...nach 33 Jahren

Hallo zusammen !

Würde mich über ein Feedback von Euch freuen,da ich nicht wirklich weiß,ob es sich überhaupt lohnt,sich weiterhin Gedanken über Folgendes zu machen…

Vor 33 Jahren (bin jetzt 43) endete mein sex. Mißbrauch. Bis vor einigen Jahren war ich „Meisterin“ im Verdrängen und nun steh ich da mit offenem Blick auf all das,was diese Zeit damals Mit und Aus mir gemacht hat.
Die Straftaten sind vom Gesetz her verjährt,doch mir fällt es immer schwerer,mich damit abzufinden. Hätte ich früher meinen „Selbstschutz“ aufgeben können,wäre ich in der Lage gewesen,ein Stück Gerechtigkeit einzufordern…und nun soll es zu spät dafür sein?

Mord,Völkermord verjährt nicht…natürlich tut es das nicht !
Es gibt jedoch Straftaten,die Vergleichbar sind (wenn auch mit einer etwas anderen Konsequenz) und da heißt es dann „Sie haben leider die Frist verpasst“ ?!
Vielleicht würde ich auch heute keine Anzeige erstatten,aber das mir noch nicht einmal diese Möglichkeit zusteht,macht mich mal wieder hilflos,verletzlich uvm…

Vielleicht ist meine Denkweise falsch…mit Sicherheit jedoch erkenne ich den Sinn dieser Verjährungsfristen nicht !
Erkennt ihn einer von Euch ???

lieben Gruß, Gaza

Liebe Gaza,

vorab einmal: Es tut mir sehr leid, was Dir da passiert ist.

Vor einiger Zeit bin auch ich mit Dingen aus meiner Vergangenheit konfrontiert worden, die ich zwischenzeitlich lange Zeit völlig verdrängt hatte. Plötzlich konnte ich mich wieder erinnern und könnte einiges, aber nicht alles, durch Fotos, Meldedaten usw, belegen. Es geht übrigens nicht um Missbrauch, und eine dieser Sachen ist nicht verjährt. Ich möchte hier aber nicht näher ins Detail gehen.

Aber was habe ich davon, wenn ich Polizei und Staatsanwaltschaft, die in der weiter zurückliegenden Vergangenheit im Abstand von einigen Jahren immer wieder erfolglos ermittelt haben, mit meinen Erinnerungen konfrontiere? Um jemanden hinter Schloß und Riegel zu bringen, muss ich etwas beweisen. Wenn der Beschuldigte behauptet: „Die spinnt, die will mir was“ und alles abstreitet, du kannst nichts machen. So war es bei mir. Die Beweise reichen einfach nicht aus. Zeugen, so weit vorhanden, würden sich nach so langer zeit nicht mehr richtig erinnern können. Und auch bei ihnen würden alte Wunden aufbrechen.

Ich habe für mich mittlerweile erkannt, dass man durch die Beschäftigung mit der Vergangenheit nichts ändern kann. Hast Du Dir schon einmal überlegt, wie schlimm es wäre, wenn Du Deine Geschichte stundenlang in allen Einzelheiten bei einer polizeilichen Vernehmung erzählen müsstet und immer wieder gefragt würdest? Wenn Du Angst vor dem Täter haben müsstest, weil er nicht weggesperrt wird und sich nun vielleicht in Rachegedanken versteigt?

Mir persönlich hat es geholfen, mich abzulenken und mit positiven Dingen zu beschäftigen. Und ich wünsche Dir alle Kraft der Welt, dass Du das auch schaffst.

Ich wünsche Dir alles Gute,

Annette.

Hallo,

Dein Problem ist nur allzu verständlich und Du stehst da nicht alleine.

Die Verjährung von Straftaten (oder auch zivilrechtlichen Ansprüchen, etc.) ist schon immer diskutiert worden und muss sich so mancher Kritik erwehren.

Der eigentliche Sinn, der dahinter steht, ist sogenannter „Rechtsfriede“. Das bedeutet, dass man einiger Maßen übersichtlich wissen kann, wer gegen einen Ansprüche geltend machen oder wofür der Staat einen verfolgen kann. Dem steht natürlich immer der Wille des Geschädigten gegenüber, seine Interessen zu verfolgen. In dieser Abwägung hat man sich aber für die Verjährung entschieden.

Im Strafrecht kommt aber noch einiges dazu. Denn Strafe hat - jedenfalls in Deutschland - nicht den Sinn, Rache zu üben. Sie darf, insb. in ihrer härtesten Form der Gefängnisstrafe, nur dann angewendet werden, wenn sie beim Täter einen Zweck erreicht. Das ist jedoch nur dann möglich, wenn sie relativ zeitnah und so in direkter Verbindung mit der Tat erfolgt. Eine „Läuterung“ nach etlichen Jahren erscheint nicht möglich.
Auch eine Korrektur des Täters durch Strafe, die ihn dazu bringt, sich wieder „normal“ zu verhalten, ist nur zeitnah sinnvoll. Zudem erscheint das bei einem Täter, der (mal theoretisch unterstellt) 30 Jahre lang sonst kein Fehlverhalten gezeigt hat, unzweckmäßig.

Das klingt alles für ein Opfer sehr hart und unverständlich, da es die emotionelle Seite des Betroffenen kaum berücksichtigt. Das ist offensichtlich. Allerdings kommt man in unserem Rechtssystem nicht daran vorbei, dass die Bestrafung des Täters nicht dazu dient, den Schaden (das Leiden) des Opfers zu verringern, so verständlich das auch erscheint.

Nun hat man in diesen Fällen des sexuellen Missbrauchs - oder anderer psychisch hoch belastender Taten - tatsächlich das Problem, dass Opfer die Taten oftmals gar nicht innerhalb der Verjährungsfrist verfolgen können, weil sie sich zu sehr schämen, verdrängen oder einfach so zeitnah eine weitere Auseinandersetzung nicht verkraften. Selbst in diesen Fällen, in denen die Verjährung erst mit der Volljährigkeit beginnt, reicht das, wie hier, oft nicht aus. Vor diesem Hintergrund wäre es vielleicht wirklich angebracht, die Verjährungsthematik (wie mit der Setzung des Fristbeginns auf die Volljährigkeit schon im Ansatz geschehen) weiter zu diskutieren.

Auch der Hinweis auf die Nichtverjährung bei Mord trifft diesen Punkt. Der Grund hierfür liegt natürlich in der Schwere des Verbrechens. Der Gesetzgeber hat hierbei aber vielleicht wirklich übersehen, dass es Schlimmeres gibt. Ich weiß nicht, wie konkret sich die Rechtswissenschaft hiermit schon beschäftigt hat, die Diskussion besteht aber.

Das ist alles kein Trost. Ich hoffe aber, die Thematik ein Stück verständlich nähergebracht zu haben.
Gruß
Dea

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Hallo,


in denen die Verjährung erst mit der Volljährigkeit beginnt,

wenn Gaza heute 43 ist, dann hat die Verjährungsfrist vor 25 Jahren zu laufen begonnen (als sie volljährig wurde), richtig?

Wenn die Verjährungsfrist für Sexualstraftaten 30 Jahre beträgt (was ich jetzt nicht weiß), dann sind diese Taten doch noch gar nicht verjährt, oder?

Grüße
Sebastian

Hallo!

wenn Gaza heute 43 ist, dann hat die Verjährungsfrist vor 25
Jahren zu laufen begonnen (als sie volljährig wurde), richtig?

Sofern ich weiß, ist entsprechende Regelung erst in den 90er Jahren ins Gesetz gekommen, vorher wurde die Verjährung wie bei jedem andren Delikt auch gehandhabt.
Gruß,

Florian.

Hi,

Wenn die Verjährungsfrist für Sexualstraftaten 30 Jahre
beträgt (was ich jetzt nicht weiß), dann sind diese Taten doch
noch gar nicht verjährt, oder?

Stimmt, ist aber nicht der Fall.

30 Jahre Verjährung gibt es nur bei Straftaten, die mit Lebenslang bedroht sind (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 StGB) und der sexuelle Missbrauch/Vergewaltigung gem. § 177 StGB ist das nicht.

M.E. liegt hier die 20jährige Verjährung gem. Nr. 2 vor, da das Verbrechen in der Höchststrafe mit über 10 Jahren bedroht ist (Strafrahmen mindestens 1 Jahr und bis oben offen). Diese wäre abgelaufen.
Gruß,
Dea

Hi

Sofern ich weiß, ist entsprechende Regelung erst in den 90er
Jahren ins Gesetz gekommen, vorher wurde die Verjährung wie
bei jedem andren Delikt auch gehandhabt.

Das kann gut sein. Ich weiß zwar nicht, ob das rückwirkend zur späteren Verjährung führt, da das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot nicht für die Verjährungsregelungen gilt. Letztlich wäre aber auch dann die Frist abgelaufen.
Gruß,
Dea

Hallo!

M.E. liegt hier die 20jährige Verjährung gem. Nr. 2 vor, da
das Verbrechen in der Höchststrafe mit über 10 Jahren bedroht
ist (Strafrahmen mindestens 1 Jahr und bis oben offen).

Ich komme auf zehn Jahre nach § 78 Absatz 3 Nummer drei - in § 176 StGB entnehme ich als Höchstmaß zehn Jahre Freiheitsstrafe.

Gruß,

Florian.

Hi!

So wie ich § 176 StGB in Abgrenzung zu § 177 StGB verstehe, erfasst § 176 StGB die Fälle, in denen das Kind freiwillig (wenn auch durch massivste Willensbeeinflussung durch den Erwachsenen) die Handlungen vornimmt, während § 177 StGB die Handlung gegen den Willen des anderen erfasst (daher auch die erhöhte Strafdrohung). Ich ging jetzt davon aus, dass hier letzteres der Fall sei. Es kann aber auch durchaus § 176 StGB einschlägig sein. Das Ergebnis wäre ja letztlich kein anderes.
Gruß
Dea

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Ein gutes Leben ist die beste Rache…
Hallo Gaza,

erstmal möchte ich Dir sagen, dass ich sehr gut Deine Gefühle nachvollziehen kann.

Ich war in einer ähnlichen Situation, habe meinen Missbrauch auch nach so einem großen Zeitraum erinnert.
Die Wut, Verzweiflung, Hilflosigkeit und auch die Frage nach dem Sinn des Ganzen(nicht nur nach dem Sinn unserer Rechtssprechung)ist wohl erstmal nötig und wichtig und wird dann sicherlich auch bei Dir irgendwann dem Gefühl Platz machen:
ich habe es überlebt und lebe den Rest meines Lebens als vollständiger Mensch mit all meinen Erinnerungen.

Mein Täter wäre jetzt weit über 70(ich vermute, dass er nicht mehr lebt).
Und wie schon richtig von Anderen hier angeführt, den Rachegedanken gibt es in unserem Rechtssystem nicht.
Mein bisheriges Leben würde sich ja auch durch eine Verurteilung nicht mehr ändern und eine Gefahr für andere Kinder stellt mein Täter wohl auch nicht mehr da.

Ich weiß aber von anderen Betroffenen, dass es durchaus nach Jahrzehnten Anzeigen und Prozesse gibt(kann gerne nochmal nachgucken, wie die Zeiträume sind).
Gerade wenn es um innerfamiliären Missbrauch geht, mit vielen destruktiven Mechanismen(Schweigegebot, Schuldzuweisungen, Loyalitätsforderungen, Nestbeschmutzervorwürfen etc.), kann eine Anzeige einen enormen Heilungs- und Selbstfindungsprozess einleiten.
Die Belastungen, die damit einhergehen sind aber ebenfalls enorm, von den geringen Erfolgsaussichten auf eine Verurteilung mal abgesehen.

Ich sehe solche Anklagen nach so vielen Jahren mehr symbolisch:
ich mache jetzt endlich meinen Mund auf und rede und verurteile.

Das kann und sollte man auf jeden Fall tun…ob das unbedingt in einer Gerichtsverhandlung sein muss…großes Fragezeichen???

Die Gefahr von schweren emotionalen Verletzungen und auch einer Retraumatisierung(weil Dir eventuell, wieder mal! nicht geglaubt wird, die Dinge, wieder mal! bagatellisiert werden und die detailierte Schilderung eines Missbrauchs selbst im Rahmen einer Therapie mit Vorsicht zu genießen ist)ist in einer Gerichtsverhandlung sehr groß.

Gut, das war aber eigentlich nicht Deine Frage, sondern die Frage war ja mehr, ob es „gerecht“ ist und einen Sinn macht, dass alles was mit sexuellem Missbrauch an Kindern(und auch sonstige Misshandlungen, Vernachlässigungen, Ausbeutungen z.B. durch Kinderpornograhie)so gering bestraft wird und deswegen auch eher verjährt.
I c h finde es eine zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit!!!

Und wenn Du Dir ansiehst, dass Leute, die mit grauenvollen Darstellungen von Kindern handeln, zum Teil mit Bewährung davon kommen…zum Kotzen.

Also, davon mal abgesehen, dass ich gerne meinem Täter nochmal gegenüberstehen und ihm meine Verachtung und Wut ins Gesicht schreien möchte, lasse ich meine Ernergie lieber dort, wo sie mir und anderen nützt.
Ich engagiere mich für andere Betroffene und lasse es mir gut gehen.

EIN GUTES LEBEN IST DIE BESTE RACHE!!!

In diesem Sinne wünsche ich Dir alles Gute und Liebe, fühle mit Dir und drück Dich einmal, wenn ich darf :smile:

Anna

@Anette
freue mich sehr, dass es Dir gut geht und drück Dich auch mal…

Hallo Gaza,
Meisterin im Verdrängen, habe gelesen und verstanden. Wenn ich dir helfen kann musst du mir nur genaue Anweisungen geben. Ein Versuch ist es Wert, weil es mir mit weh tut. Entschuldigung kann gerade mit deinen Augen sehen. Meine Zeit wird auch knapp. Muss sachlich bleiben.
Ein Verbrechen ist ein Verbrechen. Ungerechtigkeit ebenso.
Zeit ist Illusion und alles muss in die Balance. Bei Nothilfe, Reden und Betreung… Du machst das schon. Bin da und alle wissen.
in Sachlichkeit
Kalks

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hi

Hätte ich früher meinen
„Selbstschutz“ aufgeben können,wäre ich in der Lage
gewesen,ein Stück Gerechtigkeit einzufordern…und nun soll es
zu spät dafür sein?

ja - nur 5 jahre zu spät :frowning:

Mord,Völkermord verjährt nicht…natürlich tut es das nicht !

Mord am Körper verjährt nicht - Mord an der Seele schon

Vielleicht ist meine Denkweise falsch…mit Sicherheit jedoch
erkenne ich den Sinn dieser Verjährungsfristen nicht !
Erkennt ihn einer von Euch ???

Nein

Liebe Grüße
H.