beides muß nicht deckungsgleich sein. wie heißt es in einem
alten Song: viele meinen nicht was sie sagen, und viele sagen
nicht was sie meinen.
Genau das beruhigt mich oft. Wenn viele auch noch wüssten, was sie sagen, wäre alles noch viel schlimmer, finde ich manchmal. Ansonsten finde ich, dass Wissen (ebenso wie Phantasie, meine ich sogar) nur in der Gegenwart von Verstand erträglich sind.
In Sachen menschliches Verhalten (mit seinen Konflikten etc.)
sind wir kaum von der Stelle gekommen. Wenn wir uns heute mit
Raketen statt mit Steinen bekriegen, bleibt das Verhalten
selbst im Prinzip das Gleiche. Das liegt an der weitgehenden
Unzulänglichkeit unserer Denkmethoden.
Denkmethoden?
heißt das, daß Instinkt z.B. eine denkmethode ist, oder gar das
was wir Reflex nennen Denkmethoden sind? Dann wären wir nicht
denkend, sondern Tier. Letzlich sind wir als Mensch bedingt
durch beides sowohl die tierischen als auch die geistigen
Fähigkeiten.
Also mit Denkmethoden meint er unsere menschliche Klassifizierungsbegeisterung, unsere Neigung, die Symbole (Begriffe) von einzelnen Erfahrungen einfach auf andere Erfahrungen draufzukleben. Ab der zweiten Erfahrung wäre es dann ein Vorurteil und ab der dritten schon hopping.
Viele meinen, wir müssten Werte und Haltungen ändern. Ich
glaube nicht, das dort die Antwort liegt. Wenn wir unsere
Denkmethoden ändern (speziell in Sachen Wahrnehmung) dann
werden sich Werte, Haltungen und Verhalten vielmehr in der
Folge ändern.
Denkmethoden in der Wahrnehmung ändern?
How can? oder wie kann man auf die Folgen von etwas spekulieren,
dessen Weg man nicht beschreibt (beschreiben kann?). Oder was
sagt der gute Mann über die „Änderung der Denkmethoden“
Da ist er schlau! Irgendwelche Soll-Folgen sich auszudenken, empfiehlt er natürlich nicht, weil die natürlich absehbar innerhalb der vorgeprägten Musterbildung blieben. Er empfiehlt solche Sachen wie: Fragt nach den Werten, die in eurer Zustimmung zu irgendwas liegen und danach, wie wichtig euch diese Werte sind. Überlegt, wie viel ihr eigentlich wisst von eurem Beurteilungsgegenstand und was ihr bloß meint - und was ihr aber vielleicht wissen solltet. Überlegt, unter welchen Bedingungen, das was ihr ablehnt, nicht schlecht wäre; wann das Gegenteil eures Urteils zutreffen mag und für wie relevant ihr solche Konstellationen haltet.
Er empfiehlt, unterschiedliche Voreingenommenheitsrichtungen mutwillig zu modellieren und getrennt, nacheinander durchzuspielen. Der Trick dabei ist, dass er den Ehrgeiz der Leute, dass sie sich was denken können und ja nicht blöd sein wollen, gegen die Vorherrschaft ihrer Lieblingsvoreingenommenheit ausspielt. Also, holzschnittartig gesagt, dass „Miesepeter“ über Chancen nachdenken sollen und „Sonnyboys- und girls“ über Risiken. Im Durchschnitt sind die Leute ca. 30 Sekunden sauer über diese Zumutung und fangen dann aber an, sich „was einfallen zu lassen“, weil sie dann auch eine Entschuldigung für ihr „triebwidriges“ Tun haben; man hat sie ja darum gebeten, es war ja nicht ihre Idee. Staatsanwaltschaftsblick und Verteidigerblick alle vier Minuten im Wechsel. Und zwischendurch noch gucken, was eher nach Tatsache und eher nach Meinung aussieht; ob es nur kurz- oder auch mittel- und langfristig gelten mag, wie es auf andere wirkt und wie wichtig einem das ist etc. Manchmal findet man heraus, dass man noch nicht genug weis, um die hohe Meinung zu rechtfertigen mit der man gestartet ist, manchmal findet man heraus, was man besser wissen sollte, um sich mit einer Frage seriös zu beschäftigen, manchmal merkt man, wo einem vielleicht eine Idee fehlt, damit etwas so werden kann (sic!) wie man es gerne hätte. Und wie man dann auf Ideen kommen kann, ist sein „eigentliches Thema“ für das unser Thema hier nur das Vorgeplänkel ist
Standardmuster für das Zurechtkommen in einer stabilen Welt.
Ich komme mehr und mehr zu der Überzeugung, dass die
menschliche Gattung noch gar nicht damit begonnen hat zu
„denken“. Wir verhalten uns auf der Basis zu lernen, wie wir
standardisierte Situationen erkennen können und mit und
standardisierten Antworten versehen können. Unsere
Ausbildungssysteme bauen komplett, unser Verhalten überwiegend
auf diesem Modell auf.
Ist es ihm leichter zu sagen: alle sind eigentlich noch dumm,
deswegen macht es nix, daß ich auch dumm bin?
Er meint, wenn jeder (auch er) wie gehabt nach Gusto drauflos kategorisiert, dann bleibt es bei den bekannten Komödien und Dramen. Doch jeder kann sich ein paar kluge Leitfragen (s.o.) zurechtlegen und hat dann eine faire Chance auf angenehme Überraschungen durch das eigene Denkvermögen. Das er die besten Chancen dabei hätte, behauptet er gar nicht; nach so einer Denksession sind die Leute i.d.R. völlig neu gemischt drauf.
Diese Modell geht auf die Denkschemata des Griechentrios
Sokrates, Aristoteles und Plato zurück. Die natürliche
Betriebsform unseres Gehirn geht konform mit diesem Modell.
Was unser Gehirn von sich aus kann ist, Standardmuster
einzurichten, wie sie einer stabilen Welt entsprechen. Demnach
brauchen wir nur eine Situation zu klassifizieren und sie
entsprechend ihrer Standardmaßregeln zu behandeln.
Womit er betätigt, daß er die Griechen nicht verstanden hat:
Bsp.: Ich weiß, daß ich nichts weiß!
Er geht aber davon aus, daß Mensch jemals was wissen könne,
somit er a priori widerlegt ist.
Mag sein, dass man „die Griechen“ auch vorteilhafter verstehen kann. Er bezieht sich auf die Art, wie sie sich durch die Prägung unseres Denkens festgesetzt haben, auf dieses Hochliften der Begriffe über unsere Erfahrungen, das uns ja gelegentlich unterlaufen soll. Wenn man so will, auf ein „Vulgärverständnis der Griechen“. Ich schätze z.B. die Dramentheorie von Aristoteles ohne dass mich das für seinen Kategorisierungsoptimismus einnehmen könnte. Leider ist seine Dramentheorie weniger bekannt, als seine Logik. Das gehört wohl zu dem „was ist“, ohne dass noch viel anderes „draus werden“ kann, um einer solchen Konstellation auch mal die Ehre zu geben.
Mit dem „wissen“ haben wir uns ein tückisches Wort eingefangen. Ich weis z.B. ja nicht, ob morgen wieder die Sonne aufgeht, halte es aber für hinreichend vertretbar, anzunehmen, dass das in Frankfurt wohl wieder der Fall sein wird. Streng genommen weis ich es nicht, aber ich halte die Annahme einfach für gerechtfertigt. (zumal es auch wurscht ist, wenn es dann mal nicht der Fall sein sollte und Gott endlich verrät, wer er ist) Andererseits gibt es auch Leute, die behaupten zu wissen, dass alle Türkinnen Kopftücher tragen und die einer Türkin, die das nicht tut erklären, dass sie unmöglich eine Türkin sein könne. Wenn man so will, geht es um Unterscheidungen zwischen „Wissensqualitäten“. Wobei der Schiedsrichter über die „Wis-sensqualität“ die absehbare Art meines Zurechtkommens ist in dem Kontext ist, in dem ich mich gerade bewegen möchte. (Es ist also purer Pragmatismus, dem ich hier das Wort rede). Wer nur ein Weltbild braucht, um am Stammtisch (im Sinne des Vorurteils über Stammtische) passabel mitzuhalten, der bringt sicher andere Ansprüche an die Qualität dessen mit, was er für sein Wissen halten möchte, als jemand, der gerne etwas Verantwortung übernehmen möchte.
Das alle einfach gar nichts wissen, ist mir zu unterschiedslos um es anzunehmen. „Irgendwo“ stimmt es natürlich sicher auch, aber dieses „irgendwo“, ist, glaube ich , nicht der Ort, an dem ich lebe.
Man kann wohl sagen, dass dieses System so angemessen passt,
dass wir nie einen Bedarf gesehen haben, bessere Instrumente
für unser Denken zu entwickeln. In diesem wunderbaren Modell
geht es um die Frage „was ist“; zu der Frage „was kann werden“
verhält es sich eher kümmerlich.
Was sagte dazu schon der alte Laotse:
Erwarte nichts, warte!
Des Menschen Aufgabe ist das Sein, nicht die Spekulation „Was
kann werden“.
Was aber, wenn das Sein ständig neu wird? Ich weis nicht, wie es Dir geht, aber in meiner Welt fließen Flüsse und teilen sich Zellen, kaum dass ich gemeint haben könnte, das „Sein“ eines Dinges ordentlich fixiert zu haben. Schon ist es wieder anders. Und so interessiere ich mich für die „Absehbarkeit“ der Wirkungen meines Handelns im Wandel. Manchmal ist das, was „wird“ ja auch eine Wiederkehr. Ein getretener Ball im Netz ist im Fußball ein Tor und im Handball nicht. Da wirft man besser, kann man wissen, finde ich. Ob meine Flanke übernommen wird und ich besser bin als der Kipper, kann ich natürlich nie ganz genau vorher wissen. Aber ich finde es spannend, „wissen zu wollen“, wie es sich lohnt, es zu unternehmen in den Spielen, die mir gefallen. (die genannten gehören nicht dazu, aber als Beispielspender passen sie mir) Ein Rest von Spekulation bleibt, damit muss ich leben. Aber deswegen spiele ich weder russisches Roulette…
Typisch amerikanisch, denn gelänge dieses hätte jemand die
Vorhersagemöglichkeit für Aktienkurse.
… noch an der Börse. Die „absolute Vorhersagbarkeit“ ist eine recht zuverlässige Bedingung, an etwas zu Scheitern, weil ihr halt nichts genügt.
Tja, die Aktienkurse, wer bei Herrn bin Laden vor dem 11.9. im Vertrauen stand, der hatte eine faire Chance, um das Gemetzel unter den Rückversichererkursen „zu wissen“. Herr Atta hätte sich natürlich auch verfliegen können, etwas Vertrauen gehört eben immer dazu. Für meinen Geschmack verlangt die Börse insgesamt etwas zu viel Vertrauen, so dass ich mich da raushalte. Aber das ist Geschmackssache – oder eine Frage hinreichenden Insiderwissens. Sich dieses zu bemächtigen, um es zu missbrauchen, ist wiederum eine Geschmacksfrage. Mein Geschmack ist es nicht. Aber es ist auch noch nicht die Welt des Sokrates, in der man einfach „nichts weis“.
Ich habe mal in einer Bank gearbeitet und den Dollarkursverlauf parallel zur Nachrichtenlage verfolgt während der US-Panamaintervention. Es war sehr interessant zu sehen, wie jede neue Meldung sofort „vom Parkett“ gewertet wurde. Das Dollarparkett war natürlich proamerikanisch, aber dennoch musste es ständig „interpretieren“, ob eine bestimmte Meldung nun einen Fortschritt oder einen Rückschritt für die „amerikanische Sache“ signalisiert. Ich kann nun versuchen, aus den Interpretationen des Parketts auf die Wertmaßstäbe zurückzuschließen. Angenommen, Noriega wäre getötet worden (er wurde gefangen) ich traue mir nicht zu, zu sagen, ob das Parkett das goutiert hätte, oder eher gefürchtet hätte, die amerikanische Sache sei jetzt von einen Machomärtyrer belastet. Wenn ich auf die bloßen Annahmen anderer spekulieren soll, dann habe ich das Gefühl, nichts zu wissen. Und weil ich dieses Gefühl hasse, meide ich Kontexte, in denen mir nichts anderes übrig bleibt.
Ich anerkenne also durchaus Sokrates als Ratgeber – nur eben: um Lagen zu erkennen, die mir nicht passen, darunter die Börse. Als „Mahner“ finde ich ihn sehr hilfreich, den Sokrates, aber für meine Orientierung wünsche ich mir mehr als nur Mahnungen. Ich hätte gern auch ein paar Empfehlungen, ohne die bleibt mir nur die Wahl von Orten, vor denen ich noch nicht gemahnt worden bin. Dann besteht die Welt nur noch aus markierten und nicht markierten Minen und so will ich se nicht sehen, weil ich so die lohnenswerte Wege nicht gut genug finden kann. So „positiv“ brauche ich es. Aber mir ist klar, dass es andere anders brauchen.
Herr de bono sollte vielleicht das bereits Gedachte der
Altphilosophen begreifen und dann versuchen sich von der
amerikanischen Denk- und Gefühlssoße zu verabschieden, die ihn
m.E. doch sehr gefesselt hat.
Ich glaube, dazu ist es zu spät. Nach ca. 70 Büchern gegen den Glauben an die Reinheit der Begriffe und die Ehrfurcht vor dem Schubladendenken würde ihm das keiner abkaufen. Ich glaube, das Risiko, nicht alle erfreuen zu können, ist er bewusst eingegangen und das gehört ja wohl auch zum Fach.
Andererseits hat deine Empfehlung natürlich auch ihren Charme. Wenn er jetzt ein Buch
schreiben würde unter dem Titel „Warum die Griechen doch recht hatten“, das wäre sicher ein enormer Verkaufsschlager. („abkaufen“ in diesem Sinne also doch) Denn Konvertiten genießen oft ein Strohfeuer von Aufmerksamkeit. Ein Strohfeuer ist ok, wenn man sich danach eh zur Ruhe setzen wollte. Ich glaube, bevor ich mich mal zur Ruhe setzen werde, mache ich vorher noch etwas analoges. Meine Erben werden es mir danken. Vielen Dank für den Tipp. (Übrigens: so geht Kreativität)
Pragmatische Grüße,
Thomas