Nach der LTW in Thüringen

Das sehe ich anders.
Krass unterschiedliche Wahlergebnisse in West- und Ostdeutschland sind sehr wohl eine ganz besonders nachdrückliche Art, die „Ost-West-Debatte“ zu führen - mit dem Stift in der Hand.

Dann die jahrzehntelangen negativen Wanderungssalden, die erst in den letzten Jahren besser geworden sind, aber Ostdeutschland wohl so ziemlich zur ältesten Großregion Europas gemacht haben. Auch eine Art, die „Ost/West“-Debatte zu führen - mit den Füßen.

Und dass das „abgehängt“ einfach nur Gefühls-Quatsch wäre, sehe ich nicht so.

( Quelle:de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_deutschen_Bundesländer_nach_Bruttoinlandsprodukt#Bundesländer_nach_BIP_pro_Kopf )

Erklärungsmuster wie „die sind da einfach den braunen Rattenfängern zum Opfer gefallen“ oder „es geht alles nur um Fremdenfeindlichkeit“ oder „die sind mit dem Internet überfordert“ sind aus meiner Sicht einfach zu dürftig bzw. erklären halt auch nur eine Teil des Phänomens.

Aber die Alten haben deutlich stärker Linkspartei gewählt.

Wenn man entsprechend Linkspartei und AfD zusammenfasst, dann haben die Über-60-jährigen stärker diese beiden Parteien gewählt als die Unter-60-jährigen.

Ich will die Linkspartei nicht auf „Protestpartei“ reduzieren, aber diese abgehängt-Rhetorik wird dort wohl immer noch am stärksten gepflegt.

Gruß
F.

Ja.

CDU und SPD haben einfach klare Lücken aufgemacht, in die die AfD stoßen konnte.
Da gehts ja nicht nur um rechtsradikale Themen, sondern auch um große Themen wie: Euro, EU, Gender/Familienpolitik, Migration/Asyl, neuerdings Klimapolitik.

Insbesonders der CDU muss man den Vorwurf machen, dass sie zuviel Raum zwischen sich und dem ‚rechten Rand innerhalb des demokratischen Spektrums‘ (zu dem eine Weidel halt nun mal gehört, und ein Gauland und eine Steinbach im Grund auch noch) aufgemacht hat.
Völlig klar, dass dieser neue Raum dann auch Rechte von außerhalb des demokratischen Spektrums stark macht.

Aus meiner Sicht bleibt zu hoffen, dass die AfD ihre rechtsradikalen Kräfte loswird, eine „normale“ demokratische Rechtspartei wird, und dann auch eine brauchbare Koalitionspartner-Option für die CDU. Denn verschwinden wird sie nicht, wenn nicht irgendetwas Außergewöhnliches geschieht.

Gruß
F.

Vor allem sollte man aber die AfD nicht darauf reduzieren. Genau das passiert aber bei den Teilen der Bevölkerung, die die AfD nicht wählen, während es den eigentlichen Wählern mehrheitlich tatsächlich um die Inhalte geht:

Genauso gibt es verschiedene Wahlergebnisse in Bayern und in Nordrhein-Westfahlen, in Bremen und Baden-Württemberg und in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen. Das hat mit einer Nord-Süd-Debatte auch nichts zu tun, sondern mit strukturellen Unterschieden.

Das berücksichtigt nicht die deutlich niedrigeren Lebenshaltungskosten und die weichen zum Teil noch stärker voneinander ab, d.h. man lebt im Osten trotz niedrigerem Gehalt zum Teil deutlich besser als im Westen, was vor allem an den deutlich niedrigeren Mieten liegt.

Genau derart „nackte Zahlen“ sind es, die das Gerede eines vom Westen verursachtes Ost-West-Gefälles immer wieder befeuern (sollen) und bei manchen, die es nicht besser wissen oder glauben wollen, das Gefühl des abgehängt seins verursachen oder verstärken. Das ganze gepaart mit den nicht erfüllten und falschen Erwartungen, daß erstens alle im Westen in einer goldenen Badewanne sitzen und Champagner schlürfen und man das im Osten unmittelbar nach der Wende natürlich auch wollte.

In der normalen, von derartigen Parolen unbeeinflussten Bevölkerung gibt es aber die Denkweise „wir hier im Osten und die da drüben im Westen“ oder Ossi/Wessi-Denkweise nicht mehr.

Na klar, die Linkspartei ist die Partei für die Rentner, die früher die SPD war. Völlig normale Entwicklung, die ich nicht unter Protestwahl o.ä. subsumieren würde.

Gruß
C.

Klar.
Eine Denkzettel-Wahl war das sicher nicht.

Gruß
F.

Ist richtig.
Auch meine Graphik ist nur ein Teil des Mosaiks.
Ich wollte einwerfen, dass es hier nicht ausschließlich um Gefühle geht, sondern schon auch um objektive Unterschiede zwischen den Regionen. Wenn du unterschiedliche Löhne, unterschiedliche Mieten, unterschiedliche Lebenshaltungskosten anführst, dann bestätigst du das ja sogar.

Ich verstehe nicht, weshalb auf das „Gefühl“ so dermaßen bestehst, und die objektive Realität so leichthändig abtust.
Natürlich wird es von Parteien wie der Linken und der AfD konstruiert, befeuert und ausgenutzt.
Ja, stimmt.
Wenn aber das BIP oder gar Wanderungssalden/Altersstruktur und Wahlergebnisse keine „hard facts“ sind, dann weiß ich auch nicht mehr.
Dieses „abgehängt“, so überzogen es vorgetragen wird, hat schon ein fundamentum in re.

Hab ich auch nicht.
Die Linkspartei ist da noch immer Volkspartei.
Mit Protestwahl hat das sicher ganz wenig zu tun.
Wie P. aber richtig eingebracht hat, die Wahl der AfD auch nicht wirklich.
Beide Parteien verwenden aber diese „abgehängt“-Rhetorik, von der an dieser Stelle im Posting die Rede war.

Gruß
F.

Auch im Westen und auch innerhalb von Bundesländern gibt es erhebliche Unterschiede bei Lebenshaltungskosten und Gehältern. Im Osten lebt es sich inzwischen aufgrund der im Verhältnis zu den Lebenshaltungskosten erheblich gestiegenen Gehältern teilweise deutlich günstiger als im Westen. Daß die Gehälter im Schnitt in den östlichen Bundesländern niedriger sind, bestreitet niemand, ist aber auch nur die halbe Wahrheit, eben weil die Lebenshaltungskosten niedriger sind.

Der Punkt ist, daß ein Großteil der Bevölkerung es eben nicht mehr so wahrnimmt, daß „der Osten“ ein Opfer des Westens ist und von ihm benachteiligt und ausgenommen wird, wie das noch vor 25 oder 20 Jahren wahrgenommen wurde. Wer immer wieder über die Gehälter argumentiert und die Lebenshaltungskosten ignoriert, befeuert (im Regelfall bei Politikern mit Absicht) die alten, eigentlich nicht mehr existierenden Ressentiments.

Ähnliches gilt für die Wanderungsbewegungen, die es auch im Westen gibt und zwar im Regelfall vom Land in die Städte, aber auch aus strukturschwachen Regionen in die wirtschaftlich starken. Auch daraus würde niemand ein gesamtgesellschaftliches Problem machen.

Im übrigen war das Thema ja Thüringen und gerade da ist es um den Arbeitsmarkt ja recht gut bestellt, wie ich eingangs schon erwähnte. Umso weniger sollte dort das Argument der wirtschaftlichen Probleme bestellt sein. Und dennoch verfängt dort die wirtschaftlich orientierte Demagogik. Insofern macht es keinen Sinn, daas Wahlergebnis den tatsächlichen Zuständen in Thüringen zuzuschreiben, sondern es liegt an der Wahrnehmung und die ist wiederum auf Art zurückzuführen, wie dort seitens der Rechten kommuniziert wird und wie diese Kommunikation wahrgenommen wird - und da sind wir wieder am Anfang. Ein interessantes Interview zu dem Thema:

Gruß
C.

Ja, wie schon gesagt, stimmt, das relativiert einiges.
Aber nicht alles.
Wie ist es mit den Vermögen?
Haben die Ostdeutschen mehr als ein Drittel der Vermögen der Westdeutschen?
Gerade so vielleicht.
Das muss ich jetzt nicht ausdiskutieren (zumal „der Osten“ nicht, aber insbesondere „der Westen“ nicht sinnvoll als homogene Einheit diskutieren werden kann), aber für mein Empfinden verkleinerst du diese ökonomischen und sozialstrukturellen Unterschiede zu sehr.

Dass du dieses Offensichtliche (den Wanderungssaldo über Jahrzehnte und die andere Altersstruktur dort) auch noch kleinredest, finde ich völlig unverständlich, kann ich aber einfach so stehen lassen.

Gruß
F.

Die Wanderungsbewegung ist nichts, was jemanden dazu bringen müßte, die AfD zu wählen. Die Wanderungsbewegung hat auch nicht dazu geführt, daß die Menschen so verarmt sind, daß sie AfD wählen müßten. Die Liste ließe sich fortsetzen. Und auch, wenn das Vermögen in den östlichen Bundesländern vielleicht kleiner ist als das der Westdeutschen, ist das erstens kein Grund für Verzweiflung, weil man mit seinem Einkommen auskommen muß und nicht mit seinem Vermögen, zweitens ist es kein Grund AfD zu wählen und drittens gibt es ganz viele andere Länder, in denen die Menschen weniger Vermögen haben und trotzdem keine Nazis wählen.

Ich will aber mal jemand anderen zu Wort kommen lassen:

Gruß
C.

Hier der komplette Text von Ennopark zur Strategie der Blau-Braunen im Osten:

Taucht der vollständige Text nicht auf, wenn man auf den Link klickt? Bei mir nämlich schon.

Lag an meinem uBlock, der PopUps verhinderte :wink:

Aber der verlinkte Reader hat auch Vorteile.

Eher nicht. https://www.presseportal.de/pm/38447/4387425

Auch aus eigener Erfahrung aus der Verwandschaft und dem Freundeskreis kann ich deine Behauptung nicht bestätigen.
Andere Lebenshaltungskosten wie Lebensmittel oder Bekleidung sind genau so hoch wie im Westen.

Warum über 50 % so „extrem“ gewählt haben, kann ich aber auch nicht beantworten.
Ramelow hat während seiner Regierungszeit einen guten Job gemacht, das haben viele anerkannt. Warum aber so viele die Rattenfänger gewählt haben? Keine Ahnung.
Was jetzt wichtig ist, dass sich Ramelow nicht von der CDU weichkochen lässt. Das würden ihm eine Menge Wähler nicht verzeihen.

Soon

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Demokratie hat keinen Inhalt, nur Struktur und Prozesse. Eine Demokratie kann ohne jegliche Verfassung und ähnliches auskommen, man stellt ein Thema zur Debatte und lässt demokratisch-mehrheitlich entscheiden. Baisisdemokratisch beispielsweise Familie „Gehen wir heute in den Zoo oder ins Deutsche Museum?“.

Demokratie beinhaltet keine Werte oder Rechtsordnung. Über Todesstrafe kann ebenso demokratisch abgestimmt werden wie über Gewässerschutz oder Bauordnung oder Migration.

Demokratie beinhaltet anders Denken, anders entscheiden, Widerspruch, Widerstand, Meinungs-, Glaubens und insbesondere Abstimmungsfreiheit.
Für alle.
Dafür oder dagegen muss man streiten, kämpfen, sich engagieren und das Prinzip so Demokratie mit Leben füllen.

Demokratie beinhaltet aber keinesfalls moralische Hoheiten. Wenn die Grünen (meine Passage zu Baerböck wurde mehrfach erwidert) nur 5% erzielt haben, dann müssen sie sich schlicht damit abfinden, dass sie demokratischen Rand einnehmen, keinesfalls die Mitte oder Mehrheit. Daher ja auch das Gejammere, die Schuldzuweisungen, ohne konkret über die eigenen Ursachen am Ergebnis nachdenken zu wollen.

awM

Sie wählen AFD nicht aus Armutsgründen. Sondern aus Gründen wie Enttäuschung, Gerechtigkeit oder Sicherheit. Gestern mit einem Kleinunternehmer (etwa 20 Mann Personal) telefoniert, erfolgreich in seinem Metier, kenne ihn seit etwa 15 Jahren, Migrationshintergrund, AFD-Mitglied. Und mit zwei Ossis aus der Produktion gesprochen. Und sie haben alle AFD gewählt. Erstaunlicherweise aus sehr ähnlichen Gründen.

Soviel zu deiner Antwort auf meinen Beitrag weiter oben?:

Dieser selbsternannte Halb-Cyborg ist wohl Opfer seiner Implantate und daher wohl Opferkulturfetischist. Entschuldigung, wenn ich das so offen sage: Den kann man hier nicht im Ansatz ernst und als „Argumentationshilfe“ nehmen:

Ich habe auf dem Chip eine digitale Visitenkarte gespeichert. Wer sein Telefon ganz nah an meine Hand hält, kann die Daten gleich in seinem Handy speichern. Das ist ganz lustig, aber natürlich nicht dringend notwendig.

Das Interview ist ein lesenswertes Vergnügen.

awM

Sagt ja keiner.
Aber massive Abwanderung und daraus resultierende Überalterung lässt wohl ziemlich leicht dieses „abgehängt“-Gefühl entstehen bzw. ist selbst eine Reaktion darauf (gewesen).
Natürlich muss man deshalb nicht AfD wählen.

Erstens ist es nicht vielleicht kleiner, sondern viel kleiner, zweitens hat kein ernst zu nehmender Mensch je behauptet, die Menschen würden die AfD wegen „Verzweiflung“ wählen, und drittens hat niemand irgendeinen AfD-Wähl-Automatismus behauptet.

Dem was Enno Park schreibt, kann ich mich durchaus zu guten Teilen anschließen. Insbesondere die Abschnitte 1-3. Er schreibt aber von einer furchtbaren großkotzigen (neudeutsch: privilegierten) Perspektive.

Da haben wir Bestdeutschen (absichtlich mit B, weil damit nicht die Westdeutschen gemeint sind) halt jetzt wieder einen Anlass, unser makelloses Größenselbst aufzublasen.

Gruß
F.

Ich lediglich nur zu Punkt 16:

Es geht immer nur um eine Rechtfertigung für autoritäres, rassistisches, sexistisches und sozialdarwinistisches Verhalten.

Basics. Wenn etwas überdauert, dann solches.
Der Rest ist verzichtbares ideologisches pseudo-politisches Geschwafel.

awM

Für dich vielleicht, für mich nicht.
Demokratie hat z.B. Menschen-/Bürgerrechte zum Inhalt, die von keiner formalen „Mehrheit“ tangiert werden können, ohne dass Demokratie damit endet.
Oder die klassischen Freiheiten wie die Pressefreiheit, die auch ein Höcke, wenn er mal formal „eine interessante Persönlichkeit ist“ (-> das berühmte ZDF-Interview) nicht außer Kraft setzen kann, ohne dass Demokratie damit endet.
Und so weiter.
Dieser inhaltliche Demokratie-Begriff ist für mich nicht verhandelbar.
Ich weiß natürlich, dass z.B. die FPÖ den Demokratie-Begriff gerne formal begreift und an Wahlen, Plebisziten und Mehrheiten hängt.
Ob du dich da im Rechtspopulismus einordnen willst, musst du selbst entscheiden.
Ich will dir da nichts unterstellen.

Da stimme ich dir zu.

Gruß
F.

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Ja, darin unterscheiden wir uns völlig.

Und Pflichten. Dann vielleicht doch noch ein paar „Werte“, ein klein wenig Moral-Ausrichtung, technokratisches Besserwissen usw.

Wie kann man Demokratie von beispielsweise einer Diktatur oder einer absolutistischen Regierungsform unterscheiden?
Indem man eben Werte, Moral, Technokratie außen vor lässt.

Aber in einem Punkt sind wir uns wenigstens sehr einig:

Freiheit.
Ich kann und darf entscheiden.
Ich darf kritisieren.
Und werde kritisiert.
Beuge mich der Mehrheit.
Ziehe daraus meine Konsequenzen.
Oder auch nicht.

Komme ich hier populistisch, also erwartungsgemäß mehrheitsfähig an?
Über das „Rechts“ will ich mich nicht äußern. Den begleitenden Thread über alte weisse Männer habe ich jedenfalls unkommentiert vergnügt gelesen.

awM

Zwei nicht repräsentative Datenquellen zu verknüpfen und daraus allgemeingültige Schlußfolgerungen abzuleiten finde ich methodisch eher schwierig. Vor einigen Wochen habe ich einen Artikel gelesen, in dem das etwas sauberer aufgearbeitet war. Da der Artikel online nicht verfügbar ist, muß dieser hier herhalten:

Auch im Westen gibt es Unterschiede. Wenn man die Preise im Sauerland oder im bayerischen Dorf mit denen in Jena vergleicht, wird auf den Gedanken kommen, daß die Preise ähnlich sind. Vergleicht man aber Großstadt mit Großstadt, sieht die Sache schon ganz anders aus.

Gruß
C.