Modische Floskeln

Hallo zusammen,

alle paar Jahre erscheinen neue Floskeln in der Alltagssprache. Sie halten sich einige Zeit und verschwinden dann wieder.
Gegenwärtig fallen mir besonders (unangenehm) „alles gut“ und „ganz ehrlich“ auf. „Alles gut“ ist häufig eine Antwort auf „Wie geht’s?“ oder auf eine Entschuldigung nach versehentlichem Anrempeln. „Ganz ehrlich“ wird meistens einer völlig banalen Aussage vorangestellt, die keiner besonderen Ehrlichkeit bedarf.
Beides habe ich vor fünf Jahren so gut wie nie gehört.

Meine Fragen zu diesen Redensarten sind:

  1. Wie kommen sie in die Welt und wie breiten sie sich aus, bis sie in beinahe aller Munde sind?
  2. Wie verschwinden sie wieder?
  3. Welche Funktion haben sie?

Beides sind vielleicht weniger linguistische als (sozial-)psychologische Fragen, deshalb habe ich nichts dagegen, wenn der Moderator sie verschieben sollte.

Tychi

deshalb habe ich nichts
dagegen, wenn der Moderator sie verschieben sollte.

Servus Tychi,

wenn wir schon bei puristischem Deutsch sind:
Müsste es nicht „hätte ich nichts dagegen“ heißen?

Gruß

Kai Müller

Hallo Kai,

na ja, meine Fragen sind ja nur indirekt eine Stilkritik, d.h. puristisches Deutsch ist bestenfalls ein Seitenthema meines Artikels, das ich in diesem Thread nicht verhandeln möchte.
Ansonsten finde ich den Indikativ hier durchaus vertretbar, da mein Nichts-dagegen-haben jetzt schon Fakt ist, ganz gleich, wozu der Mod sich entschließt.

Gruß, Tychi

Servus, Kai,

wenn wir schon bei puristischem Deutsch sind:
Müsste es nicht „hätte ich nichts dagegen“ heißen?

dann aber bitte auch „verschöbe“…:smile:
scnr.

Lieben Gruß aus dem Waldviertel, Maresa

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mein Nichts-dagegen-haben jetzt schon Fakt ist, ganz gleich,
wozu der Mod sich entschließt.

Hallo,

bei „Fakt ist“ handelt es sich um eine Redewendung, die vor 1989 in der damaligen BRD unbekannt war und mittlerweile auch hier sukzessive Verwendung findet (so dass man mittlerweile durch die Verwendung derselben nicht mehr 100 % auf die Herkunft des Anwenders schließen kann).
Wir sehen also, dass sich eine Mode auch etablieren kann.
Vielleicht kann ein Forumsmitglied noch berichten, seit wann in der früheren DDR diese Phrase verwendet wurde.

Gruß

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Moin,

Beides habe ich vor fünf Jahren so gut wie nie gehört.

ganz ehrlich, das stimmt nicht, diese Phrae kenne ich seit meiner Jugend (und die ist leider schon einige Jahre her).

Meine Fragen zu diesen Redensarten sind:

  1. Wie kommen sie in die Welt und wie breiten sie sich aus,
    bis sie in beinahe aller Munde sind?

Zufall, ‚zur richtigen Zeit am richtigen Ort‘ einer von tausend Versuchen überlebt?

  1. Wie verschwinden sie wieder?

Wenn Jugendsprech von den Erwachsenen adaptiert wird?
Wenn die ursprüngliche Nutzergruppe sic hdamit nicht mehr identifizieren kann?
Wenn neue Modefloskeln auftauchen?

  1. Welche Funktion haben sie?

Abgrenzung von der Mehrheit?
Sich hervortun wollen?
Originell sein wollen?

Gandalf

Hi,

die von Dir verwendete Kombination von Indikativ und Konjunktiv II drückt dein Einverständnis mit der MÖGLICHKEIT eines Verschiebens durc hden Moderator aus… nicht aber Dein Einverständnis mit einem tatsächlichen Verschieben. Tritt dieses Verschieben ein, musst Du ich neu entscheiden.

die Franzi

Hi,

ach, das ist ein ganz weites Feld… und sogar ein eigenes Gebiet der Linguistik! Man kann nach mühseliger Kleinarbeit oft feststellen, WANN sie zuerst auftauchen, und WANN sie verschwinden - warum sie das tun, weiß man allerdings so gut wie nie (Wußtest Du, dass „Taschentuch“ mal ein anstößiges Wort war? Ich weiß nicht, was man daran je anstößig fand, und warum es das irgendwann nicht mehr war. JEtzt ist es ein normales Wort.)
„Ganz ehrlich“ ist jedenfalls eine Satzadverbiale, und zwar eine adverbiale Bestimmung der Art und Weise. Jemand betont, dass er ehrlich ist in seiner Aussage. Siehe hier https://de.wikipedia.org/wiki/Adverbiale_Bestimmung als Einstieg. Grammatik pauken wäre ganz gut, bevor man sich dann mal mit Pragmatik (Warum sagt jemand etwas, und warum sagt er es genau so und nicht anders?) beschäftigt.

die Franzi

Hi,

Grammatik pauken wäre ganz gut, bevor man sich dann
mal mit Pragmatik (Warum sagt jemand etwas, und warum sagt er
es genau so und nicht anders?) beschäftigt.

Du meinst, ich dürfe die Frage gar nicht stellen, bevor ich nicht Grammatik gepaukt hätte? Wie lange soll ich sie pauken und welchen Teil von ihr?

Beste Grüße
Tychi

Hallo!

Gegenwärtig fallen mir besonders (unangenehm) „alles gut“ und
„ganz ehrlich“ auf. „Alles gut“ ist häufig eine Antwort auf
„Wie geht’s?“

Also, ganz ehrlich, „ganz ehrlich“ kenne ich immer schon.

  1. Wie kommen sie in die Welt und wie breiten sie sich aus,
    bis sie in beinahe aller Munde sind?

Das „Alles gut?“ - „alles gut!“ halte ich v.a. für ein Folge der Internationalisierung des Smalltalks durch Facebook, Twitter und Konsorten, so dass sich im Deutschen eine Floskel herausbildet, die den in anderen Sprachen bereits etablierten Floskeln zur Smalltalk-Eröffnung wortgenau entspricht.
Hola ¿ todo bien?
Olá, tudo bem?
Hi, all right with you?
Hallo, alles gut bei dir? - „Alles gut!“

  1. Wie verschwinden sie wieder?

„Alles gut“ wird so schnell nicht wieder verschwinden.

Gruß
Tyll

sachte OT: alles klar!
Hallo

Vielleicht ist ja «alles gut» die Nachfolgerin von «alles klar!»?

Was derzeit in der Schweiz in epidemischen Ausmass grassiert, ist die Saumode, nach fast jedem Satz zu fragen: «weisst du, wie ich meine?»
Mich jagts manchmal fast aus den Socken.
Ich antworte gelegentlich: «Ja, und ich weiss auch, wer meint.» (in Anspielung auf die Wendung: « Narren meinen.»

scalpello

Hallo,

gehäuft stelle ich auch „alles bestens“ fest. Vielleicht hat diese Wendung den Sprung von Ebay (dort imho Standard-Beurteilung der anderen Partei) in den allg. Sprachgebrauch geschafft?

lg hahu

gehäuft stelle ich auch „alles bestens“ fest. Vielleicht hat
diese Wendung den Sprung von Ebay (dort imho
Standard-Beurteilung der anderen Partei) in den allg.
Sprachgebrauch geschafft?

Wohl eher andersherum. Die Wendung ist doch wesentlich älter als eBay. Und was heißt schon „gehäuft“? Es ist eben einfach eine häufige Floskel im Deutschen. Demnäch könnte man auch sagen, dass das Wort „Wasser“ gehäuft verwendet wird. Oder die Floskel „liebe Grüße“. Nicht jede heute häufige Floskel muss gleich von schlechten Übersetzungen, aus der Werbung oder von Internetseiten stammen. Solche Redewendungen können sich auch ohne spezifische Quellen in Massenmedien verbreiten, einfach, weil es eine griffige Wendung ist, sie „cool“ klingt oder den Sachverhalt gut beschreibt. Sowas potenziert sich dann leicht. Das trifft, denke ich, auch auf die ursprünglich erfragten Wendungen zu, zumal keine davon (auch nicht das von dir genannte Beispiele) irgendwie semantisch merkwürdig oder auffällig ist.

Liebe Grüße,

  • André
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Was derzeit in der Schweiz in epidemischen Ausmass grassiert,
ist die Saumode, nach fast jedem Satz zu fragen: «weisst du,
wie ich meine?»

Servus,

das ist wohl das ‚oddr‘ der Gebildeten, oddr?

Gruß

Kai Müller

Hi,

Entschuldigung, ich hätte mein Post zuende denken sollen bzw. erst gar nicht wegschicken, … ich war da schon im Ansatz zu wissenschaftlich.

Es geht halt darum bei deiner Frage, dass ein bestimmtes Wort oder ein bestimmter Ausdruck nicht immer das bedeuten, was im Wörterbuch als Definition daneben steht. Die Pragmatik beschäftigt sich damit. Man kann also kaum sagen, seit wann es nun den Ausdruck gibt - man muss fragen, seit wann man ihn so verwendet.

Aber das ist wie gesagt zu detailliert, und der praxisnähere ansatz wird ja grad von anderen geliefert.

die Franzi

Hallo Tychi!

Modischen Floskeln nerven mich auch immer wieder, gerade die vielen Anglizismen, die meiner Meinung nach keinesfalls präziser oder „cooler“ sind als deutsche Entsprechungen - aber: … Sprache ist (auch wenn wir das denken) kein starres System, sondern, ganz im Gegenteil: ein sich ständige wandelndes, im Fluss begriffenes System! Wortschatz, Grammatik, Aussprache, pragmatische Funktionen wandeln sich ständig, manches innerhalb von Monaten, anderes innerhalb von Jahrzehnten und Jahrhunderten.

Und offenbar besitzt der Mensch die angeborene Fähigkeit, Sprache ständig abzuwandeln, zu variieren. Das meiste davon überlebt nur kurze Zeit, anderes wird von anderen Menschen aufgegriffen, bleibt hängen und verändert das System!

Gruß!
Karl

Rätsel
Servus Kai

das ist wohl das ‚oddr‘ der Gebildeten, oddr?

O wunderbare Welt der Rätsel!
Ich kenne das nervende «oddr?» und sein Geschwister «odäää?» eher als regionales Phänomen denn als Merkmal sozialer Schichtung.
Daher muss ich mich fragen, ob du die Zürcher und Aargauer mit Gebildeten gleichsetzest*).

Aber zurück zur Ernsthaftigkeit: Da sich ja «oddr?» inhaltlich ziemlich mit «weisch wie-n-y mein?» deckt, könntest du schon recht haben. Danke für deine Aufmerksamkeit.

Grüsse
scalpello

*) und dies dann noch mir – einem Basler – zumutest. SCNR