Mittelalterliche Bauweise

Guten Tag,

ich möchte für einige Zinnsoldaten aus dem Mittelalter ein Diorama, also ein passendes Landschaftsmodell bauen. Darin soll sich auch ein verfallenes Gebäude befinden, wobei ich noch nicht ganz sicher bin, ob ich lieber eine alte Schenke, einen 2-stöckigen Wachturm, oder ein einfaches Bauernhaus gestalten werde.

Jedenfalls sollte das ganze möglichst authentisch sein, und deshalb wollte ich hier nachfragen, ob jemand weiß, wie groß die Raumhöhe und Wandstärke eines typischen Hauses im Mitteleuropa des 10.Jahrhundert war?

Die Unterschiede dürften hier zwischen zivilen und militärischen Gebäuden ja auch ziemlich groß sein.

Ich würde mich über Infos freuen! Danke.

Das „typische Haus des 10. Jahrhunderts“ gibt es nicht; generell aber darfst Du davon ausgehen, daß die Raumhöhe zumeist ziemlich niedrig (etwa zwei Meter) war, in „Bauernhöfen“ (zumeist Katen, Blockhäuser oder Lehmhütten) keine Abtrennung zwischen Nutzraum (zumeist Wohn-, Schlaf-, Kochraum und Stall in einem) und Dach bestand, „Schenken“ nicht viel anders beschaffen waren und „Wachtürme“ Wandstärken bis zu mehreren Metern aufweisen konnten (andererseits, da ja bereits verfallen, also aus älterer Zeit, auch oft nur aus Holz [verstärkte Blockbauweise] bestanden).
Vielleicht hilfreich : http://www.deutschland-im-mittelalter.de/index.php oder das : http://www.wernernolte.de/ sowie hunderte ähnliche Seiten…

Hallo Johannes,
wenn

das ganze möglichst authentisch sein

soll, wirst Du um ein intensives Literaturstudium nicht herumkommen.

wobei ich
noch nicht ganz sicher bin, ob ich lieber eine alte Schenke,

Schenke im 10. Jahrhundert ist ein Anachronimus. Das Gastrecht war noch einigermaßen intakt und es gab keinen Bedarf für ein Gastgewerbe.

einen 2-stöckigen Wachturm,

Das wäre der Typus ‚Motte‘ (Turmhügelburg). Zeitypisch aus Holz, etwa wie hier: http://www.museums-gesellschaft.ch/burg/holzburg.html
Mangels archäologisch verwertbarer Funde (Holz ist halt weniger haltbar als Stein) nicht sonderlich gut erforscht. Zur Einführung: ISBN 3792704331 Buch anschauen.

oder ein einfaches Bauernhaus
gestalten werde.

Natürlich ebenfalls aus Holz, typisch wäre ein dreischiffiges Wohnstallhaus, evt. auch ein Grubenhaus. Zur Einführung http://www.ruralia.cz/111-122.pdf - dort auch ausführliches Literaturverzeichnis.

Freundliche Grüße,
Ralf

Hallo Ralf,

danke für deine Antwort und die nützlichen Links. Ich denke, ich werde es für den Anfang mit dem Bauernhaus versuchen.

Ich nehme an, diese waren zu damaliger Zeit ausschließlich mit Stroh gedeckt? Oder gab es da schon Schindeln?

Danke und Gruß,
Johannes

Danke für deine Antwort. Das hilft mir schon weiter.

Lg
Johannes

Hallo Johannes,

Ich nehme an, diese waren zu damaliger Zeit ausschließlich mit
Stroh gedeckt? Oder gab es da schon Schindeln?

Holzschindeln gab es hierzulande nachweislich schon 1.000 Jahre, bevor die Römer kamen. Wahrscheinlich sehr viel länger, aber Holz archäologisch nachzuweisen ist natürlich schwierig (organisches Material). Das ‚nachweislich‘ oben bezieht sich auf Schindeln, die sich in Moorboden (also unter Luftabschluss) erhalten hatten.

In der von Dir gewählten Zeitepoche war Schindelbedachung weit verbreitet. Dachziegel gab es auch (sie wurden durch die Römer eingeführt) und die Ziegelbrennerei war in Gegenden, wo es Tongruben gab, häufig ein Nebenerwerb für Bauern. Die Bedachung mit Ziegeln konnten sich allerdings nur Wohlhabende leisten. Karl der Große beispielsweise schrieb im Jahr 794 für seine Domänen (Wirtschaftshöfe, gewissermaßen landwirtschaftliche Musterbetriebe) Bedachung mit Ziegeln vor. Dass das eigens vorgeschrieben wurde, zeigt aber auch, dass die Verwendung von Dachziegeln selbst bei einem königlichen Wirtschaftshof nicht selbstverständlich war.

Schilf (Stroh eher weniger) benutzte man eigentlich nur in wirklich holzarmen Gegenden, das war also die seltenste Variante - die Wälder hatten damals noch eine ganz andere Ausdehnung als heute und Holz gab es fast überall in Hülle und Fülle. Man muste es nur schlagen und gewann damit gleich auch noch weitere landwirtschaftliche Nutzfläche (o.k., roden musste man natürlich auch noch). Schindeln konnte sich jeder Bauer selbst machen; besonders im Winter hatte er auch Zeit dazu.

Grundsätzlich hast Du also die Wahl zwischen Reet/Schilf, Dachziegel und Dachschindel - letztere war am weitesten verbreitet.

Freundliche Grüße,
Ralf

Herzlichen Dank für diese interessanten Infos! Manche Leute hier im Forum sind wirklich ein wandelndes Lexikon, was mir hier natürlich sehr gelegen kommt.

Ich werde mich dann wohl für Holzschindeln entscheiden.

Grüße
Johannes