…kommt der Sprung ins kalte Wasser
Hallo Gunter,
so allgemein wie du es formuliert hast, bzw. so wie ich es verstanden habe, würde ich mit „Nein“ antworten.
So ein Rahmen kann es meiner Ansicht nach nicht geben.
Klar gibt es betreutes Wohnen, beschützende Werkstätten etc., wo das alltägliche Leben inklusive Beziehungsgestaltung, Konfliktbewältigung usw. von Fachpersonal begleitet wird.
Aber ich halte das nur sinnvoll für Leute(und denke, das wird auch nur in solchen Fällen bewilligt), die sehr schwere Störungen haben und nicht, wie du es schilderst, schon viele Therapien „erfolgreich“ abgeschlossen haben und „irgendwie“ im Alltag zurechtkommen(wenn das in dem Fall deiner Freundin nicht so ist, brauchst du den Rest nicht zu lesen).
Dort findet man ganz sicher keine Menschen, die austherapiert in dem Sinne sind, dass sie ihre Probleme aufgedeckt, bearbeitet haben und jetzt sozusagen „nur“(fette Anführungsstriche!) noch umsetzen müssen, was sie an neu erworbenen Erkenntnissen und Freiheiten erlangt haben.
Ich kenne das Gefühl vor einem Riesenberg zu stehen und irgendwo anfangen zu müssen leider sehr gut.
Ich bin zwar inzwischen in der „beneidenswerten“(nochmal fette Anführungsstriche)Lage, Hindernisse und Blockaden analysieren und auf die Ursprünge zurückführen zu können, aber der Sprung ins kalte Wasser und das mühsame Erlernen von (psychischen) Fertigkeiten, welche andere Menschen schon in der Kindheit automatisch in normalen Entwicklungsprozessen mitbekommen haben, macht Angst bis zum Abwinken, ist sehr demütigend, mühsam und ziemlich ernüchternd.
Ich vergleiche das immer gerne mit einem Menschen, der ein Leben lang gelähmte Beine hatte und der nach der Beseitigung der Ursache auch nicht gleich altersgemäß geschmeidig losrennen kann, sondern erst Muskeln aufbauen, Koordination und Ausdauer erwerben muss, um dann lange Zeit wie ein Kleinkind rumzustolpern(das dauernde Hinfallen Wegstecken-Lernen nicht zu vergessen!).
Kein wirklich beglückendes Gefühl, auch wenn es „gesund“ sein oder zumindest Rekonvaleszens bedeutet(da scheint der „sekundäre Krankheitsgewinn“ doch manchmal attraktiver zu sein).
Unterstützung ist bei dem Prozess natürlich begrenzt möglich, aber in letzter Konsequenz ist man mit den vielen schmerzhaften Gefühlen und dem mühsamen Lernen allein, das kann einem keiner abnehmen und den „Probesprung“ mit Umkehrmöglichkeit auf halben Weg, wenn´s einem zu gruselig wird, gibt´s auch nicht.
Probe-leben, Probe-lieben? Geht das?
Arbeitsmäßig macht ein beschützter Rahmen ja unter bestimmten Umständen Sinn, aber Autonomie im eigentlichen Sinne kann man da natürlich nicht erwerben.
Ich halte es meistens für sinnvoller die eigenen Belastungsgrenzen(zeitlich und inhaltlich) herauszufinden und dementsprechend den Arbeitsmarkt abzusuchen.
Na ja, und Freundschaften und Beziehungen muss man eben einfach eingehen und so rumstümpern(wie es die meisten anderen Menschen -nach meiner pessimistischen Beobachtung- auch tun).
Hilfe kann man sich ja immer noch holen, aber der Wunsch erstmal im beschützten Versuchsmodus zu starten, erscheint mir, so umfassend, wie du es darstellst(Arbeit, Finanzen, Freundschaften, Partnerschaft…)nicht möglich.
Ich kann nachempfinden, dass die Angst vorm „normalen“ Leben(was auch immer das sein mag)riesengroß und das Zutrauen, dass man „das“ kann, eher klein ist…ABER, um noch mal das Beispiel mit der Körperbehinderung zu nehmen, das, was man vorher MIT Handicap gewuppt hat, war ja meistens enorm und das „normale“ Leben ist dagegen eigentlich ein Klacks…wenn es nicht so verdammt ungewohnt wäre ohne Last und Einschränkung zu laufen.
Ich hoffe, das war dir jetzt nicht zu wischi-waschi/philosophisch-unkonkret und hoffentlich auch nicht an deinem Thema vorbei, aber du wolltest ja einfach mal Meinungen dazu hören
)))))))
Ansonsten wünsche ich deiner Freundin den Mut und die Kraft, das, was sie gelernt und erfahren hat, umzusetzen.
Und wenn du sie dabei durch dein einfaches „Dasein“ unterstützen kannst, ist das schon sehr viel, finde ich.
Liebe Grüße
Anna